“Wir sind auf dem besten Weg, ein Naherholungsgebiet für China zu werden.“, Seite 25

So lässt sich die Diagnose der Unternehmerin und Buchautorin Verena Pausder kurz und knackig zusammenfassen. Das könnte also passieren, wenn ein Land seine Zukunft verpennt. Das ist keine besonders originelle Bestandsaufnahme – aber Frau Pausder belässt es ja auch nicht dabei. Vielmehr legt die Unternehmerin, die 2018 in die Forbes Europe’s Top 50 Women in Tech aufgenommen wurde, eine Reformagenda vor. Und zwar in Form einer Rede. Wer das Buch zum ersten Mal aufschlägt, fühlt sich zunächst an das Layout eines Gedichtbandes erinnert. Nach der ersten Verwunderung kommt aber sehr schnell in den richtigen Lesemodus, die Redeform verleiht dem Buch eine eigene Dynamik.

Tatsächlich handelt es sich nicht um eine einzige Rede, sondern um mehrere Reden. Und zwar zu den Themen Bildung, Politik, Gleichberechtigung, Unternehmertum, New Work, Klimaschutz, Chancengerechtigkeit, Digitalisierung und Innovation. Zu drei ausgewählten Themenbereichen stelle ich nachfolgend ein paar Kernthesen der Autorin vor. Die Vorschläge von Verena Pausder sind insgesamt nicht unrealistisch – aber zweifelsohne sehr ambitioniert.

Zunächst aber zur Autorin selbst. Verena Pausder ist Sproß der 300 Jahre alten Unternehmensdynastie Delius (Textilbranche). Als Expertin für digitale Bildung ist ihr die erfolgreiche Gründung von Fox & Sheep gelungen sowie der HABA Digitalwerkstätten. In 2017 hat sie Digitale Bildung für Alle e.V. gegründet. Und mit der Corona-Krise wurde ihr Herzensthema „Digitale Bildung“ auf der bildungspolitischen Agenda ganz nach oben katapultiert – und die von ihr kurzfristig aufgesetzte Webseite www.homeschooling-corona.com wurde über Nacht zum Quotenhit.

Die Textform der Rede lässt sich im Übrigen auch als Auftakt für eine politische Karriere verstehen. Ihr Urgroßvater ist immerhin der dritte Bundespräsident der BRD, Gustav Heinemann. Ein weiteres Indiz hierfür ist ein Plädoyer in „Das Neue Land“ für mehr Quereinsteiger in der Politik (in der Sprache der Autorin: „Querwechsler“). Zeit hätte Sie nun dafür: Sie hat ihre Anteile an den begründeten Unternehmen verkauft und ist als Geschäftsführerin zurückgetreten. Nächster Jahr ist Bundestagswahl. Ich würde Sie wählen mit dieser politischen Reformagenda.

„Das Neue Land. Wie es JETZT weitergeht!“ von Verena Pausder, Murmann Verlag, Erscheinung September 2020, 200 Seiten, 20 EUR als Taschenbuch

Womit wir sicherlich rechnen dürfen: Die Veröffentlichung des Buches als Hörbuch bzw. als vorgetragene Rede. Vielleicht mit ein paar Einspielern von Applaus und Gläserklirren im Bierzelt …

“Das Neue Land“ von Verena Pausder: Bildung

Als Expertin für Digitale Bildung hat sie sich eine klare und stimmige Position für ein Bildungskonzept erarbeitet. Dies führt Sie in ihrer „Rede zur Bildung“ aus, folgende Passage halte ich dabei für zentral:

“Wir werden nicht immer mehr Lernstoff unterbringen können. Das Curriculum muss entschlackt werden. Erst dann ergibt sich ein Freiraum für projektbasierten, fächerübergreifenden Unterricht, und vor allem für Kreativität. Es ist dann nicht mehr so wichtig, was wir in welchem Fach ansiedeln, welchen Zuschnitt die Fächer haben – es ermöglicht uns, an Projekten zu arbeiten, die uns etwas beibringen, die uns weiterbringen. Wir werden uns klar vom Lernprinzip entfernen: Buch für Buch, Seite für Seite. Vielmehr wird es ein Unterricht sein, der stärker das Ziel als den Weg vorgibt. Ein Unterricht, bei dem der*die Lehrer*in zum*zur Lernbegleiter*in wird – und zwischen analogem und digitalem Unterricht wechseln kann.“ (S. 33)

Pausder regt auch einen Brückenschlag zwischen Unternehmen und Schulen an, der Schulen Impulse gibt und diese dabei begleitet, die IT Infrastruktur zu modernisieren. („Systemadministrator*innen-Allianz“). Pausder gibt zudem einen Tipp, der sich in Familien sofort umsetzen lässt: „Die Zukunftsstunde“. Einfach ein Zeitfenster pro Woche festlegen, wo die ganze Familie kleine Projekte mit digitaler Technologie umsetzt: Vom eigenen Familien-Podcast über ein YouTube-Video bis zum Spiel Scratch.

“Das Neue Land“ von Verena Pausder: Politik

An verschiedenen Stellen in ihrem Buch betont Pausder den Anspruch für die Politik und Politiker „glaubwürdig“ zu bleiben und „sich treu zu bleiben“. Dieser Anspruch erfordert zwangsläufig Konfliktbereitschaft. Natürlich. Eben diese Konfliktbereitschaft stellt die Autorin in der „Rede zur Politik“ sichtbar unter Beweis. Denn sie formuliert hier eine Reihe von Reformvorschlägen, die im Politikbetrieb nicht gut ankommen und Sympathien verspielen dürften. Das ist mutig für eine Autorin, die (möglicherweise) einen „Querwechsel“ in die Politik anstrebt. Chapeau!

Die Idee des „Querwechselns“ hatte ich bereits eingangs erwähnt. Verblüffend ist das angeführte Faktum, dass Deutschland Stand heute die wenigsten Quereinsteiger/Querwechsler in ganz Europa hat. Pausder regt sogar an, über eine „Quote“ an Querwechslern nachzudenken.

Weitere Ideen der Autorin: Das Amt des Bundeskanzlers auf zwei Legislaturperioden zu begrenzen. Und: Auch die Amtszeit von Abgeordneten auf zwei Legislaturperioden zu begrenzen – und eben dieser Vorschlag dürfte im politischen Establishment auf wenig Gegenliebe stoßen.

Im Übrigen fragt die Autorin, ob der Zuschnitt der Ministerien noch zeitgemäß ist. Wo, fragt sie, seien denn Themen wie „Europa“, „Innovation“ oder „Digitalisierung“ so angesiedelt, dass hier mit schlagkräftigen institutionellen Strukturen wirklich Veränderung erzielt werden? Ein Digitalministerium ist überfällig.

Ich halte dies für die richtigen Fragen und durchdachte Impulse. Ich jedenfalls wünsche mir, dass die aufgeworfenen Fragen und Ideen von Verena Pausder konstruktiv in die öffentliche Debatte einfließen – und Veränderungen einleiten.

“Das Neue Land“ von Verena Pausder: Digitalisierung und Innovation

Auch in diesem Kapital eine Reihe von Ideen, die einen guten Impuls setzen, ambitioniert sind – aber keineswegs unrealistisch. Das Digitalministerium habe ich bereits genannt.

Pausder regt zudem die Einführung einer neuen, innovativen Rechtsform für Unternehmen an: Die „nGmbH“ – die nachhaltige GmbH. Die nachhaltige GmbH verpflichtet sich zum klimaneutralen Wirtschaften, einer Beteiligung von Mitarbeitern (von mindestens 15%) und zu einem festgeschriebenen Spendenvolumen. Vorbild sind die B-Corps, die in Ländern wie den USA oder Niederlanden bereits etabliert sind. Im Gegenzug profitiert die nGmbH von steuerlichen Erleichterungen und bürokratischen Vereinfachungen.

Eine Idee, die zweifelsohne für viel Emotionen sorgen dürfte: Eine „Innovationsabgabe“. In den Worten der Autorin: „Wir müssen die großen und kleinen Vermögen dieses Landes aktivieren, es muss im Neuen Land einen Innovationsbeitrag, eine Innovationsabgabe geben, also, dass jede*r ab einem bestimmen Vermögen ein Prozent seines Vermögens pro Jahr in Innovation investiert. (…) eine Abgabe, für die es eine Rendite gibt, man könnte das Geld in staatliche Innovationsfonds investieren. Die wiederum von professionellen Fondsmanager*innen verwaltet würden.“

Diese Idee ist gar nicht so radikal, wie es auf den ersten Blick erscheint. Und eigentlich ganz und gar ohne sozialistisches G‘schmäckle. Der Co-Gründer des Venture Capital Fonds Earlybird, Hendrik Brandis, fordert gar einen deutschen Zukunftsfonds in Höhe von 1 Billion Euro (das entspricht etwa der Höhe des Staatsfonds von Norwegen). Earlybird hat eine Rendite im zweistelligen Bereich. Ein richtiger Impuls für eine überfällige Debatte!

Und abschließend sei noch erwähnt: Verena Pausder wünscht sich eine Unternehmenskultur 4.0. Nämlich eine Kultur, die mehr Fehlertoleranz aufweist und weniger Perfektionsstreben. In den Worten der Autorin: Eine „Kultur des Mutes“.

Zum Weiterlesen

  • Portrait der Autorin Verena Pausder in der FAZ
  • Ideensammlung für eine bessere Zukunft im Digitalen Zeitalter
  • „Scratch“. So lernen Kinder spielerisch programmieren
  • Kompetenzanforderungen im Zeitalter der Digitalisierung und notwendige Rahmenbedingungen
  • Digitalisierung: Wir brauchen eine Bildungsrevolution
  • Das Projekt GAIA-X: Überblick, Kritik und Ausblick
  • Digitalkompetenz. WER muss eigentlich WIEVIEL wissen von WAS?
  • Author

    Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.