Wie verändert die Digitale Transformation eigentlich die Bauindustrie? Welche digitalen Angebote, welche digitalen Geschäftsmodelle gibt es oder werden diskutiert? Der nachfolgende Artikel gibt einen Überblick, mit einer schwerpunktmäßigen Betrachtung des deutschen Marktes.

Zur Einordnung: Die Bauindustrie bildet einen wichtigen Wirtschaftsbereich in Deutschland mit ca. 2 Mio. Beschäftigten und einem Anteil von etwa fünf (5) Prozent am Bruttoinlandsprodukt. Die Bauindustrie wird traditionell untergliedert in das Bauhauptgewerbe (v.a. Bauunternehmen), das Ausbaugewerbe (Sanitär, Elektro, etc.), das Sonstige Baugewerbe (z.B. Erschließung von Grundstücken) und dem Planungsbereich (Architektur-/Ingenieurbüros). Charakteristisch für die Bauindustrie: Hoher Anteil an Kleinunternehmen; etwa 90 Prozent der Unternehmen haben nur zwischen einem und neuen Mitarbeitern.

Stand der Digitalisierung in der Baubranche

Grundsätzlich gilt: Alle mir bekannten Studien und Einschätzungen laufen darauf hinaus, dass die Digitalisierung in der Bauindustrie noch nicht sehr weit vorangeschritten ist. Die Bauindustrie hinkt bei der Digitalisierung deutlich hinterher. Dazu passt auch, dass die Bauindustrie kein (oder kaum ein) Produktivitätswachstum aufweist (nach Untersuchungen war das Produktivitätswachstum sogar negativ im Zeitraum von 1990 bis 2005).

In einer Studie des ZEW (Aktualität: Dezember 2019) konstatieren die Autoren nüchtern: „Auswertungen auf Basis der Eurostat IKT-Erhebung bezüglich des Einsatzes von nicht-bauspezifischen Informations- und Kommunikationstechnologien wie ERP-Systeme, Cloud Computing und Big Data zeigen, dass das deutsche Baugewerbe im europäischen Vergleich eher im hinteren Mittelfeld zu finden ist. Einzig bei der Verwendung von Big Data-Technologien ist die deutsche Baubranche, auf insgesamt niedrigem Niveau, sehr gut aufgestellt.“

Als Gründe für die verspätete Digitalisierung ließen sich nennen: Zum einen erfreut sich die Bauindustrie seit Jahren einer Hochkunjunktur, was einerseits den Druck zur Modernisierung reduziert und anderseits die Management Attention stark in der operativen Bewältigung der hohen Nachfrage bindet. Zum anderen weist die Bauindustrie einen sehr hohen Anteil an Klein- und Kleinstunternehmen aus (vgl. oben), die in der Regel eine geringere Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit und Investition in Digitalisierung aufweisen.

Digitalisierung in der Bauindustrie: CAD, Virtual Reality, 3D-Scanner und mehr

Der niedrige Digitalisierungsgrad lässt sich bereits bei der grundlegenden Infrastruktur feststellen. Der Anteil der Unternehmen in der Bauindustrie, die eine ERP-Software nutzen, liegt nur bei 20 Prozent. Zum Vergleich: Über alle Industrie hinweg liegt der Durchschnitt bei ca. 40 Prozent. Natürlich wird auch hier die Elektronische Rechnungstellung eingesetzt, und – bauspezifisch – CAD Software (Computer Assisted Design). Auch hier gibt es Potential für eine weitere Durchdringung, die Branche hinkt der Gesamtwirtschaft hinterher.

Auch RFID-Technologie (Radio Frequency Identification) wird bereits auf Baustellen eingesetzt, etwa zur Verortung von Material auf Baustellen, für automatisierte Prüfprozesse in der Lieferkette und derlei mehr. Zum Vergleich: Während der Einsatz von RFID im Fahrzeugbau oder Maschinenbau bei ca. 35% der Unternehmen eingesetzt wird, gilt dies erst für knapp 10 Prozent der Unternehmen in der Bauindustrie (Quelle: vorgenannte ZEW-Studie).

Technologien wie Virtuelle Realität oder 3D-Scanner werden ebenfalls bereits eingesetzt, wenn auch nur in geringem Maße. Ein Pionier beim Einsatz der 3D-Scanner-Technologie in Deutschland ist der Weltmarktführer für Brandschutz, MINIMAX; damit wird etwa die Bestandssituation bei abgehängten Decken in Käufhäusern, Krankenhäuser und derlei mehr vorgenommen: Der Verlauf von Elektrik, Lüftungsschächten, etcetera wird per 3D-Scanner erfasst, von einem spezialisierten Expertenteam aufbereitet (für CAD-Software) und den Planungsabteilungen zur Verfügung gestellt.

Zunehmend werden auch Mobile Endgeräte auf Baustellen eingesetzt: Vorwiegend für die Erstellung des Aufmaßes oder für die Abnahme. Im Bereich Arbeitszeitenerfassung kommt dieser Ansatz nur einem kleineren Anteil zum Einsatz. Ein Anbieter ist etwa die Applikation Baustelle 4.0, der Hersteller RIB Leipzig GmbH beschreibt den Leistungsumfang wie folgt: Die App „Baustelle 4.0″ ist die mobile Ergänzung zu unserer browserbasierten digitalen Bauakte. Die App ermöglicht das Erfassen, Abrufen und Dokumentieren von Baustellendaten (…). Im ersten Schritt werden in der digitalen Bauakte die Projekte angelegt und Baupläne hochgeladen. (…) Mängel, Fotos, Notizen und andere mit dem Tablet/Smartphone erfasste Daten werden miteinander verknüpft und dem jeweiligen Projekt zugeordnet. (…) können die Daten per Synchronisation in die digitale Bauakte übertragen und von allen Projektbeteiligten eingesehen werden.“

Auch das Unternehmen Planradar bietet eine vergleichbare Lösung. Und um ein StartUp in diesem Bereich zu nennen: Sablono, ein StartUp aus Berlin, bietet ebenfalls die Erfassung des Projektfortschritts vor Ort auf der Baustelle mit mobilen Endgeräten an.

Das Building Information Model

Große Hoffnung wird gegenwärtig auf das Building Information Model (BIM) (Deutsch: Gebäudedatenmodellierung) gesetzt (eigentlich schon seit den 1980er Jahren ein Begriff). Dabei handelt es sich um ein vollständiges digitales (virtuelles) Modell eines Bauprojektes; dies geht dabei deutlich über das CAD-Modell hinaus (3D-Modell), denn es wird ebenfalls die zeitliche Dimension (Projektphasen, im Idealfall: Gesamter Lebenszyklus) sowie die Kosten-Dimension hinzugefügt. Ergebnis: Ein 5D-Modell. Hierauf können alle am Bauprojekt beteiligten Parteien zugreifen: Das Planungsbüro, der Bauträger, die Bauunternehmen, Unternehmen des Ausbaugewerbes, die Betreiber und der Bauherr.

Eine Vielzahl von Funktionen und Funktionsbereichen sind relevant: 2D-Zeichnungen, 3D-Modelle, Dokumentenmanagement, Terminplanung, Kollaboration, Tracking von Konflikten, Veränderungsmanagement, Mobiler Zugriff und Ähnliches. Hier greifen verschiedene Software-Lösungen ineinander: CAD-Software, Software zur digitalen Aufbereitung von Produktinformationen für BIM-Modelle, Planungsfeatures, Tools für die effiziente Kommunikation zwischen Generalunternehmern und Herstellern und derlei mehr. Hier sind zahlreiche Standards und Schnittstellen relevant, einen Überblick gibt ein Whitepaper von thinkproject.com (Download).

Es gibt bereits erste Erfahrungen mit dem Building Information Model, und ab diesem Jahr (2020) ist etwa für das Bundesministerium für Verkehr und Infrastruktur (BMVI) das BIM verpflichtend für alle neu in Auftrag gegebenen Projekte. Eine ebenfalls aktuelle Studie (Juni 2019) der Unternehmensberatung PWC fasst die Erfahrung der Bauindustrie mit BIM zusammen:

Das BIM ist ein ziemlich großer Wurf, zumal für eine Industrie (mit vielen Klein- und Kleinstunternehmen), die einen geringen Digitalisierungsgrad aufweist. Es nimmt somit nicht wunder, dass etwa fehlende durchgängige Schnittstellen zwischen Projektbeteiligten für eine abwartende Haltung auf Seiten vieler Baubetriebe sorgen. Die erforderliche technische Standardisierung ist noch keineswegs erreicht. Ich kenne etwa aus einem Softwareentwicklungsprojekt für einen großen Player der Bauindustrie den seit Jahrzehnten etablierten Standard für Leistungsverzeichnisse und Kostenkalkulationen GAEB ganz gut: Ein Insider erklärte mir, dass etwa 20 bis 30 Prozent der im Umlauf befindlichen GAEB-Dateien fehlerhaft seien – nicht alles Fehler vom Typ Showstopper, aber diese Situation für einen lange etablierten Standard verrät einiges über die Herausforderungen für eine Vision wie BIM.

Weitere Herausforderungen sind die hohen erforderlichen Investitionen sowie der Fachkräftemangel für das Thema, um eine BIM-Strategie zu entwickeln und umzusetzen. Aber immerhin, gemäß der PWC-Studie hat bereits jedes zweite befragte Unternehmen schon einmal mit BIM gearbeitet. Und die Vorteile werden von den Unternehmen bestätigt: Es konnten effizientere Arbeitsabläufe erzielt werden, kürzere Planungs- und Bauzeiten sowie – insgesamt – eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Projektbeteiligten.

Industrial IoT, Gebäudesteuerung

Es fällt nicht direct unter die Überschrift „Digitalisierung der Bauindustrie“, der Vollständigkeit möchte ich aber darauf hinweisen: Das Gebäudemanagement (Stichwort: IoT) hat hohe Potentiale für digitale Ansätze, nachfolgend ein kurzer Überblick aus dem Blogartikel Internet of Things – Eine Bestandsaufnahme:

Der gewerbliche Anwendungsbereich für IoT ist mittel- und langfristig der größere. Ein wichtiger Markt ist jener für Gebäudesteuerung. So messen beispielsweise Sensoren den Einfall von Tageslicht und steuern die Beleuchtung entsprechend aus. Ein Unternehmen aus der Siemens-Gruppe (Siemens Smart Infrastructure) stattet Gebäude zudem mit Infrarot-Kameras aus, mit Beacon-Technologie, Temperaturmessgeräten sowie Sensoren für den Energieverbrauch. Auf Basis der so generierten Daten lassen sich Heat Maps generieren, die aufzeigen, welche Bereiche im Gebäude besonders stark genutzt werden, welche nicht. So lässt sich die Nutzung/Auslastung eines Gebäudes optimieren.

Der Anbieter Comfy (ebenfalls Teil der Siemens-Gruppe) erlaubt Mitarbeitern in Gebäuden, über eine Smartphone-App die jeweils gewünschte Temperatur und Beleuchtung auf individuelle Bedürfnisse einzustellen. Mithilfe dieser Eingaben/Angaben „lernt“ das Gebäude und sorgt für ein optimales Raumklima sowie die Beleuchtung. Weitere Features in Vorbereitung im Bereich Gebäudemanagement sind das Tracking von Inventar, so dass etwa in Krankenhäusern effizient ermittelt werden kann, wo sich gebrauchte Gerätschaften und medizinisches Material verfügbar ist.

Zum Weiterlesen und Weiterhören

Publikation Zukunft Bau: Beitrag der Digitalisierung zur Produktivität in der Baubranche, ca. 130 Seiten (Aktualität: Dezember 2019)

Publikation PWC-Studie: Digitalisierung der deutschen Bauindustrie 2019, ca. 50 Seiten / Folien (Aktualität: Juni 2019)

Podcast Entwicklung eines Digitalen Geschäftsmodells – ein Methodenbaukasten zum Einstieg

Author

Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.