Dr. Johanna Braun gehört zu den vielgefragten Experten rund um Start-Up Programme und Entrepreneurship. Johanna (Hier geht’s zum LinkedIn Profil) hat über viele Jahre bei Telefónica Innovationsprogramme geleitet, auch als Geschäftsführerin von Telefónicas Digitalem Start-Up Accelerator Wayra war Sie in ganz Europa unterwegs.
Heute arbeitet sie als Coach für Start-Ups, strukturiert als Consultant Programme und Investmenttätigkeiten – mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit und frühphasige Investitionen. Sie ist etwa für diverse Accelerator-Programme tätig, zum Beispiel Respond Accelerator, TechFounders oder Copernicus Accelerator. Der Schwerpunkt und die Leidenschaft liegen klar auf Entrepreneurship rund um das Thema Nachhaltigkeit.
Mit Johanna (wir kennen uns übrigens aus Studienzeiten) unterhalte ich mich über Ihre Lessons Learned bei der Entwicklung von Accelerator-Programmen, Erfolgsfaktoren für Entrepreneurship und Ihre Einschätzung zum Standort Europa für Unternehmen.
Sebastian: Alle rufen nach Innovation, Start-Ups, Entrepreneurship. Du bist vielgefragt, umso schöner, dass Du Dir Zeit für dieses Interview genommen hast. Trotz allem gilt ja, dass es gar nicht einfach ist, mit Start-Up Inkubatoren erfolgreich bzw. profitabel zu sein. Was sind Deine Erfahrungen? Johanna: Ich beobachte, dass häufig gar nicht klar oder nicht sinnvoll definiert wurde, was „Erfolg“ vom jeweiligen Innovationsprojekt bedeutet. Bei Accelerator-Programmen wird zum Beispiel oft nur festgelegt, wie viele Startups pro Jahr gefördert werden sollen. Das sagt aber nichts darüber aus, ob das für die Gründer oder den Accelerator erfolgreich war. Innovationsprojekte – wie jedes andere Projekt auch – brauchen Klarheit, wie Innovation zu Erfolg beitragen soll. Der Erfolg selbst kann und sollte dann in Form von gesellschaftlichem, ökologischem und finanziellen Beitrag gerechnet werden.
Sebastian: Der Unternehmer und Investor Carsten Maschmeyer erklärt gerne, es gäbe keine Unternehmen, sondern nur Unternehmer. Er schaut den Gründern gerne in die Augen, um zu entscheiden, ob er investiert oder nicht. Was ist wichtiger: Die Unternehmensidee, die am Anfang steht – oder der Unternehmer, der die Idee erfolgreich macht? Johanna: Auf jeden Fall das Team, also die Gründer*Innen, die die Idee in ein erfolgreiches Produkt verwandeln!
Sebastian: Wie kann man sich Deine Aufgaben als Coach für Start-Ups vorstellen? Wo haben Jung-Entrepreneure aus Deiner Sicht den größten Bedarf bei Coaching? Vertriebskonzepte, Finanzierung, Teammanagement, … ? Johanna: Mein Schwerpunkt liegt auf der Weiterentwicklung strategischer Fragen wie zum Beispiel der Finanzierung und der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten im Produkt und im Unternehmen selbst. Dafür analysiere ich etwa mit den Startups, welche Themen für ihre Industrie wesentlich sind und was nächste, sinnvolle Schritte sind. Das können dann Recruitingthemen sein, um diversere Teams oder Boards aufzubauen oder Klimabenefits stärker in der Investoren- oder Kundenkommunikation zu verankern. Nachhaltigkeit/ ESG-Aspekte werden zunehmend von Investoren, Kunden und Mitarbeitern nachgefragt, deshalb wächst hier auch der Coaching-Bedarf.
Sebastian: Gibt es so eine Liste an Prinzipien, die Du für das Coaching von Start-Ups einsetzt? Also, eine Best Practice Sammlung, die Deine Erfahrung für die wichtigsten Erfolgsfaktoren zusammenfasst und die Leitplanken für die Arbeit mit Entrepreneuren bildet? Johanna: Ich habe zwei Grundsätze, die sich in den letzten Jahren sehr bewährt haben: Zum einen die Aufforderung zu radikaler Offenheit in einem geschützten Raum. Das ist die Einladung dazu, vor allem schwierige Themen im Coaching anzusprechen, aber auch gemeinsam über noch komplett offene, neue Themen kreativ nachzudenken. Zum anderen ist es die Klarheit, dass die Verantwortung für die unternehmerischen Entscheidungen bei den Gründern bleibt.
Sebastian: Du bist international unterwegs, Du kennst die Accelerator-Programme von Google und anderen US-Playern. Es wird ja häufig eine Finanzierungslücke in Deutschland bzw. Europa für Start-Ups beklagt, aber: Wo siehst du die Stärken am Standort Deutschland für Jungunternehmer? Johanna: Wir holen auf, was das Investitionsvolumen in den frühen Phasen angeht und haben eine hohe Qualität in der Forschung, Lehre und Entwicklung. Wir profitieren davon, dass wir Bildung als öffentliches Gut begreifen, der Staat insgesamt eine stärkere Rolle spielt. Wir haben Weltmarktführer und Hidden Champions, gerade auch im deutschen Mittelstand, die für ihre eigene Zukunftsfähigkeit mit jungen, innovativen Unternehmen kooperieren. Der Standort Deutschland ist für Startups aus Europa und darüber hinaus ein sehr attraktiver Markt, auch wenn mir gegenüber die Sprachbarriere und Komplexität der Regulierung in Deutschland als Hürden genannt werden.
Amerikanische und chinesische Investoren bauen ihre Investments in deutsche Startups momentan aus, weil das Verhältnis von Unternehmensbewertung und Qualität einfach sehr gut ist. Gut für die Startups, schlecht für den Standort Europa! Hier müssen wir dringend etwas verändern.
Sebastian: Du bist täglich mit Unternehmern zusammen, diskutierst und optimierst Geschäftsmodelle. Ich kenne Dich ja als äußerst ideen- und durchsetzungsstark, darum frage ich mich: Wie oft hast du selbst mit der Idee gespielt, ein Start-Up aus der Taufe zu heben? Johanna: Bisher noch gar nicht – ich hatte in den letzten drei Jahren einfach zu viel Spaß an der neuen Erfahrung, als Solopreneurin ganz unterschiedliche Projekte zu begleiten.
Sebastian: Darf ich Dich mal um Deine persönliche Einschätzung zu einem Erfolgspfad für die Nachhaltigkeitsziele, also die Sustainable Development Goals fragen. Es gibt ja eine Fraktion, die sich von Technologie die Lösung von Armut und Klimakrise erhofft. Andere setzen auf Unternehmertum, ein anderer Teil fordert andere oder bessere politische Rahmenbedingungen. Was braucht es aus Deiner Sicht: 20% Unternehmertum, 50% Technologie und 30% Politik? Was sind – knapp formuliert – die wichtigsten Stellschrauben? Johanna: Eine tolle Frage, die ich mir selbst seit über 20 Jahren stelle! Gedanklich starte ich immer bei den politischen Rahmenbedingungen. Wir erleben ja gerade, wie entscheidend es ist, wer ein Land regiert – die USA waren unter Donald Trump bereits aus dem Pariser Klimaabkommen ausgetreten und sind glücklicherweise mit Joe Biden unmittelbar wieder eingetreten. Der European Green Deal inspiriert hoffentlich viele weitere Länder, ambitionierte Nachhaltigkeitsziele umzusetzen. Unternehmertum und neue Technologien können auf Basis guter politischer Rahmenbedingungen viel besser und schneller helfen.
Ich bin aber überzeugt davon, dass es noch eine weitere, entscheidende Stellschraube gibt: Jeden einzelnen von uns, der mit seinem Verhalten als Mensch, als Mutter/Vater, als Wähler*In, als Konsument*In jeden Tag neu entscheidet, wie sein/ihr Beitrag zu einer besseren Welt aussieht und dadurch vielleicht ja auch andere inspiriert.
Sebastian: Liebe Johanna, vielen Dank für Deine Zeit und dieses Gespräch! Und natürlich weiterhin viel Erfolg bei Deinen vielfältigen Projekten! Dr. Johanna Braun: Danke Dir, Sebastian, das wünsche ich Dir auch!
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