Was sind erfolgversprechende und nachhaltige Antworten auf den IT Fachkräftemangel in Deutschland? Eine Antwort, die immer mehr drängt angesichts des überfälligen Digitalisierungsschubs in vielen Bereichen der Deutschen Wirtschaft. Welchen Beitrag kann hier das Solution Insourcing von IT Fachkräften leisten?

Über Potential und Herausforderung beim Solution Insourcing von Top Talenten aus dem #1 IT Hub Indien spreche ich mit Rafiq Iqbal (vgl. zur Bio: LinkedIn-Profil). Ingenieur (mit MBA) hat drei Jahrzehnte Karriere bei Blue Chip Unternehmen wie Sony, Grundig, ABB gemacht. Inzwischen ist er selbstständig und hat zwei Unternehmen gegründet, darunter DevHof (Webseite: www.devhof.com).

DevHof hat sich auf die gesamte Wertschöpfungskette des Insourcing spezialisiert: Dies umfasst nicht nur das Recruiting selbst, sondern auch die Begleitung bei der kulturellen Integration der angeworbenen Fachkräfte – und gegebenenfalls deren Familien.

Sebastian: Lieber Rafiq, in den USA haben indisch-stämmige TechExperten inzwischen das Top-Management der Tech Industrie erklommen: IBM, Google, Microsoft, Adobe undsoweiter werden von indischen Einwanderen besetzt. Wie ist die Akzeptanz in Deutschland?
Rafiq: In Deutschland ist es anders. Die USA ist seit ihrem Bestehen ein Einwanderungsland und hat daher völlig andere Voraussetzungen. Eine zukunftsorientierte Weiterentwicklung ist allerdings auch in der Bundesrepublik möglich, Wenn wir die nächsten Jahre strategisch vorgehen und den Zusammenhalt als Industriegesellschaft z.B. durch Diversität und Mentoring aktiv gestalten, statt Stillstand durch alte Muster zu erzeugen. Voraussetzungen hierzu sind bereits durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz geschaffen worden, z.B. durch die Vereinfachung der Visa Beantragung. Wichtig ist, dies jetzt zu überarbeiten und auf die Post- COVID-19 Bedingungenanzupassen. Beispiele hierzu wären Onboarding Konzepte für ausländische Fachkräfte bereits im Heimatland zu starten und Behördengänge im Visa Prozess umfangreicher zu digitalisieren.

Es gibt noch die Perspektive der indischen Fachkräfte selbst: Dass diese Deutschland als Einwanderungsland nicht in Betracht zogen, hatte in der Vergangenheit verschiedene Gründe. Hauptgrund ist, erstens, nach wie vor die fehlende Sprachkompetenz. Englisch ist in Indien Amtssprache und wird in Schulen ab der ersten Klasse unterrichtet. Wenn eine weitere Fremdsprache erlernt wird, so ist es Französisch. Hier waren unsere Nachbarn jenseits des Rheins mit dem Bewerben ihrer Sprache aktiver als wir.

Zweitens ist das indische Schulsystem durch die Kolonialzeit der Briten geprägt. Abschlüsse wie Bachelor und Master gibt es seit über 100 Jahren in Indien. Hierdurch war die Anerkennung der Abschlüsse und Einordnungen der Fachkompetenzen für amerikanische Unternehmen sehr einfach. Die Hürden für die Anerkennung sind in Deutschland etwas höher.

Drittens hat uns die vor 20 Jahren in Deutschland geführte Green Card Debatte geschadet, Stichwort: „Kinder statt Inder“. Viele positiv motivierte indische IT Fachkräfte zog es hierdurch doch lieber in die USA als nach Deutschland, wodurch wir noch weiter ins Hintertreffen gerieten. Heute ist der damalige Populismus erfreulicherweise weitestgehend aus dem indischen Gedächtnis gestrichen. Nicht nur weil wir in Deutschland aktiv an einer Willkommenskultur gearbeitet haben, sondern durch strategische Fehler der Einwanderungsländer USA und Großbritannien. Die USA verlor Attraktivität durch die populistische Einwanderungspolitik von Donald Trump, Großbritannien verlor durch den Brexit seine dominierende Finanzposition im industriellen Europa. Deutschland rückte durch seine technologisch hochwertigen Produkte beim indischen Mittelstand in den Fokus, und Kanada durch seine strukturierte Einwanderungspolitik.

Für uns bedeutet dies jetzt, die aktuelle Position Deutschlands als Chance zu nutzen und aktiv auszubauen. Mit einer amerikanischen Vizepräsidentin indisch/jamaikanischer Herkunft ist andererseits vorhersehbar, dass das Image Amerikas als Einwanderungsland wieder positiver wahrgenommen werden wird.

Die Deutsche Telekom hat mit Srini Gopalan seit 1. November 2020 einen neuen Chef. Er könnte für viele in Deutschland ein interkulturelles Leitbild werden. Wir Deutschen benötigen im globalen Wettbewerb der klügsten Köpfe, gerade für die Digitalisierung, weitere interkulturelle Leitbilder. Dies wird die Akzeptanz innerhalb unseres Landes steigern und das Interesse an Deutschland bei ausländischen Fachkräften erhöhen.

Sebastian: Welche typischen Herausforderungen gibt es für Insourcing von IT Fachkräften aus Indien?
Rafiq: Häufig die ähnlichen, die wir auch erleben, wenn wir Software für unsere Kunden in Indien entwickeln. Es sind zum einen die interkulturellen Herausforderungen und Mißverständnisse bei Indern wie Deutschen und zum anderen die häufig existierenden Vorbehalte im Mittelstand.

Die interkulturellen Herausforderungen können in gute Bahnen bewegt werden, wenn die Themen Sprache, Behördengänge, Integration und Projektmanagement-Feedback aktiv in den Fokus genommen werden. Mit unserer Plattform devhof.com vermitteln wir daher nicht einfach nur IT Fachkräfte, sondern bieten einen gesamten Fachkräfte-Integrationszyklus an.

Die Integration migrierter Fachkräfte gelingt, wenn diese eine vertrauensvolle Beziehung zu ihren Kollegen, Vorgesetzten und ihrem sozialen Umfeld aufbauen und am kulturellen Leben teilnehmen.

Unsere Aufgabe mit devhof.com ist es, diesen Prozess in den ersten 100 Arbeitstagen erfolgreich anzustoßen. Und zwar durch persönliche Betreuung und Coaching, um die wesentlichsten Erfolgsgrundlagen zu erschaffen. Insgesamt begleiten wir diesen Prozess ein halbes Jahr. Wir verstehen uns daher nicht als Headhunter, sondern als Integrationscoachs mit indischer Herkunft und differenzieren uns von anderen Recruitern durch unsere indisch interkulturellen Kompetenzen.

Größte Herausforderung im Mittelstand ist der Irrglaube, mit interkulturell unerfahrenen Recruitern ausländische Fachkräfte finden und/oder selbst für ein Gelingen der Integration ausländischer Fachkräfte sorgen zu können.

Global Player sind erfahrener und haben bereits ihre Lernprozesse durchlaufen und Entwicklungszentren in Indien aufgebaut.

Sebastian: Wie hoch ist die Bereitschaft von indischen IT Fachkräften, nach Deutschland zu kommen – und zwar möglichst langfristig?
Rafiq: Die Bereitschaft indischer Fachkräfte war vor der Pandemie hoch, jedoch durch den umfangreichen Visa Prozess ernüchternd für jeden, der nach Deutschland kommen wollte. Zum 1. März 2020 sollte dies mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetzt verbessert werden, welches jedoch nicht umgesetzt werden konnte.

Durch die Pandemie sind die Einstellungen in der IT Industrie noch verhalten. Die Bereitschaft der Inder, nach Deutschland einzuwandern, sich zu integrieren und hier Ihre Zukunft langfristig aufzubauen, ist aber nach wie vor hoch.

Wie oben beschrieben ist Deutschland für Inder attraktiv. Inder sind Familienmenschen, die am Arbeitsplatz den persönlichen Kontakt benötigen. Die persönliche Anerkennung von Kollegen und Vorgesetzten ist ihnen wichtiger als die Unternehmensmarke, für die sie arbeiten. Daher hat der deutsche Mittelstand, haben kleinere Betrieben bei der langfristigen Attraktivität indischer Fachkräfte gegenüber Konzernen die Nase vorne.

Sebastian: Wie hoch ist die Bereitschaft deutscher Unternehmen, in die Integration der ganzen Familie zu investieren: Sprachkurs, etc.?
Rafiq: Wenn ein Unternehmen sich für eine ausländische Fachkraft entscheidet, ist auch die Bereitschaft hoch, die Familie zu fördern … auch wenn ich das nicht mit Zahlen belegen kann, oder noch nicht. Hier geht es häufig um Themen wie Kindergartenwahl, Nachhilfeunterricht oder z.B. Arztbesuche. Unser Anspruch besteht darin, Hürden abzubauen und schnelle Lösungen herbei zu führen, was zur Motivation aller beteiligten führt. Erfahrungsgemäß binden wir die Vorgesetzten, Personalabteilungen oder Mentoren von Beginn an mit ein. Nach 6 Monaten kann somit seitens des Unternehmens die Betreuung übernommen werden und wir bleiben im Hintergrund als Anlaufstelle erhalten.

Die Flüchtlingskrise hat den Mut und den Willen deutscher Unternehmer aufgezeigt. Den Unternehmen sind heute Umfang an erforderlicher Behördenkommunikation und Bedarf an Invest in Sprachentwicklung bekannt.

Integrations- und Sprachkurse sind heute kostenfreie Grundlage. Wir als devhof.com gehen einige Schritte weiter und monitoren den Lernerfolg. Der Mitarbeiter kann sich einen Tag in der Woche auf seinen Unterricht konzentrieren, muss aber auch Erfolge vorweisen die in einer Zielvereinbarung gemeinsam mit dem Unternehmen abgestimmt wurden.

Ich lade die Leser und Leserinnen dieses Interviews auch ein, einmal einen Blick auf den Blog von uns zu werfen.

Sebastian: Lieber Rafiq, vielen Dank für Deine Zeit und dieses Gespräch!

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Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.