Die Chipkrise ist nahezu täglich in den Schlagzeilen, und inzwischen kennt fast jeder mindestens einen Bekannten, der betroffen ist von monatelangen Wartezeiten bei Neufahrzeugen insbesondere – aber natürlich auch PlayStation 5, Xbox Series X, Smartphones, Waschmaschine, Wäschetrockner, Geschirrspüler, Kühlschränke, Marken-Fahrräder, Drucker, PC-Karten, sogar Rasenmäher. Da ich seit einigen Jahren autofrei bin (in Berlin geht das ziemlich gut), war das bislang auch gar kein Aufregerthema für mich. Aber dann hat’s mich doch erwischt! Nämlich beim Kauf eines neuen Digital Pianos. Oder sagen wir: fast erwischt …

Nach einem sorgfältigen Auswahlprozess mit Probespielen, Soundcheck, Anschlagdynamik und derlei mehr hatte ich mich klar für das KAWAI CA-59 aus der Concert Artist-Serie entschieden. Was heißt entschieden? Es war vielmehr Liebe auf den ersten Blick: Das oder keins! Ich war bereit, den Bestellzettel auszufüllen. Tja, aber mein Fachberater im Flagshipstore von www.justmusic.de holte nicht etwa freudestrahlend das Bestellformular heraus, sondern erklärte etwas zerknirscht, KAWAI hätte die Chipkrise voll erwischt. Kurz: Leider könnte ich mit einer Lieferung erst im Frühjahr 2023 (!) rechnen. – Oh Gott!

Ein Jahr warten auf ein Instrument, in das ich mich gerade frisch verliebt hatte?! – Never!! Ich war erstmal bereit, flexibel bei der Farbe zu sein. Lila, rosa – war mir alles egal. Aber der Blick in den Lagerbestand zeigte: Nichts. Total ausverkauft! – Ich war erstmal völlig fertig. Dabei hatte es so gut angefangen, mein Berater war wirklich toll, sehr kompetent, er hat mir zu diversen Modellen von Roland, Yamaha, Casio und mehr eine ganze Reihe spannender Details und Fakten erzählt, mir einen tollen Überblick gegeben. Vermutlich war das auch für ihn unglaublich frustrierend, etwas zu verkaufen, was es eigentlich gar nicht (mehr) gibt.

Als ich aus dem 4-stöckigen Musikstore raus war, ruhten meine Hoffnung auf dem World Wide Web, das mich ja theoretisch mit jedem Menschen in Verbindung bringen kann, der womöglich noch ein KAWAI C-59 im Lager oder Keller stehen hat. Es mochte ja sein, dass Just Music das Modell nicht mehr auf Lager hatte, aber irgendwo gab es noch eines. Bei den meisten Online-Shops der Hinweis: „nicht erhältlich“, „auf Anfrage“, „bestellt“ oder Ähnliches. Noch auf dem Rückweg in der S-Bahn schrieb ich ein Dutzend Musikhäuser an. Zwar trudelten im Verlauf des Nachmittags die Absagen ein, aber meine unermüdliche Suche wurde belohnt: Ein Musikhaus in Hamburg hatte just noch ein Exemplar reinbekommen (wie unglaublich!) … der Verkäufer wolle nur noch prüfen, ob hierfür bereits eine Reservierung vorliege oder nicht. Und dann: Ja! Nein! Also Ja – es klappt. Und: Nein – keine Reservierung! Bäm! Happy End. Inzwischen steht’s bei mir im Wohnzimmer. Und die Liebe hat gesiegt.

Digitale Pianos versus Akustische Klavier

Die Entwicklungsdynamik bei Digitalen Pianos ist wirklich beeindruckend. Ein gutes Digitalpiano in der Preisklasse ab 2.000 EUR ist inzwischen eine gute (bis bessere Alternative) zu Einstiegsmodellen bei Akustischen Klavieren. Warum? Das KAWAI C-59 etwa bietet das Klangspektrum von 3 Flügeln (Shigeru Kawai Flügel SK-EX, Kawai EX und Shigeru Kawai SK-5), und zwar auf ONKYO Premium Audiotechnologie. Hinzu kommt eine Anschlagdynamik, die sich von einem „echten“ Klavier kaum noch unterscheiden lässt: KAWAI simuliert bei diesem Modell die Anschlagsdynamik nicht mehr, sondern nutzt tatsächlich echte Holztasten. Im KAWAI-Marketing-Sprech hört sich das so an:

“Das Modell CA59 ist mit der neuen Grand Feel Compact Mechanik mit Holztasten ausgestattet, die – dank der 90-jährigen Erfahrung von Kawai im Klavierbau – ein außergewöhnlich realistisches Spielgefühl ermöglicht. Alle 88 Tasten sind komplett aus langen Holzteilen gefertigt, wobei die weißen Tasten – zur Optimierung der Spielkontrolle – mit Ivory Touch Belägen versehen sind. Jede der 88 Tasten bewegt sich sanft auf einem Waagebalken, wie man es von einem akustischen Flügel kennt. Dank der langen Tasten (insbesondere der Länge von der Tastenvorderkante bis zum Waagebalkenstift) wird das Spiel im hinteren Bereich der Tasten erleichtert.“

Werden Digitale Pianos auf absehbare Zeit die Akustischen Klaviere verdrängen? Im Fotographie-Bereich hat die Digitalkamera ja tatsächlich die Analogkamera in Nischenbereiche verdrängt (Liebhaber, Kunst). Ungefähr um das Jahr 2000 herum etablierten sich digitale Kameras. Im Heimanwenderbereich haben sich Digitalkameras ab etwa 2003 durchgesetzt; einige Jahre später setzten sich auch im Bereich der Spiegelreflexkameras digitale Geräte durch. Klar ist aber: Eine solche Verdrängung wird beim Klavier / Flügel nicht passieren. Fotographie ist 2D, Klang ist ein hochkomplexes 3D Phänomen. Ein Steinway Flügel lässt sich auf absehbare Zeit nicht von einem Digitalen Flügel ersetzen.

Aber es gibt natürlich viele Gründe für Digitale Pianos: Gerade für Einsteiger liegt die finanzielle Einstiegshürde deutlich niedriger. Während sich in der Preisklasse 2.000 bis 2.500 EUR qualitativ hochwertige Modelle finden lassen (Klang, Anschlagsdynamik), kosten Einstiegsmodelle Akustischer Klaviere in der Größenordnung 3.500 EUR und mehr (Beispiel: Yamaha b1 PE: ca. 3.700 EUR). Wer den Klang eines Flügels haben will: Das Einstiegsmodell Kawai GL 10 E/P Grand Piano liegt bei ca. 11.000 EUR, das Einstiegsmodell bei Yamaha C 1 X PE Grand Piano bei ca. 23.000 EUR. Neupreise, versteht sich. Gebraucht geht’s natürlich günstiger.

Mindestens so entscheidend wie der Kaufpreis sind andere Faktoren: Wer ein Akustisches Klavier hat, muss auf Temperatur und Luftfeuchtigkeit im Zimmer achten, es braucht einen Klavierstimmer von Zeit zu Zeit. Der Umzug des Instruments von einem Zimmer ins andere ist ein Kraftakt, der Umzug von Wohnung zu Wohnung ist ohne Klavierpacker und Spezialspedition nicht denkbar. Und vielleicht das Wichtigste: Zurzeit spiele ich gerne spätabends, wenn die Kinder im Bett sind. Mit dem Digitalen Piano ganz einfach: Earphones, und los geht’s. Ideal für gute Nachbarschaftsbeziehungen.

Last but not least: Nachfolgendes Video (Englisch, 23 min) gibt einen interessanten Einblick in die Welt der Digitalpianos. Hier wird etwa der Unterschied zwischen dem Einstiegsmodell KAWAI CA-49 und dem darauf folgenden Modell CA59 erklärt: Das vermittelt ein Gefühl dafür, in welche Richtung die Entwicklungsdynamik bei Digitalen Pianos weitergeht. Hier wird auch der Begriff „Polyphonie“ nachvollziehbar erläutert, ein wichtiger Aspekt in punkto Klangqualität und Klangtreue bei Digitalen Instrumenten. Hört mal rein!

Author

Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.