Es ist DAS Buzz-Word in der Tech-Szene, nach SaaS-ready und Cloud-ready wird das Label Metaverse-ready zum neuen Marketingargument von Unternehmen. Spätestens seit Mark Zuckerberg im Juni 2021 seinen Mitarbeitern den neuen Purpose von Facebook alias meta erklärte: „Unser übergreifendes Ziel ist es, das Metaverse zum Leben zu erwecken“. Heute: Kaum ein Tag ohne Meldung rund um das Metaverse.

Hier liefere ich einen kompakten Überblick zum Thema: Was ist die Vision? Wo stehen wir heute und wo liegen die (technischen) Herausforderungen? Was sagen Kritiker? Meine Quellen sind vor allem der Tech Trend Report 2022 (Download: hier) des Future Today Instituts oder auch der unermüdliche Eifer des Handelsblatts: Chefredakteur Sebastian Matthes ließ in den vergangenen Monaten keine Gelegenheit aus, sich die Einschätzung von Experten einzuholen bei der Frage : Milliardenmarkt oder Milliardengrab?

Los geht’s!

Metaverse – Die Vision

In der Endausbaustufe kann man sich das Metaverse etwa so vorstellen, wie die virtuelle Lebenswelt aus dem SciFi-Kult-Film „Matrix“: Eine virtuelle Welt, die man etwa mit AR-/VR-Brillen, VR Laufbändern und Haptik-Handschuhen betreten kann. Interaktiv. Multi-User. Nutzer sind darin mit ihren Avataren unterwegs.

Es gibt noch keine Definition von Metaverse, die von allen geteilt wird. Zu diesem Begriff gibt es unterschiedliche Ideen, auch unterschiedliche „Ausbaustufen“ lassen sich unterscheiden. Die immersive Qualität (etwa durch Erleben per VR-Brille) muss nicht zwingend gegeben sein, auch das Erleben einer virtuellen Welt in einem Online-Game wie Fortnite oder Roblox kommt einer verbreiteten Vorstellung des Metaverse nahe – aber: was das Metaverse eben von diesen „digitalen Räumen“ vieler Online-Spiele unterscheidet, ist die Verbindung zwischen dieser „digitalen Räume“ auf einer übergreifenden Plattform. Die Tech-Szene setzt hier auf die Blockchain-Technologie, einer dezentralen Plattform – keine proprietäre Plattform eines einzelnen Unternehmens (etwa: Facebook alias meta).

Schlussendlich gilt: das Metaverse bietet einen spielerischen Ort, in dem sich Menschen begegnen können. In dem Menschen gemeinsam arbeiten. Hier kann man in Showrooms Autos erleben, Konzerte besuchen oder Sight-Seeing machen. Im Metaverse finden sich neu geschaffene virtuelle (Phantasie-)Welten ebenso wie digitale Zwillinge von Gegenständen in der Realität (z.B. das eigene Haus).

Metaverse – Was es heute schon gibt

Gerne wird auf heutige Videospielwelten verwiesen, die bereits einige Merkmale und Möglichkeiten des Metaverse bieten. „In ‚GTA Online‘ etwa können Spieler:innen eine gigantische fiktive Stadt erkunden und miteinander interagieren. Mehr noch ist das Spiel in den vergangenen Jahren zu einer Plattform geworden. In den virtuellen Geschäften verkaufen reale Marken ihre Kleidung für die digitale Spielfigur. Ein Plattenlabel versorgt die Spielwelt mit ­Musik, die die Spieler:innen etwa im Radio hören können, während sie in ihrem Auto fahren. Oder ‚Fortnite‘: Im Multiplayer-­Shooter finden immer wieder Crossover mit anderen Welten statt. Dann sind etwa Marvel-Charaktere spielbar oder Balenciaga verkauft Luxuskleidung, die mit Ingame-Währung gekauft wird. Es sind Onlinespiele, die sich ihr eigenes Ökosystem geschaffen haben.“ (Quelle: t3n). Auf Fortnite sind heute bereits 50 Millionen Spieler:innen unterwegs. Mehr als 10 Millionen Fortnite Spieler:innen schauten sich etwa virtuelle Konzerte von Stars wie Marshmello, Ariane Grande oder Bruno Mars an. Große Popularität und ähnliche Angebote haben auch Roblox oder Minecraft.

Was es im Übrigen auch bereits gibt: Diverse „virtuelle Räume“, in denen virtuelle Grundstücke verkauft und gekauft werden. Etwa www.cryptovoxels.com (baut auf Ethereum auf) oder Decentraland, Axie Infinity und The Sandbox. hier wurden 2021 Grundstücke im Wert von mehr als 501 Millionen Dollar (!) verkauft.

Und noch ein paar Vorläufer des Metaverse: Die Spitze des Himalajas kann schon heute mit VR-Headsets erkundet werden (Vergleiche: VR-Erlebnis Himalaya). 2023 wird der „Parsifal“ von Wagner im Festspielhaus in Bayreuth zu einem VR- und AR-­Erlebnis.

Was die Hardware für immersive Erfahrungen angeht, gibt es eine Reihe von Produkten in der Praxis. Das reicht von VR-Brillen, haptischen Handschuhen bis hin zu sogenannten VR Treadmills (oder: VR Laufbändern): Letzteres ist ein mechanisches Gerät, das es Nutzern erlaubt, in einer virtuellen Welt in alle Richtungen zu gehen und 360-Grad-Bewegungen zu vollziehen. Das VR-Laufband ist so konzipiert, dass es wie ein Spiel-Controller funktioniert, mit dem Vorteil, dass Sie innerhalb der Spielumgebung, in der Sie spielen, wirklich laufen können. Viele dieser Hilfsmittel gibt es schon länger, aber im Hinblick auf das Konzept des Metaverse hat die praktische und kommerzielle Bedeutung deutlich zugenommen. Haptik-Handschuhe etwa wurden bereits in den 1980ern von Nintendo vorgestellt, auch wenn es kein großer kommerzieller Erfolg war.

In Zukunft könnten statt (klobiger) VR- und AR-Headsets etwa smarte Kontaktlinsen ins Auge gesetzt werden. Und statt VR Laufbändern könnten Motion-­Tracker in der Kleidung vernäht sein.

Metaverse – Die technischen Herausforderungen

Schaut man sich heute einige Online-Games an, könnte man fast zum irrigen Schluss kommen, dass ein immersives Metaverse mit fotorealistischem Erlebnis gar nicht mehr so weit weg ist. Schauen Sie sich einmal an, was Creator mit der Unreal Engine 5 von Fortnite machen können. Plötzlich haben Online-Games die Qualität von Hollywood-Blockbuster Videos:

Aber das Handelsblatt zieht in einem Artikel ein nüchternes Fazit: ”Für viele der herbeiprognostizierten Anwendungen reichen die heutigen Rechnerkapazitäten nicht aus. Die notwendige KI-Software ist zwar viel klüger geworden, aber noch nicht in der Lage, in Echtzeit lebensnahe Simulationen zu erzeugen. Vieles im Metaversum sieht noch hölzern aus, künstlich, wie in einem Videospiel der Nullerjahre.

Das größte Manko ist die fehlende Computerkapazität. Nach Schätzung von Intel bräuchte es eine Rechenleistung, die tausend Mal größer als die derzeitige weltweit verfügbare ist, um wirklich täuschend echte virtuelle Welten zu erzeugen. Experten wie Raja Koduri, ein Computerguru von Intel, rechnen für die nächsten fünf Jahre aber nur mit einer Steigerung um höchstens den Faktor zehn. „Es wird viel Fortschritt erzielt, aber das reicht nicht“, so Koduri.

Die Messlatte liegt hoch. Das menschliche Gehirn bemerkt jede Verzögerung, etwa zwischen Lippenbewegung und gesprochenem Wort, von mehr als 0,05 Sekunden. Um die menschlichen Sinne zu täuschen, darf sich der Rechner keine Verzögerungen leisten: Latenzminimierung um jeden Preis.

Um das sicherzustellen, wäre laut Intel für das Metaversum eine Rechnerleistung von einem Petaflop in weniger als zehn Millisekunden erforderlich. Das sind eine Billiarde Rechenoperationen in diesem superkurzen Zeitraum. Um das zu ermöglichen, sind nicht nur bessere Halbleiter und Computer nötig, sondern auch stabilere und schnellere Übertragungsleitungen.“

Metaverse – Skeptiker und Kritiker

Wer über das Metaverse spricht, erinnert früher oder später an eine Früh-Version dieser Idee, nämlich Second Life: 2003 gegründet gingen die Nutzerzahlen zunächst steil nach oben, Millionen Nutzer legten sich eine virtuelle Persönlichkeit an und gaben insgesamt 3,2 Milliarden Dollar (!)dafür aus. Auch dort veranstalteten Nutzer Konzerte, stellten Kunstwerke her und veranstalteten Modeschauen. Sogar ein Rotlichtviertel entstand. Seit 2013 jedoch geht die Nutzerzahl zurück. Der Second Life Gründer Philip Rosedale sieht vor dem Hintergrund seiner Erfahrung das Metaverse eher skeptisch:

Aus seiner Sicht werde eine solche virtuelle Realität eine Nische bleiben. In einem Interview mit Axios (Ende 2021) erklärt er: „But people, in general, didn’t want to spend long periods of time in it. (…) I was saying that almost immediately we were all going to be spending television length durations of time or something like that in the virtual world, doing things with people. And that part was definitely not true.” Rosedale cites many people’s discomfort with controlling avatar versions of themselves and communicating that way with others.

Das digital pioneer Magazin t3n relativiert diese Skepsis von Rosedale: ”[Es] gehört zur Wahrheit, dass der Vergleich mit „Second Life“ massiv hinkt, denn das war genauso ein Walled Garden, wie ihn Rosedale jetzt ablehnt. Eine offene virtuelle Welt, in der Nutzende sich ebenso souverän bewegen können wie in der realen, hätte ein völlig anderes Erfolgspotenzial. Zudem sind wir abseits fortbestehender technischer Einschränkungen im Jahr 2021 sehr viel weiter als im Jahr 2007 – auf der Höhe des Second-Life-Hypes. So dürfte in Rosedales Einschätzung ein ganzes Stück Bitterkeit mitschwingen. Er war einfach zu früh dran.”

Kritische Stimmen kommen auch von Personen, die die Frage nach dem Datenschutz stellen. Etwa Sven Venzke-Caprarese, Managing Director beim IT-­Sicherheitsdienstleister Datenschutz Nord. Auf t3n erklärt er: „Die wollen die Nutzer monetarisieren. Und zwar mit allem, was sie zur Verfügung haben. In einem ­Metaverse würde die Fülle an Daten noch exorbitant zunehmen. Bewegungen tracken, die Interaktionen mit anderen Nutzer:innen – das gesamte Verhalten in einem virtuellen Raum, der eben nicht, wie Facebook oder Instagram, kurz betreten wird, sondern in dem die User:innen eine lange Zeit verweilen. Alles würde dann über die Software von Facebook laufen, sie hätte den gläsernen Menschen. Die schlimmst anzunehmende Dystopie eines ­Metaversums.“

Zu Recht stellt das Handelsblatt hartnäckig Fragen nach dem realistischen Zukunftspotential des Metaverse. Was ist Marketing-Hype, was ist Spekulation? Dazu Chefredakteur Sebastian Matthes und Silicon-Valley Korrespondent Stephan Scheuer in einem Podcast: Mark Zuckerberg etwa treibt das Narrativ rund um das Metaverse vor allem voran, weil er “eine neue Wachstumsgeschichte.“ braucht. Und Stephan Scheuer merkt zu den Immobilienpreisen virtueller Villen an: “Jeder will dabei sein. (…) Alle spekulieren auch darauf, dass die Preise steigen. (…) Also, das ist so ein bisschen wie mit den Kryptowährungen, da ist auch Zockerei mit dabei“.

Der Begriff Metaverse geht bekanntermaßen zurück auf den Science-Fiction-Roman „Snow Crash“ von Neal Stephenson aus dem Jahr 1992. Stephan Scheuer hat eben diesem Schöpfer des Metaverse-Begriffs die Frage gestellt, ob er sich ein Haus im Metaverse kaufen würde. Die Antwort: “Well, there’s two reasons to buy a house. You can trade assets on a speculative way. And you can trade assets on the basis of value. (…) economic productivity (…) That is possible, I don’t see we can’t have investments like that in the Metaverse in the future. I don’t know we’re seeing that right now, but I hope we’re getting there. – Did you already buy something in the Metaverse? – No.”

Author

Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.