Größte Demokratie der Welt vs Größter Onlinehändler der Welt – so könnte man es sehen, und so sehen es viele Beobachter. Die Waffe der Wahl der indischen Regierung: “Open Network for Digital Commerce“ – kurz: ONDC

Was verbirgt sich dahinter? – Die Zielsetzung besteht darin, der Dominanz von Schwergewichten wie Amazon oder Flipkart eine Alternative entgegen zu setzen, die auch kleineren Händlern eine realistische Chance im eCommerce einräumt. Der Marktplatz wird mit ONDC zu einer Art öffentlicher Infrastruktur, der Marktplatz wird nicht mehr (ausschließlich) von diesen Schwergewichten geschaffen und kontrolliert. Der wachsende E-Commerce-Markt in Indien wird gegenwärtig auf rund 45 Mrd. USD geschätzt.

Und so soll es funktionieren. Sobald ONDC implementiert ist, wird ein Nutzer, der auf einer bei ONDC-registrierten App einkauft, Produkte aus den Katalogen mehrerer (!) Anbieter sehen: Lokale Geschäfte, kleine Händler undsoweiter. Natürlich kann der Nutzer nun auswählen, bei wem er kaufen möchte. Wenn Sie also beispielsweise Ihr Lieblingsparfüm kaufen möchten und es in einer bei ONDC registrierten E-Commerce-App suchen, werden Ihnen die Ergebnisse aus dem eigenen Katalog, dem der Konkurrenten und dem von kleinen Händlern aus der Umgebung angezeigt. Wer also seine Waren über ONDC anbietet, erreicht damit auf einen Schlag die Nutzer unterschiedlichster Apps und Webseiten. Sie haben als Käufer die Möglichkeit zu wählen, wo Sie kaufen möchten. Das ONDC-Protokoll wird ermöglichen, dass sich ein Nutzer auch – neben dem Kauf – Services wie Zahlungsprozess und Versand von verschiedenen angebotenen Dienstleistern zusammenstellen kann.

Das Ziel ist ambitioniert: Mehrere Millionen Verkäufer und Händler sollen auf absehbare Zeit eingebunden werden. Aktuell sind rund 100 Unternehmen im Prozess einer Integration in das ONDC. Dazu zählen das Logistik- und Lieferkettenunternehmen Ekart von Flipkart, oder auch Dunzo des milliardenschweren Familienunternehmens Reliance. Auch Zahlungsdienstleister wie Paytm oder PhonePe gehören dazu.

Zum Zeitplan: Im Juli 2021 wurde von der Regierung ein neunköpfigen Beirat eingesetzt, um die Entwicklung dieser öffentlichen Infrastruktur zu konzipieren und zu begleiten. Zu den Beiratsmitgliedern gehört etwa Nandan Nilekani, dem Gründer des indischen IT Dienstleister Infosys. Ende April 2022 wurde eine Pilotphase gestartet in fünf Städten, darunter der #1 IT Hub Bangalore.

Zweifelsohne handelt es sich um ein Großprojekt mit technischen und organisatorischen Risiken. Der Erfolg hat davon ab, wie einfach die Handhabung für die Nutzer und wie hoch die Akzeptanz bei Nutzern und Anbietern sein wird.

Das Handelsblatt verweist darauf, dass Indien bereits einmal eine vergleichbare „Standardsetzung“ geglückt ist: „Als digitale Bezahldienste aufkamen, war deren Nutzen erst überschaubar. Wer das digitale Portemonnaie des einen Anbieters verwendete, konnte kein Geld zu Personen schicken, die eine Konkurrenz-App nutzten. Indiens Behörden lösten das Problem mit dem sogenannten Unified Payments Interface (UPI). Dahinter verbirgt sich eine einheitliche Schnittstelle für digitale Echtzeittransaktionen, die dem digitalen Bezahlen in Indien zum Durchbruch verhalf. So gut wie jedes indische Fintech läuft inzwischen auf UPI-Basis. Auch mehr als 200 Banken haben sich dem System angeschlossen.

Kurzprofil einiger wichtiger Player

Zu den bekanntesten Unicorns auf dem indischen Subkontinent zählen: Der eCommerce-Händler Flipkart, der 2018 von Walmart übernommen wurde. Das Unternehmen und generiert aktuell einen Umsatz im Einzelhandel von ca. 0,9 Mrd. EUR (Amazon hat mit ca. 1,9 Mrd. die Nase vorn). Ein weiterer Player im eCommerce ist das 2010 gegründete Snapdeal, hinter dem inzwischen die SoftBank steht. Snapdeal ist mit ca. 60 Mio. Euro Umsatz allerdings weit abgeschlagen, nachdem die beiden Rivalen massive Investitionen gemacht hatten.

Erwähnenswert ist auch das vorgenannte FinTech Paytm, das jüngst mit einem unglücklichen Börsendebut Schlagzeilen machte. Der Bezahldienst wurde 2000 gegründet, unter anderem Berkshire Hathaway investierten hier. Noch Mitte 2021 wurde das Unternehmen mit ca. 16 Mrd. US-Dollar bewertet; der Börsengang Ende 2021 konnte die hochgesteckten Erwartungen nicht erfüllen, die Marktkapitalisierung liegt heute bei etwas über 8 Mrd. US-Dollar.

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    Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.