Einen Knochenbruch kann ein Arzt mit einer Routinediagnose bestätigen: Auf einem Röntgenbild lässt sich eine Fraktur selbst beim kleinsten der über 200 Knochen eines Menschen feststellen. Dagegen ist die Schmerzdiagnose und die darauf basierende Schmerztherapie um ein Vielfaches herausfordernder. Schmerzen sind ein hochgradig komplexes Phänomen, das sich gegenwärtig einer objektivierbaren Evaluierung entzieht.

Schmerzdiagnose: Eine ungelöste Herausforderung

Die Standardfrage beim Doktor lautet: „Wie groß sind ihre Schmerzen auf einer Skala von 1 bis 10?“. Tatsächlich ist diese Numerische Rating-Skala zur Erfassung der subjektiv empfundenen Schmerzen ein zentraler Wert in der Schmerzdiagnose und -therapie. Die Problematik liegt auf der Hand: Wie wird die Einschätzung eines Kindes ausfallen, das noch kaum Schmerzerfahrung hat? Wie soll ein Arzt die Aussage eines Militärangehörigen einschätzen, der darauf trainiert ist „die Zähne zusammenzubeißen“?

Phantomschmerzen (bei fehlenden Gließmaßen) weisen auch darauf hin, dass Schmerzen bzw. Schmerzempfinden vor allem ein neurologisches Phänomen ist. Auch die Symptome (und neurologischen Muster) von akuten und chronischen Schmerzen unterscheiden sich: Während bei akuten Schmerzen hoher Blutdruck oder Schweißbildung zu beobachten ist, gilt das nicht (mehr) für den chronischen Schmerz: Der Körper ist bereits im „survival mode“ und der Schmerz ändert seinen Charakter.

Ärzte behelfen sich (manchmal – nicht immer) zur besseren Einordnung anderer Methoden, um sich ein Bild vom Schmerzzustand des Patienten zu machen. Zum Beispiel das Kellgren-Lawrence_Grade (KLG) System zur Beurteilung der Schwere von arthritischen Schmerzen: Es handelt sich dabei um ein Standard-Scoring-System, das das Ausmaß der strukturellen Schäden und des fehlenden Knorpels berücksichtigt. Allerdings ergaben Daten des National Institutes of Health, dass Schmerzen von schwarzen Patienten hierbei unterbewertet werden. Es ist wahrscheinlich, dass das System selbst mit Verzerrungen behaftet war, als es zuerst entwickelt wurde (es basiert hauptsächlich auf Daten weißer britischer Patienten).

Wer mit Ärzten spricht, lernt eine Reihe weitere Methoden zur Schmerzbestimmung kennen: Etwa die visuelle Analogskala (VAS), die verbale Rating-Skala (VRS), die ECPA-Schmerzskala oder die Kindliche Unbehagens- und Schmerzskala (KUSS). Die Schmerzdiagnose bleibt nichtsdestotrotz eine immense Herausforderung. Diese Herausforderung spiegelt sich auch darin, dass eine der großen staatlichen Institutionen in den USA über 100 Millionen US-Dollar bereitstellt für eine Schmerzdiagnose 4.0.

Schmerztherapie: Der Markt

Die Relevanz präziser Schmerzdiagnosen wird zweifelsohne weithin unterschätzt: Effiziente Schmerzdiagnose und -therapie hat Bedeutung für ca. 120 Millionen (sic!) Patienten allein in den USA, die unter chronischen Schmerzen leiden. In Europa kommen weitere über 100 Millionen Patienten hinzu. Dies Schmerzen mit vielerlei Ursachen: Neuropathische Schmerzen, Osteoarthritis, rheumatoide Arthritis, muskuloskelettale Schmerzen, Schmerzen im unteren Rückenbereich, Migräne und derlei mehr. Einige Beobachter gehen gar davon aus, dass inadäquates Schmerzmanagement (hier vor allem Fehlmedikation) zur Opiod-Krise in den USA beiträgt, die jährlich mehrere zehntausend Tote fordert.

In Kosten gemessen stellt sich der Gesundheitsmarkt rund um Schmerztherapie wie folgt dar: Die Kosten allein in den USA beziffern sich jährlich auf rund 23 Milliarden US-Dollar. Die Behandlung erfolgt in Krankenhäusern, Altenheimen, Arztpraxen und über 7500 Schmerzkliniken in den USA.

PainQX: Eine objektivierte Evaluierung von Schmerzen mithilfe von KI

Das Start-Up PainQX (Webseite: www.painqx.com) hat einen KI-Algorithmus entwickelt, der das subjektive Schmerzempfinden auf Basis von neurologischen Gehirnaktivitäten (Gehirn EEG) auswerten kann. Damit wird die Grundlage für effektives Schmerzmanagement gelegt.

Ausgangspunkt ist die Messung der neurologischen Gehirnaktivität (Gehirn EEG), wofür ein handelsübliches Headset wie nachfolgend dargestellt ausreicht. Geräte mit Handelspreisen ab 1 000 US-Dollar liefern bereits eine ausreichende EEG Aufnahme (vgl. auch EEG headsets). Die Aufnahme selbst dauert wenige Minuten.

Source: https://zeto-inc.com/wp-content/uploads/2020/09/Headset_02_01-scaled-1.jpg

Die Auswertung erfolgt auf Basis eines KI-Algorithmus, der von PainQX über mehrere Jahre hinweg in einem erfahrenen Team von Data Scientists und Neurologen entwickelt wurde. Die Entwicklung erfolgt auf Basis von rund 25 000 EEG Aufnahmen, die an der NYU School of Medicine über einen Zeitraum von 40 Jahren in einer der größten Datenbanken dieser Art aufgebaut wurden; das Unternehmen PainQX hat die Exklusivrechte sowohl an den Daten, als auch an den Analysen erworben. Über 9 000 einzigartige Merkmale sind hierbei herausgearbeitet worden, im Verlauf der Entwicklung des KI-Algorithmus sind hunderte weiterer solcher Features hinzugekommen.

Das Start-Up hat bereits erste regulatorische Hürden genommen, der kommerzielle Launch ist Mitte 2022 geplant. Der Fokus für die erste praktische Anwendung liegt dabei auf ausgewählten Schmerzursachen: Neuropathische Schmerzen, Osteoarthritis, rheumatoide Arthritis, muskuloskelettale Schmerzen, Schmerzen im unteren Rückenbereich. Sobald diese Entwicklungsphase abgeschlossen ist, plant PainQX, seine Methode auf weitere Ursachen von Schmerzen auszuweiten.

In einem Gespräch, das ich Anfang Juni mit dem Gründer und CEO, Frank A. Minella geführt habe (per Videocall), erklärte mir Frank: Seine Vision für das Unternehmen gehe noch deutlich weiter. Er wolle ebenfalls evaluieren, zukünftig weitere Biomarker für eine präzisere Schmerzdiagnose hinzuzunehmen: Blut-basierte Biomarker, Daten von Schlafsensoren, Herzfrequenz und derlei mehr. Da das Team zudem inzwischen eine tiefe Expertise aufgebaut habe bei der Herausarbeitung von Mustern neurologischer Gehirnaktivitäten in Verbindung mit Krankheitsbildern, seit eine Anwendung dieser Expertise für andere Krankheitsbilder denkbar: Diagnose von Depressionen, Angstzuständen oder auch posttraumatische Belastungsstörungen.

Die Geschichte von PainQX begann 2015: Für rund zweieinhalb Jahre arbeitete das Gründerteam an der Evaluierung des methodischen Ansatzes, verschafften sich Überblick über den Stand der Forschung und entwickelten die Idee. In der nächsten Phase erwarb PainQX über drei Millionen US-Dollar an Fördergeldern von zwei staatlichen Institutionen für das Projekt der objektivierbaren Schmerzdiagnose; wie bereits erläutert, addressiert PainQX eine der Herausforderungen im Gesundheitsmanagement. Gegenwärtig verhandelt PainQX mit Investoren in den USA, Europa über eine Series A Finanzierung, mit deren Hilfe die regulatorischen Freigaben der FDA für den kommerziellen Launch vorbereitet werden.

Good luck to you and your team, Frank!

Author

Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.