Allerorten erschallt der Ruf nach Digitaler Transformation, Umfragen von Beratungshäusern fragen nach der Digital Roadmap für das Unternehmen und immer wieder mahnende Stimmen, Deutschland falle in punkto digitaler Wettbewerbsfähigkeit zurück. Natürlich bleiben deutsche Unternehmen nicht untätig: Vor allem einige Große starten Innovation Hubs, andere schicken Scouts in die StartUp-Szene, und in vielen Unternehmen werden in der einen oder anderen Form digitale Innovationsprojekte gestartet. In diesem Artikel möchte ich die Option „Transformative M&A“ betrachten: Was ist zu beachten, welche Risiken bestehen, für wen kommt diese Option in Betracht?

Für viele Großunternehmen ist M&A seit jeher Daily Business, um sich strategisch neu auszurichten, die Geschäftstätigkeiten neu zu strukturieren. Hier herrscht Dauerbetrieb in der M&A Abteilung. Beispiel Siemens: Für den Aufbau/Ausbau des Geschäftsbereichs „Gebäudesteuerung“ wurden in den vergangenen Jahren etwa die Firmen Enlighted, Building Robotics oder Agilion zugekauft. Für das Geschäftsfeld Factory 4.0 die Low-Code-Plattform Mendix. Die Software AG wiederum hat den IoT-Markt als strategisches Geschäftsfeld für sich definiert und hier gezielt die Unternehmen Cumulocity und Zementis aufgekauft. Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen, es seien noch einige bekannte Akquisitionen von Blue Chips Companies in den USA genannt: Microsoft kauft Skype, Google erwirbt den KI-Spezialisten DeepMind (2014), Facebook schluckt WhatsApp und Instagram. IBM erwirbt den Linux-/Cloud-Spezialisten RedHat. In vielen Fällen hatten die üppigen Kaufpreise für Erstaunen gesorgt (WhatsApp, RedHat).

Die Vorteile der Option Merger & Acquisition liegen auf der Hand. Wer ein Geschäftsfeld als strategisch relevant definiert hat, kann sich mit der Übernahme eines etablierten Players (oder auch: mit einem vielversprechenden StartUp) den Zugang zu diesem Markt unmittelbar erschließen bzw. interessante Schlüsselkompetenzen für Zielmärkte zukaufen. Auch für große Unternehmen ist eine Eigenentwicklung bei jungen Märkten kaum eine Alternative: Zum einen bleibt selbst bei hohem Ressourceneinsatz die Time-to-Market bis zum marktfähigen Produkt ein kritischer Faktor (zumal angesichts des IT Fachkräftemangels), denn gerade digitale Märkte können sich sehr dynamisch entwickeln, späte Einsteiger werden bestraft; zum anderen gelingt es Großkonzernen selten, Ausgründungen mit einer agilen StartUp-Kultur zu orchestrieren.

Insbesondere für Akquisitionen in jungen Märkten ergibt sich der Vorteil, abwarten zu können, ob eine Technologie, ein Geschäftsmodell, ein Markt die darin gesetzten Erwartungen auch tatsächlich erfüllt. Das kann taktische Geduld bzw. Nervenstärke erfordern: Denn wartet man zu lange, greift ein Wettbewerber oder anderer Investor womöglich schneller zu. Ein solches Risiko besteht natürlich grundsätzlich, für den KI-Spezialisten DeepMind hatte nicht nur Google geboten, sondern auch Facebook.

Grundsätzlich liegt auch nicht jeder Akquisition ein lupenreines rationales strategische Kalkül zugrunde, sind nicht alle Aquisitionen mit knallhart kalkulierten Businessplänen inklusive Synergien unterlegt. Es menschelt überall. Unternehmenslenker stehen unter Druck, Fortschritte bei der Umsetzung der Digitalstrategie vorzuweisen oder einfach bei Umsatzwachstum. Es entstehen Bewertungsblasen, gerade angesichts zu viel Investitionskapital. Bestimmte Märkte werden gehyped (z.B. Autonomes Fahren), dann kehrt wieder Ernüchterung ein. Eine Megafusion kann auch dem Wunsch eines CEO entsprechen, sich einen Platz in der Unternehmensgeschichte zu sichern, oder aber eine Mode à la Fokussierung oder Globalisierung greift um sich. Alle vorgenannten Überlegungen erklären zumindest in Teilen, wieso ca. 50 Prozent der Akquisitionen scheitern – entweder die Erwartungen nicht erfüllen oder im Worst Case in einem De-Merger enden (z.B. DaimlerChrysler).

Wir können davon ausgehen, dass bei nahezu allen Deals die grundlegenden Hausaufgaben ordentlich erledigt werden: Finance Due Diligence, Tax DD, Legal DD, Technology DD, HR DD. Natürlich gibt es vielfach auch die Commercial oder Market Due Diligence, aber hier gibt es häufig Spielraum, insbesondere bei jungen Märkten – und um eben solche Märkte geht es ja häufig bei M&A Projekten rund um die Digitale Transformation. Nicht immer ist die technische Machbarkeit mit Sicherheit bestimmbar (vgl. Autonomes Fahren), noch ist die Größe des Marktes bzw. die Kundenakzeptanz belastbar zu prognostizieren (z.B. Smart Home). Vielfach ist das Ganze einfach eine Wette auf die Zukunft, und hier können natürlich auch die Big Player irren. Das Smart Home-StartUp Revolv, in das Google investiert hatte, ist 2016 vom Markt gegangen. Google Glass hat (zumindest im ersten Anlauf) nicht funktioniert, Google+ ist gescheitert, wurde eingestellt (bei den letzten Fällen handelt es sich nicht immer um M&A Deals, hier geht es mehr um Erwartungen an digitale Märkte).

Ein kritischer Punkt sind häufig die erzielbaren Synergien, die gerne zur Begründung hoher Kaufpreise herangezogen werden. Wenn Siemens die Low-Code-Plattform Mendix übernimmt, so erscheinen unterstellte Synergien realistisch: Siemens ist Marktführer im Bereich Industrial IoT / Factory 4.0, die Innovationsplattform MindSphere ist etabliert, hier bildet Mendix praktischen Mehrwert für Kunden. Vorsicht ist dagegen meist geboten, wenn Vertriebssynergien geltend gemacht werden: Wenn ein Unternehmen exzellente Beziehungen zu den Netzwerkteams von Großunternehmen hat, dann gilt dies nicht automatisch (eher: gar nicht) für die Abteilungen, wo die Einkaufsstrategie der Factory 4.0-Initiative entschieden wird. Es wird regelmäßig unterschätzt, wie sehr Unternehmen noch in Silostrukturen funktionieren.

Der Punkt Post-Merger Integration (PMI) oder vielfach eher Post-Aquisition-Integration ist hinsichtlich des Erfolgs / Misserfolgs von M&A Deals ganz eminent wichtig. Natürlich. Wer Synergien heben will, kommt an einer Integration nicht vorbei. Seien es Kostensynergien (Integration von IT Systemen, Integration von Buchhaltung und Finanzen, kurz: Overhead), seien es Vertriebssynergien (Anpassung der Incentivierungsstrukturen, Neu-Ordnung von Key Account Verantwortlichkeiten, Anpassung von Vertriebsprozessen, etc.): Dies kostet Zeit, dies kostet Ressourcen. Dies kostet Goodwill seitens der Beteiligten. Wenn das kaufende Unternehmen bereits vor der Übernahme „im roten Bereich“ gefahren ist, dann stehen die Chancen für einen erfolgreichen PMI-Prozess eher schlecht: Es gibt weder die Bereitschaft, noch die Zeitressourcen dazu. All dies muss bedacht werden.

Es gibt auch Fälle, in denen eine allzu tiefe Integration gar nicht förderlich ist und im Gegenteil sogar vermieden wird. Letzteres entspringt den Lessons Learned aus Erfahrungen bei Akquisitionen von StartUps durch Großkonzerne. Während sich Großkonzerne durch den Zukauf von StartUps eine Frischzellenkur erhofften, neue Ideen, eine Bereicherung durch eine agile StartUp-Kultur, passierte das Gegenteil: Die Integration der StartUps in den Großkonzern, die diversen Berichtslinien, die Ausrichtung an Compliance-Richtlinien und derlei mehr führte zu einer sukzessiven Durchdringen des StartUps mit der Unternehmenskultur des Großkonzerns. Das ist verstanden und das wird berücksichtigt. Ein Investor wie Viessmann arbeitet darum gezielt darauf hin, dass die StartUps ihre Eigenständigkeit nicht verlieren. Es gibt nur einen Point of Contact, der eine Verbindung zwischen Großkonzern und StartUp herstellt und gleichzeitig von dem StartUp lernt. Es wird sogar auf die räumliche Trennung geachtet: Die StartUps sitzen in der Regel an einem völlig anderen Standort (München, Berlin) als der Mutterkonzern Viessmann selbst.

Fazit: Transformative M&A ist eine attraktive Option, digitale Produkt- und Marktkompetenz hinzuzuholen (nicht zuletzt angesichts des IT Fachkräftemangels). Akquirierende Unternehmen sollten hierbei aber stets sorgfältig realistische Chancen neuer Geschäftsmodelle und Märkte bewerten, nicht alle technischen Visionen und Hypes lassen sich in langfristig profitable Geschäftsmodelle überführen.

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Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.