Zu Weihnachten haben unsere Zwillinge von der Verwandtschaft zwei Schlitten bzw. zwei Bobs (mit Lenkrad) geschenkt bekommen. Riesen Paket. Ich hab’s nicht aufgemacht. Ich lebe seit sechs (6) Jahren in Berlin; wirklich viele Schneetage habe ich nicht erlebt in der Zeit, und die regelmäßigen Hitzerekorde lassen erahnen, dass Berlin als Wintersportort eher noch unattraktiver wird. In der Rhön, wo ich meine Kindheit verbracht habe, gibt’s ein Skigebiet (wenn der Begriff heute überhaupt noch zutreffend ist). Da sieht’s so aus: Vor 30 Jahren hatte der Skiliftbetreiber dort (für die Insider: „Arnsberg“) an insgesamt 90 Tagen pro Jahr Skibetrieb; heute sind’s noch 5 (!!) Tage … .

Von einigen Seiten habe ich gehört, ich solle die Bobs behalten. Die Kinder hätten so viel Spaß damit (wenn denn mal Schnee kommt). Aber das kann ja nicht wirklich der entscheidende Maßstab sein: Da stehen zwei Bobs das ganze Jahr über im Keller, 10 kg Plastik (Nota Bene: jährliche weltweite Plastikproduktion: 370 Mio. Tonnen!). Ich gehe mal davon aus, dass meine Kinder (irgendwann zumindest) diese Entscheidung gutheißen: Beitrag zum Klimaschutz statt die (theoretische) Option für Schlittenspaß einmal pro Jahr.

Es ist amüsant, einmal für die Schlitten die „Auslastung“ auszurechnen. Nehmen wir an, es gibt zwei Mal pro Jahr Schnee hier in Berlin. Die Kinder fahren je vier Stunden, also insgesamt acht (8) Stunden im Jahr. Selbst wenn ich hier die Nachtstunden ausschließe, komme ich auf eine „Auslastung“ von nur 0,4% (In 2022 schien die Sonne im Durchschnitt hierzulande rund 2 025 Stunden); ein Unternehmer würde die Schlitten definitiv nicht anschaffen.

Wenn man so eine Rechnung für einige Kleingeräte, Küchengeräte, Gartengeräte und Ähnliches vornimmt, kriegt man schnell ein Gefühl für das Potential von Sharing. Aber außerhalb von wirklich gut vernetzten Nachbarschaften findet (nach meiner persönlichen Beobachtung) nicht allzu viel Sharing statt. Dafür gibt’s Gründe. Fragen Sie sich mal selbst, bei welchen Nachbarn Sie etwa folgende Gegenstände ausleihen könnten: Bohrmaschine, Heißklebepistole, Raclette-Set, Nähmaschine, Bandschleifgerät, Taperziertisch, Silikon-Kartuschenpresse … diese Liste können Sie beliebig ergänzen. Ich wüsste es nicht. Immerhin, von einem Nachbarn leihe ich regelmäßig den Akku-Bohrer aus.

Apropos: Ein Akku-Bohrer eignet sich für das Sharing ziemlich gut. Die typischen Anwendungsfälle sind zeitlich flexibel, heißt: wann ich ein Loch bohre ist für einen Dübel eigentlich egal. Beim Schlitten wiederum gilt das eben nicht: Wenn genau zwei Mal im Jahr Schnee in Berlin fällt, eignet sich ein Schlitten für das Sharing in der Nachbarschaft eben überhaupt nicht – da alle den Schlitten zur gleichen Zeit benötigen. Aber das nur am Rande.

Was bietet eigentlich die Tech-Szene an Lösungen für diese Informationsasymmetrie? – Die App www.weeshare.com bietet beispielsweise das Werkzeug für eine Community von Personen, die etwa ein Auto, ein Ferienhaus oder auch ein Segelboot teilen möchte: Hier lassen sich Nutzzeiten buchen/reservieren, Kostenaufteilung und Ähnliches effizient organisieren. Und natürlich gibt es für Autos, Leihräder, eRoller oder Co-Working-Spaces zahlreiche App-Angebote: Von BlaBla-Car bis Tier.

ABER: Für Nitty-Gritty-Stuff und Kleingeräte wird das Angebot deutlich dünner. In der Schweiz etwa gibt es www.sharely.ch. In Deutschland wird es sehr dünn. Da finde ich auf Anhieb nichts; in www.nebenan.de gibt es zwar die Option, unter „Möglichkeiten“ auch Leih-/Mietgeräte aufzuführen. Aber das ist kein Feature, das auf Sharing ausgerichtet ist. Kurz: Der Tech-Solutionismus bietet hierfür aktuell keine praktikable Antwort

Der Sharing-Markt für Klein(st)geräte ist natürlich eine Herausforderung. Das lässt sich leicht erklären. Für kommerzielle Anbieter ist das schwierig: OBI (und andere Heimwerkermärkte) haben ja durchaus einen Miet-/Leih-Service, aber für Großgeräte. Wenn ein Bandschleifer 30 Euro im Markt kostet, dann wird es schwierig, eine Tagesmiete von 8 oder 10 Euro anzusetzen (und in der Größenordnung dürfte das sicherlich erforderlich sein für die ganzen Overheadkosten). Nehmen wir an, Sie brauchen zwei Tage, um ein Möbelstück zu renovieren, können den Bandschleifer für 16 Euro für zwei Tage mieten; dafür müssen Sie zwei Mal anfahren und Sie leben mit dem Risiko, dass Sie aufgrund Unvorhersehbarkeiten das Gerät doch drei Tage brauchen? Aus gleichem Grund ist ein For-Profit-App für denselben Zweck nicht verfügbar.

Man könnte darüber nachdenken, ob nicht eBay und vergleichbare Plattformen diese Lücke schließen. Wird so nicht auch die Kreislaufwirtschaft hergestellt? Ja und Nein. Es macht vom Materialkreislauf und carbon footprint eben doch einen Unterschied, ob ich eine Bohrmaschine beim Nachbarn ausleihe oder mir eine solche für einen zeitlich begrenzten Einsatz kaufe, um sie dann gegebenenfalls später wieder zu verkaufen. Dabei geht’s nicht nur um die Transport-/Versandkosten bei Kauf und Verkauf. Beim Sharing soll es eigentlich um Konsum-Verzicht gehen, also Nutzen statt Kaufen. Dieses Kriterium wird nicht erfüllt.

Vordenker Nico Paech würde hier sicherlich auch von einem Rebound-Effekt sprechen: Wenn ich den späteren Verkauf mitdenke, entlaste ich mich bereits beim Kauf eines neuen Kleidungsstücks oder Ähnlichem gedanklich von dem einhergehenden carbon footprint. Bei Kleidungsstücken wird das besonders deutlich: eBay, Kleiderkreisel und Co. suggerieren eine Kreislaufwirtschaft, aber die Logik des Fast Fashion bleibt erhalten … und irgendjemand am Ende der Kette schmeisst dann das Kleidungsstück (das schließlich nur noch wenige Euro kostet) doch in den Altkleider-Container. Ich glaube, Kleiderkreisel ist grundsätzlich richtig gedacht, aber die Grundproblematik wird nur in Teilen gelöst, eher gelindert.

P.S.: Anyway, während ich diesen Artikel schreibe, fällt mir auf: Die Schlitten sind erfolgreich retourniert, der Kaufpreis ist zurückerstattet. Es wird Zeit, den Schenker daran zu erinnern, dass die Kinder ja schlussendlich kein Weihnachtsgeschenk (von dieser Person) erhalten haben. Oder vielleicht lasse ich das auch … wer von Konsumverzicht redet, der sollte das vielleicht auch selber machen. Also: Meine Kinder in dem Fall. Ist ja auch deren Zukunft.

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  • Author

    Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.