Wer sich dafür entscheidet (oder kurz vor der Entscheidung steht), einen IT Offshore Entwicklungsstandort zu eröffnen, setzt sich typischerweise mit der Frage auseinander, wie er Fluktuation minimieren kann. Hierbei geht es um Produktivität, KnowHow-Sicherung und Planbarkeit. Nachfolgend ein Überblick zu den wichtigsten „Hygiene“-Faktoren, Tipps & Tricks, um die Fluktuation so gering wie möglich zu halten.

Erstens, wenn Sie sich mit Unternehmen unterhalten, die bereits IT Offshore- oder Nearshore-Standorte betreiben, dann werden Sie eine Antwort sehr oft hören: Entwickler wollen an interessanten Projekten arbeiten, Entwickler wollen mit modernen Programmiersprachen und modernen Frameworks arbeiten, denn es geht um deren Zukunft bzw. deren „Arbeitsmarktfähigkeit“. Kein Unternehmen sollte sich darum wundern, wenn es eine hohe anhaltende Fluktuation in einem Maintenance-Projekt in Delphi gibt (vgl. dazu auch: Die wichtigsten Programmiersprachen und Frameworks).

Zweitens, ebenso naheliegend ist es, dass Entwickler Wert darauflegen, dass sie bei einem interessanten Unternehmen arbeiten. Gibt es eine überzeugende Unternehmensvision, gibt es einen überzeugenden Purpose, wie gut ist ihr Mitarbeitermarketing? Gute Entwickler können sich im Zeitalter der Digitalökonomie aussuchen, bei wem sie arbeiten möchten; das gilt nicht nur in Industrieländern (Hochlohnländern), sondern in gleicher Weise in Nearshore und Offshore Standorten.

Drittens, es folgt im Grunde aus dem vorher Gesagten: Entwickler wollen eine Perspektive haben, und hier bietet sich als Instrument an, in den Appraisals einen Karrierepfad zu definieren, Schulungsmaßnahmen festzulegen, Perspektiven aufzuzeigen und überzeugend darzulegen, dass Mitarbeiter wertvolle Skills entwickeln in ihren Projekten, in ihrer Firma. Es ist meine Erfahrung, dass bei vielen deutschen Mittelständlern die Mitarbeiterentwicklung nur halbherzig gemacht wird, es nimmt dann kein Wunder, wenn eben diese Personalarbeit auch an IT Nearshore oder Offshore Standorten vernachlässigt wird. Die Categis GmbH etwa führt halbjährlich Appraisal-Meetings durch, hier werden Meilensteine definiert und Fortschritte gemessen. Hier wird eine Perspektive entwickelt.

Viertens, wir verbringen ja typischerweise relativ viel Zeit in einer Firma, am Arbeitsplatz. Sorgen Sie dafür, dass die Zusammenarbeit gut funktioniert, dass die Teamzusammensetzung für gute Stimmung im Team sorgt, investieren Sie in Teambuilding. Für gute Stimmung zu sorgen, ist ja bekanntermaßen nicht immer trivial: Läuft die Kommunikation zwischen Entwicklern und Testingenieuren weitgehend konfliktfrei, fühlen sich Entwickler (die bisweilen ein eher künstlerisches Selbstverständnis haben) gegebenenfalls zu sehr bevormundet von deren Teamleiter, undsoweiter. Ich habe es erlebt, dass Mitarbeiter kündigen, weil sie im Team nicht zurechtgekommen sind; ich habe es auch erlebt, dass eine hohe Bindung entstanden ist, weil es einen exzellenten Teamzusammenhalt gegeben hat. Hier gibt’s keine pauschalen Tipps, da ist langjährige Menschenkenntnis und gutes Beobachtungsvermögen gefragt; und da (deutsche) Manager von IT Offshore und Nearshore Entwicklungszentren selten dauerhaft vor Ort sind, ist es außerordentlich wichtig, eine Vertrauensperson vor Ort zu haben, die eben diese Rolle eines klugen Teammanagements übernimmt.

Fünftens, Entwickler in Indien, in der Ukraine oder in Rumänien sind keine „Hilfsarbeiter“ oder „Entwickler 2ter“ Klasse, nur weil deren Löhne geringer sind. Die Niedriglohnverhältnisse ergeben sich häufig aus geringeren Lebenshaltungskosten, etwa in Indien aufgrund eines unerschöpflichen Angebots an niedrigqualifizierten Arbeitskräften in Wirtschaftsbereichen wie Bau, Gastronomie, Haushaltshilfe, etc. Es ist wichtig, dass man Entwicklern an Offshore/Nearshore Standorten mit Wertschätzung begegnet, Kommunikation muss auf Augenhöhe erfolgen.

Sechstens, bezahlen Sie ihre Mitarbeiter*Innen gut. Eigentlich ein no-brainer. Wenn Sie ein loyales, gut eingespieltes Team haben, zahlen Sie Löhne, die etwas über dem Markt liegen. Dieses Extra-Invest lohnt sich.

Siebtens, lassen Sie sich nicht überraschen. Führen Sie ein konstantes Monitoring der Zufriedenheit und Lebenssituation ein, damit Sie rechtzeitig reagieren können. Man findet nicht für alle Auslöser von Fluktuation eine Antwort, aber in manchen Fällen kann man den Verlust eines Mitarbeiters/einer Mitarbeiterin verhindern. Wenn in einer Stadt wie Bangalore einer der großen IT Dienstleister ein Großprojekt akquiriert hat, dann laufen die Telefonleitungen heiß; dann werden auch hohe Eintritts-/Wechselprämien gezahlt, dieses „Spiel“ sollte man nicht mitspielen, da sonst die ganze Gehaltsstruktur verzerrt wird. In diesem Fall können Sie Mitarbeiter, die etwa 70% (sic!) mehr Gehalt geboten bekommen, nicht mehr halten. Wenn aber eine andauernde Konfliktsituation im Team die Stimmung kaputt macht (vgl. oben), dann können Sie sehr wohl reagieren und das Risiko einer Fluktuation eliminieren.

Achtens, binden Sie auch die Familie mit ein in das Unternehmensgeschehen (vor allem in Ländern wie Indien): Laden Sie die ganze Familie zu Jubiläumsfeiern ein, machen Sie eine Mitarbeiterzeitschrift einem Quiz für die Kleinen oder machen Sie einen Tag der offenen Tür.

Neuntens, bevor Sie einen Standort gründen, machen Sie sich bewusst, dass First Tier-Cities (z.B. Bangalore, Hyderabad in Indien) eine höhere Fluktuation aufweisen als etwa 2nd or 3rd Tier-Cities wie Kochin, Ahmedabad oder Madras.

Zehntens und abschließend: Prävention gegen Fluktuation beginnt natürlich bereits bei der Personalauswahl. Sie sollten eine kluge Auswahl bei Einstellungen treffen und „Job Hopper”-Profile vermeiden, vgl. dazu den Artikel IT Offshore Teams managen: Die richtige Teamauswahl.

Zum Weiterlesen: IT Offshoring nach Indien: Vorteile, Nachteile der verschiedenen Optionen

Author

Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.