Mercedes erhält Ende 2021 als weltweit erster Hersteller die Genehmigung für autonomes Fahren auf Autobahnen (Level 3, bis zu 60 km/h); das Münchner Decakorn Start-Up Celonis erhielt jüngst eine Bewertung von 13 Milliarden; das Unternehmen DeepL schneidet mit seinem Übersetzungsdienst (online seit 2017) regelmäßig besser ab als das Angebot von Big Playern wir Google.

Das sind nur drei Beispiele gelungener Digitalisierungsprojekte, die auch international Strahlkraft entwickeln. Es geht also – aber auf diesen Lorbeeren kann sich die Deutschland AG sicherlich nicht ausruhen; denn diesen Erfolgen stehen eine ganze Reihe von gescheiterten bzw. eingestellten Projekten gegenüber (und zahlreichen notwendigen Projekten, die leider nie gestartet sind). Dieser Blog versteht sich dabei nicht im Sinne eines „Only bad news are good news“, es geht mir auch nicht um eine kulturpessimistische Nabelschau. Vielmehr hält der Blick auf das Scheitern auch hilfreiche Lektionen bereit, ganz nach dem bekannten Diktum von Thomas Alva Edison: „Ich habe nicht versagt. Ich habe nur 10.000 Wege gefunden, wie es nicht funktioniert.“

Und natürlich gilt: Innovative Prozesse sind fast zwangsläufig mit Scheitern verbunden; von neuen Produktideen kann sich erfahrungsgemäß nur ein geringer Anteil durchsetzen; je nachdem, welche Produktkategorien man betrachtet, liegt die Quote an gescheiterten Produkten zwischen 80 oder auch mehr als 90 Prozent. Business as usual also … und das trifft natürlich auch die vielbewunderten Big Player aus dem Silicon Valley. Beispiel Google: Die „Innovationsmaschine“ hat bereits Dutzende Flops gehabt, aber frei nach dem Motto „Fail fast, fail cheap“. Zu den Flops zählen etwa die Social-Media-Plattformen Buzz, Google Plus und Orkut, der Chat-Dienst Google Talk, die solarbetriebene Drohne Titan oder das modulare Smartphone Ara.

Nachfolgend nun einige Flops der Deutschland AG rund um Digitalisierung. Und am Ende auch ein (kurzer) Blick auf die Frage, wieso Digitalisierung im Mittelstand so oft scheitert.

Digitalisierungsprojekte der Deutschland AG: Beispielhafte Flops

Die Allianz hatte hochfliegende Pläne. Mit der Plattform Syncier wollte der Versicherungsriese zum Softwareanbieter werden (mit Microsoft als Partner); die Plattform sollte zum digitalen Marktplatz der Branche werden. Noch in 2020 schrieb das Handelsblatt zu diesem Projekt: „Der Markt bietet Potenzial, doch die Vorbehalte sind nicht zu unterschätzen.“. Wenn ich mit meinen Kolleg*innen die Entwicklungen und Trends rund um Digitalisierung diskutierte, verfolgten wir auch dieses Projekt Syncier mit Spannung; denn die Nutzung des digitalen Marktplatzes des Platzhirschen Allianz ist aus Sicht der übrigen Versicherungsunternehmen (Wettbewerber der Allianz) alles andere als ein Selbstläufer. Nun wird also syncier eingestellt.

Auch ein weiteres Projekt hat Allianz im Sommer diesen Jahres eingestellt, nämlich die Finanz-App Heymoney. Dazu analysiert die Wirtschaftswoche (Ausgabe 12.8.2022) treffend: „Die Finanz-App Heymoney (…) stieß nie auf großes Interesse. Der Grund: Die Allianz zwängte die App in ihr Offlinevertriebskonzept – um sie herunterzuladen, mussten sich die Nutzer einen ‚Einladungscode‘ bei einem Allianz-Vertreter besorgen. Doch wer will schon einen Vertreter fragen, um eine App zu nutzen? Auch die Vertreter zeigten wenig Neigung, die App ihren Kunden zu empfehlen.“

Auch der Netzbetreiber Telefónica Deutschland wollte das Geschäftsmodell um digitale Bausteine erweitern. 2016 wurde dafür die Telefónica Germany Next GmbH gegründet, die unter anderem für die Auswertung großer Datenmengen sowie IoT-Plattformlösungen entwickeln sollte; dazu wurde etwa das Start-Up Minodes zugekauft, wo Kundenverhalten für Einzelhändler ausgewertet wurde. Doch 2019 wurde das Zukunftsprojekt Next abgewickelt. Die zwischenzeitlich entwickelte IoT-Plattform Geeny sollte verkauft werden, doch der Abverkauf scheiterte.

Ich hatte mir im Übrigen auch angesehen, wie das Digitalisierungsprojekt SmartSpeaker Magenta der Deutschen Telekom verlaufen ist. Auf der Digitalmesse Digital X 2019 (dieses Event ist übrigens ein echtes Erfolgsprojekt der Telekom) erklärte damals der CEO Timotheus Höttges die Telekom seit im globalen Maßstab neben den Big Playern aus den USA und China ein Zwerg; aber im gleichen Atemzug machte er deutlich, dass er vor diesen Big Playern keineswegs kapituliere: Mit dem SmartSpeaker Magenta (in Kooperation mit dem französischen Telekomplayer Orange) gingen Sie in den Wettbewerb gegen Echo von Amazon und Googles Assistant. „Wir versuchen es wenigstens“, erklärt Höttges damals trotzig.

Wenn man nun der Frage nachgeht, wie sich der Telekom-Smartspeaker auf dem Markt schlägt, stellt man zunächst verblüfft fest, dass die Telekom selbst den Magenta-Smartspeaker auf deren Vergleichsseite gar nicht mit aufführt (Vergleiche: www.telekom.de/smarte-produkte/smart-speaker. Auf anderen Vergleichsseiten taucht der Smartspeaker Magenta aber durchaus auf, und zufolge einer Statistik von Statista kommt die Deutsche Telekom hierzulande auf einen Marktanteil von (geschätzt) rund 2 Prozent. Da kann jeder selbst entscheiden, ob das ein Flop ist oder ein Achtungserfolg:

Ein FLOP aus dem Projektportfolio der Deutschen Telekom ist aber ganz klar die Deutschland Cloud: Dabei handelte es sich um eine Kooperation zwischen dem Telekomanbieter und Microsoft. Microsoft richtete dabei lokale Rechenzentren ein, die Deutsche Telekom agierte als Treuhänder für die Daten der Kunden. Die hohen (europäischen) Anforderungen an Datenschutz waren so erfüllt. Das Angebot war seit 2016 verfügbar, 2018 wurde den Kunden jedoch angekündigt, dass das Angebot eingestellt würde. Warum? Es gab so gut wie keine Nachfrage. Zum einen war dieses Cloud-Angebot etwas teurer; zum anderen war der Aufwand in diese Cloud zu kommen höher.

Die deutschen Banken wollten mit Paydirekt ein eigenes wettbewerbsfähiges Angebot für Onlinezahlungen schaffen. Dafür wurde der Onlinebezahldienst Paydirekt in 2015 mit großen Ambitionen gestartet. Nun stellt aber das Handelsblatt nüchtern fest: “Die deutschen Banken haben die einstigen Ambitionen für ihren eigenen Onlinebezahldienst, Paydirekt, bei Weitem verfehlt. Paydirekt, gestartet im Jahr 2015, spielt nur eine Minirolle als Bezahlangebot im E-Commerce. (…) Im Jahr 2020 kam Paydirekt, damals noch ohne die Giropay-Verstärkung, lediglich auf 3,3 Millionen Zahlungen. Das Transaktionsvolumen betrug knapp 290 Millionen Euro, heißt es im Jahresabschluss. Das ist minimal angesichts des Umsatzes im deutschen Onlinehandel. Laut Handelsverband HDE betrug er im Jahr 2020 netto knapp 73 Milliarden Euro, 2021 waren es fast 87 Milliarden Euro.“

Wenn man etwas mehr als eine Dekade zurückgeht, dann verdient auch das Europäische soziale Netzwerk StudiVZ eine Erwähnung: Das soziale Netzwerk wurde Ende 2005 gestartet (ein Jahr nach Facebook!) . Die Zielgruppe: Studierende in deutschsprachigen Ländern. Aufgrund des großen Erfolges expandierte das Netzwerk: Sowohl geographisch (Frankreich, Italien, Spanien), also auch hinsichtlich der Zielgruppe (schülerVZ, meinVZ).

Das Projekt für Studierende zählte im November 2009 rund 6,2 Millionen registrierte Nutzer; es zählte zum damaligen Zeitpunkt zu den erfolgreichsten Onlinemedien in Deutschland. Im Jahr 2008 ging allerdings eine deutschsprachige Version von Facebook live, das beschleunigte den Aufstieg von Facebook; bei StudiVZ hingegen nahmen Nutzerzahlen und Besuchsdauer kontinuierlich ab. Das Unternehmen meldete 2017 schließlich Insolvenz an.

Es sei auch noch ein Absatz zum (vom Bundeswirtschaftsministerium gestarteten europäischen) Projekt GAIA-X erlaubt. Grundsätzlich sind die Stimmen zum Projekt kritisch, die Skepsis überwiegt (vergleiche den Blogbeitrag Das Projekt GAIA-X: Überblick, Kritik und Ausblick). Zu langsam. Und: Aus Sicht einiger Kritiker ist das Projekt nicht zuletzt unterfinanziert im Wettbewerb mit den Big Playern aus dem Silicon Valley (und aus China). Vor diesem Hintergrund ist es umso bedenklicher, dass in diesem Jahr von der neuen Regierung die zweite Förderungsrunde gestoppt wurde. Positiv wiederum ist zu erwähnen, dass das Derivat „Catena-X“ für die Automobilindustrie bald in der Praxis ankommt; und jüngst wurde für die Maschinenbau- und Fertigungsindustrie „Manufacturing-X“ ins Leben gerufen, das sich „Catena-X“ (schon vom Namen her) zum Vorbild nimmt.

Für diesen Blogbeitrag habe ich übrigens den Fokus auf Projekte aus der Privatwirtschaft gelegt (mit Ausnahme von GAIA-X). Wer über FLOPS (und: massive Verzögerungen bei der Umsetzung von Digitalisierungsprojekten) in Deutschland spricht, der müsste noch eine ganze Reihe weiterer Projekte thematisieren (dem Thema widme ich mich ggf. in einem späteren Blogbeitrag): Telematik im Gesundheitswesen (zentrale Plattform für digitale Anwendungen), das E-Rezept, das Online-Zugangsgesetzt (eGovernment), Breitbandnetzausbau, Digitale Identitäten, … .

Lessons Learned: Warum Digitalisierung im Mittelstand so oft scheitert

Das Handelsblatt stellte vor einiger Zeit fest: „Vier von fünf Digitalprojekten im Mittelstand scheitern.“ Die Gründe dafür lägen – nach Analyse der Wirtschaftszeitung – aber keineswegs an bremsenden Mitarbeitern, sondern vielmehr an starrer Arbeitsteilung in Unternehmen. Hier der gesamte Artikel: Warum Digitalisierung im Mittelstand so oft scheitert

Zum Weiterlesen

Author

Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.