Die Urlaubszeit steht an, endlich mal wieder ausgiebig Zeit zum Schmökern. Bei mir geht’s Anfang August los, polnische Ostsee. Die Urlaubslektüre ist schon gepackt. Und dabei gönne ich mir immer ein bißchen eskapistische Träumerei einerseits, und andererseits ein bißchen Food for Thought über aktuelle Themen unserer Zeit. Nachfolgend zwei Buchtipps, die eigentlich in beide Kategorien passen: „Themen unserer Zeit“ und „Lesen als Alltagsflucht“. Es sind zwei Science Fiction Romane, die sich literarisch mit dem Metaverse auseinandersetzen bzw. dort die Handlung platzieren.

Das eine Buch („Ready Player One”) ist ganz klar Einstiegslektüre; das andere („Neuromancer“) erfordert schon etwas Konzentration, zumal wenn man es im englischen Original liest. Beide Bücher stehen ganz in der Tradition der Cyberpunk-Literatur, und das heißt: Dystopisches Setting in der Zukunft. Die „Mood“ (Erzählstil, Erzähldistanz, Atmosphäre, etc.) ist in beiden Büchern aber ganz und gar unterschiedlich: Während der Plot in „Ready Player One“ eher mit leicht verspieltem Duktus vorgetragen wird, kommt „Neuromancer“ ziemlich „dark“ rüber.

”Ready Player One”, Autor: Ernest Cline

Das Setting des Romans lässt sich wie folgt beschreiben: In der dystopischen Realität des Jahres 2045 herrscht eine andauernde Energiekrise, ein Großteil der Menschheit lebt in Armut und unter anarchokapitalistischer Ausbeutung. In dieser Tristesse bietet eine virtuelle Welt einen eskapistischen Fluchtpunkt: die OASIS (Ontologically Anthropocentric Sensory Immersive Simulation). Diese virtuelle Welt ist zunächst einmal ein weltumspannendes Multi-Player-Spiel, ein immersives Abenteuerspiel mit Tausenden von Galaxien und Spielelevels; gleichzeitig gibt es etwa auch einen Planeten „Ludus“, wo Kinder in öffentlichen Schulen Unterricht genießen können – es geht also über eine reine Gaming-Plattform hinaus.

Die eigentliche Handlung besteht in einer gigantischen Schatzsuche. Denn der einstige Gründer und Initiator von OASIS hat eine Abenteuer-Spiel designed, an dessen Ende der Gewinner die Mehrheitsanteile an der OASIS bekommt – so das Testament des Erfinders der OASIS. Nun beginnt eine Schatzsuche, die zum Auftakt des Buches bereits zwei Jahre andauert. Und dann gelingt es dem Protagonisten, sich im Spielerranking auf Platz 1 zu katapultieren …

Es ist die Geschichte von David gegen Goliath, von Gut gegen Böse, von Underdog gegen macht- und profitgierige Großkonzerne. Das Buch ist auch eine Hommage an die 1980er Jahre und lässt die Leserschaft eintauchen in die nerdige Welt von Computer-Gamern (ich bin selbst kein Gamer, konnte mich hier aber wunderbar reindenken). Das Metaverse als riesiger Abenteuerspielplatz.

Das Buch war sehr erfolgreich (Erscheinungsdatum: 2011), zumal kein Geringerer als Steven Spielberg das Buch verfilmte und daraus einen sehenswerten und sehr erfolgreichen Film machte (ImdB-Score von 7,4):

Das Buch ist abwechslungsreich, spannungsvoll, ideenreich. Als visionär wiederum würde ich das Buch nicht bezeichnen: Ideen wir der Plot im Computerspiel (vgl. den Kultfilm Tron), das Metaverse (vgl. Snowcrash von Neal Stephenson in 1992), die dystopische Idee der Energiekrise, des Klimanotstands – das gab es alles schon vorher. Aber der Roman ist trotzdem gut. Der beste Indikator für die Qualität des Buches: Das Interesse von Spielberg an der Verfilmung.

“Ready Player One“, von: Ernest Cline, FISCHER Tor Verlag, 540 Seiten, Ersterscheinung: 2011, Preis: Geschenk eines Freundes ,- )

Ich würde auf jeden Fall mit dem Buch anfangen, und erst hiernach den Film sehen. Das Buch ist besser als der Film; der Film wiederum greift die Grundidee des Buches auch auf, geht beim Plot aber nochmals völlig eigene Wege.

“Neuromancer“, Autor: William Gibson

Gibson ist Kult, und „Neuromancer“ ist geradezu der Archetypus des Cyberpunk Romans. Die Relevanz des Buches wird unterstrichen dadurch, dass „Neuromancer“ im Erscheinungsjahr 1984 alle relevanten Science Fiction Literaturpreise erhalten hat. Zu Recht, denn der Roman hat ein beeindruckendes visionäres Momentum: Der Begriff „Cyberspace“ kommt von Gibson, ebenso der Begriff „Matrix“ (“The consensual hallucination that was the matrix.“). Es dürfte kaum überraschen, dass der gleichnamige Kultfilm (von 1999) eben auf diesem Begriff von Gibson basiert. Übrigens, Gibson mochte den Film „Matrix“, dazu Gibson auf seinem Blog: I was, as you can probably imagine, prepared not to like THE MATRIX. A friend finally dragged me to see it in Santa Monica (…). I liked it a lot. I even went back to see it a second time in theatrical release, which is unusual for me.

Zur Handlung: Case ist ein Kleinkrimineller in einer dystopischen Unterwelt Japans. Einst war er ein talentierter Computerhacker und Datendieb in der Matrix, der virtuellen Realität. Allerdings wurde er dabei erwischt, wie er seinen Auftraggeber betrügen wollte; zur Strafe wurde Case’s zentrales Nervensystem geschädigt, so dass er sich nicht mehr in die Matrix einloggen konnte. Doch schließlich wird ihm von der weiblichen Figur Molly ein Deal angeboten, und zwar im Auftrag eines zwielichtigen US-Ex-Militäroffiziers: Für seine Dienste als Hacker wird sein Nervensystem repariert. Damit beginnt für Case und Molly eine abenteuerliche Achterbahnfahrt, über die ich nicht allzu viel verraten will.

Was den Roman auszeichnet, ist zudem eine ganz eigene Sprache, mit atmosphärisch-dunklen Sprachbildern, kurz: der Poesie einer nerdigen Dystopie. Gibson entwickelt hier eine ganz eigene Welt (vgl. Cyberspace, Matrix), und sein visionärer Vorstoß spiegelt sich in einer Sprache, die eben nicht vertraut ist. Im Englischen Original muss man sich darum als Nicht-Muttersprachler erst einlesen. Hin und wieder war es für mich hilfreich, manch unbekannte Begriffe zu googlen, dankenswerterweise gibt es zu diesem Kultbuch Dutzende von Blogs und Insights. Ein Beispiel: Drogen spielen eine Rolle, der Protagonist Case nimmt etwa „Brazilian Dex“. Zu diesem Begriff wird man schnell fündig in einem Blogeintrag ( („The chemistry of William Gibsons Neuromancer“): “Interestingly, dextroiamphetamine (which is in fact the S-enantiomer!) is the more active of the two in the human body, with effects including increased concentration, CNS stimulation, and in higher doses, euphoria and libido enhancement. (…) Thus, when Case takes “Brazilian dex”, he is quite simply imbibing a powerful CNS stimulant that has been known for decades and used by everyone from beat poets to fighter pilots and college students.”.

“Neuromancer“, von: William Gibson, Gollancz Verlag, Auflage 2017, 320 Seiten, 13 EUR (Hardcover)

Als nächstes auf meiner Leseliste: „Snowcrash“

Tatsächlich bin ich noch nicht dazu gekommen, diesen vielzitierten Klassiker zu lesen, der spätestens seit dem „Metaverse“-Hype den meisten ein Begriff sein dürfte: „Snowcrash“ von Kultautor Neal Stephenson. Auf Wikipedia lässt sich leicht bestätigen, dass auch dieser Roman ganz konsequent in der dystopischen Tradition des Cyperpunk-Romans steht:

Hiro, Protagonist, Held und Hauptperson des Buches, ist Pizza-Auslieferer (Auslieferator), Programmierer (was im Roman allgemein als Hacker bezeichnet wird) und Informationssammler für die „Central Intelligence Corporation“ CIC, die kommerziell arbeitende Nachfolgeorganisation der CIA. Die Pizza-Firma Cosa Nostra gehört dem Mafia-Boss Onkel Enzo, der seinen Kunden eine Zustellzeit von 30 Minuten garantiert, andernfalls ruft Onkel Enzo beim Kunden an, entschuldigt sich am Folgetag persönlich und spendiert ihm einen Freiurlaub in Italien. Der versagende Pizzabote wird zur Strafe gemäß den juristisch zulässigen Bestimmungen seines Arbeitsvertrages getötet. Der Staat hat sich fast vollständig aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen und alle gesellschaftlichen Ordnungsfunktionen Privatunternehmen überlassen. Die Mafia ist nur eine der Franchise-Ketten wie alle anderen Institutionen auch: Polizei und Justiz, Regierungen und Staaten sind sämtlich privatisiert. Es herrschen Hyperinflation und extreme soziale Ungleichheit.

Aus dieser anarchokapitalistischen Dystopie fliehen die handelnden Personen immer wieder in das Metaversum, einer Mischung zwischen Internet und MMORPG (=Massively Multiplayer Online Role-Playing Game), durch die sie sich mit Avataren bewegen. Hiro und seine Partnerin, die 15-jährige Kurierfahrerin Y.T., werden Zeugen und Mitspieler in der Suche nach einer geheimnisvollen Droge namens Snow Crash, die verheerende Auswirkungen hat. …

Zum Weiterlesen

  • Metaverse – Status Quo und Ausblick
  • Künstliche Intelligenz in der Filmgeschichte: Diese Filme sollte man kennen …
  • Cyber Attacke auf unsere Steckdose: Über den Bestseller „Black Out“ von Marc Elsberg
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    Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.