Gestern habe ich nach einem Tiramisu Rezept googelt. 449.000 Treffer. Allein Chefkoch.de hat 983 Rezepte, und zwar für ein Dessert mit nicht mal 10 Zutaten! Wie kommt das? Jemand hat die 982 Rezepte ausprobiert, war nicht zufrieden, dann postet er (endlich!) das ultimative Rezept Nr. 983? Oder doch eher: Es ist zwar schon alles gesagt, aber eben noch nicht von mir.

Eigentlich kann es mir egal sein. Ich nehme meistens die ersten fünf Google-Treffer, da finde ich, was ich suche. Wenn sich jemand auf Ergebnisseite 8.756 für den nächsten Tim Mälzer oder Jamie Oliver hält, von mir aus. Nicht mein Problem. Mein Tipp: Nicht aufgeben! Wir erleben gerade die nächste Evolutionsstufe der Menschheit, nämlich den Kampf um Aufmerksamkeit im Internet. Denn wenn Sie als Unternehmen oder Experte im digitalen Zeitalter wahrgenommen werden wollen, dann geht’s nicht ohne Content. Produzieren Sie irgendwas, was Websurfer interessiert. Das gibt Aufmerksamkeit. Content ist King.

Ihr Unternehmen verkauft Rührgeräte? Dann veröffentlichen Sie ein Tiramisu-Rezept („Original Tiramisu von meiner Oma aus dem sonnigen Italien“) mit Link auf ihren Webshop. Oder starten Sie eine Webseite mit Kochvideos („Verführerisch Backen: Neuer Schwung für Ihre Beziehung“). Das müssen Sie natürlich nicht alles selber machen. Dafür gibt es bezahlte Schreiber. Content Writer. Die machen eine Recherche (im Internet!) und rühren dann alles frisch für Sie zusammen. Alter Wein in neuen Schläuchen. Aber das war schon immer so. Medien schreiben voneinander ab, kaufen von Presseagenturen die gleichen Nachrichten, Copy’n’Paste überall. Man darf sich nur nicht erwischen lassen!

Jede Dorfmetzgerei hat bald einen eigenen Blog. Toll, ich finde das gut. Am besten originelle Inhalte, mit lokalem Bezug: Fotos aus der eigenen Wurstküche („Alles sauber!“), Bilder von den Bauernhöfen mit Mastschweinen aus der Umgebung („Alle glücklich!“). Und wenn die Metzgerei dann doch der Copy&Paste-Verführung erliegt mit dem Rezept des Tages („Heute: Schweinesteak Mexiko“), das ich auf 450.000 anderen Seiten wiederfinde? Ja, warum auch nicht. Wenn das mein Metzger des Vertrauens ist, dann werde ich tendenziell eben dort nach Rezepten schauen. Nicht auf Chefkoch.de. Denn so orientiert sich heutzutage der Ottonormalsurfer angesichts des digitalen Information Overload: Er sucht sich Quellen, denen er vertraut. Er wird zum Follower.

Jeder hat das Recht auf Selbstdarstellung. Und das ist auch gut so. Was ich allerdings festgestellt habe: Die Menge an guten Content Writern ist begrenzt. Das Datenwachstum im Internet wiederum scheint mir grenzenlos. Das ergibt eine Lücke. Im Klartext bedeutet diese Lücke, dass die Textproduktion fürs Internet bisweilen zum inhaltsleeren Buchstabensalat wird. In einem Blog („Tipps für den Business Restart“) empfahl der Autor Unternehmern, die im ersten Anlauf gescheitert waren und die es nochmal versuchen wollten: Schauen Sie sich ihr Geschäftsmodell nochmal an. Da stimmt was noch nicht. Wer schreibt solche Banalitäten im nüchternen Zustand? Ich habe das nicht fertig gelesen. Das ist die Waffe der Leser: Liebesentzug, also: Entzug der Aufmerksamkeit.

Author

Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.