Quo vadis, Open Source Software? Von Vielen wird Open Source Software auch als Gegenmodell zum kapitalistischen Wirtschaftsmodell verstanden, der Begriff Open Source hat es beispielsweise auch in den 10-Punkte Agenda der Partei DIE LINKE geschafft. Geradezu prototypisch wurde Open Source häufig und lange Zeit als Gegenmodell zu proprietärer Software von Microsoft verstanden. Und richtig ist, dass sich Microsoft-Gründer Bill Gates lange gegen die Idee von Open Source Software (OSS) gestellt hat („most of you steal your software“), Microsoft bezeichnete OSS lange als „intellectual-property destroyer“.

Inzwischen hat aber Microsoft etwa sein Softwareframework .NET unter quelloffene Lizenz gestellt (im Jahr 2014), die Frage ist mithin berechtigt: Wo steht Open Source Software heute, wie erfolgreich ist die Idee, wie verhält sich OSS zur Digitalindustrie?

Wirtschaftliche Bedeutung von Open Source Software

Vorweg: Open Source Software ist aus der Digitalindustrie nicht mehr wegzudenken. Kaum ein Softwareprodukt kommt noch ohne OSS-Komponenten aus. Es geht um Wirtschaftlichkeit, Innovationsgeschwindigkeit. Die Anzahl der OSS-Komponenten ist geradezu unglaublich, Hundertausende von Algorithmen, Funktionskomponenten und derlei mehr stehen als OSS zur Verfügung.

Der Open Source Scanner-Anbieter WhiteSource beziffert die Anzahl an verfügbaren OSS-Komponenten auf 155 Millionen OSS-Komponenten in Sprachen wie Java, Ruby, Python; und mehrere Milliarden OSS-Packages in Programmiersprachen wie C/C++, Javascript, PHP, ObjectiveC, etc. Es gilt, die lizenzrechtlichen Vorgaben von OSS zu berücksichtigen (vgl. hierzu folgenden Artikel), dann muss ein Team von Softwareentwicklern das „Rad nicht mehr neu erfinden“.

Es gibt eine Vielzahl relevanter und bekannter Open Source Software, vor allem im Internet. Beginnen wir mit einem geradezu legendären Produkt der OSS-Bewegung, nämlich Linux: Das Betriebssystem mag auf Laptops, Desktops kaum eine Rolle spielen, aber im Server-Bereich hat Linux einen signifikanten Marktanteil, der im mittleren zweistelligen Prozentbereich liegt. Der Apache HTTP Server ist die meistgenutzte Webserver-Software. Der Browser Mozilla Firefox ist eine echte Alternative zu Google, spielt aber freilich nur eine untergeordnete Rolle neben dem Platzhirschen aus dem Silicon Valley. Google hat wiederum mit dem mobilen Betriebssystem Android eine Open Source Initiative gestartet, die Stand heute ganz klar den Markt dominiert. In der Softwareentwicklung spielt etwa Eclipse eine wichtige Rolle, vor allem für die Entwicklung von Java-Software. Und: Das Content Management System WordPress spielt eine eminente Rolle im Internet (nicht zuletzt der Blog BytesforBusiness ist auf WordPress aufgebaut).

Open Source Software: Die Idee und kurzer historischer Abriss

Die Geschichte von Open Source Software ist geradezu unauflöslich mit der Herausbildung einer eigenständigen Softwareindustrie in den 1950er / 1960er Jahren verbunden. Software war zunächst einmal kein „eigenständiges Produkt“ für die von Firmen wie IBM ausgelieferte Hardware, die Software wurde quasi kostenfrei mitgeliefert. Zur effizienten Nutzung von Hardware hat sich nach und nach Software als eigenständige Komponente etabliert, wobei zu Beginn Software unter den Hardware-Anwendern ausgetauscht wurde.

Parallel dazu hat sich früh eine “Hobbyistenkultur“ in der Computerszene herausgebildet (in Deutschland etwas verspätet: Die Gründung des Chaos Computer Clubs erfolgte im Jahr 1981). Eben hierauf bezieht sich auch der eingangs zitierte Vorwurf von Bill Gates, der vollständig lautet: „As the majority of hobbyists must be aware, most of you steal your software. Hardware must be paid for, but software is something to share. Who cares if the people who worked on it get paid?”

Während sich nun die Softwareindustrie mit proprietären Produkten herausbildete und in schwindelerregender Dynamik wuchs, bildete sich parallel dazu (ausgehend von der „Hobbyistenkultur“) eine Open Source Bewegung. Meilensteine dieser Entwicklung sind: Der Mitarbeiter Richard Stallmann vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) startete zunächst in 1983 das Projekt eines freien Betriebssystems und gründet im Jahr 1985 die Free Software Foundation. Diese Stiftung stellt unter anderem Entwicklern freier Software die dafür erforderliche Infrastruktur zur Verfügung; es finden sich bald Unternehmen, die das Projekt finanziell unterstützen: Sony oder Hewlett-Packard. Warum? – Weil diese Unternehmen als Hardware-Hersteller ein Interesse daran haben, dass günstig lizenzierbare Software zur Verfügung steht.

Die Free Software Foundation erstellte vor allem auch juristisch belastbare Lizenzen, was entscheidend ist. Es entsteht die sogenannte Copyleft-Lizenz. Diese Lizenz stellt sicher, dass auch die Derivate von freier Software „frei“ bleiben. Es verhindert so, dass Lizenznehmer das Programm durch proprietäre Erweiterungen in die proprietäre Domäne überführen.

Ein weiterer Meilenstein in der Geschichte von Open Source Software ist das Betriebssystem Linux, das vom Studenten Linus Torvalds aus der Taufe gehoben wurde, im Jahr 1991. Torvalds hatte im Vergleich zu Stallmann eine liberalere Haltung: „I think ideology sucks. This world would be a much better place if people had less ideology, and a whole lot more ‚I do this because it’s fun and because others might find it useful, not because I got religion‘.“

Nur einige Jahre später, nämlich 1998, wurde schließlich unter Eric Raymond das Label Open Source geschaffen, und damit die Open Source Initiative (OSI). Hier spielt der gesellschaftsethische Zweck, wie er noch in der Free Software Foundation zentral ist, keine Rolle mehr. Neben der strengen Copyleft-Lizenz gibt es im Ergebnis heute eine Vielzahl von Lizenzen (Übersicht hier), die eine kommerzielle Nutzung einfach machen.

Ein Jahr darauf (1999) kam es zum Börsengang von Red Hat, ein Geschäftsmodell, das auf OSS basierte (Anmerkung: Red Hat wurde 2019 von IBM übernommen). Der IPO zählte zu den erfolgreichsten Börsendebuts aller Zeiten, sorgte für große mediale Aufmerksamkeit und strahlte auf die gesamte Open Source Szene ab.

Erfolgsfaktoren für OpenSource Software: Sicherheit, Anpassbarkeit und mehr

Es gibt durchaus Open Source Software-Projekte, die leben von Passion und Kreativität unbezahlter Entwickler. Hier findet sich der Gedanke der Free Software / Open Source-Bewegung in Reinform wieder. Dies gilt allerdings für die meisten großen Open Source Projekte nicht, die hinsichtlich Komplexität des Projektmanagement und Umfang der Entwicklungsleistung Großprojekte sind: In dem mobilen Betriebssystem Android etwa stecken mehrere Tausend Personenjahre an Entwicklung (sic!). Und darum gilt, dass die meisten großen OSS-Projekte heute auf die ein oder andere Weise im Wechselspiel mit Playern der Digitalindustrie entstehen.

Es wurde bereits deutlich im historischen Abriss zur OSS-Bewegung: Hardware-Hersteller wie Sony oder Hewlett-Packard hatten (und haben) Interesse an der Verfügbarkeit von günstig und einfach lizenzierbarer Software, und auch Softwarehersteller selbst verfolgen mit dem Investment in OSS-Projekte klare wirtschaftliche Interessen. Was – im Ergebnis – die Open Source Projekte auch erfolgreich macht. Das heißt aber auch: Open Source Software hat seine Rolle als echter Gegenentwurf zu proprietären Softwareentwicklung weitgehend eingebüßt.

Für Softwarefirmen geht es etwa darum, Standards einzuführen und abzusichern, die Kompatibilität eigener Produkte abzusichern und für ein solches OSS-Entwicklungsprojekt eine breite Entwicklergemeinde einzubeziehen. OSS-Projekte haben darum nicht selten den Charakter von Industriekonsortien. Google stellt etwa mit dem mobilen Betriebssystem sicher, dass das eigene Produkt Google Play gut integrierbar bleibt. Es sei erwähnt, dass das Engagement in OSS-Projekten auch der Image-Pflege dient und damit als Instrument des Marketing verstanden werden kann. Das bedeutet in der Praxis übrigens auch, dass ein Großteil der Entwicklung bei Projekten wie Linux oder Android von Entwicklern geleistet wird, die etwa bei Google, IBM, Intel und anderen Playern der Digitalindustrie angestellt sind.

Ein weiterer Erfolgsfaktor für OSS besteht auch darin, dass zahlreiche Player der Digitalindustrie ein erfolgreiches Dienstleistungsgeschäft rund um OSS gebildet haben: Nicht nur große Player wie Hewlett-Packard, IBM oder Oracle, sondern auch zahlreiche mittelständische Unternehmen. Diese Unternehmen werden damit zu Botschaftern und Vertriebsagenten von Open Source Software. Insbesondere im Enterprise-Bereich ist Open Source-Software auch deshalb erfolgreich, da die quelloffene Architektur eine Integration deutlich vereinfacht und bisweilen überhaupt erst ermöglicht.

Es ist natürlich ein no-brainer darauf hinzuweisen, dass Open-Source offenbar kostenfrei ist, also Lizenzkosten entfallen. Und hierzu gehört auch, dass der Beschaffungsprozess damit ganz erheblich vereinfacht wird: Während die Beschaffung von kommerzieller Software bzw. kommerziellen Softwarekomponenten (für Entwickler) einen bisweilen langwierigen Antrags-/Genehmigungsprozess erfordert, genügen (je nach Policy eines Unternehmens) für Open Source Software wenige Mausklicks bis zum Download.

Immer wieder diskutiert wird auch die Hypothese, Open Source Software sei mit höherer Sicherheit verbunden. Das mag zunächst Stirnrunzeln auslösen: Wieso soll ausgerechnet Software sicherer sein, wo der Quellcode für die Hacker-Gemeinde offen verfügbar ist und Schwachstellen sichtbar werden? – Die Antwort: Eine engagierte Entwicklergemeinde identifiziert selbst nach dem Mehr-Augen-Prinzip derartige Sicherheitslücken und sorgt für eine schnelle Behebung.

Tatsächlich sind zwei Drittel von IT-Entscheidern überzeugt, dass OSS eine höhere Sicherheit bietet, laut einer Studie des Ponemon-Instituts (Befragung von 1 400 IT Entscheidern und Sicherheitsexperten, im Jahr 2015). Auch die Security Insider-Redaktion hat die Frage gestellt, konstatiert allerdings: „Wirft man einen Blick auf die spektakulären Hacks der letzten Monate und Jahre, dann muss konstatiert werden, dass keines der beiden Konzepte besonders gut abschneidet.“ Ganz eindeutig lässt sich diese Frage mithin nicht beantworten.

Open Source Software: Finanzierung, Organisation

Was die Finanzierung und Organisation von OSS-Projekten angeht, habe ich bereits auf die Rolle von Playern der Digitalindustrie hingewiesen: Die Finanzierung erfolgt etwa durch Spenden an Dachstiftungen; eine Finanzierung erfolgt indirekt über die Mitarbeit von Festangestellten an den Projekten. In manchen (aber nicht allen) Fällen, stehen Spenden auch in direktem Zusammenhang mit Sitzen im Stiftungsrat oder aber im Managementkomitee. Auf diese Weise können Unternehmen direkt Einfluss auf die technologische Ausrichtung von Open Source Software-Projekten nehmen. Hier gibt es auch ein Wechselspiel mit der Organisationsform von OSS-Projekten, die wir uns als nächstes ansehen:

Was die Organisation angeht, orientiere ich mich an der sehr eingängigen Typologie von Dr. Jan-Felix Schrape, die zugrunde liegende Publikation nenne ich am Ende des Kapitels unter „Weiterführende Literatur“. Es werden vier Varianten von Open Source Gemeinschaften unterschieden:

Projekttypen Open Source Software Entwicklung, nach Dr. Jan-Felix SchrapeAbbildung: Projekttypen Open Source Software Entwicklung, nach Dr. Jan-Felix Schrape

Korporativ geführte Kollaborationsprojekte

Das beste Beispiel für ein OSS-Projekt dieses Typs ist das mobile Betriebssystem Android, in dem mehrere Tausend Personenjahre stecken. Android basiert im Übrigen ohnehin auf dem Linux Kernel, weshalb diese Software folglich ohnehin nicht in eine proprietäre Software hätte überführt werden können. Das Projekt basiert auf einem strikten Top-Down-Management durch Google. Dadurch wird eine hohe Konsistenz sichergestellt und hohe Erwartungssicherheit geschaffen.

Heterarchisch angelegte Infrastrukturvorhaben

Open Source Gemeinschaften dieses Typs binden zwar auch Leistungen etablierter Unternehmen ein, organisatorisch dominieren diese Unternehmen jedoch die Steuerung des Projektes nicht, es bestehen eher horizontale Organisationsmuster. Ein Beispiel ist der Apache HTTP-Webserver, dahinter steht die Apache Software Foundation.

Elitezentrierte Projektgemeinschaften

Auch diese Open Source Gemeinschaften stehen nicht unter der Ägide von etablierten Unternehmen, vielmehr nehmen Gründerfiguren eine zentrale Rolle ein. Dies gilt etwa für das Linux-Projekt, wo Linux Torvalds zwar konsensorientiert arbeitet, aber zentrale Entscheidungen letztlich selbst fällt. Bis heute. Ähnlich gilt das auch für WordPress, das 2004 von Matt Mullenweg und Mike Little veröffentlich wurde; Mullenweg hat bei WordPress eine ähnliche Rolle wie Torvalds bei Linux.

Peer Production Communities

Dem Bild der revolutionären, auf Peer-Review-Prozessen fußenden Produktionsmodus ohne Machtasymmetrien entsprechen heute vor allem diese Art von OSS Projektgemeinschaften. Projekte dieser Kategorie sind etwa Arch oder jEdit. Die Entwicklergemeinden sind hierbei in der Regel relativ klein; größere Projekte scheinen mit der Herausbildung hierarchischer Strukturen einherzugehen, folgt man den Aussagen in der Publikation von Dr. Jan-Felix Schrape.

Weiterführende Lektüre

  • Publikation „Open Source Softwareprojektezwischen Passion und Kalkül“ von Dr. Jan-Felix Schrape, Universität Stuttgart (ca. 50 Leseseiten zuzüglich Literaturangaben): hier
  • Artikel “Open Source Software: Crash Kurs zum richten Umgang mit Compliance Anforderungen“: hier
  • Author

    Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.