Anfang der Woche war mein „Schwarze Montag“ als Bahnfahrer. Pünktlich am Bahnsteig Augsburg Hbf, Reservierung für die vierköpfige Familie nach Berlin Hbf. Aber der Zug kam nicht. Der war nämlich schon 40 Minuten früher abgefahren – ohne Vorabinfo. Über die Verspätung eben dieses Zuges am Zielbahnhof wurde ich im Verlauf des Tages mehrfach per DB-App informiert (7 Benachrichtigungen!) … aber eben nicht über die vorverlegte Abfahrt. Mit mir auf dem Bahnsteig: Mehrere Dutzend ultra-frustrierter und fassungsloser Bahngäste. Ich bin erschöpft und entnervt um 21.30 Uhr zu Hause angekommen … am Ende einer Odyssee, die noch die ein oder andere Überraschung bzw. Verspätung bereithielt.

Seit 5 Jahren lebe ich mit Familie autofrei in Berlin. Und solche Tage machen mich fassungslos. Für ein Land mit solch hochgesteckten Klimaschutzambitionen gehört ein halbwegs funktionierender Schienenverkehr zu den Basics. Und andere Länder schaffen das auch. Ein Musterschüler ist etwa Japan, wie die taz jüngst herausgearbeitet hat: Dort finden “ 30 Prozent des Individualverkehrs auf Schienen statt. (…) Deutschland steht mit 9 Prozent Bahnanteil auf dem neunten Rang. Die fünf Bahnhöfe mit den weltweit meisten Passagieren befinden sich alle in Japan. Der einzelne Japaner fährt im Durchschnitt mehr als 70 Mal im Jahr mit dem Zug.“ Und: Die Bahn in Japan befördert “jährlich mehr als drei Mal so viele Passagiere über eine fast doppelt so große Entfernung. Dennoch verspäten sich ihre Züge im Schnitt nur um 66 Sekunden.“

Es nervt. Ausgerechnet jetzt, da die Verkehrswende eingeläutet wird und historisch hohe Benzinpreise Anreiz für den Wechsel zur Bahn liefern, kollabiert quasi das Angebot der Bahn. Angesichts des 9-Euro-Tickets bereitet die Bahn seit Tagen die Öffentlichkeit bereits darauf vor, dass es Chaos geben wird.

Was ist los? Wo hakt es? – ein kurzer Überblick über Versäumnisse.

Schienennetz vor dem Kollaps

Die Deutsche Bahn erklärt es unumwunden: Das Schienennetz steht vor dem Kollaps, noch nie gab es so viele Baustellen wie aktuell. Und die Bahn bewegte sich sehenden Auges in dieses Desaster. Nicht zuletzt mit dem (gescheiterten) Projekt „Börsengang“ hat die Deutsche Bahn das Unternehmen betriebswirtschaftlich auf Gewinn getrimmt und notwendige Investitionen unterlassen. Das Netz sei „brutal heruntergestutzt“ worden, heißt es in der Branche.

Auf der Webseite www.allianz-pro-schiene.de wird das Missmanagement der vergangenen Jahre mit wenigen Zahlen greifbar:

Digitalsierung der Deutschen Bahn im Bummeltempo

Wenn ich nochmal auf meinen „Schwarzen Montag“ zurückblicke: Mal abgesehen von der Frage, ob eine (kurzfristige) Vorverlegung von Zugabfahrten angemessen ist, war das zentrale Problem die fehlende Kommunikation. Hätte mich die Bahn APP am Vorabend informiert, dann hätte ich darauf reagieren können. KEINER auf dem Bahnsteig wusste Bescheid. Die APP informiert über Verspätungen und Gleiswechsel … die Vorverlegung wurde als Trigger-Event für eine Info an Kunden einfach vergessen. Von deutschem Perfektionismus sind wir hier also noch meilenweit entfernt.

Und das ist nicht der einzige Punkt, wo die Digitalisierung der Deutschen Bahn schlampig umgesetzt wurde bzw. kaum vorankommt: Jüngst recherchierte die Süddeutsche Zeitung: Eine digitale Steuerung würde die Engpässe in der Infrastruktur zumindest teilweise ausgleichen können, aber es geht kaum voran: “Bis zu 35 Prozent mehr Züge könnten [mit digitaler Steuerung] auf dem gleichen Netz unterwegs sein – ohne dass der Konzern neue Gleise verlegen muss.“ Und die Geschäftsführerin des Deutschen Verkehrsforums (gilt als wichtige Stimme des Verkehrssektors) erklärt: „Die Digitalisierung der Schiene ist die Voraussetzung dafür, dass wir das Ziel der Verdoppelung der Fahrgastzahlen und mehr Güter auf der Schiene bis 2030 überhaupt schaffen können.“

Stand der digitalen Umrüstung heute: “ Mit der geplanten flächendeckenden Einführung des Zugsteuerungssystem ETCS – der Basis für den digitalen Verkehr – hat die Regierung nach eigenen Angaben 2015 begonnen. Weit gekommen ist sie in den vergangenen sechs Jahren nicht. Nach aktuellen Angaben sind nur 340 Kilometer umgerüstet – also ein Prozent des Netzes.“

Überfordertes Personal

Meine beiden Großväter waren beide bei der Deutschen Bahn angestellt, einer der beiden Großväter war Lokführer. Beide waren zu ihrer Zeit stolz, bei der Bahn zu arbeiten. Nach meiner Wahrnehmung dürfte das für die Mehrzahl der Bahn -Beschäftigten nicht gelten. In solchen Situationen reagiert das Bahnpersonal überfordert, die meisten sehen sich selbst als Opfer, sie seien auch nicht informiert worden, sie seien auch ratlos.

Das erlebe ich nicht nur persönlich so, man kann das Schwarz auf Weiß nachlesen etwa bei www.reklamation24.de: Da heißt es etwa in einem Beitrag (Stundenlange Zugausfälle S-Bahn Regio bei absoluter Nichtinformation: “Gestern wie auch heute (19.5) habe ich 3 Stunden am Bahnhof Mörfelden gestanden und versucht nach Frankfurt zu fahren. (…) In der Bahnstation Mörfelden sitzt eine Mitarbeiterin, die aber betonte, sie wisse nicht, was da durchgesagt wird und sie hat auch keine Ahnung. Ob heute überhaupt noch ein Zug fährt, könne sie nicht sagen. (…) Niemand hat es interessiert, niemand war verantwortlich. Die Bahnmitarbeiterin in Mörfelden hat mich gleich angeraunzt. sie wüsste doch auch gar nichts und sie sei doch selbst total genervt und überarbeitet.

Die Infrastruktur der Bahn wird man kurzfristig (und vermutlich auch nicht mittelfristig) optimieren können. Zumindest aber sollte die Bahn die gesamte Organisation und vor allem die Mitarbeiter darauf vorbereiten, diese täglichen Krisen professionell zu bewältigen und verständnisvoll gegenüber betroffenen Fahrgästen kommunizieren. Mit Kursen zum Krisenmanagement und Krisenkommunikation zum Beispiel.

Es ist schon verblüffend: Die Bahn hat in diesen Zeiten des Klimanotstandes einen überzeugenden Purpose, damit kann man als Führungsmannschaft viel machen. Genau das schafft die Bahn aber nicht. Meine Großväter würden sich im Grab umdrehen, wenn sie all die Negativmeldungen in den Zeitungen noch lesen müssten.

Fazit: Was folgt daraus?

Besonders ärgerlich für Bahnfahrer: Mag man auch noch so verärgert und fassungslos sein, die Bahn ist geradezu alternativlos. Die Bahn hat für viele Routen eine weitgehende Monopolstellung; ein Check bei www.flixtrain.de/ zu Verbindungen zwischen Berlin und Augsburg bietet nur bedingt eine Alternative; bei anderen Strecken aber durchaus, etwa Berlin-Fulda oder Berlin-Stuttgart.

Wo die Deutsche Bahn alternativlos ist (wenn man nicht per Eigenfahrzeug oder Mitfahrzeug stundenlang auf der Straße unterwegs sein möchte), muss man sich dann durchaus auf das „Abenteuer Bahn“ einlassen. Solche „Schwarzen Tage“ erlebe ich auch eher selten, da ich mich an einige Grundsätze halte: Fahrten ohne Umsteigen. Immer mit Reservierung. Das hat mich bislang auch vor allzu großen Überraschungen bewahrt. Für vorverlegte Züge habe ich noch keine Antwort, aber das finde ich raus … falls ein Leser, eine Leserin dazu eine Idee hat: Ich freue mich über Tipps und Hinweise.

Übrigens: Das Start-Up Robin Zug hat sich darauf spezialisiert, Entschädigungszahlungen bei Zugverspätungen zu beantragen. Laut Unternehmensangaben wurden seit Gründung bereits rund 80.000 Entschädigungen über Robin Zug erfolgreich ausgezahlt, die Erfolgsquote bei Reklamationen liegt bei 97% (ebenfalls eigene Angaben).

Was den Prozess deutlich vereinfacht: Dank der Verwendung einer bundesweiten Zugverspätungsdatenbank muss der Nutzer kein Erstattungsformular (weder auf Papier noch online) selbst ausfüllen. Der Service ist verblüffend kostengünstig, denn die „Servicegebühr“ (nur bei erfolgreicher Rückerstattung!) liegt 69 Cent und 1,99 Euro. Gründer Alexandre Jaeg wollte eine smarte Lösung für ein alltägliches Ärgernis von Ottonormalverbraucher*innen schaffen – hier ging es nicht darum, ein hochprofitables Geschäftsmodell hochzuziehen. Chapeau!

Hier geht’s zur Webseite: www.robin-zug.de

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Author

Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.