Matthias Horx, Publizist und Unternehmensberater, Trend und Zukunftsforscher, hat ein neues Buch herausgebracht (Ende 2019): “15 ½ Regeln für die Zukunft. Anleitung zum visionären Leben“. Der Autor setzt sich darin schwerpunktmäßig mit Digitalisierung auseinander. Dabei bezieht er eine erfrischende Position, mit gut gelaunter Gelassenheit führt er einer bisweilen betriebsblinden Technikerzunft die Grenzen von Digitalisierung vor Augen. Nüchtern bezweifelt er die These von einer Exponentialität der Innovationsdynamik, stellt Überlegungen zu Nutzerakzeptanz und -mehrwert von technischen Visionen an, auch sieht er auf absehbare Zeit kein Szenario von massiven Jobverlusten.

Seine Stimme zeichnet eine alternative Zukunft zu den Visionen, die wir aus einer reinen Perspektive der technischen Machbarkeit erhalten, etwa von einem „Digital Evangelist“ wie Karl-Heinz Land. Matthias Horx liefert nachvollziehbare Argumente, die eine totale digitale Disruption relativieren. Inwieweit der Autor mit allen Punkten recht behält, wird die Zukunft zeigen; Das dürfte ihm bewusst sein. Aber seine Stimme ist eine wohltuende Ergänzung zu den überschwänglichen Enthusiasten sowie den Schwarzsehern unterschiedlicher Couleur.

Gleich zu Beginn seines Buches betrachtet er das, was er den „Akzeleratismus“ nennt. Die These, dass sich alles immer mehr beschleunige, das bekannteste Argument hierfür ist das Moore’sche Gesetz, wonach sich die Rechengeschwindigkeit von Computerchips alle 18 Monate verdoppelt. Der Autor weist darauf hin, dass eben dieses Gesetz nun an seine Grenzen stoße. Und überhaupt müsse man differenzieren, auf welcher Ebene sich die Dinge beschleunigten. Die Kommunikation ja, Mail, Chat, Social Media, Instagram – die Konnektivität habe hier tatsächlich massiv zugenommen und zu einer überwältigenden Gleichzeitigkeit geführt. Aber die Welt verändert sich nicht im Rhythmus unserer WhatsApp Konversationen. Die sich überlagernden Systeme unseres Wirtschafts- und Gesellschaftslebens hätten alle unterschiedliche Rhythmen: Handel und Mode veränderten sich schnell (schon immer), die Natur und Kultur dagegen sehr langsam. Politik und Infrastruktur wiederum in mittlerem Tempo. Wer durch die Straßen einer Stadt flaniere, könne sehen, wie sich dort Altes und Neues vermischen, wie schnell sich die Dinge tatsächlich von heute auf morgen veränderten.

Und er setzt der Konnektivität-erzeugt-Beschleunigung-These der Systemtheoretiker eine bemerkenswerte These entgegen: Die Konnektivität und Komplexität der Welt entschleunigt viele Prozesse. Das ist durchaus logisch: Je mehr die Dinge miteinander verknüpft sind, desto mehr Redundanzen entstehen. Jeder kennt den Effekt, wenn ein Unternehmen – oder eine Familie – immer mehr Vernetzung einführt. Entscheidungswege werden langsamer. Alles wird unendlich wiederholt, durchgekaut, auf endlosen Sitzungen hin- und hergewendet. Vernetzung kostet Geschwindigkeit. (S. 60).

Und der These einer Exponentialität der Innovationsdynamik (z.B. durch Ray Kurzweil) hält er entgegen: Erstaunlich viele Innovationsforscher behaupten, heute gebe es weniger Innovation als früher, jedenfalls weniger echte Innovation. (…) Der massive Einsatz von Computertechnik führt in manchen Branchen zu einer Überinformationalisierung – und zu einem Effekt, der der Beschleunigung genau entgegen gesetzt ist. So ist etwa die Anzahl zugelassener Medikamente pro Jahr weltweit gesunken, trotz immer weiterer verfügbarer Daten. Liegt es daran, dass Fehler besser herausgefiltert werden? Nein: Der Grund ist vielmehr mangelnde Improvisations- und Experimentierfreudigkeit, da man sich allein auf Daten verlässt, was Zufallsergebnisse verhindert (man denke an den Zufallsfund Penicillin). Auch die Zahl der gesicherten Patente und wissenschaftlichen Forschungsveröffentlichungen sinkt derzeit.“ (S. 60ff).

Klar ist: Das widerlegt die Digitalisierung nicht, es grenzt aber den Einflussbereich etwas ein. Horx weist auch darauf hin, dass wir uns gegenwärtig in einem evolutionären Prozess befinden, wo sich manche Ideen durchsetzen, manche eben nicht. Von den heute formulierten Zukunftsvisionen werden sich eben nicht alle durchsetzen. Eigentlich ein No-brainer, aber im Hype der Diskussion über Digitalisierung geht das bisweilen verloren. Das Autonome Fahren etwa kommt nicht etwa in den nächsten Jahren, sondern eher in der ein bis zwei Jahrzehnten. Und auch der Hype um das Car Sharing ist abgeebbt: Open, Mazda, Citroen haben sich bereits vollständig aus dem Markt zurückgezogen, Ende 2019 haben auch Daimler und BMW ihr Engagement deutlich zurückgestutzt.

Horx führt in seinem Buch einige Überlegungen zu Nutzerakzeptanz verschiedener digitaler Angebote aus, gibt also einen weiteren Ausblick auf den evolutionären Prozess. Ganz klar formuliert er: „Die Vorstellung eines von Robotern betriebenen Pflegeheims ist eine Horrorvorstellung.“ (S. 99) Aber auch zu sozialen Robotern im Allgemeinen weist er auf das „Uncanny-Valley-Syndrom“ hin: Werden diese Roboter immer humanoider, so zeigen Ergebnisse aus der Roboterpsychologie, dass Menschen darauf mit tiefer Irritation reagieren. Diese Akzeptanzgrenze mag sich verändern (die Akzeptanz humanoider Roboter ist in Japan beispielsweise sehr hoch), aber kurzfristig bildet dies eine Hürde für den Markt der sozialen Roboter. Sagt Horx.

Auch bei Produkten rund um das Smart Home ist der Autor skeptisch. Er hat eigens ein „Future Evolution House“ (vgl. www.zukunftshaus.at) eingerichtet, wo zahlreiche Smart Home Features implementiert sind. Sein Fazit: „Nach meinen Erfahrungen entsteht bei zunehmender Heim-Automatisierung ein Displacement Gefühl. Man fühlt sich plötzlich unbehaust, überflüssig. Ein automatisiertes Haus zeichnet sich dadurch aus, dass es autonom funktionieren kann. Es braucht den Menschen eigentlich nicht mehr.“ (S. 124). Und: „Smart Homing ist in Wahrheit eine Funktion für Einsame. Für Alleinlebende, die zu viel zu tun haben, um wirklich zu Hause zu sein.“ (S. 125).

In punkto Zukunft der Arbeit vermutet der Autor, dass es nicht zu massiven Jobverlusten kommen wird wegen KI (damit bewegt er sich im Spektrum der Prognosen ganz klar im konservativen Lager, die keinen disruptiven Effekt sehen; das bleibt eine gewagte These). Vielmehr sieht er ein neues Prekariat entstehen, es entstehen neue, weniger anspruchsvolle Billigjobs an der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschinensystemen: Uber-Fahrer, Fahrradkuriere, undsoweiter. Und natürlich werden die alten, stabilen Arbeitsplätze verschwinden. In dieser Analyse stimmt er überein mit Sascha Lobo, der sein Buch ”Realitätsschock“ nur weniger Monate vor Horx veröffentlicht hat.

Es ist richtig, dass der Autor Horx einer unkritischen Technikgläubigkeit einen Kontrapunkt entgegen setzt. Gleichzeitig müssen wir anerkennen, dass einige digitale Geschäftsmodelle bereits heute – nach der ersten Welle der Digitalisierung (Internet) und zu Beginn der zweiten Welle – maßgeblich unser Wirtschafts- und Gesellschaftsleben prägen: Internet, Smartphones, Facebook, WhatsApp, Instagram, Cloud Computing, Alexa, Siri, Echo, Amazon, Google Maps, Google, twitter und einige mehr. Deutsche Marken/Unternehmen sucht man in dieser Aufzählung vergeblich. Amazon (inklusive Amazon Marketplace) hatte bereits 2017 einen Marktanteil am Online-Handel von 46% in Deutschland (!). Tendenz steigend. Gleichzeitig gilt: In vielen dieser Produkte/Dienstleistungen ist KI enthalten (z.B. Amazon, Google, Alexa, Siri).

Der Autor mag das Potential von KI für übertrieben halten, oder auch den möglichen Erfolg der chinesischen KI-Initiative (vgl. „AI-Superpowers. China, Silicon Valley und die Neue Weltordnung“). Nun gilt aber: Auch der Autor Horx hat keine Glaskugel, um eine belastbare Prognose über den Technologie Stack der Zukunft abzugeben. Es erscheint mir darum fahrlässig, wenn er sich mokiert über Forderungen wie: “Wir müssen gegenüber China und Amerika endlich konsequent auf künstliche Intelligenz
setzen!“
(S. 26). Ich meine: Doch, das müssen wir!

Es ist die Pascal‘sche Wette des 21ten Jahrhunderts: Es mag sein, dass das Potential von KI im gegenwärtigen Hype überschätzt wird. Für den (mehr oder weniger wahrscheinlichen) Fall aber, dass die Bedeutung von KI auch nur annähernd den heutigen Erwartungen entspricht, können wir es uns als Volkswirtschaft nicht leisten, nicht dabei zu sein. Wir brauchen darum (als Europa) eine strategische Antwort auf die Wucht, mit der die USA und China ihre Dominanz in der digitalen Ökonomie ausbauen.

“15 ½ Regeln für die Zukunft. Anleitung zum visionären Leben“ von Matthias Horx (Econ / Ullstein Buchverlage GmbH, 330 Seiten, gebundene Ausgabe, 25 Euro).

Hinweis: Der Autor Matthias Horx tourt mit dem Inhalt seines neuen Buches aktuell durch die DACH-Region. Hier gibt’s wesentliche Inhalte seines Buches in vorgetragener Form:

Author

Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.