Wie entsteht eigentlich Vertrauen? Geht es nach Niklas Luhmann, dem Systemtheoretiker unter den Soziologen, erfordert Vertrauen die Möglichkeit zur Sanktionierung von Fehlverhalten – im Privatleben ebenso wie in der Arbeitswelt. Und unsere Alltagserfahrung sagt uns, dass sich Vertrauen etwa bildet, wenn ein Geschäftspartner wiederholt geliefert hat, was er versprochen hat.

Aber wie ist das während der Anbahnungsphase einer Geschäftsbeziehung, etwas bei den ersten Gesprächen für ein mögliches Projekt? Und, legen wir die Latte etwas höher: Wie kann Vertrauen entstehen, wenn der Erstkontakt remote stattfindet, wenn – etwa in Zeiten von Corona – die Geschäftsanbahnung ohne persönlichen Kontakt zustande kommt, wenn Entscheidungen über die Durchführung eines Geschäfts / eines Projektes gefällt werden (müssen), ohne dass man den Geschäftspartner ein einziges Mal persönlich getroffen hat? Also: Remote Business. In Reinform.

Geschäftsakte der Kategorie Remote Business werden – zumal während und voraussichtlich auch nach Corona – zunehmen. Umso spannender ist es zu verstehen, wie sich Vertrauensbildung abspielt. Schauen wir etwa auf die Geschichte des eCommerce, dann lassen sich bereits einige interessante Strategien erkennen: Es haben sich Institutionen herausgebildet, die explizit auf Vertrauensbildung ausgerichtet waren, etwa durch Rückzahlungsgarantien (z.B. Trusted Shops Siegel). Der eCommerce-Gigant Amazon hat eine Policy von niedrigschwelligen Rückerstattungen gefahren, um das (wahrgenommene) Risiko potentieller Kunden zu minimieren. Mit Erfolg. Die Berichterstattung (Medien, Bloggerszene, Chat-Communities) über positive Erfahrungen beim eShopping haben ihr Übriges zur Vertrauensbildung beigetragen.

Ich komme ja nun aus der Softwareindustrie, bei der Vertrauen nochmals ein besonders hohes Vertrauen erfordert. Weniger bei Produkten (hier gibt es vielfach Produktvergleiche, Communities, etc.), eher bei kundenspezifischen Softwareentwicklungen: Versteht der Softwaredienstleister meine Anforderungen? Wie robust und performant ist das Endprodukt? Schaffen wir den avisierten Auslieferungstermin? – Nicht selten starten Softwareprojekte (vor allem: Agile Softwareprojekte) nur mit einer groben Vorstellung über die Anforderungen, selten liegt eine klare Spezifikation vor. Auch für den Softwaredienstleister erfordert ein Softwareprojekt einen großen Vertrauensvorschuss gegenüber dem Auftraggeber, denn im Worst Case gibt es Streitigkeiten bei der Abnahme einer (Teil)Leistung, die erbrachte Entwicklungsleistung wird nicht oder verspätete vergütet – oder es kommt zu einer Endlosschleife von Nachbesserungen.

Spannend, oder? – Ich führe seit 2011 Softwareentwicklungsprojekte auf einer 100%-Remote-Basis durch, beginnend mit Projekten in der Größenordnung von 5.000 EUR, inzwischen mit einem Volumen in der Größenordnung 50.000 Euro. Ohne jeden persönlichen Kontakt (im Sinne eines persönlichen Face-to-Face-Treffens) in der Anbahnung bzw. in der Abwicklung; jenseits dieser Größenordnung geht es (noch) nicht ohne den persönlichen Kontakt; nach meiner Erfahrung verschiebt sich diese Schwelle jedoch stetig nach oben; in absehbarer Zukunft werden Softwareentwicklungsprojekte in der Größenordnung von 100.000 EUR vollständig remote in der Praxis zu beobachten sein, vom Erstkontakt bis zur Schlussrechnung.

Ein Grund für diese Verschiebung liegt natürlich (für die Abwicklung) in dem immer mächtigeren Instrumentarium für Remote Collaboration (vgl. meinen Blogartikel Remote Management: Powered by Digitalisierung). Ein weiterer Grund ist natürlich die Möglichkeit, auf eine Vielzahl von Informationen zu potentiellen Geschäftspartnern zuzugreifen: So ist es für mich Routine, vor einem Telefonat einen Blick in das LinkedIn– oder XING-Profil einer Kontaktperson zu werfen, ebenso natürlich der Blick auf die Webseite. Was steht auf der Facebook-Seite der Firma, was steht in Glassdoor, was steht in Kununu. Klar ist:

In Zeiten von Remote Business wird die Pflege von digital verfügbaren Informationen über Firmen und Geschäftspartner enorm zunehmen, zudem das Reputationsmanagement auf Plattformen wie Kununu, Glassdoor, Google.

Aber hier mache ich noch nicht halt: Man entwickelt ein sehr feines Sensorium für diverse Indikatoren, dazu zählen: Wie schnell ist die Response Time auf Emails? Wie sorgfältig sind Emails formuliert, wie strukturiert sind solche Emails? (Für einen Softwareentwickler sind Auftraggeber mit Tendenz zu fehlender Sorgfalt bei der Kommunikation von Anforderungen eine Herausforderung und bedeuten mindestens einen erhöhten Aufwand im Projektmanagement). Man sollte sich auch bewusst sein, dass Marketingbroschüren nur selten etwas über denjenigen verraten, der sie per Email oder Post verteilt; am Ende des Tages interagiert man mit einem Projekt-Ansprechpartner mit einem spezifischen Kompetenzprofil – nicht mit einem Konzern, der möglicherweise eine brillante Marketingabteilung hat.

Ich gehe davon aus, dass die Praktiken des Remote Business dazu führen, dass das Kommunikationsverhalten per Mail, Telefon, Webkonferenzen auf eine neue Stufe gehoben wird; wer diesen Schritt nicht mitgeht, verspielt unnötig Vertrauen.

Und last but not least, die naheliegende Frage ist eigentlich immer: Wie zufrieden sind eigentlich die bisherigen Kunden? Ich biete darum potentiellen Geschäftspartnern immer an, mit Ansprechpartnern anderer Kunden in Kontakt zu treten. Das wird selten direkt genutzt, nicht zuletzt aufgrund der impliziten Unterstellung, es würden nur die Kontaktdaten der zufriedenen Kunden bereitgestellt (nicht der unzufriedenen Kunden). In anderer Form jedoch findet eine solche Hintergrundprüfung statt: Entweder man erkundigt sich im eigenen Netzwerk nach Erfahrungen mit einem potentiellen Geschäftspartner … oder aber man lässt sich gleich aus dem eigenen Netzwerk Dienstleister empfehlen. Das bildet häufig den Königsweg zu einer erfolgreichen Geschäftsbeziehung.

Author

Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.