Microsoft zählt mit einer Börsenkapitalisierung von 1,6 Billionen US-Dollar zu den wertvollsten Unternehmen weltweit – hinter Apple (1,9 Billionen USD) oder Saudi Aramco (1,8 Billionen USD). Insbesondere unter dem heutigen CEO Satya Nadella (seit Februar 2014) hat sich der Börsenkurs des Tech Giganten aus Redmond vervielfacht.

Nadella hat vor einiger Zeit ein Buch vorgelegt, in dem er den Transformationsprozess von Microsoft beschreibt, den Kulturwandel, der den Tech Konzern heute so erfolgreich macht. Ungewöhnlich an diesem Buch: Konzernlenker blicken üblicherweise gerne nach der Zeit als Konzernlenker auf ihre Amtszeit zurück. Nadella hat ein Buch vorgelegt, das quasi „mitten im Gefecht“ entstanden ist. Dies macht das Buch besonders.

„Hit Refresh. Wie Microsoft sich neu erfunden hat und die Zukunft verändert“ von Satya Nadella, PLASSEN Verlag, Erscheinungsjahr 2017 (Deutsche Ausgabe: 2018), 240 Seiten, 10 Euro für das Taschenbuch

“Hit Refresh” von Microsoft-CEO Satya Nadella: Die Herausforderung

Unbestritten hat Microsoft die PC-Revolution angeführt und einen wesentlichen Beitrag zur Demokratisierung von IT-Technologie geleistet. Zwar hatte Bill Gates die Internetrevolution Anfang der Neunziger Jahre richtig eingeschätzt (vgl. das bekannte Memo 1995 zur „internet tidal wave“). Jedoch fasst Microsoft beim Internet Business kaum Fuß, vergleiche der mäßige Erfolg der Suchmaschine „Bing“. Ebenso verpasste Microsoft den Anschluss an die Mobile Technology. Verzweifelt versucht Microsoft, mit dem Zukauf von Nokia wieder zum relevanten Player zu werden.

Anfang 2014, als Nadella den Posten des CEO übernahm, waren die Zahlen der ausgelieferten PCs rückläufig. Und auch das Interesse am eineinhalb zuvor gelaunchten Betriebssystem Windows 8 erlahmte. Im Cloud-Business war Amazon Web Services (AWS) bereits weit enteilt. So stellte sich die Situation dar.

Es kommt das Debakel rund um den Kauf von Nokia dazu: Der Vorgänge von Nadella, Steve Ballmer, leitete noch die Akquisition von Nokia ein, welche wenige Monate nach der Ernennung von Nadella abgeschlossen wurde. Nadella jedoch war davon nicht überzeugt, er hatte im Jahr zuvor zu dem Geschäft mit „Nein“ gestimmt. Umso bitterer, dass Nadella nur Monate nach dem Zukauf verkünden musste, dass der Zukauf vollständig abgeschrieben würde und 18 000 Stellen entfallen würden. Die Stimmung bei Microsoft war zum damaligen Zeitpunkt kritisch.

Warum Nadella der Richtig war, um Microsoft wieder nach vorne zu bringen? Er wurde 2011 Leiter der Sparte „Server and Tools Business“ (STB), hier wurde auch das Cloud Business entwickelt, das zum Kern der Erneuerung von Microsoft werden sollte.

Wer das Buch „Hit Refresh“ liest, lernt eine Führungspersönlichkeit kennen, die das Ziel verfolgt, dem Softwaregiganten wieder eine „Seele“ zu geben. Es geht um Empathie. Als Führungskraft geht es Nadella um „Stolz auf das, was wir tun“. Er will anknüpfen an die Größe der (inzwischen erfüllten) Microsoft-Mission „Ein Computer auf jedem Schreibtisch und in jedem Haus“. Für diese Richtungsentscheidung galt zunächst: “Die ersten Monate meiner Amtszeit verbrachte ich vor allem damit, zuzuhören, und zwar allen und jedem. (…) Wir organisierten Fokusgruppen, um den Menschen auch Gelegenheit zu geben, sich anonym zu äußern. Zuhören war jeden Tag meine wichtigste Aufgabe, denn das würde auf Jahre hinaus die Basis meiner Führungsrolle bilden.“. Außerdem rückte Nadella die Führungsmannschaft näher an den Kunden heran, band etwa Kundenbesuche in den Ablauf der alljährlichen Klausurtagung der Top Führungskräfte ein.

Der Erfolg gibt Nadella Recht.

“Hit Refresh” von Microsoft-CEO Satya Nadella: Die Vita von Satya Nadella

Satya Nadella zählt zu einer Riege von eingewanderten Indern, die sich mit Talent und Fleiß in die Führungsriege der US-Wirtschaft hochgearbeitet haben. Nadella ist hierbei keineswegs ein Einzelfall, man reibt sich verwundert die Augen, wie viele Top-Manager in der US-Tech Industrie tatsächlich indische Wurzeln haben – vor allem in der IT Industrie. Neben Nadella sind das unter Anderem: Shantanu Narayen führt seit dem Jahr 2007 den Konzern Adobe. Ajaypal Singh Banga wurde 2010 zum CEO von Mastercard ernannt. Sundar Pichai wurde erst im Jahr 2015 CEO von Google und dann im Jahr 2019 CEO der Holdingesellschaft Alphabet. Und Arvind Krishna ist seit Beginn dieses Jahres CEO von IBM.

Diese Generation von Indern hatten – historisch gesprochen – ein Riesenglück. Warum? Bis zum Jahr 1965 galt eine Quotenregelung für die Einwanderung, die es nur sehr, sehr wenigen Indern ermöglichte, nach Indien einzuwandern. Nämlich nur etwa 100 (sic!) Indern pro Jahr. Das änderte sich im erwähnten Jahr 1965 mit dem sogenannten Immigration und Naturalization Act, der die Tore für Facharbeiter weit aufriss. Zum 50ten Jahrestag dieses Gesetzes (also: in 2015) bezifferte der Historiker Ted Widmer die Zahl der Eingewanderten (insgesamt, also nicht nur aus Indien) auf 59 Millionen Menschen – das entspricht im Schnitt über einer Million Einwanderer pro Jahr.

Nadella ist in einer Familie aufgewachsen, die klar zur akademischen Elite des Landes zählte. Die Mutter war Sanskrit-Lehrerin, der Vater (ein überzeugter Marxist) hatte einen Posten beim höheren indischen Verwaltungsapparat: dem Indian Administrative Services (IAS). Der Vater war damit Elite-Beamter, jährlich wurden lediglich etwa 100 Fachleute für den IAS ausgewählt, er verwaltete einen Bezirk, in dem Millionen Menschen lebten.

Beamte des IAS durchlaufen in ihrer Karriere in der Regel verschiedene Positionen, und das an unterschiedlichen Orten. Kein Wunder also, dass Satya Nadella an verschiedenen Orten des Landes aufwuchs, in unterschiedlichen Schulen seine Ausbildung machte: In Srikakulam, Tirupati, Masuri, Delhi, Hyderabad. Besonders prägend war für Nadella der Besuch des Internats Hyderabad Public School (HPS), das übrigens auch einige der vorgenannten CEO’s der US-Wirtschaft besucht hatten: Shantanu Narayen (Adobe), Ajaypal Singh Banga (Mastercard).

Man würde klischeeartig davon ausgehen, dass Nadella seine Universitätsausbildung an einer der Elite-Universitäten erhalten hat, an einem Indian Institute of Technology (IIT). Tatsächlich ist er aber bei der Aufnahmeprüfung durchgefallen; sein Studium der Elektrotechnik machte er schließlich am Manipal Institute of Technology (Bundesstaat in Südindien: Karnataka). Für den Masterabschluss ging er schließlich nach Milwaukee zur Universität von Wisconsin. Damit war er in dem Land angekommen, wo er schließlich eine steile Karriere machen sollte. Im Alter von 25 Jahren wurde er von Microsoft angeworben.

Über Microsoft

Nachfolgende Analyse der Firma Microsoft entspricht einer (freien) Übersetzung des Artikels aus The Economist vom 24.10.2020

Als Satya Nadella in 2014 Chef von Microsoft wurde, hielt ein Foto den diesen historischen Moment fest. Es zeigt ihn neben Bill Gates und Steve Ballmer, dem Nachfolger von Bill Gates als CEO. Die beiden Vorgänger nehmen in lässiger Kleidung eine selbstbewusste Pose ein. Herr Nadella lächelt etwas unbeholfen. Er hatte einen Grund für dieses unbeholfene Lächeln. Die Firma war in schlechter Verfassung. Während Apple das iPhone erfand (Release: Januar 2007), Google und Facebook aus dem Silicon Valley aufstiegen, gab es keine wesentlichen Innovationen von Microsoft. Der Aktienkurs hatte sich jahrelang kaum bewegt. Als Nadella das Unternehmen übernahm, so formuliert Nadella es selbst, stellten Beobachter die Frage, ob Microsoft „es auf die andere Seite schaffen würde“.

Das ist ihm gelungen – mit Souveränität. Herr Nadella veränderte die Firmenpolitik zum Windows-Betriebssystem, es verlor den Status als Kernprodukt. Und er brachte Microsofts Software und Dienstleistungen auf andere Betriebssysteme, einschließlich „Open-Source“-Linux, aber auch auf Google und Apple. Am wichtigsten: Er stellte Microsofts Cloud-Computing-Arm Azure, der 2010 gestartet wurde, in den Mittelpunkt des Geschäfts. Das Ergebnis war ein zweistelliges Umsatzwachstum und eine Marktkapitalisierung von 1,6 Billionen US-Dollar.

Microsoft gelang es, sich neu zu erfinden. Keine einfache Aufgabe, wie das Beispiel von IBM und Oracle zeigt. Aber in der sich schnell verändernden Welt der Technologie hat Erfolg nicht lange Bestand. Das alte PC-Geschäft hat sich verlangsamt. Die Produkte der Firma sind nicht immer die besten oder beliebtesten. Azure wird von vielen Experten technologisch gegenüber dem Marktführer AWS als unterlegen gesehen. Viele Nutzer ziehen es vor, Videoanrufe mit Zoom zu führen und mit Slack zu chatten, anstatt Teams von Microsoft zu nutzen. In diesem Jahr gelang es Microsoft nicht, TikTok zu kaufen, was sein Endkundengeschäft mit der Spielkonsole XBOX und LinkedIn hätte ankurbeln können. Und Microsoft muss sich nicht nur mit Amazon, sondern auch mit jüngeren Technologieriesen wie Alphabet (der Muttergesellschaft von Google) und den chinesischen Unternehmen Alibaba und Tencent messen.

Der Erfolgsdruck ist immens. Seit der Übernahme durch Satya Nadella hat sich der Wert der Microsoft-Aktien mehr als verfünffacht. Sie werden jetzt mit dem 37-fachen des Gewinns gehandelt, ein höherer Multiple als jener von Alphabet, Apple oder Facebook (wenn auch unter dem Amazon-Multiple von 123 liegen). Das Unternehmen wird für Perfektion geschätzt, sagt Mark Moedler vom Forschungsunternehmen Bernstein. Und für weitere Expansion.

Herr Nadella erkennt die Herausforderung an. „Dies ist kein linearer Übergang“, sagt er. „Bei den ersten Umsatz-/Gewinn-Plateaus stellt sich dann die Frage: Mit welcher Idee lässt sich das Wachstum weiter vorantreiben?“. In dem Bemühen, dem Hype gerecht zu werden, entstaubt er alte Methoden – Bündelung und Lizenzierung. Es handelt sich allerdings um Instrumente, deren aggressiver Einsatz Microsoft Ende der 1990er Jahre Ärger mit den Kartellbehörden bescherte und ihm den Spitznamen „evil empire“ einbrachte. Es waren jene Jahre, als die Firma eine Zerschlagung nur knapp verhinderte. Kann also Microsoft weiter wachsen, ohne auf diese problematischen Methoden zurückzugreifen?

Bis 2014 hatte Microsoft fünf verschiedene Geschäftsbereiche. Drei davon machten den größten Teil des Gewinns aus: (1) Windows, (2) seine Office-Software (Excel, Word, PowerPoint und ähnliches) und (3) Programme zum Betrieb der Server in Rechenzentren und Unternehmensnetzwerken. (4) Unterhaltung und Hardware – beispielsweise die xbox – brachten ein bißchen Geld ein. (5) Online-Dienste wie die Bing-Suchmaschine und das MSN-Webportal steuerten keinen Gewinn bei.

Herr Nadella hat das Unternehmen strukturell neu aufgestellt. Heute lassen sich die etwa 20 Unternehmen von Microsoft drei großen Bereichen zuordnen: (1) Cloud, (2) Produktivitätssoftware und Geschäftsprozesse sowie (3) Personal Computing. Jedem Bereich wurde eines der etablierten umsatz-/margenstarken Produkte zugeordnet, nämlich Server, Office und Windows; hinzu kommen weitere wie Surface PCs, digitale Whiteboards oder die Business-Software Dynamics. Viele der Geschäfte drehen sich um Azure, das sich zum internen Computing-Backbone für Microsofts Anwendungen entwickelte, gleichzeitig zu einem Produkt für Kunden. Projekte im Frühstadium wie die Entwicklung von Quanten-Computing oder AR / VR sind keinem der drei Bereiche zugeordnet. Das gilt auch für Algorithmen der künstlichen Intelligenz (KI), die auf Daten von Bing, LinkedIn und anderen Orten trainiert werden.

Wenn eine dieser Entwicklungsprojekte im Frühstadium (mit Start-Up-Charakter) erfolgreich sein sollte, würden sie Microsofts innovativen Vorsprung erhöhen; hier wirkt Microsoft allerdings schwächer positioniert als Amazon oder Alphabet. Selbst wenn sich ein solcher Erfolg nicht einstellt, könnte Microsoft mit einem einfachen Rezept erfolgreich sein: Produkte kommerzialisieren, anstatt neue zu erfinden. Wie Insider witzeln, vermarktet die Firma niemals als erste, oft nicht als zweite, aber „hey, wir machen am Ende die Kohle“.

Letzteres trifft bekanntermaßen zu auf Excel. Das Programm war nicht die erste Tabellenkalkulation (erinnern Sie sich noch an Lotus 1-2-3?). Aber es wird von vielen Softwareingenieuren als das konsequenteste Programm angesehen, das je geschrieben wurde, zum Teil weil es so weit verbreitet ist. Etwa eine Milliarde Büroangestellte verwenden Microsoft Office oder Office365. Microsoft sollte hier noch Google hinterhinken, die mit der G-Suite als Erstes eine Software eingeführt hatten, die es unter anderem ermöglichte, dass mehrere Benutzer gleichzeitig an einem Dokument arbeiten konnten. Dennoch gilt: Microsoft kontrolliert 87,6% des Marktes für diese Software, Google hält einen Marktanteil von 11,5% (nach Gartner).

Um die Anwendung Teams zu stärken, hat Microsoft damit begonnen, Office365 kostenlos mit Office365 zu bündeln; im April 2020 hatte Teams 75 Millionen tägliche Nutzer. Unfair, sagen Rivalen; im Juli leitete der Konkurrent Slack eine Kartellklage gegen Microsoft ein. Der Rivale bezeichnet Teams als ein Nachahmerprodukt, das darauf abzielt, Slack zu verdrängen – so wie Microsofts Internet Explorer den konkurrierenden Webbrowser Netscape bezwang – was zur bekannten Auseinander mit den Kartellbehörden führte.

Entscheidend ist, dass Microsoft ein superschneller Verfolger im Cloud-Business war. Im Buch „Hit Refresh“ über die Transformation des Unternehmens beschrieb Nadella, wie AWS zu dem Zeitpunkt, als er die Firma übernahm, ein riesiges Cloud-Geschäft aufgebaut hatte – quasi ohne Konkurrenz. „Amazon führte eine Revolution an, und wir hatten noch nicht einmal unsere Truppen aufgeboten“, schrieb er.

In der Cloud steht Azure vor allem zwei großen Konkurrenten gegenüber – AWS und Google Cloud Platform. Zwei weitere relevante Player sind Oracle und Alibaba. Der Marktanteil von Microsoft ist stetig gestiegen, zuletzt auf 18%. Auch hier hat ihm die Zusammenarbeit von Microsoft mit den IT-Abteilungen der Unternehmen gute Dienste geleistet. Es dominiert immer noch weite Teile der Unternehmenssoftware, und fast vier von fünf Personalcomputern laufen auf Windows, ebenso wie 72% aller Server. Es kann Firmenkunden einen einzigen Preis anbieten, der Azure mit Office- und anderer Software bündelt. Auf diese Weise kostet Azure am Ende nur ein Fünftel so viel wie AWS. Und es ist einfacher zu benutzen als das Angebot von Amazon, dessen zahlreiche (und in Teilen überlegenere) Funktionen selbst einige IT-Profis überfordern.

Außerdem ist die Zusammenarbeit mit Microsoft für viele Kunden leichter zu schlucken als die Nutzung von Amazon-Produkten. Ein ehemaliger Manager stellt dies wie folgt dar: Azure verlor zwar beim technischen Vergleich mit AWS, gewann aber aus der Angst der Kunden, dass Jeff Bezos in seiner Expansionswut ihr Geld und ihre Daten nutzen könnte, um in ihren Markt einzudringen.

Azure will mit AWS in der Cloud gleichziehen oder gar überholen. Doch im Ranking von Gartner liegt Azure deutlich hinter AWS und ist in letzter Zeit abgerutscht. Microsoft hat seine globale Cloud-Infrastruktur dergestalt aufgebaut, dass diese zwar geografisch mehr Fläche abdeckt als AWS, aber bei geringere Dichte. Dies macht sie möglicherweise weniger zuverlässig, urteilt Gartner. Die redundante Kapazität reicht nicht aus, um mit dem Ausfall von Rechenzentren aufgrund schlechten Wetters oder anderer Probleme zurechtzukommen. Selbst ohne Unterbrechungen hat sich die Kapazität als problematisch erwiesen. Da die Nachfrage im Zuge der Pandemie sprunghaft angestiegen ist und Millionen von Home-Office-Büroangestellten in die Cloud wechseln, konnte Azure zeitweise nicht mehr mithalten. Microsoft-Teams erlitten im März einen Stromausfall. In diesem Monat führte Microsoft vorübergehende Ressourcenbegrenzungen für neue Azure-Abonnements ein. AWS hat keine Probleme dieser Art.

Microsoft kann es sich nicht leisten, dass Azure den Erfolgspfad verlässt. Es ist das, was den Aktienkurs von Microsoft antreibt. Es wird geschätzt, dass Azure nur ein Zehntel des jährlichen Betriebsgewinns von Microsoft in Höhe von 53 Milliarden US-Dollar ausmacht. Aber jedes Quartal ist die Wall Street darauf fixiert, wie schnell die Cloud von Microsoft wächst, stellt Heather Bellini von Goldman Sachs fest. In letzter Zeit waren Analysten enttäuscht, dass sich das Wachstum verlangsamt hat, von 59% im Jahresvergleich in den ersten drei Monaten des Jahres 2020 auf 47% von April bis Juni (Es ist hierbei ein gewisser Trost, dass sich auch das Wachstum von AWS in den letzten Quartalen verlangsamt hat).

Azure wird sicher durch neue Lizenzierungsregeln neue Impulse erhalten, ebenso wie Teams durch Bündelung. Bisher ließ Microsoft seinen Kunden die Nutzung seiner Software auf dedizierten Servern, die von AWS oder einem beliebigen Cloud-Provider betrieben werden, nach einer Policy namens „bring your own license“ (BYOL) zu. Diese Freiheit ermöglichte einen einfachen Wechsel. Man bedenken: Von aller Cloud-basierten Windows-Software laufen 57% auf AWS, fast doppelt so viel wie auf Azure.

Im vergangenen Sommer hat Microsoft BYOL abgeschafft und Beschränkungen für Kunden eingeführt, die ihre Software bei bestimmten großen Cloud-Providern einsetzen wollen. Wenn ein Kunde nach dem 1. Oktober 2020 Desktop- und Server-Programme bei diesen Cloud-Providern laufen lassen wollte, müsste er ein neues Abonnement kaufen, statt einer einmaligen Lizenz. Um nicht gegen das Kartellrecht zu verstoßen, hat Microsoft auch Azure neben AWS, Google Cloud Platform und Alibaba Cloud auf seine Liste gesetzt. Den Kunden wird jedoch separat ein besseres Angebot für den Wechsel zu Azure gemacht, was die zusätzlichen Kosten ausgleicht.

Amazon beklagt, Microsoft versuche einzuschränken, welche Cloud-Angebote Unternehmen nutzen können. Mehrere neutrale Beobachter stimmen dem zu: „Microsoft nimmt sein Arsenal an Windows Server, eine riesige installierte Software-Basis, und setzt es als Hebel gegen Konkurrenten ein“, sagt Raj Bala, Cloud-Infrastruktur-Experte von Gartner. Es ist das Gegenstück zu Herrn Nadellas offenerer Strategie, ergänzt Wes Miller von Directions on Microsoft, ein Forschungsunternehmen; im Rahmen dieser offeneren Strategie habe Nadella dem Softwarepaket Office den Wechsel zu Nicht-Windows-Geräten wie Apples iPad erleichtert. „Satya will die Leute glauben machen, er sei anders, aber er ist Microsoft der alten Schule, nur mit einem etwas weicheren Äußeren“, resümiert der Manager eines Rivalen.

Microsoft ist der einzige große Cloud-Anbieter, der auch viele Programme verkauft, die auf Clouds gehostet werden. „Gibt es eine Software, die Amazon oder Google entwickelt hat, die auf Azure läuft? – Gar nicht!“, erklärt Herr Nadella. Das gibt Azure auch einen großen Vorteil, den es auszunutzen gilt. Herr Nadella hat nicht die Absicht, den Fehler zu wiederholen, alle Windows-Workloads in die Wolke von Amazon wandern zu lassen, wie es schon früh geschehen ist. „Wir waren dumm, weil wir nicht erkannten, was vor sich ging“, sagt er. „Wir werden unser geistiges Eigentum auf jeden Fall auf ihren Wolken monetarisieren“.

Seitdem die Änderungen der Lizenzvergabe in Kraft getreten sind, hat Gartner mehrere hundert Anfragen dazu erhalten. Ein leitender Angestellter eines Fortune-500-Gesundheitsunternehmens, das AWS als Cloud-Anbieter ausgewählt hatte, konstatiert, dass die neuen Regeln jährliche Zusatzkosten von 100 Millionen US-Dollar bedeuten und das Unternehmen zwangen, die Migration in die Cloud zu verlangsamen. „Sie schreiben Lizenzbedingungen, um die Kunden glauben zu machen, ihre einzige Wahl sei Azure“, beklagt wiederum ein Vizepräsident eines mittelständischen Unternehmens in Wisconsin, das sich gezwungen sah, von AWS zu wechseln. „Es gibt kein Gesetz dagegen, aber es reduziert die Wahlmöglichkeiten“, fügt er hinzu. Ein IT-Chef einer anderen Firma aus dem Mittleren Westen vergleicht die neuen Regeln mit einem langen Leasingvertrag für ein Auto, bei dem „der Leasinggeber sagt, man könne nur Chevron-Gas verwenden, nicht BP oder Exxon“. Zwei der drei Kunden haben sich vorgenommen, über die Zeit Microsoft-Software aus ihren Stacks heraus zu nehmen.

Das ist das Risiko dieser Lizenzpolitik. Indem Microsoft zögerliche Kunden zu aggressiv an Azure heranführt, könnte es viele von ihnen von Windows abschrecken – oder möglicherweise eine massenhafte Missachtung von Regeln provozieren, die der Softwareriese dann durchsetzen müsste. Takeshi Numoto, Chief Marketing Officer von Microsofts kommerziellem Geschäft, erklärt: Das das Feedback, das Microsoft zur Wahl der Cloud-Anbieter nach den neuen Lizenzregeln erhält, sei positiv.

Wie sehr kommt Microsoft in Versuchung, jene Praktiken wiederzubeleben, die es Ende der 1990er Jahre in Schwierigkeiten gebracht haben? Nach der zermürbenden Auseinander mit den Kartellbehörden wird es wahrscheinlich vorsichtig vorgehen. Sollten die europäischen Kartellbehörden den Klagen von Slack (wenigstens in Teilen) Recht geben, könnte die Messaging-Firma einen ähnlichen Fall in Amerika vorbringen. Sollte dies geschehen, könnte Microsoft Zugeständnisse anbieten, um den Fall zu beenden.

Herr Nadella widerspricht dem Vorwurf, dass Microsoft über das Ziel hinausschießt. „Schauen Sie sich die Zahl der SAAS- und Infrastrukturunternehmen an“, sagt er – kaum ein Hinweis auf „ein Monopolunternehmen, das Monopolmieten einzieht“.

Zu seiner Verteidigung kann Microsoft sicherlich argumentieren, dass Azure überhaupt erst Wettbewerb in den Cloud-Computing Markt gebracht hat; AWS hat dort sonst womöglich ein Quasi-Monopol errichtet. Es ist bezeichnend, dass Herrn Nadella die Demütigung erspart blieb, vor einem Kartell-Unterausschuss des Kongresses auszusagen, der kürzlich die CEOs von Alphabet, Amazon, Apple und Facebook verhörte. Ein Kongressbericht über die digitale Dominanz von Big Tech hat Microsoft nicht erwähnt.

Die gegenwärtigen kartellrechtlichen Probleme von Google dürften Microsoft etwas Trost spenden. Der Fall könnte die Internetsuche aufrütteln und Microsofts Suchmaschine Bing zugutekommen. Bing ist ein Zwerg im Suchmaschinenmarkt, obwohl die Qualität der Suchergebnisse sich gar nicht so sehr von der Google-Suche unterscheidet. Jüngst wurde die Suchmaschine in Microsoft Bing umbenannt – möglicherweise ein Hinweis darauf, dass Microsoft seine Suchmaschine möglicherweise wiederbeleben möchte.

Herr Nadella blickt zuversichtlich auf das zukünftige Wachstum, seine frühe Unbeholfenheit ist längst durch eine berechtigte und entschlossene Zuversicht ersetzt worden. „Wir haben das Glück, in der Technologiebranche tätig zu sein, und die IT-Ausgaben werden in den nächsten zehn Jahren von 5% des BIP auf 10% steigen“, sagt er. Aber der Wettbewerb um diese IT-Budgets ist mörderisch. Microsofts Antwort – sich stark darauf zu verlassen, dass die Kunden nicht ausfallen – ist auf kurze Sicht überzeugend. Doch mit der Beschleunigung des Wandels in der Technologiebranche besteht immer das Risiko, dass sich Kunden letztlich für Innovation entscheiden und Loyalität gegenüber langjährigen Anbietern in den Hintergrund rückt. Microsoft wird früher oder später einen weiteren „Refresh“ benötigen.

Author

Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.