In dem Buch "Titelverteidiger" (REDLINE Verlag, Erscheinungsjahr 2019), einem Rezeptbuch für einen erfolgreichen Standort Deutschland im digitalen Zeitalter, beklagen die Autoren fehlende Digitalkompetenz unter den Bundesbürgern, unter anderem: "90 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen haben zum Beispiel keine genaue Vorstellung, was sich hinter einem Algorithmus verbrigt und wozu er im Alltag dient (...)". Da der Algorithmus ein zentrales Element des Maschinenlernen ist, sei dieser Begriff darum kurz erläutert.
Der Lieblingsautor des Silicon Valley, Yuval David Harari, liefert in seinem Bestseller HOMO DEUS eine kurze Beschreibung: "An algorithm is a methodical set of steps that can be used to make calculations, resolve problems and reach decisions. An algorithm isn't a particular calculation, but the method followed when making the calculation." (Zitat aus der Englischen Buchausgabe). Im Bereich der Mathematik wäre ein Algorithmus also eine Methode, um etwa ein Optimierungsproblem zu lösen. Aber auch ein Kochrezept ist in diesem Sinne ein Algorithmus: Es ist eine Anleitung in mehreren Schritten, um zu einem (befriedigenden) Ergebnis zu kommen.
Die Definition, die sich in Harari's Buch findet, hätte man so auch aus zahlreichen anderen Büchern bzw. Quellen entnehmen können. Für Harari ist diese Definition aber nur der Ausgangspunkt für eine Überlegung, die viel weitreichender ist. Er weist darauf hin, dass eine biologistische Weltsicht Tiere und Menschen heute vor allem als (erfolgreiche) Algorithmen wahrnehmen bzw. sogar definieren. Der Mensch besteht im Grunde aus Algorithmen, die seine Entscheidung in Tausenden von Lebenssituationen treffen. Wenn ein Mann eine Frau attraktiv findet, dann lässt sich das darauf zurückführen, dass wahrgenommene Eigenschaften (Größe, Aspekte des Gesundheitszustands, weibliche Attribute, etc.) auf biochemische Algorithmen treffen, die etwa Reproduktionswahrscheinlichkeiten ermitteln oder schätzen und dann Verhalten auslösen. Diese Kalkulationen werden natürlich nicht mit Stift und Papier durchgeführt, sondern direkt in Gefühle übersetzt; trotzdem bleiben es Algorithmen: "Even Nobel laureates in economics make only a tiny fraction of their decisions using pen, paper and calculator; 99 per cent of our decisions - including the most important life choices concerning spouses, careers and habitats - are made by highly refined algorithms we call sensations, emotions and desires."
Es folgen eine Reihe verblüffender, auch beunruhigender Gedanken in Harari's Buch. Etwa die Hypothese, dass die jahrtausendealten (biochemischen) Algorithmen zur Partnerwahl möglicherweise im 21ten Jahrhundert nicht mehr zur optimalen Partnerwahl führen, da die Voraussetzungen für eine gelungene Partnerschaft heute völlig verschieden sind zu den Voraussetzungen vor 20.000 Jahren. Harari formuliert weiter die Hypothese, datengetriebene Unternehmen könnten nun Algorithmen für die Partnerwahl entwickeln, die Evidenz-basiert sind, besser in das 21te Jahrhundert passen ... und schlicht die Partnerwahl zukünftig steuern. Nicht nur die Partnerwahl. Sie merken schon, es lohnt sich, das Buch zu lesen ...