In der vergangenen Woche fand ein neuer Aufguss der Digitalmesse hub.berlin statt – zum ersten Mal seit 2019 wieder live und in Farbe. Und zwar an einem neuen Veranstaltungsort, deutlich kleiner (Aussteller, Besucher) und mit einem abgespeckten Veranstaltungskonzept. Hier gibt’s meinen „Besuchsbericht“ zu Messe und eine Antwort auf die Frage, ob sich ein Besuch (im nächsten Jahr) lohnt – auch im Vergleich zur konkurrierenden Digitalmesse „Digital X“.

hub.berlin 2022 – Ein paar Insights nach einem Tag auf der Digitalmesse

Das Themenspektrum war weit: Autonomes Fahren, Cyber Security, Metaverse, Cloud, Edge Computing, Klimawandel / Digitalisierung, Kreislaufwirtschaft / Digitalisierung, Quantencomputing und einiges mehr. Während also einerseits die Themenbreite dem Anspruch der Messe gerecht wurde, war andererseits die Tiefe der Auseinandersetzung in den Vorträgen nur befriedigend (und bisweilen: unbefriedigend) – zumindest bei den von mir besuchten Vorträgen, und auch andere Besucher sahen das ähnlich wie ich. Vorträge fielen zu generisch aus (vermutlich auch aufgrund eines zu eng gesetzten Zeitrahmens), über die Basic gelangten viele Vorträge einfach nicht hinaus. Die spannendsten Gespräche und Insights hatte ich folglich in One-on-Ones an den Ständen von Firmen oder in der Networking Lounge.

Besonders spannend war der Austausch zum Stand der Entwicklung rund um den Quantencomputer; der Marktführer IBM war da, ebenso das europäische Wettbewerber IQM (vgl. zur Kurzvorstellung den Blogpost 7 spannende Start-Ups rund um Quantentechnologie). IBM hatte eine schöne Virtual Reality DEMO zum Quantencomputer: Mit einem Tablet konnte man virtuell einen Quantencomputer betrachten, näher rangehen, Details betrachten etc. Sehr gut gemacht:

Das Photo von mir hat der Quantum Computing Ambassador auf dem Stand gemacht – ein toller Typ, dessentwegen ich eine ganze Weile dort an dem Stand verbracht habe. Ich war überrascht zu erfahren, dass IBM allein 300 (sic!!) solcher Ambassadors weltweit einsetzt, um dieses neue Geschäftsfeld voranzutreiben. Die Anzahl der Forscher und Entwickler in diesem Feld liegt in der Größenordnung von Tausend (Genaueres wollte oder konnte mir niemand verraten) – zum Vergleich: IQM (Europäischer Marktführer bei Supraleitungs-Quantenrechnern) hat ca. 180 Mitarbeiter (Gründung: 2018).

Im Rennen um den Quantencomputer hat IBM aktuell die Nase vorn: Der Quantenprozessor „Eagle“ hat 127 Qubits – und damit eine Größe erreicht, wo der Quantencomputer auch nicht mehr von einem traditionellen Supercomputer nachgeahmt / emuliert werden kann (Die Grenze liegt bei ca. 50 Qubits). Zum Vergleich: IQM hat aktuell einen 5-Qubit-Rechner, wird innerhalb des nächsten Jahres einen 20-Qubit Rechner releasen.

Nach der IBM-Roadmap wird innerhalb des nächsten Jahres den Quantenprozessor „Osprey“ herausbringen (über 400 Qubits), für etwa 2025 wird der Release von „Kookaburra“ angesetzt: Ein Quantencomputer mit über 4.000 Qubits. Klar ist: Im Gegensatz zu den Quantum Annealern sind die Quantencomputer auf Basis von Quanten-Gattern noch sehr fehleranfällig und instabil (aber in der potentiellen Leistungsfähigkeit den Quantum Annealern deutlich überlegen, vgl. dazu den Blogpost Quantentechnologie: Status Quo der Entwicklung und Bedeutung für die Praxis).

Dennoch gilt, dass der Stand der Entwicklung den Quantencomputer für die Industrie inzwischen interessant macht. Eine wichtige Aussage (in einem Vortrag von IQM): ”Hundreds of Qubits is enough for real World Problems“. Diese Quantenindustrie gewinnt folglich aktuell an Dynamik, stark gesucht sind etwa Algorithmen-Entwickler, die schon heute die Algorithmen für die Finanz-/Pharma-/Chemische Industrie entwickeln und dann bereitstehen, wenn die Quantencomputer die erforderliche Leistungsfähigkeit und Stabilität haben.

Der europäische Player IQM setzt im Wettbewerb mit IBM im Übrigen darauf, durch customized Quantenchips hoch-leistungsfähige Hardware-/Algorithmus-Solution-Pakete für Industrien zu entwickeln, denn das optimale Design eines Quantenchips, die Anordnung der Qubits (die Topologie) fällt je nach Problemlösung / Algorithmus äußerst unterschiedlich aus (special purpose chips). Folglich hat IQM Industrie-spezifische Entwicklungszentren europaweit aufgebaut, je ein Entwicklungszentrum (Finnland, Deutschland, Frankreich, Spanien) für je eine Industrie (u.a. Chemie, Finance, Aeropace).

Wer jetzt sofort einsteigen möchte: IBM bietet unter https://quantum-computing.ibm.com Zugang zu seinen Quantencomputern, hier kann sich jedermann/jederfrau ausprobieren. Die Einrichtung meines Accounts hat 5 Minuten gedauert. Die Entwicklung erfolgt in Python; und auf nachfolgender Webseite findet man übrigens alle mathematisch bewiesenen Algorithmen für Quantencomputer: www.quantumalgorithmzoo.org

Eine Erläuterung zu den Screenshots: CLOPS ist eine von IBM entwickelte Performance Metrik für Quantencomputing, nämlich: Circuit Layer Operations per Second

Last but not least noch der Hinweis: Auch der traditionelle Innovators Pitch hat auf der hub.berlin 2022 am ersten Veranstaltungstag stattgefunden. Hier die teilnehmenden Start-Ups und die Gewinner:

In der Kategorie “Cybersecurity”: https://deepsign.de/ (behavioural identification), https://psoido.com/ (WINNER, privacy enhancing technology), https://qo-jena.com/ (Verschlüsselungstechnologie)

In der Kategorie “Business Analytics”: https://tryformation.com/ (interaktive Karten), https://www.qbilon.io/ (IT Infrastruktur Analyse), https://stargazr.ai/ (WINNER, KI-basierte Unternehmensdatenanalyse für die Finanzabteilung).

hub.berlin 2022 – Hippe Event Location, handwerkliche Fehler bei Eventorganisation

Fangen wir einmal mit den positiven Dingen an: Die Location war hip, das Funkhaus Berlin (unweit der Rummelsburger Bucht) war direkt am Wasser gelegen: Während der Pausen konnte man im Schatten der Bäume mit Blick auf das Wasser ein tolles Ambiente tanken. Und auch im Innenbereich bot die Location eine hippe Abwechslung zu sterilen Messehallen. Auch der Check-In an Scanner-Automaten, einem COVID-Testbereich und -kontrollbereich war tiptop. Für Besucher gab es Schließfächer, um ohne unnötigen Ballast durch die Digitalmesse zu schlendern.

Aber schon kurz nach der Check-in Prozedur setzte Ernüchterung ein: Das WIFI war grauenvoll langsam; einer der Standbesitzer erklärte mir mit einer Prise Galgenhumor: „Um 8.00 Uhr war das WIFI super, … und dann kamen die Besucher.“ Wahnsinn, für eine Digitalmesse ein absolutes NoGo!

Das Verpflegungskonzept war von Benchmark (2018, 2019) auf Basics (2022) zusammengestrichen worden. Während man bei den Vorgängermessen mit einer Vielzahl von Essensständen und kostenfreiem Angebot einen Maßstab gesetzt hatte, musste man in diesem Jahr für jeden Snack die Bezahlkarte zücken (und folglich anstehen); die Food-Auswahl war überschaubar, ohne Highlights. Ganz schlecht.

Vor allem hat aber die hub.berlin 2022 inhaltlich an Qualität verloren; eigentlich wollte ich zwei Tage kommen, habe meinen Messebesuch dann auf einen Tag reduziert. Andere haben das ähnlich wahrgenommen, Geschäftspartner einer Innovationsagentur haben schon am ersten Tag nach dem Vormittag den Besuch abgebrochen – ziemlich enttäuscht. Viel weniger Firmen / Aussteller, keine Ausstellungsstände mit echten Highlights (z.B. VR-Erlebniszone oder Ähnliches); die Vorträge – wie bereits gesagt – inhaltlich zu einem großen Teil zu generisch, immer wieder habe ich mir die Frage stellen müssen, an wen sich diese Veranstaltung eigentlich richtet … muss man im Jahr 2022 in einem Vortrag noch jemandem erklären, dass es eine Verschiebung der Automobilumsätze von Verbrennern zu Elektrofahrzeugen gibt? – Tatsächlich hat Herr Diess tatsächlich genau das gemacht hat in seiner Eröffnungs-Keynote, die ich nach 10 Minuten auch ziemlich enttäuscht verlassen habe. Eine Teilantwort konnte ich mir selbst geben, denn die Messe fungierte in Teilen als Rekrutierungsmesse, darauf deuteten auch zahlreiche „Spot on Employer“-Events hin (u.a. Sopra Steria; Atlassian; …).

Und abschließend noch der Hinweis: Da wurden auch einige gravierende handwerkliche Fehler gemacht. Die zentrale Bühne („Surround Stage“) war im Zentrum der Digitalmesse angesiedelt, und in einem U-förmigen Ring um diese Bühne befanden sich die Ausstellungsstände. Alles Open Space … die Akustik bei den Keynotes (insbesondere im Randbereich) war deshalb, naja, „schwierig“: Ein Gebräu aus Vortrag, Stimmengewirr aus allen Richtungen. Und auf der zentralen Leinwand kein Bild / Close-Up des Redners – Herbert Diess folglich beim Eröffnungsvortrag schwer zu verstehen, kaum zu sehen und seine Message ein lauwarmer Aufguss von Allbekanntem. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe hohen Respekt vor seinem Track Record als Manager – aber für diesen Eröffnungsvortrag ist wirklich einiges schief gegangen. Gibt’s da keine Qualitätssicherung und Abstimmung im Vorfeld zu einer solchen Messe? – Das Recruiting von Nachwuchstalenten ist ja auch für VW superwichtig – aber dieser Auftakt dürfte nur wenige Besucher animiert haben, mal über eine Bewerbung bei VW nachzudenken.

hub.berlin 2022 – mein Fazit

Kurz: Die hub.berlin bekommt von mir insgesamt die Schulnote 3- (drei minus). Ich glaube nicht, dass ich nächstes Jahr nochmal hingehe – auch wenn die Messe für mich als Wahlberliner direkt vor der Haustür liegt.

Es spricht Vieles dafür, dass die Digital X 2022 das Rennen macht. Im letzten Jahr hat die Digital X 2021 sogar einige Auszeichnungen erhalten, und zwar vom BEA World Festival (Auszeichnung in den Kategorien Kreativität, Innovation, Nachhaltigkeit, Diversität) und vom HEAVENT Award in Cannes.

Zum Weiterlesen

  • „Digitalpolitische Agenda 2030: Ideen für ein innovatives Deutschland“ – Key Messages auf der Digitalkonferenz am 09. Juni 2021
  • Digital X 2019: Hotspot für Digitale Innovation und Digitale Transformation
  • Brauchen wir European Champions in der Digitalwirtschaft? – Antworten auf der HUB BERLIN 2019
  • Workshop hub.berlin 2019: Künstliche Intelligenz in der Bildenden Kunst – Ein Projektbericht
  • Author

    Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.