Wer als Elternteil die rasante Entwicklung von Technologie und Arbeitswelt verfolgt, reibt sich verwundert die Augen: Wie wird die Arbeitswelt unserer Kinder in 15 oder 20 Jahren aussehen? Und was müssen unsere Kinder dann können? Und natürlich betrifft das nicht nur die Arbeitswelt: Der richtige Umgang mit digitalen Medien oder die Nutzung von digitalen Tools betrifft auch die Persönlichkeitsentwicklung, die Entfaltung der eigenen Kreativität und Vieles mehr.
In meinem Blogpost Digitalkompetenz. WER muss eigentlich WIEVIEL wissen von WAS? hatte ich etwas differenzierter betrachtet, was „Digitalkompetenz“ eigentlich ausmacht. Und wer wieviel davon braucht.
Von der richtigen Haltung zur Digitalisierung
Wir alle haben natürlich auch „nostalgische Reflexe“. Ich selbst lese deutlich lieber Bücher im nicht-digitalen Format: Als Taschenbuch oder mit kartoniertem Einband; eine Notiz hier, ein Eselsohr für eine besonders interessante Buchstelle dort. Smart Home interessiert mich ziemlich wenig, mein Licht mache ich immer noch per Hand am Lichtschalter an und aus. Aber ich schreibe meine Blogs natürlich nicht mehr auf der Schreibmaschine. Kurz: Natürlich müssen wir unseren Kindern kein Leben in der digitalen Blase vorleben, andererseits ist Technologieverweigerung keine zukunftsgerechte Einstellung.
Man sollte „Digitalisierung“ im Übrigen als Prozess begreifen. Digitaltechnologie ist – wenn man es salopp formuliert – zum einen in regulatorisches Neuland vorgedrungen; zum anderen entwickeln wir als Nutzer erst zunehmend einen „reifen Umgang“ mit diesen digitalen Angeboten. Es ist richtig, dass auf Sozialen Medien Hate Speech stattfindet; es ist auch richtig, dass manche Nutzer gerade eine Handysucht entwickeln, vielleicht gar Aufmerksamkeitsstörungen. Es ist aber nicht richtig, dass dies bis zum Sankt-Nimmerleinstag Begleiterscheinungen von Digitalisierung sein werden. Vielmehr entwickeln wir als Nutzer zunehmend einen reiferen Umfang mit Digitaltechnologie, gleichzeitig eliminiert eine angemessene Regulatorik problematische Risiken und Gefahren.
Der Direktor der Bundesagentur für Sprunginnovationen / SprinD, Rafael Laguna de la Vera, hat das sehr eingängig beschrieben: Betrachtet man Technologiezyklen langfristig, dann sind neue Technologien in der ersten Phase zunächst einmal „dreckig“. Das lässt sich gut nachvollziehen am Beispiel der Motortechnologie, die in der ersten Phase verbunden war mit stinkenden und lärmenden Motoren, Unfällen / Verkehrstoten und derlei mehr. In der zweiten Phase werden inkrementelle Verbesserungen umgesetzt. Diese Phasen lassen sich natürlich auch analog für die digitale Technologie feststellen: Cyber Attacken, Cyber Mobbing, vorurteilsbehaftete KI-Algorithmen (vgl. GPT-3) monopolistische Plattformen und eine Technologie, die noch immer einen enormen Energiebedarf habe (vgl. z.B. die aktuelle Diskussion um Bitcoin). Wer diesen Gedanken vertiefen möchte, hier ein aktueller Vortrag von Rafael Laguna de la Vera, wo er diese These ausformuliert: Videolink (YouTube)
Medienkompetenz und das richtige Maß für Smartphones und Co.
Medienkompetenz ist zweifelsohne ein Teil von Digitalkompetenz – aber es handelt sich dabei um eine Teilmenge. Die Diskussion um Medienkompetenz wird wiederum seit Jahrzehnten geführt, die Forderung nach Medienzkompetenz gibt es nicht erst seit dem Aufkommen des Buzzwords „Digitalisierung“. Aber natürlich ist das mediale Angebot (in Reichweite von Kindern) in den letzten Jahren gerade zu explodiert: Das fängt bei YouTube an und hört bei Computerspielen noch nicht auf. Es ist eine wichtige Frage, die wir Eltern uns stellen (müssen) – und zwar gleichermaßen im Hinblick auf Kleinkinder und Jugendliche.
Es ist eine vielstimmige Diskussion, die hierzu von Experten geführt wird. Einen klaren Konsens in allen Fragen rund um „das richtige Maß“ findet man tatsächlich nicht; und das dürfte auch damit zusammen hängen, dass jedes Kind unterschiedlich mit digitalen Medien umgeht und interagiert. Einen pauschalen Ratschlag von Experten (für alle Kinder) kann es folglich nicht geben. Am besten verschaffen sich Eltern einen Überblick zur Diskussion rund um Medienkompetenz und ziehen hieraus eigene Schlüsse für den Nachwuchs.
Eine gute Informationsquelle hierfür ist etwa die Medienkompetenzinitiative Schau Hin!. Diese Seite unterstützt Eltern darin, Kinder und Jugendliche an (digitale) Medien heranzuführen – dabei gilt stets dass Prinzip, dass die Begegnung von Kindern/Jugendlichen mit diesen Medien unter „aktiver und aufmerksamer Begleitung” der Eltern stattfindet. Zur Lektüre dürfen getrost auch Bücher wie Cyberkrank des Gehirnforschers Manfred Spitzer zählen. Er vertritt eine sehr kritische Position, die aber nicht zu einer pauschalen Ablehnung von digitalen Angeboten führen sollte; auch Manfred Spitzer rät auch keineswegs dazu, digitale Geräte vollständig aus der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen zu verbannen; aber er empfiehlt, sinnvolle Grenzen zu setzen.
Bei Kleinkindern darf man diese Grenzen allerdings sehr eng ziehen. Dazu Professor Christian Montag, Leiter der Abteilung Molekulare Psychologie an der Universität Ulm in einem FAZ-Artikel: „Meines Erachtens haben diese Geräte bei Kleinkindern nichts verloren. Kleinkinder haben Grundbedürfnisse, die durch eine Interaktion mit einem Bildschirm nicht befriedigt werden.“
Wie man Digitale Geräte „kindersicher“ macht, dazu finden sich im Netz Hunderte von Seiten und Anleitungen.
Digitale Tools für Pädagogen
Wenn wir über Digitalkompetenz sprechen, dann sollten wir noch eine wichtige Differenzierung vornehmen: Die Nutzung einer Lern-APP vermittelt keine Digitalkompetenz, sondern hier wird Digitale Technologie pädagogischen Zwecken nutzbar gemacht. Das ist ein großer Unterschied.
Lern-Apps gibt es wiederum sehr viele – diese reichen von „spielerisch“ bis „hartes Arbeiten“. Es gibt übrigens auch eine Reihe von Vertretern, die für den Einsatz von Computerspielen im Lernprozess bzw. in der Schule plädieren. Eine spannende Diskussion! Nachfolgend ein Auszug aus dem Artikel Warum es mehr Computerspiele im Unterricht geben sollte in der Süddeutschen Zeitung; der Soziologe und medienpädagogische Referenz Ulrich Tausend erstellt Lernspiele und beschreibt eine Lernerfahrung mit einem Computerspiel etwa wie folgt:
“Zum Beispiel gibt es in der siebten Klasse in bayerischen Gymnasien im Kunst-Lehrplan das Thema Architektur. Dazu haben wir einen Projekttag mit dem Spiel „Minecraft“ gemacht. Die Aufgabe war, sich zu überlegen: Wie will man zusammenleben? Die Schüler sollten in kleinen Gruppen eine Art Wohngemeinschaft bauen. Eine Architektin hat ihnen dazu Begriffe und Bauweisen erklärt. Aber nicht nur Ästhetik und Architektur, sondern auch wie man in einer Gruppe zusammenarbeitet, war das Thema. Denn bei „Minecraft“ kann man auch die Arbeit von anderen Spielern kaputt machen. In unserem Workshop haben sich Schüler gemeinsam ein Regelsystem erarbeitet, mit Sanktionen, die mit Mehrheitsbeschlüssen vergeben werden. Im schlimmsten Fall hätte ein Übeltäter aufhören und Matheaufgaben machen müssen. Das Projekt war also nicht nur ein Stoff für den Kunstunterricht, sondern es ging auch um politische Bildung.“
Die Pädagogik mit Kreidetafel und Rechenschiebern gehört definitiv der Vergangenheit an. Die Methodenbox und das Instrumentarium der Pädagogen wird im Zuge der Digitalisierung revolutioniert. Und das wurde auch Zeit. Vergleiche auch folgenden Blogpost: EdTech als Beschleuniger für den Fremdsprachenunterricht. Interview mit Caro Aschemeier, Co-Gründerin von Deutschfuchs
Kompetenzen für den Arbeitsmarkt 4.0 – Nicht nur DigitalkompetenzWie ich bereits eingangs formuliert habe: Der richtige Umgang mit digitalen Medien oder die Nutzung von digitalen Tools betrifft auch die Persönlichkeitsentwicklung, die Entfaltung der eigenen Kreativität und Vieles mehr. Aber eben auch die Vorbereitung auf die künftige Arbeitswelt. Natürlich machen wir Eltern uns Gedanken, wie sich unsere Kinder in dieser neuen Digitalen Arbeitswelt zurechtfinden. Wenn wir diese Sorge nicht hätten, was wären wir für Eltern?! Vergleiche dazu auch den Blogpost: Die KI-Revolution: Was geht schon? Was kommt bald?
Es wäre allerdings ein Trugschluss zu glauben, dass nun alle Kinder ab dem Kindergarten Programmieren lernen müssten. Keineswegs. Wenn Digitalexperten einen Blick in die Zukunft der Arbeitswelt werfen, dann werden etwa folgende Kernkompetenz wichtig sein: Die Digitalexpertin und Medienwissenschaftlicher Dr. Sarah Genner etwa spricht von den 4 K, von 4 wichtigen Kompetenzen in der Arbeitswelt der Zukunft: Kreativität, Kommunikation, Kollaboration und Kritisches Denken (Zur Vertiefung: Kompetenzanforderungen im Zeitalter der Digitalisierung). In einer Variation findet man dies auf der Seite www.scoyo.com. Es handelt sich dabei um eine Lernplattform, die unter anderem vom Cornelsen Schulbuchverlag, Lehrer*innen und Spieleexpert*innen entwickelt wurde. Die 5 benannten Kernkompetenzen sind hier: Kooperatives Arbeiten, Allgemeine Digitalkompetenz, Lebenslanges Lernen, Kreatives Denken und Interkulturelle Kompetenz. Die Schnittmengen bedürfen sicherlich keiner weiteren Erläuterung.
Das ist zweifelsohne hochinteressant: Ja, wir brauchen Digitalkompetenz. Aber das macht nur einen Teil der wichtigen Kompetenzen aus. Vor einiger Zeit habe ich auf dem Karrierenetzwerk ein treffendes Zitat gelesen (das ich nicht mehr vollständig rekonstruieren kann). Das Fazit: Es geht nicht um Fachwissen. Fachwissen kann man lernen. Es geht um Persönlichkeit.
Praxistipps und Tools: Entwicklung von Digitalkompetenz für Kinder und Jugendliche
Nun kommen wir (endlich) an den Punkt, wo es um „Fördermöglichkeiten“ für Digitalkompetenz geht. Hier möchte ich ein paar Beispiele liefern.
Erstens, Kennen Sie das schon, Scratch? Es ist kostenlos. Es ist witzig. Es ist Spaß für die ganze Familie. Es geht darum, Kinder und Jugendliche mit den Grundkonzepten der Programmierung vertraut zu machen. Es wurde vom MIT entwickelt (ab 2007). Meine persönliche Erfahrung damit: Ich bin ein Fan und empfehle es als „Digital Evangelist“ an alle Eltern, die Kinder zwischen 6 und 16 Jahren haben. Natürlich gibt es noch andere Spiele dieser Kategorie, aber für einen Einstieg halte ich diese (kostenlose) Variante für toll. Hier mehr dazu: „Scratch“. So lernen Kinder spielerisch programmieren
Zweitens, die Plattform Scoyo gibt noch interessante Anregungen: Fotos bearbeiten. Es fällt in die Kategorie „Medienkompetenz“. Inwieweit spiegeln Fotos und Filme die Realität wider? Nehmen Sie mit ihren Kindern Fotos und bearbeiten Sie diese mit Bildbearbeitungsprogrammen wie Photoshop oder den kostenlosen Varianten Gimp oder IrfanView. Auch in Apps wie TikTok oder Instagram gibt es ja Features, Fotos (und Filme) zu bearbeiten. Dies schafft eine Grundlage, um solche „Abbilder“ der Realität richtig einzuordnen.
Drittens: Sicher durch das Netz surfen. Die Suchmaschine FragFinn ist spezifisch für Kinder ausgelegt. Die angezeigten Internetseiten sind alle für Kinder geeignet. Hier können Kinder erste Erfahrungen mit dem (unerschöpflichen) Informationsangebot des Internets machen.
Viertens: Mit Robotern Programmlogik verstehen. Wie funktionieren Maschinen? Wie funktionieren Roboter? Es gibt Dutzende von Baukästen, wo Kinder Roboter zusammensetzen können und diese mit einer graphischen Programmiersprache (vgl. SCRATCH) steuern können. Ein Beispiel ist Dash von WonderWorkshop.
Und, fünftens noch einen Tipp der Unternehmerin aus der Digitalen Lernszene. Verena Pausder schlägt in ihrem Buch ”Das neue Land” den Familien eine sogenannte „Zukunftsstunde“ vor. Einfach ein Zeitfenster pro Woche festlegen, wo die ganze Familie kleine Projekte mit digitaler Technologie umsetzt: Vom eigenen Familien-Podcast über ein YouTube-Video bis zum Spiel Scratch.