Carl Benedikt Frey ist kein Unbekannter: Der Buchautor, Ökonom und Wirtschaftshistoriker an der Universität Oxford hat mit seiner Veröffentlichung The Future of Employment vom September 2013 (zusammen mit Michael Osborne) die Weltöffentlichkeit aufgeschreckt. In der Studie untersucht er etwa 700 Jobprofile und kommt zu dem Schluss, dass 47 Prozent der heutigen Jobs in absehbarer Zukunft automatisiert werden können bzw. könnten. Diese Studie zählt zu den meistzitierten wissenschaftlichen Papieren, wenn es um die Diskussion des Arbeitsmarktes in der Digitalen Ökonomie geht.

Nun legt Carl Benedikt Frey erneut ein Buch vor, nämlich “The Technology Trap. Capital, Labor, and Power in the Age of Automation“. Darin greift er auch seine Thesen aus dem Jahr 2013 auf und untersucht als Ökonom die Effekte auf Arbeitsmarkt und die Wirtschaft. Im Hauptteil des Buches widmet er sich als Wirtschaftshistoriker allerdings einer ganz anderen Frage. Er stellt nämlich zunächst fest, dass die herrschende Elite während eines Großteils der Menschheits-/Wirtschaftsgeschichte technologischen Fortschritt eher ausgebremst statt gefördert hat. Dass im England des späten 18ten Jahrhunderts die Erste Industrielle Revolution ihren Anfang nehmen konnte, ist auf eine besondere historische Konstellation zurückzuführen. Zusammengefasst gilt: Die Machtverhältnisse hatten sich dahingehend verschoben, dass die herrschende Elite ein Interesse an der Industriellen Revolution hatte, und zwar im Hinblick auf eine Sicherung der Position Englands als Handelsmacht im Wettbewerb mit anderen (europäische) Nationen.

Man mag als Ökonom einfach begründen können, dass technologischer Fortschritt die Produktivität erhöht und damit den Wohlstand erhöht. Bekanntermaßen hat sich das Pro-Kopf-Einkommen in der Menschheitsgeschichte vor dem Jahre 1750 alle 6.000 Jahre verdoppelt, danach bereits alle 50 Jahre; und dies hat sich weiter beschleunigt. Dennoch gibt es bei technologischem Fortschritt immer Verlierer: Bei der Einführung der mechanischen Webstühle waren dies die Weber, bei der Einführung der elektrischen Straßenbeleuchtung waren es die Lampenanzünder. Dies führte zu Aufständen, Protesten, Unruhen, die Maschinenstürmer im England der Industriellen Revolution sind den meisten ein Begriff. Weil die Herrschaftselite zu allen Zeiten um das Konfliktpotential wusste, stand sie in der Regel technologischem Fortschritt ablehnend gegenüber; in Einzelfällen wurden Erfinder sogar zum Tode verurteil, um das Risiko einer Verbreitung auszuschließen.

Der Autor Frey geht mit dem Leser durch die Wirtschafts-/Technologiegeschichte und zitiert zahlreiche Beispiele, aus verschiedenen Epochen, aus verschiedenen Regionen. Beispiel Habsburger Reich: “To avoid the threat from below, Francis I blocked the construction of new factories in Vienna in 1802 and banned the importation and adoption of new machinery until 1811. When plans were put before him for the construction of a steam railroad, he responded: No, no, I will have nothing to do with it, lest the revolution might come into the country. Consequently, railroad carriages in the Habsburg Empire were long drawn by horses.” (85) Beispiel Russland: “Tsar Nicholas I similarly feared that the spread of the mechanized factory in Russia could undermine his leadership. To slow down the pace of progress, industrial exhibitions were banned.” (85). Beispiel Drittes Reich: “the return of preindustrial policies, which sought to restrict the use of machinery. IN Danzig, were the Nazi Party won over 50 percent of the votes that year, such efforts became a major priority.” (S. 12). Beispiel Osmanisches Reich: “Fearing that a literate population would undermine his leadership, Sultan Bayezid II issued an edict banning printing in the Ottoman Empire in 1485, with dismal long-lasting consequences for literacy and economic growth in the region.” (S. 17)

Der heutige Massenwohlstand ist gleichwohl kein unmittelbares Ergebnis der Industriellen Revolution gewesen; eben dieses Argument ist aus dem Diskurs über die Digitale Revolution nicht unbekannt, aber der Autor Frey taucht mit seiner Leserschaft sehr tief in die Wirtschafts-/Politikgeschichte ein, um die Entwicklung im Einzelnen entlang der Zeitleiste transparent zu machen. Wer profitierte vom technologischen Fortschritt, wer zählte zu den Verlierern und welche politischen Antworten auf den Widerstand der Verlierer wurden entwickelt. Fakt ist: Die Erste Industrielle Revolution hat in England zu Beginn viele Verlierer geschaffen, und zwar Hunderttausende, eher Millionen von Verlierern:

Die mechanischen Webstühle und andere Maschinen zerstörten die Einkommensmöglichkeiten von Handwerkern, für die damalige Mittelschicht gingen die Arbeitsplätze verloren. Die mechanischen Webstühle waren damals spezifisch für Kinder ausgelegt, die die Arbeit zu einem Bruchteil der Kosten eines Erwachsenen erledigen konnten und zudem keine Verhandlungsmacht besaßen. Trotz des Anstiegs der Produktion stagnierte darum das Realeinkommen oder fiel sogar. Es sollte etwa 2 Generationen dauern, bis sich die Verhältnisse verbesserten. Massenwohlstand im Verlauf der Industriellen Revolution(en) war erst das Ergebnis einer Umgestaltung des Wirtschaftssystems: Der Wohlfahrtsstaat entstand, das Bildungssystem ermöglichte die Partizipation am Produktivitätsfortschritt, den die Maschinisierung mit sich brachte.

Frey weist darauf hin, dass sich die Situation in der Gegenwart bereits wieder ähnlich darstellt (er ist gleichwohl weniger optimistisch, was die Entstehung neuer gutbezahlter Jobs in der Zukunft angeht): Die Automatisierung, die in 1980ern mit der Computerrevolution eingesetzt hat, machte bereits Hunderttausende Mittelschicht-Jobs obsolet, Frey stellt nüchtern fest: “Only half of Americans born in 1980 are economically better off than their parents, compared to 90 percent of those born in 1940.” (S. 10) .

Ebenso wie zu Zeiten der Ersten Industriellen Revolution mag langfristig (sic!) die Mehrheit vom technologischen digitalen Fortschritt in Form von höherem Wohlstand profitieren. Dabei ist zum einen entscheidend, wie schnell / flexibel die Arbeitnehmerschaft in diesem Strukturwandel aus einem wegdigitalisierten Job in einen neuen Job wechseln kann. Zum anderen ist entscheidend, dass die Politik eine Antwort findet für die kurzfristigen Verlierer des Strukturwandels. Ein no-brainer, sollte man meinen. Aber tatsächlich tut sich die Politik schwer, adäquate Antworten zu finden. Im schlimmsten Fall führt das zum Widerstand: „According to a Pew Research Center survey, 85 percent of Americans now favor policies to restrict the rise of the robots.” (S. ix)

Viel Spaß beim Lesen!

“The Technology Trap. Capital, Labor, and Power in the Age of Automation“ von Carl Benedikt Frey (Princeton University Press, 370 Seiten, 27 Euro).

Author

Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.