Über Jahrzehnte befand sich die Entwicklung von Quantencomputern im Stadium der Forschung. Quantencomputer mit einigen wenigen Qubits wurden erstmals in den 1990er Jahren realisiert. Doch inzwischen gewinnt die Technologie an Praxisrelevanz. Erst jüngst wurden für eine bestimmte Forschungsrichtung bei Quantencomputern (nämlich Quantum-Annealer) erste praktische Anwendungen umgesetzt. Es kommt hinzu: Der Hyperscaler-Anbieter Amazon Web Services (AWS) bietet inzwischen die Möglichkeit, Quantenprozessoren von drei Anbietern in der Cloud zu nutzen; hierfür wird auch ein Software Entwicklungs-Werkzeugkasten (SDK) angeboten: Quantentechnologie wird somit für „jedermann“ zugänglich; dieses Angebot trifft auf eine Nachfrage, etwa in der Finanzindustrie, in den Biowissenschaften oder in der Pharmaindustrie.

Die Quantum-Annealer-Technologie im Vergleich zum Quantum-Gatter

Die Funktionsweise klassischer Computer mit Bits und Bytes, den Nullen und Einsen ist im Grundsatz vergleichsweise einfach zu verstehen. Die Quantentechnologie hingegen basiert auf quantenphysikalischen Gesetzen, die alles andere als trivial sind. Für ein grobes intuitives Verständnis verweise ich auf den Glossar-Eintrag zu Quantencomputer; ebenfalls hilfreich ist nachfolgenden Video vom Fraunhofer-Institut (4:00 Minuten):

Ebenso wie etwa in der Forschung zu künstlicher Intelligenz (Expertensysteme vs neuronale Modelle) gibt es auch in der Quantentechnologie verschiedene Ansätze, Quantencomputer für die Praxis zu entwickeln. Das sogenannte Quanten-Gatter verspricht die höchste Leistungsfähigkeit, alle Arten von Optimierungsproblemen ließen sich damit lösen (eine sogenannte „vollständige Turing-Maschine“). Es gilt aber auch, dass eben diese Quantenprozessoren heute noch sehr fehleranfällig sind (Stichwort: Kohärenz), für die Praxis hat diese Entwicklungsrichtung noch keine Relevanz.

Es gibt andererseits sogenannte Quanten-Annealer. Die Technologie lässt sich bereits heute fehlerfrei nutzen. Aber es lassen sich damit nur spezifische Optimierungsprobleme lösen; ein Quantum-Annealer spielt seine Stärken bei Problemen aus, für die es potenziell viele brauchbare Lösungen gibt und bereits irgendeine beliebige davon — also ein lokales statt des absoluten Minimums der Funktion — ein zufriedenstellendes Resultat darstellt.

Die kanadische Firma D-Wave Systems hat bereits im Jahr 2007 erklärt, dass es ihr gelungen sei, einen kommerziell verwendbaren Quanten-Annelear zu entwickeln (D-Waves Quantum-Chip). Erst im Jahr 2018 konnte das Unternehmen die Quanten-Natur seiner Architektur tatsächlich nachweisen. Zum praktischen Einsatz kam es allerdings erst viele Jahre später.

Ganz grundsätzlich wird die kommerzielle Entwicklung von Quantencomputern im Wesentlichen in den USA vorangetrieben, von US-Konzerne wie IBM, Microsoft, Intel und Google.

Zugang von Quantenprozessoren bei Amazon, Microsoft oder IBM

IBM stellt mit IBM Q bereits seit einiger Zeit eigene Quantenprozessoren zur Verfügung; die Nutzung ist bislang kostenfrei, die Quantenprozessoren sind allerdings klein. Microsoft schafft mit Azure Quantum zwar keinen Zugang zum inhouse entwickelten Quantencomputer; jedoch erhalten „early adopter“ Zugang zu den Angeboten von Honeywell, IonQ, QuantumCircuits und 1QBit.

Nun hat Amazon den Service Amazon Braket. Die Nutzung ist nicht völlig kostenfrei, aber kostengünstig. Amazon kooperiert dabei mit drei Anbietern von Quanten-Annealern: D-Wave (vgl. oben), IonQ (US-Start, Gründung 2015) , und Rigetti (US-Start-Up, Gründung: 2013). Deren Rechner sind mit der Amazon-Cloud verbunden. Unternehmen, die Amazon Braket nutzen, können auf die Rechner zugreifen und ihre Quanten-Algorithmen testen. Die Nachfrage ist eigenen Aussagen zufolge groß.

Anwendung der Quantum-Annealer-Technologie bei Volkswagen

Der deutsche Automobilriese Volkswagen lotet ebenfalls die Möglichkeiten der Quantum-Annealer Technologie für die Mobilität der Zukunft aus. Hierfür hat Volkswagen in einem Pilotprojekt eine quantenbasierte Navigation entwickelt, die auf dem Prozessor des kanadischen Herstellers D-Wave basiert. Ziel ist es, optimale Routen (nahezu) in Echtzeit zu ermitteln.

Zum Web Summit in Lissabon Ende 2019 wurden diese Navigationssysteme erstmals in der Praxis eingesetzt, nämlich in Shuttle-Bussen für die Konferenzteilnehmer. Die Verkehrsdaten kamen dabei von Here Maps. Das Digital-Magazin heise online hat die Fahrzeuge begleitet und die Routenvorschläge aus dem Quanten-Annealer mit Vorschlägen von GoogleMaps verglichen: Das Fazit: „Im Wesentlichen waren die Vorschläge identisch. Der VW-Algorithmus wählte jedoch an zwei Stellen Routen, die Google als ‚gleichschnelle Alternativen‘ markiert hatte.“

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Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.