Bei allem Hype um Digitalisierung gilt natürlich: Nicht jedes Digitale Geschäftsmodell oder Digitale Produkt wird zum Goldesel. Ein no-brainer. In jedem Fall aber lohnt es, sich gescheiterte Ideen genauer anzusehen. Diese Geschichten des Scheitern halten in der Regel wertvolle Lessons Learned für Unternehmer und Investoren bereit. War das Digitale Angebot unausgereift? Hat sich der Zielmarkt als zu klein erwiesen? Fehlte die Nutzerakzeptanz für ein Produkt? Zu teuer? War der Markt einfach noch nicht reif?
Man sollte sich im Übrigen daran erinnern, dass auch Amazon Marketplace das evolutionäre Ergebnis einer stetigen Weiterentwicklung ist: Es begann mit Amazon Auctions, das aber nur wenige Kunden überzeugte. Hieraus entwickelte sich zShops, bei dem es sich um eine Fixpreis-Version von Auctions handelte. Auch das wurde überarbeitet, heraus kam schließlich Amazon Marketplace. Und das ist bekanntermaßen außerordentlich erfolgreich. Nicht immer lässt sich mit Sicherheit bestimmen, ob eine Geschäftsidee zu früh aufgegeben wurde. Ich lasse den bekannten Digitalisierungsberater Schrader zu Wort kommen: Es braucht Konstanz, da sind 5 Jahre wenig.“
Kurzum: Manche Digitalen Geschäftsmodelle mögen daran gescheitert sein, dass Investoren zu früh den Geldhahn zugedreht haben. Manchmal war es auch einfach Pech (Lehmann-Krise, Covid-19). Eine Aussage zu den Gründen für das Scheitern lässt sich darum nicht immer (mit Sicherheit) treffen.
Schauen wir uns einige ausgewählte Beispiele an.
Gescheiterte Digitale Angebote: FirePhone
Wenden wir uns einer Firma zu, die eher erfolgsverwöhnt ist: Amazon. Als Hardware-Anbieter kann das Unternehmen durchaus Erfolge vorweisen, nämlich das Kindle (Einführung: 2007) und Echo (Einführung: 2015). Das Smartphone Fire Phone jedoch geriet zum Flop. Das Fire Phone wurde Juni 2014 in den USA vorgestellt, in Deutschland stand es ab September 2014 zum Verkauf. Schon wenige Monate nach Einführung wurde aufgrund geringer Verkaufszahlen der Preis massiv abgesenkt, nämlich von 500 EUR auf 150 EUR. Aber schon Ende Mai 2015 wurde der Verkauf in Deutschland vollständig eingestellt.
Amazon konzipiert das Smartphone dabei vor allem als Zugangsplattform für das eCommerce-Angebot. Mit der Funktion Firefly konnten Nutzer Objekte, TV-Serien, Musikstücke, Verpackungen und derlei mehr identifizieren – und dann gleich bei Amazon einkaufen (die Erkennung funktioniert allerdings nicht immer reibungslos). Laut Amazon sollten in der Firefly-Datenbank 100 Millionen Artikel gespeichert sein.
Marktbeobachter liefern mehrere Gründe für das Scheitern des Fire Phone. Erstens, es gab keine Apps von Google. Google Maps fehlte, ebenso fehlte das bei Teenagern beliebt Snapchat. Zweitens, zu Beginn war das Phone auch nur mit einem Telekom-Vertrag erhältlich (später wurde diese Restriktion aufgehoben). Drittens, es fehlte ein Feature, das dem Fire Phone wirklich einen Vorteil gegenüber den Platzhirschen Apple oder Samsung einräumte.
Gescheiterte Digitale Angebote: Social Robot JIBO
Der erste social robot namens JIBO ist kommerziell gescheitert (Verkaufsstart: 2017; Abschaltung der Server: Mitte 2019). Man mag aber konzedieren, dass dieses Projekt der weltbekannten MIT Roboterexperten Cynthia Breazeal den Weg vorgezeichnet hat für die Entwicklung sozialer Roboter. Immerhin hat das Magazin TIME diese Entwicklung als einer der besten Innovationen in 2017 ausgezeichnet.
Die Gründe für das Scheitern sind vermutlich vielfältig. Vorab ist erwähnenswert, dass die Versuche zahlreicher und namhafter Firmen gescheitert sind, einen social robot erfolgreich zu kommerzialisieren. Darunter Honda, SoftBank, Sony (Aibo Roboterhund), Samsung, Toyota. Ganz spezifische Gründe für JIBO sind etwa: Es kam zu Lieferverzögerungen. Das Produkt war vergleichsweise teuer (899 US-Dollar), was umso schwerer wog, da JIBO im gleichen Jahr auf den Markt kam wie der deutlich günstigere Sprachassistent Echo.
Der Zukunftsforscher und Publizist Mattias Horx führt als Grund des Scheiterns zudem das „Uncanny-Valley-Syndrom“ auf: Werden diese Roboter immer humanoider, so zeigen Ergebnisse aus der Roboterpsychologie, dass Menschen darauf mit tiefer Irritation reagieren. Diese Akzeptanzgrenze mag sich verändern (die Akzeptanz humanoider Roboter ist in Japan beispielsweise sehr hoch), aber kurzfristig bildet dies eine Hürde für den Markt der sozialen Roboter. Sagt Horx.
Gescheiterte Digitale Angebote: Google Glass
Die Augmented Reality Brille Google Glass wurde im Jahr 2012 vorgestellt – und das Magazin TIME zählt das Wearable zu den besten Innovationen im Jahr 2012. Das Wearable setzt sich jedoch nicht durch: 2,5 Jahre nach Einführung gibt es erst 100 Apps für die AR-Brille. Die erste Edition von Glass gilt als einer der größten Flops von Google.
Google hat das Projekt dennoch weiter vorangetrieben. Im Mai 2019 wurde die Google Glass Enterprise Edition 2 vorgestellt (Kaufpreis: ca. 1 000 US-Dollar). Diesmal wird der Fokus auf den Einsatz im Unternehmenskontext gesehen: Logistik, Produktion, Außendienst. In diesem Bereich sehen zahlreiche weitere StartUps Potential für AR und VR, es gilt: Bei WalMart werden Mitarbeiter mit AR trainiert, bei Porsche und BMW werden die Werkstätten mit AR ausgestattet. Google setzt weiter auf einen attraktiven Zielmarkt. Laut einem Bericht soll Google auch an der Übernahme des Smart Glass-Startups North interessiert sein.
Ein weiterer Indikator für das Anziehen des Marktes für Google Glass Enterprise: Teamviewer kaufte für stolze 136,5 Mio. Euro das Datenbrillen-Unternehmen Ubimax. Ubimax programmiert Software für Datenbrillen, mit denen Unternehmen ihre Mitarbeiter etwa bei Wartungsarbeiten an Maschinen unterstützen können.
Gescheiterte Digitale Angebote: Google+
Das Scheitern von Google+ ist ein Lehrstück über den sogenannten Netzwerk: Je mehr Nutzer in einem sozialen Netzwerk aktiv sind, umso attraktiver. In Konsequenz sind die Markteintrittsbarrieren für neue Player immens, in vielen Fällen unüberwindlich. Selbst für die größten Player der Digitalindustrie wie Google.
Google+ wurde 2011 als Konkurrenzprodukt zu Facebook entwickelt. Es hat durchaus einige Millionen Nutzer gehabt (ich selbst hatte ein Google+-Account); die Bedeutung des sozialen Netzwerks blieb allerdings gegenüber Facebook sehr gering. Es wurde Ende 2018 geschlossen.
Google spielt im Social Media Markt aber durch aus noch mit. Die Videoplattform YouTube ist eine Google-Tochter.
Gescheiterte Digitale Angebote: studiVZ
Im gleichen Atemzug zum Scheitern von Google+ ist auch das Europäische soziale Netzwerk StudiVZ zu nennen: Das soziale Netzwerk wurde Ende 2005 gestartet (ein Jahr nach Facebook!) . Die Zielgruppe: Studierende in deutschsprachigen Ländern. Aufgrund des großen Erfolges expandierte das Netzwerk: Sowohl geographisch (Frankreich, Italien, Spanien), also auch hinsichtlich der Zielgruppe (schülerVZ, meinVZ).
Das Projekt für Studierende zählte im November 2009 rund 6,2 Millionen registrierte Nutzer; es zählte zum damaligen Zeitpunkt zu den erfolgreichsten Onlinemedien in Deutschland. Im Jahr 2008 ging eine deutschsprachige Version von Facebooklive. Der Aufstieg von Facebook wurde beschleunigt; bei StudiVZ hingegen nahmen Nutzerzahlen und Besuchsdauer kontinuierlich ab. Das Unternehmen meldete 2017 schließlich Insolvenz an.
Aufgrund des Netzwerkeffektes wurde studiVZ schlicht von Facebook verdrängt. Dem hatte studiVZ wenig entgegen zu setzen. Weder verfügt das Unternehmen über ähnliche Fonds wie das Unternehmen aus dem Silicon Valley. Noch eignete sich der Name studiVZ für eine Internationalsisierungsstrategie.
Tatsächlich wurden die Seiten der VZ-Gruppe auch nach den Insolvenzantrag nicht abgeschaltet. Anfang diesen Jahres überraschte das Unternehmen mit der Ankündigung, das soziale Netzwerk (in einer Nische) wiederzubeleben. Die Leitidee: „Media wieder sozial zu machen, ganz ohne Datenausverkauf und kommerzielle Algorithmen“.
P.S.: Eine ähnliche Geschichte lässt sich auch für myspace.com erzählen.
Gescheiterte Digitale Angebote: yahoo
yahoo war ein Web-Pionier, eines der ersten Internet-Unternehmen überhaupt. Es galt als „Google“ der 1990er Jahre. Es wurde 1994 gegründet, und zwar von Jerry Yang und David Filo (beide Doktoranden an der Universität Stanford).
yahoo ist – das dürfte schnell klar werden – kein Beispiel für ein gescheitertes Digitales Geschäftsmodell. yahoo ist vielmehr ein Beispiel dafür, wie man als Tech Pionier einen technologischen Vorsprung verlieren kann und dann verdrängt wird. Denn yahoo hat (mal abgesehen von Investments in Flickr, Tumblr oder Alibaba) im Kerngeschäft vom Anzeigenverkauf auf seiner Suchmaschine gelebt. Dann jedoch geriet es in Rückstand gegenüber Google, das erst 4 Jahre später als yahoo gegründet wurde. Es ist unstrittig, dass Googles Ansätze bei den Suchmaschinen klar überlegen waren.
Es kommen Enthüllungen über massive Hacks von yahoo-Accounts in der Mitte der 2010er Jahre hinzu, die den Abstieg des einstigen Web-Pioniers besiegeln und beschleunigen. Die Strategie eines Content-Anbieters des CEO Marissa Mayer scheitert. Das Unternehmen verkauft die wertvollen Beteiligungnen (v.a. Alibaba) und löste sich im Januar 2020 selbst auf.
Gescheiterte Digitale Angebote: Geschäftsmodelle mit Fragezeichen
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt muss man UBER noch als gescheitertes Geschäftsmodell betrachten. Lässt man einmal die Werbebotschaften des Unternehmens beiseite, bleibt ein Unternehmen, das ein altbackenes Taxigeschäft betreibt, wobei die gesamte Verantwortung an die Fahrer ausgelagert wird (also: ein Business Model „light“). Die Software ist keine Rocket Science, der Börsengang war ein Flop und der Konkurrenzkampf mit etablierten Taxidienst-Anbietern ebenso wie mit Wettbewerbern à la Lyft oder Via reibt Uber finanziell auf. 2018 machte Uber etwa 3,3 Mrd. Dollar Verlust, und das bei 11,3 Mrd. Umsatz. Im letzten Quartal 2019 lag der Verlust noch immer bei knapp einer Mrd. US-Dollar. Wie Uber irgendwann einmal Geld verdienen soll, ist bis heute unklar.
Es ist ebenfalls fraglich, ob der Car Sharing Markt eine interessante, relevante Größe hat. Fakt ist, dass der Fahrzeugbestand für Car Sharing in Deutschland gerade einmal 0,04 Prozent des gesamten Fahrzeugbestandes ausmacht. Viele Unternehmen haben sich ernüchtert aus diesem Markt zurückgezogen, weil sie kein Geld damit verdienen. Mazda ist raus, Citroen, Opel, auch das Joint Venture von BMW und Daimler hat seine Aktivitäten stark zurück gestutzt.
Was auch noch Erwähnung finden sollte …
- Amazon verdrängt das einst größte Versandhaus Europas: Quelle (Aus für Quelle: in 2009). Auch Neckermann verschwand vom Markt (im Jahr 2012). Und auch deutsche Marktführer im Onlinehandel, die OTTO Gruppe, ist längst von Amazon abgehängt. Etwa um das Jahr 2008 hatten Amazon und OTTO vergleichbare Umsätze im Online-Handel in Deutschland (=Heimatmarkt von Otto). Etwa 10 Jahre später, in 2017, stellt sich die Situation in Deutschland wie folgt dar: Online-Umsatz von Amazon 8,8 Mrd. EUR, OTTO 3,0 Mrd. EUR, Zalando 1,3 Mrd. EUR.
- Der Vollständigkeit halber: Nokia, Kodak