”Loosed upon the World. The Saga Anthology of Climate Fiction”, edited by John Joseph Adams, 2015, Saga Press, hardcover, 590 Seiten, 26 Euro
Ist Climate Fiction eine passende Urlaubslektüre? … Wenn gerade die Sonne vom Himmel brennt und die Medien erneut Rekordtemperaturen vermelden? Vermutlich nicht, das passt nicht ganz zur Vorstellung vom „Abschalten“ während dieses Highlights im Jahreskalender; und Abschalten meint dann eben auch, dass man für ein paar Tage das Dauerthema Klimawandel ausblenden möchte.
Aber ganz gleich, ob Sie eine Lektüre für den Sommerurlaub oder einen verregneten Oktobertag suchen: Die Anthologie ausgewählter Kurzgeschichten zu Climate Fiction kann ich unbedingt empfehlen. Diese Geschichten über mögliche Zukunftsszenarien unter den Vorzeichen des Klimawandels holen die ganze Diskussion um Klimakrise aus der Welt abstrakter Zahlen. Statt statistischer Prognosen zum Temperaturanstieg („2.0 Grad mehr? Wo ist eigentlich das Problem?“) oder zur Veränderung der Regenmenge gibt’s Geschichten, die Klimakrise erlebbar bzw. greifbar machen. Oder, wie es John Joseph Adams in der Einleitung zur Anthologie formuliert:
“One of the many problems we face is simply in popular comprehension. It’s hard to imagine how a two-degress increase in the average global temperature could possibly affect you and me, or why a three-foot rise in sea level would matter to someone who doesn’t live on a coastline. (…) Fiction is a powerful tool for helping us contextualize the world around us. By approaching the topic in the realm of fiction, we can perhaps humanize and illuminate the issue in ways that aren’t easy to do with only science and cold equations.”Diese Short Stories sind überwiegend im US-amerikanischen Kontext angesiedelt … aber das macht sie natürlich nicht weniger interessant; vielmehr schafft diese Verortung jenseits der eigenen Erfahrungswelt noch eine gewisse emotionale Distanz, die Geschichten wirken damit nicht ganz so bedrohlich. Irgendwie weit weg – zeitlich wie räumlich.
Die Climate Fiction-Geschichten adressieren dabei sehr unterschiedliche Aspekte: Dies reicht von Wassermangel, Meeresanstieg bis hin zur Verschärfung der Bedrohungslage durch tropische Krankheiten in Klimazonen, die – einst gemäßigt – nun zu tropischen Gebieten werden. Es geht natürlich genauso um technische Antworten auf die Klimafrage, um politische Verschiebungen und Ähnliches.
Um ein Beispiel zu geben: Die erste (von 27) Short Stories dreht sich etwa um ein Szenario, in dem der Südwesten der USA aufgrund von Wassermangel zum Krisengebiet wird. Und wer die Medien verfolgt, kann dieses Zukunftsszenario gut nachvollziehen: Die Wasserstände des Colorado River nehmen seit Jahren dramatisch ab, während die Bevölkerung in diesem Gebiet wächst, dessen Wasserversorgung von eben diesem Fluss abhängig ist: Aktuell rund 40 Millionen Menschen. Städte wie Las Vegas, Los Angeles, Denver oder Phoenix können ohne den Colorado River nicht existieren.
Eine persönliche Anmerkung: Die Grenzen der Aufklärung im Kampf gegen den Klimawandel
Wird das Buch die Welt retten? Anders formuliert: Nehmen wir an, jede*r hätte ein solches Buch gelesen, das die Auswirkungen der Klimakrise „spürbar“ macht, würde das eine Wende bringen?
Ich habe mir in den letzten Monaten in meinem Umfeld mal ein Bild verschafft, wie Urlaubsreisen ausgefallen sind und was als Nächstes geplant ist. Und die verblüffende wie ernüchternde Erkenntnis ist: Es ist keineswegs die Ausnahme, dass diejenigen mit einem sehr guten Verständnis rund um Klimakrise und Nachhaltigkeitskonzepten dennoch Fernurlaub machen (bisweilen auch Akteure aus der Nachhaltigkeitsszene): „Eine Freundin in Kanada besuchen“, „Nach Portugal kommt man so schlecht mit dem Zug“, „Wir müssen als Familie mal aus dem Alltag raus, dieses Jahr sind wir in Afrika“. Das schlechte Gewissen wird als Nachsatz immer hinterher geschoben, oder der Verweis darauf, dass man sich ja vegan ernähre.
Ich verurteile niemanden, auch ich selbst lebe nicht 24/7 nach strengen Nachhaltigkeitskriterien. Die Konsequenz – wir können nicht auf Aufklärung und Selbstdisziplin setzen, dafür ist die Verführungskraft der Wohlstandsoptionen zu groß. Was wir von Aufklärung erwarten können: Eine höhere Akzeptanz für politische Maßnahmen, die klimaschädliches Verhalten teurer machen (oder klimafreundliches Verhalten belohnen). Mehr nicht.
Warum Appelle (und Aufklärung) alleine nicht ausreichen, arbeitet in einem sehenswerten Tagesgespräch (ARD-Mediathek) Prof. Felix Ekardt heraus (er ist Gründer und Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin): Unser tatsächliches Verhalten ist eher weniger von Fakten und altruisitischem Verhalten geleitet, als vielmehr von Überlegungen zum Eigennutz, Emotionen und Verdrängung. Das muss man mal – als Fakt – nüchtern zur Kenntnis nehmen.