Was ist ein Start-Up? – Ein Jungunternehmen, das innovative Technologien entwickelt bzw. auf einem innovativen Geschäftsmodell basiert; das Geschäftsmodell soll dabei gut skalierbar sein, also ein dynamisches Wachstum ermöglichen. Aber beim Alter gehen die Meinungen auseinander.
Macht etwa die Pressemitteilung „Das Start-Up Celonis sammelt 1 Mrd. Investitionen ein“ (in: DIE ZEIT) eigentlich Sinn? Für ein Unternehmen, das vor 10 Jahren gegründet wurde und inzwischen als Decacorn gehandelt wird?
Was denkt ihr über den Handelsblatt-Ticker zur Übernahme von Greyhound durch Flixmobility im Oktober diesen Jahres: „Durch die geplante Übernahme wird das deutsche Mobilitäts-Start-up [sic!] die Nummer eins im US-Busmarkt.“. Wohlgemerkt: Für ein Unternehmen mit Quasi-Monopol in Deutschland und starker Marktposition im Fernbusgeschäft in ganz Europa?
Ich selbst lege in meiner Start-Up Serie ein maximales Unternehmensalter von sieben (7) Jahren zugrunde. Warum 7 Jahre? Und: Was sagen die anderen? Darum geht’s …
Unternehmensalter von Start-Ups: Was sagen die Start-Up Verbände?
Zunächst lässt sich nüchtern feststellen, dass auch bei Star-Up Verbänden in Europa die Meinungen stark auseinander gehen.
In der Satzung des Bundesverband Start-Ups e.V. (Deutschland) heißt es: “Ordentliche Mitglieder sind in den Verein aufgenommene Startups und Gründer/innen. Startups sind innovative wachstumsorientierte Unternehmen mit einem skalierbaren Geschäftsmodell, die nicht älter als fünf Jahre sind, ihren Sitz oder eine Niederlassung in Deutschland haben und an denen die Gründer/innen noch signifikant beteiligt sind.“.
Demgegenüber fordert das europäische Netzwerk von Start-Ups bzw. Start-Up-Verbänden www.europeanstartupnetwork.eu (in dem übrigens auch der deutsche Verband beteiligt ist) tatsächlich eine europäische Vereinheitlichung des Start-Up-Begriffs – das Unternehmensalter soll dabei maximal 10 Jahre betragen („a business entity up to and including 10 years of operational history”).
Start-Ups: Welches Alterskriterium haben Förderprogramme bzw. Gründerkredite?
Schauen wir uns die Konditionen für Existenzgründer an, und zwar vom kfw sowie von der LfA – Förderbank Bayern.
Der ERP-Gründerkredit (Variante 1) der kfw-Förderbank definiert als Voraussetzung, dass das Unternehmen zwischen 3 und 5 Jahren am Markt aktiv ist. Auch für die bayerische Förderbank gilt die Schwelle von 5 Jahren („Innerhalb einer 5-jährigen Existenzgründungsphase begonnene Investitionen können ebenfalls gefördert werden“).
Nota bene: Diese Gründerkredite richten sich nicht ausschließlich an Start-Ups im engeren Sinne (innovative Produkte/Dienstleistungen/Geschäftsmodelle, Skalierbarkeit), sondern an Existenzgründer allgemein. Nicht nur das Start-Up rund um Quantentechnologie wird gefördert, sondern auch die Neugründung einer Schreinerei, eines Sanitärbetriebs oder eines privaten Kindergartens.
Start-Up: Betrachtung nach Entwicklungsphasen statt Unternehmensalter?
Ist das Unternehmensalter womöglich ein Kriterium, das für die Klassifizierung zum Start-Up gar nicht taugt? Macht es vielleicht mehr Sinn danach zu fragen, in welcher Entwicklungsphase ein Jungunternehmen sich gerade befindet? Zur Erinnerung: Für Start-Ups werden grob folgende Entwicklungsphasen unterschieden:
- Seed-Phase: Umsetzung der Geschäftsidee in einem Prototypen / MVP, um zu beurteilen, ob das Produkt/die Dienstleistung am Markt durchsetzbar ist
- Start-Up Phase: Entwicklung eines marktreifen Produkts / einer marktreifen Dienstleistung; Gestaltung von Vertriebs- und Produktionsmöglichkeiten, Marketingkampagnen
- Wachstumsphase: Marktdurchdringung im Fokus, gezielte Entwicklung eines Vertriebs
- Expansion: Weiterentwicklung der Produkte / Dienstleistungen, Erweiterung des Vertriebs
Mit diesem Ansatz wird man zweifelsohne der Tatsache gerecht, dass etwa Deep Tech Start-Ups eine vergleichsweise lange Entwicklungsphase bis zum marktreifen Produkt haben (vgl. etwa den BLOG 7 spannende Start-Ups rund um Quantentechnologie). Andererseits gilt, dass sich in der Praxis diese Phasen nicht klar voneinander unterscheiden lassen. Gerade bei agilen Ansätzen in der Entwicklung von Produkten/Dienstleistungen können Unternehmen frühzeitig in den Markt eintreten, während weitere (Kern)Features noch entwickelt werden.
Könnte man das Kriterium der Profitabilität heranziehen? Salopp formuliert: Sobald ein Jungunternehmen die Profitabilitätsschwelle erreicht hat (und diese Ertragsfähigkeit des Geschäftsmodells für – sagen wir – zwei Jahre unter Beweis gestellt hat), dann lässt es die „Start-Up Phase“ hinter sich?
Das klingt auf den ersten Blick eingängig, aber dieses Kriterium hat zwei entscheidende Schwächen: Erstens, nur wenige Start-Ups machen die Ertragssituation transparent. Zweitens, in der Ära von Blitz-Scaling mit dem Imperativ einer globalen Marktbeherrschung ist das ein unscharfes Kriterium. Aus meinem Blog Über den langen Atem von Tech Investoren einige Beispiele und Erläuterungen dazu:
eBay machte bereits im zweiten Jahr nach Gründung Gewinne. Google schrieb im vierten Jahr nach Gründung erstmals schwarze Zahlen. Und SAP dürfte schon im Gründungsjahr 1972 schwarze Zahlen geschrieben haben. Übrigens: Auch der (eingangs erwähnte) deutsche Shootingstar Celonis schrieb bereits in den Gründungsjahren Gewinn.
Demgegenüber brauchte der Global Player SalesForce 17 Jahre, bis erstmals schwarze Zahlen ausgewiesen wurden. Ein vergleichbares Bild bei dem Shootingstar Splunk, das „Google für Big Data“. Die Software ist populär, der Umsatz wuchs zwischen 2014 und 2019 um satte 425%. Die Gründung liegt 17 Jahre zurück (Gründung in 2003), aber von schwarzen Zahlen ist das Unternehmen noch immer entfernt.
Der Break-Even bei Unternehmen wie SalesForce, Splunk, aber auch AirBnB verschiebt sich nicht zuletzt aufgrund einer Strategie der globalen Marktführerschaft nach hinten. Diese Unternehmen sehen sich strategisch in einem Markt, der von einer The-winner-takes-all-Logik charakterisiert wird. Das sind beispielsweise Märkte, die eine hohe Tendenz zur Monopolisierung haben. Warum? Entweder wird eine Infrastruktur nur einmal benötigt. Oder aber Netzwerkeffekte sorgen dafür, dass der Marktführer immer dominanter wird. Das gilt zweifellos für viele Unternehmen der Plattformökonomie (Facebook, LinkedIn, AirBnB). Die Strategie dieser Unternehmen lautet häufig „Blitz-Scaling“. In der Praxis hießt das, diese Tech Unternehmen investieren massiv in Marketing und den Aufbau einer globalen (!) Sales-Organisation. Es geht darum, diese „The-winner-takes-it-all“ Märkte schnell zu besetzen, und zwar weltweit. Profitabilität ist dabei strategisch nachrangig.
Es wäre aber sicherlich wenig zielführend, das Unternehmen Splunk 18 Jahre nach Gründung noch als „Start-Up“ zu bezeichnen, weil es den Break-Even nicht erreicht hat (bzw. diese Profitabilitätsschwelle als strategisch nachrangig betrachtet).
Fazit
Nach meinem Dafürhalten trifft das Label „Start-Up“ für das Decacorn Celonis nicht mehr zu: Die Technologie bzw. das Produkt hat definitiv seine Marktreife bewiesen, die Unternehmensbewertung liegt jenseits 10 Milliarden, das Geschäftsmodell ist stabil, die Gründung liegt 10 Jahre zurück.
Es gibt sicherlich gute Gründe (des Bundesverbands Start-Ups e.V.), den Schwellwerte bei 5 Jahren anzusetzen. Für mich ist folgende Frage ausschlaggebend: Hat ein Unternehmen bewiesen, dass das Geschäftsmodell langfristig trägt und nachhaltig Erträge erwirtschaften kann? Der Zeitraum von 5 Jahren erscheint mir dafür zu kurz, gerade angesichts langer Produktentwicklungszyklen im Deep Tech Bereich und zunehmend globaler Märkte. Darum habe ich mich für 7 Jahre entschieden – ein guter Kompromiss zwischen der Definition des deutschen Bundesverbands Start-Ups e.V. (5 Jahre) und der europäischen Dachorganisation (10 Jahre), wie ich finde.
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