Was habe ich heute gefrühstückt? Warum fühle ich mich schlapp? Und was kann ich tun, um in Hochform zu kommen: Bereit für den Marathon, das Schachturnier oder das nächste Start-Up-Venture?
All das sind Fragen, zu denen sich Antworten in unserem Stoffwechsel finden. Natürlich nicht so präzise wie in einem Handbuch. Aber unser Stoffwechsel und die dabei entstehenden Stoffwechselprodukte schaffen einen Datenschatz, der zum heutigen Zeitpunkt für therapeutische Zwecke und Wellness erst in Bruchteilen genutzt wird. Der Stoffwechsel (auch: Metabolismus) ist im Übrigen nicht einfach nur die Verdauung, sondern umfasst grundsätzlich alle biochemischem Vorgänge, die innerhalb der Zellen ablaufen. Es ist ein hochkomplexer Prozess mit einer Vielzahl von Teilprozessen (Kohlenhydratstoffwechsel, Mineralstoffwechsel, etc.).
Über das Potential im Gesundheitsmarkt spreche ich mit Dr. Nicolas Schauer (Zum LinkedIn-Profil). Er hat sich während seiner gesamten akademischen und unternehmerischen Laufbahn auf dieses Thema spezialisiert. Kurz vor dem Wechsel in die 2010er Jahre hat er ein erfolgreiches Unternehmen in diesem Bereich gegründet. Heute ist er CEO|CSO der Biocrates Life Sciences AG (Webseite: (www.biocrates.com): Das Unternehmen ist Weltmarktführer in der Standardisierung von Metabolitenanalysen (=Stoffwechselprodukten) mithilfe von Massenspektrometern. Über 1 000 Metaboliten werden damit analysiert.
Sebastian Zang: Lieber Herr Dr. Schauer, wie würden Sie das Mission Statement der Biocrates Life Science AG mit wenigen Worten erklären? Dr. Nicolas Schauer: Wir haben uns auf die Fahne geschrieben, Metabolomics für jeden und jede Institution zugänglich zu machen. Dies ermöglichen wir, indem wir Produkte verkaufen, die jedes Labor nutzen kann, um damit innerhalb weniger Tage Metabolomics zu machen. Der Vorteil unserer Technologie ist die absolute Vergleichbarkeit zwischen Laboren. Dies ist bis heute durch keinen anderen Metabolomicsanbieter gewährleistet. Hier haben wir ein klares Alleinstellungsmerkmal.
Ein weiterer Vorteil ist die biochemische und physiologische Relevanz durch unsere exakte Bestimmung der Metabolitkonzentrationen. Dadurch wollen wir in Zukunft für den Menschen im Bereich Ernährung und Gesundheit tiefere Einblicke in den Stoffwechsel liefern. Wir möchten damit das Verständnis über den Einfluss äußerer und genetischer Faktoren, sowie das Mikrobiom ermöglichen.
Sebastian Zang: Wo sehen Sie die Bedeutung der Analyse von Metaboliten im Gesundheitsmarkt in etwa 10 Jahren – wenn alles gut läuft? Dr. Nicolas Schauer: Die Metabolomicstechnologie wird sich in den kommenden Jahren von einem Forschungsprodukt zu einem Routineprodukt entwickeln. Wir werden in wenigen Jahren in der Lage sein, externe Einflussfaktoren auf unseren Körper und deren komplexe metabolische Zusammenhänge besser zu verstehen. Dies wird es uns ermöglichen, den Menschen bei Ihrer Gesundheitsvorsorge zu unterstützen, ebenso bei Entscheidungen zur Ernährungsumstellung und dabei, mehr Sport zu treiben. Parallel dazu werden neue zertifizierte umfassendere diagnostische Tests entwickelt werden, die eine Palette an Krankheitsbildern diagnostizieren können. Metabolomics wird dabei in der Precision Medicine und Companion Diagnostic eine wichtige Rolle spielen.
Sebastian Zang: Über 1 000 Metaboliten. Gesundheitsdaten zu Patienten, und zwar im Zeitverlauf. Das ist eine klassischer Use Case für BIG DATA. Wie viele Data Scientist beschäftigen Sie im Unternehmen, welche Technologien setzen Sie ein? Dr. Nicolas Schauer: Momentan beschäftigen wir drei Data Scientists, sowie drei Softwareentwickler, die unsere Analysepipeline entwickeln und Machine Learning Modelle entwickeln, um die komplexe Biologe von Ernährung und Krankheiten auf den Menschen zu verstehen. Die Datenauswertungen erfolgen mittels unserer eigenen Softwareplattform, die wir vor über 10 Jahren entwickelt haben. Durch die enorme Dimension der Daten, die in den letzten Jahren exponentiell zugenommen hat, haben wir dieses Jahr angefangen, unsere Plattform neu aufzusetzen und zu entwickeln. Hier setzen wir vor allem auf skalierbare Systeme. Dies kann die Cloud sein oder on-premise private clouds. Die Anwendungen werden als WebApps entwickelt mit einer performanten SQL-Datenbank im Hintergrund.
Sebastian Zang: Welche Herausforderung müssen Sie heute und in absehbarer Zeit bewältigen bei Erfassung und Analyse der Daten? Dr. Nicolas Schauer: Heute haben wir durch die alte Technologie Einbußen bei der Performance und Limitierungen in der Datensatzgröße, die wir bearbeiten können. Für die Zukunft sehe ich in der Cloudlösung großes Potenzial diese zu meistern, ebenso was die Automatisierung von heute manuellen Schritten angeht. Die Herausforderung in Zukunft wird die Interpretation der Daten sein, und wie wir sie in einem immer stärker regulierten Markt nutzen können.
Sebastian Zang: Sie kommen ja aus der Forschung, genauer: vom Max Planck Institut. Dann sind Sie Unternehmer geworden. In beiden Bereichen haben Sie die gleiche Zielsetzung verfolgt. Da drängt sich die Frage auf, wo eigentlich die Trennlinie zwischen Forschung und Biotech-Industrie verläuft. Gibt es hier eine Arbeitsteilung? Dr. Nicolas Schauer: Industrie auf der einen Seite, Forschung bzw. Akademia auf der anderen Seite forschen seit Dekaden mit teilweise den gleichen, aber auch unterschiedlichen Zielen. Manchmal tritt Akademia auch als Unternehmer auf, etwa die Fraunhofer Gesellschaft. Das ist für die Industrie übrigens ein Problem, da es gegebenenfalls zu Wettbewerbsverzerrungen kommen kann. Bezüglich Wissensanwendung hat allerdings die Industrie häufig die Nase vorn.
Meine Frage lautet: Sitzt die Wissenschaft eventuell im Elfenbeinturm? Spiegelt die Wissenschaft die realen Bedingungen wieder? Beispiel wissenschaftliche Humanstudien: Hier werden die Teilnehmer in die Studienzentren zur Kontrolle, Blutabnahme etcetera einbestellt, aber ansonsten nicht gemonitort. Die Blutabnahme ist ein künstlicher Einblick in das Leben dieses Teilnehmers. Wären die Blutbestandteile dieselben, wenn er morgens früh zuhause das Blut abgenommen bekäme? Vermutlich nicht.
Genau, häufig spiegelt die die Wissenschaft auch ein verzerrtes Bild der Realität wieder. Entweder – wie erläutert – durch ein abstraktes Probenahmeverfahren. Oder durch Verzerrungen anderer Art. Dazu muss man wissen: Wissenschaftler finanzieren ihre Forschung häufig über Drittmittel aus der Industrie. Dies kann die Lebensmittelindustrie sein, deren Lobbyverbände oder Pharmafirmen. Häufig sind damit schon Interessenskonflikte vorprogrammiert und Ergebnisse spiegeln dann den Wunsch des Fördermittelgebers wieder.
Sebastian Zang: Wie bewerten Sie als Unternehmer die Gestaltung der Rahmenbedingungen durch die politischen Akteure? Nehmen Sie die Politik als Treiber und Förderer Ihrer unternehmerischen Aktivitäten wahr, auch im Hinblick auf Themen wie Datenschutz? Dr. Nicolas Schauer: Datenschutz und eine Regulierung der Produkte auf dem Gesundheitsmarkt sind wichtig. Jedoch erweist es sich für Startups, sowie für KMUs durch die rigorosen Beschränkungen als sehr schwierig, Produkte zu entwickeln und auf dem Markt zu bringen. Citizen Science wie zum Beispiel in Amerika ist in Deutschland nur mit großem Aufwand möglich. Durch die neue IVD-Regulierung wird die Hürde für neue Technologien nochmals höher gelegt. Hier muss in Zukunft noch mehr Geld und Personal eingesetzt werden, um die IVD-Zertifizierung zu erhalten. Das ist für kleine Unternehmen nicht machbar. Eine positive Entwicklung ist demgegenüber das digitale Versorgungsgesetz. Dies geht sicherlich noch nicht weit genug, aber ein Anfang ist gemacht.
Sebastian Zang: Und eine letzte naheliegende Frage: Wo sehen Sie eine Rote Linie in ethischer Hinsicht? Dr. Nicolas Schauer: Ich habe im obigen Fall bereits das Dilemma in der Wissenschaft aufgezeigt. Es ist gar nicht mal die forschende Industrie, die in der Zwickmühle sitzt, sondern es sind auch die Wissenschaftler in der akademischen Welt. Man könnte fast so weit gehen zu sagen, dass die Forschung in der Industrie stärker reglementiert und kontrolliert ist, zudem müssen die Ergebnisse Bestand haben, da sonst der Ruf des Unternehmens extrem leidet. Industrieforschung hat den Zweck, Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, die einen Mehrwert bringen. Hierzu sind hohe Investitionen notwendig, daher ist es meiner Meinung nach auch legitim dafür Geld zu verlangen.
Sebastian Zang: Wenn man sich so lange wie Sie mit Einfluss von Lifestyle und Ernährung auf den Stoffwechsel und das Wohlbefinden auseinander gesetzt hat: Welche Konsequenzen haben Sie daraus für sich selbst gezogen: Essen Sie nun etwa bevorzugt Thai, Mediterran, Japanisch oder Rohkost? Dr. Nicolas Schauer: Ich liebe alle die von Ihnen genannten. Ganz gleich welche Küche, ich bin davon überzeugt, dass eine ausgewogene Ernährung mit wenig bis keinen prozessierten Lebensmitteln für den Menschen am besten ist. Daher achte ich darauf, möglichst frische Zutaten zu verwenden und statt Convenience lieber den Pizzateig oder das Salatdressing selber machen.
Sebastian Zang: Wenn ein/e Leser*in nun neugierig geworden ist. Welches Buch würden Sie empfehlen, um das Thema zu vertiefen? Dr. Schauer: Wer sich für Ernährung interessiert und auf wissenschaftlich basierte Erkenntnisse setzen möchte, empfehle ich den „Ernährungskompass“ von Bas Kast oder „Mit Ernährung heilen“ von Prof. Dr. Andreas Michalsen. Im Bereich menschliche Metabolomicsforschung gibt es leider noch keine gute Überblickliteratur.
BytesforBusiness: Lieber Herr Dr. Schauer, vielen Dank für dieses Gespräch!
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