Es ist ein Buch, das Studenten (aller Fachrichtungen) und vielleicht auch Azubis zu Beginn der Ausbildung geschenkt bekommen sollten. Natürlich darf das kein Monopol werden, andere Bücher wie „Kopf schlägt Kapital“ von Günter Faltin oder Ähnliche müssten ebenfalls zur Auswahl stehen; aber im Grundsatz hielte ich es für richtig, wenn unsere Bildungsinstitutionen Impulse Richtung Entrepreneurship lieferten. Ist das völlig abwegig? – Finde ich nicht. Als ich geheiratet habe, hat mir das Standesamt ein Bayerisches Kochbuch geschenkt. Das gleiche Prinzip kann man nun im Ausbildungssektor anwenden. Der Return-on-Invest dürfte höher sein.
Der Autor Frank Thelen hat sich bekanntermaßen zu einer Figur entwickelt, die Unternehmertum fördert, die Mut macht zum Gründungsrisiko, die zur eigenen Firma inspiriert. Und er hat Reichweite, erreicht Publikum über die Sendung „Höhle des Löwen“, er wirkt als Influencer in diverse Social Media Kanäle: Twitter (43 000 Follower), LinkedIn (235 000 Follower), XING (65 000 Follower), Facebook (35 000 Abonnenten), sogar Instagram (137 000 Abonnenten).
Wir brauchen in Deutschland eine Figur wie Thelen, das dürften selbst seine Kritiker zugestehen; wir brauchen eigentlich ziemliche viele Thelen. Warum? – Wir befinden uns just in einem Strukturwandel der Wirtschaft, wo die Grundlagen für die Volkswirtschaft der Zukunft gelegt werden, wo es unzählige Chancen für Unternehmertum gibt. Aber eine Gründungswelle zu Beginn der Digitalen Ära findet nur bedingt statt. Das Handelsblatt hat in einem Artikel im vergangenen Jahr eine kritische Bestandsaufnahme gemacht ( Unternehmer gesucht. Kein Wille, keine Vision, Kein Wachstum. Was die Gründerkultur in Deutschland vernichtet):
Handelsblatt Graphik: Deutschland gehen die Gründer aus
Die Gründe sind bekanntermaßen vielfältig, darauf will ich hier nicht eingehen, das habe ich bereits an anderer Stelle getan. Es unterstreicht allerdings, dass die Rolle von Thelen eine Relevanz hat – und es geht hier nicht nur um Deutschland, sondern Europa, das zwischen den Digitalen Supermächten USA und China zunehmend den Anschluss verliert (vgl. etwa auch das Buch AI-Superpowers. China, Silicon Valley und die Neue Weltordnung). Der Autor stellt eben diese Überlegung auch an den Anfang seines Buches: „Ich bin davon überzeugt, dass wir mindestens drei starke Mächte in der Welt brauchen, um faire Lösungen für die großen Herausforderungen der Menschheit zu finden. (…) Wenn wir die Zukunft mitgestalten wollen, muss Europa wirtschaftlich bedeutend bleiben. Die Gefahr, dass es in zehn Jahren bedeutungslos ist, wird maßlos unterschätzt.“ (S. 7)
Was der Autor Frank Thelen nun leistet: Er setzt Impulse, versucht für Technologien zu begeistern, versucht die unternehmerischen Möglichkeiten sichtbar zu machen. Ja, es mag bereits Bücher geben, die KI vorstellen, Blockchain, CRISPR/CAS, Neue Mobilität und derlei mehr. Na und? Erstens gibt es aus meiner Wahrnehmung heraus noch zu wenige Bildungsangebote für diese Themen (vgl. etwa die hervorragende Initiative in Finnland für den kostenlosen Online-Kurs Elements of AI). Zweitens reicht es nicht, ein Buch zu schreiben und ins Regal zu stellen; wir brauchen Autoren, die ihre Leser erreichen, und das kann Thelen. Drittens, er ist Praktiker, kein Elfenbeinturm-Theoretiker; er ist Investor, ist an den Themen dran, weiß worauf es ankommt.
“10XDNA: Das Mindset der Zukunft“ von Frank Thelen und Markus Schorn, Verlag Frank Thelen Media GmbH/Bonn, 250 Seiten, 1. Auflage Mai 2020, Paperback 20 Euro
Inhaltsübersicht zu „10xDNA“ und das „10xMantra“
Nach dieser ausschweifenden Einleitung komme ich noch kurz auf den Inhalt des Buches zu sprechen: Der Autor führt zunächst in sein „10xMantra“ ein – und das darf ich hier sicherlich vorweg nehmen: Der US-Präsident John F. Kennedy hatte der Nation zu Beginn der 1960er Jahre zum Ziel gesetzt, am Ende dieses Jahrzehnts einen Mann auf den Mond zu bringen und damit den Wettlauf um die Führerschaft in der Raumfahrt gegen die Sowjetunion für sich zu entscheiden. In diese Mondmission investierten die USA im Übrigen sagenhafte 2,5% des Bruttosozialprodukts (sic!).
Die Herausforderungen waren enorm. Der deutschstämmige Raketeningenieur Wernher von Braun formulierte damals angesichts der schier unlösbaren Aufgabe: „Um dies [Anm. d. Red.: die Mondlandung] zu erreichen, müssten die Raketen um das Zehnfache [10x!] leistungsfähiger werden.“ – Nun, es ist gelungen. Und damit dürfte der Titel des Buches klar sein.
Frank Thelen und Markus Schorn (Frank Thelen steht nachfolgend für das gesamte Autorenteam) führt in wichtige Aspekte dieses „10x“-Denkens ein, in das First Principle Thinking und derlei mehr. Und er führt in die 10xTechnologien ein: Künstliche Intelligenz, Roboter & Automatisierung, Blockchain, 5G / Edge Computung /Internet of Things, 3D Druck / Additive Fertigung, Synthetische Biologie / CRISPR/CAS, Energie sowie Quantencomputer, Kernfusion, Hirnschnittstellen, Singularität. Er schafft außerdem ein Verständnis für die Entwicklungsdynamik der technologischen Umbrüche („exponentiell“ – was Viele in der Corona-Krise gelernt und verstanden haben). Sehr treffend fand ich hier den Vergleich zum Beginn des Internet: “Heute ist die Anwendung von KI-Produkten oftmals frustrierend, ähnlich wie damals der erste Webbrowser, der über ein Modem mit einem sehr langsamen Server kommuniziert hat.“ (S. 81). Kurz: Man sollte sich über die holprigen Anfänge nicht darüber hinweg täuschen lassen, dass die Entwicklungsdynamik sehr, sehr hoch ist.
Last but not least: Das Autorenteam gibt Anregungen für junge Gründerteams.
Dem aufmerksamen Leser bzw. der aufmerksamen Leserin dürfte aufgefallen sein, dass der Faktor im Zusammenhang mit Technologie bei Buchautoren nicht vollkommen neu ist. Ich erinnere mich noch an „Faktor Vier. Doppelter Wohlstand – Halbierter Naturverbrauch“ aus meiner Studentenzeit (Autoren: Ernst Ulrich von Weizsäcker, Amory B Lovins, L Hunter Lovins, Erscheinungsjahr 1995). Das war eine hoffnungsvolle Idee für die aufziehende Klimakrise. 15 Jahre später (nämlich 2010) wurden die Erwartungen noch hochgesetzt: „Faktor Fünf: Die Formel für nachhaltiges Wachstum“ (Autoren: Ernst Ulrich von Weizsäcker, Karlson Hargroves, Michael Smith). Und jetzt Faktor 10.
Ein bisschen Kritik muss ein …
Richtigerweise schreibt das Autorenteam zur Mobilität der Zukunft: “Eine Level 5 Autonomie der Fahrzeuge ist zwar noch ein paar Jahre entfernt, doch rund um die Level 4 Autonomie entstehen gerade spannende Modelle.“ (S. 178). Die Definition von Level 5 ist ziemlich einfach, nämlich „Vollautomatisierung. Kein Fahrer erforderlich.“ – Autonomie 4 heißt „Hochautomatisierung. Die Führung des Fahrzeugs wird dauerhaft vom System übernommen. Werden die Fahraufgaben vom System nicht mehr bewältigt, kann der Fahrer aufgefordert werden, die Führung zu übernehmen.“ Mir ist dann aber nicht klar, wie dann an zwei Stellen im Buch (S. 17 und S. 179) geschrieben wird, Waymo betreibe seit 2018 den ersten fahrerlosen Taxidienst. Das passt nicht zusammen.
Und ich halte das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE, von den Autoren befürwortet) für keine geeignete Antwort auf den Strukturwandel der Wirtschaft (zumindest nicht in der Frühphase), das habe ich an diversen Stellen auch begründet (vgl. etwa Das Bedingungslose Grundeinkommen – Eine kritische Stellungnahme). Nur so viel: Ohne massive Investitionen in Bildungs- und Chancengerechtigkeit läuft das BGE Gefahr, eine Zwei-Klassen-Gesellschaft zu schaffen (BGE als Trostpreis); und einige diskutierte Finanzierungsmodelle (prominent: Umsatzsteuererhöhung) benachteiligen sozial Schwache. Dieser Punkt ist eine Randnotiz im Buch, betrifft die zentrale Argumentationslinie in keiner Weise. Aber ein bisschen Kritik muss sein …
Sebastians Fazit
Ein Buch, das Lust auf die Technologien der Zukunft macht und Anregungen mitliefert, sich unternehmerisch damit auseinander zu setzen. Ich werde es zwei meiner Neffen schenken (meine eigenen Kids sind noch zu jung dafür).