Bangalore ist das „Silicon Valley Indiens“, gleichzeitig #1 IT Offshore Hub. In dieser dynamischen Metropole habe ich einige Jahre gelebt, seitdem verfolge ich regelmäßig die Dynamik der Tech und Start-Up Szene in Indien. Die Dynamik hat in den vergangenen Jahren rasant zugenommen: Während von 2011 bis 2018 jährlich etwa ein Unicorn aus der Taufe gehoben wurde, sind es inzwischen Dutzende pro Jahr. Das Handelsblatt resümierte Ende 2021: “Mit einer Gesamtzahl von rund 70 Einhörnern liegt Indien nur noch hinter den USA und China, die jeweils auf mehrere Hundert Einhörner kommen. Zum Vergleich: Der Marktforscher CB Insights kommt auf lediglich 19 deutsche Einhörner.“

Unicorns in Indien: Ein Überblick

Zu den bekanntesten Unicorns auf dem indischen Subkontinent zählen: Der eCommerce-Händler Flipkart, der 2018 von Walmart übernommen wurde. Das Unternehmen generiert aktuell einen Umsatz im Einzelhandel von ca. 0,9 Mrd. EUR (Amazon hat mit ca. 1,9 Mrd. die Nase vorn). Ein weiterer Player im eCommerce ist das 2010 gegründete Snapdeal, hinter dem inzwischen die SoftBank steht. Snapdeal ist mit ca. 60 Mio. Euro Umsatz allerdings weit abgeschlagen, nachdem die beiden Rivalen massive Investitionen gemacht haben.

Zu den (weithin bekannten) Erfolgsgeschichten in Indien zählt auch Zomato, im Segment Lebensmittellieferdienst und Restaurant Ratings. Das Unternehmen ist Mitte 2021 an die Börse gegangen und hat eine Marktbewertung von etwas mehr als 9 Mrd. Euro. Im gleichen Segment ist Swiggy (ebenfalls mit Softbank als Anker-Investor): Die Bewertung liegt nach einer kürzlich durchgeführten Finanzierungsrunde bei ca. 5,5 Mrd. US-Dollar.

Unbedingt erwähnenswert ist auch das FinTech Paytm, das jüngst mit einem unglücklichen Börsendebut Schlagzeilen machte. Der Bezahldienst wurde 2000 gegründet, unter anderem Berkshire Hathaway investierten hier. Noch Mitte 2021 wurde das Unternehmen mit ca. 16 Mrd. US-Dollar bewertet; der Börsengang Ende 2021 konnte die hochgesteckten Erwartungen nicht erfüllen, die Marktkapitalisierung liegt heute bei etwas über 8 Mrd. US-Dollar.

Abschließend noch einige weitere Namen aus dem Club der Einhörner: Das Unternehmen Licious, das sich als eCommerce-Anbieter auf Fleisch und Meeresfrüchte spezialisiert hat (Umsatz: annähernd 200 Mio. Euro). Ola Cabs ist das indische Pendant zu Uber (das ebenfalls bereits auf dem indischen Subkontinent präsent ist). LEAD School ist eine Nachhilfeplattform, die unter anderem Programmierkurse für Kinder anbietet.

Das Start-Up Ökosystem in Indien

Zunächst einmal gilt, dass die „Start-Up Heat Map“ in Indien einige Zentren der Innovation ausmacht. Nicht ohne Grund trägt Bangalore den Spitznamen „Silicon Valley Indiens“, denn rund ein Viertel der Start-Ups werden dort gegründet. Kein Wunder, denn in diese Wissenschaftsmetropole zog es früh zahlreiche Industrien, allen voran die IT Industrie. Die Anzahl von IT Professionals liegt in der Größenordnung von 500.000 – um diesen Wert pendeln etwa die Schätzungen. Bangalore ist hierbei eine Tier1-City, dazu zählen des weiteren auch Mumbai, Delhi (inklusive Noida). Allein zwei Drittel der Jungunternehmen sind in diesen Tier1-Cities angesiedelt. Auf der „Heat Map der Start-Ups“ fallen außerdem Städte wie Hyderabad (Spitzname: Cyberabad), Chennai und Kalkutta auf.

Erfolgsfaktoren der indischen Start-Ups lassen sich etwa wie folgt beschreiben. Erstens, ebenso wie die USA hat Indien einen großen Heimatmarkt. Zwar wäre es naiv zu glauben, dass es sich dabei um einen einheitlichen Markt handelt (Regulatorien, Sprachen, Steuern), aber die von eCommerce-Anbietern wie Flipkart adressierte urbane Mittelschicht ist über alle Regionen hinweg ziemlich homogen. Indien liegt nach (nominalem) Bruttoinlandsprodukt auf Rang 7; legt man die Kaufkraftparität hinzu, rutscht Indien gar auf Platz 3 vor (nach USA, China).

Zweitens, es ist auch unbedingt erwähnenswert, dass in Indien eine hohe Affinität zu digitaler Technologie besteht; die Bereitschaft zum Ausprobieren neuer Apps, neuer digitaler Angebote ist ausgesprochen hoch. Indien ist übrigens das Land mit der zweithöchsten Anzahl an Mobilgeräten weltweit. Drittens, Indiens Start-Ups können in Zentren wie Bangalore, Mumbai, Delhi, Hyderabad, etcetera auf einen großen Pool an Arbeitskräften zugreifen.

Viertens, die Anzahl an Inkubatoren und Investoren nimmt stetig zu – wenn auch von einem sehr niedrigen Niveau. Wie aber aus der vorherigen Aufzählung einiger Einhörner erkennbar wurde, fließt inzwischen viel Investitionskapital aus den USA in indischen Start-Ups. Auch die Regierung und Industrie haben inzwischen funktionierende Strukturen zur Förderung des Start-Up Ökosystems geschaffen.

Und schließlich: Mag Indien mit dem Antritt des Premierministers Narendra Modi inzwischen auch autokratische Tendenzen aufweisen, so bietet sich das Land angesichts der zunehmend unberechenbaren Regulierung im Nachbarland China als attraktive Alternative für das Schwellenlandengagement vieler Investoren.

Zum Weiterlesen

Author

Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.