Ich hatte das Vergnügen einer einwöchigen Geschäftsreise nach Tokio, wo Beta Systems Software AG mit unserem langjährigen und sehr erfolgreichen Vertriebspartner Softplex eine Fachkonferenz ausgerichtet hat. Es war in vielerlei Hinsicht eine bemerkenswerte Geschäftsreise: Zum einen aufgrund der sehr produktiven und harmonischen Zusammenarbeit mit Softplex. Zum anderen aufgrund der Erfahrung der japanischen Arbeits- und Lebenskultur, die beeindruckend und inspirierend ist.
Zu einer solchen Geschäftsreise gehört eine systematische Vorbereitung. Neben dem Erfahrungsaustausch mit den Kollegen, die Japan mehrfach bereist haben, gehörte die Lektüre eines Business Knigge zu Japan. Darüber hinaus haben mich der Film Perfect Days (Imdb Rating: 7,9) von Wim Wenders sowie das Buch ”Ikigai – Die japanische Lebenskunst” von Ken Mogi hervorragend eingestimmt auf diesen Aufenthalt – und beides kann ich auch unabhängig von einer Reise nach Japan nur wärmstens empfehlen.
Nachfolgend einige persönliche Beobachtungen zum Arbeits- und Lebensalltag in Tokyo, ergänzt von Insights aus vielerlei Gesprächen mit den japanischen Geschäftsfreunden, die uns während dieser Woche aufs Beste betreut haben. Außerdem noch ein paar Impressionen aus der eher touristischen Brille (aufgrund einer frühen Anreise am Wochenende konnte ich an einem Sonntag mußevoll einige Tourist Highlights in Tokio besuchen).
Zum Schluss noch einige Gedanken zur Frage, wie asiatisch Japan eigentlich ist. Ich hatte dazu eine interessante Diskussion mit unseren Gastgebern. Tatsächlich schafft die (isolierte) Insellage Japans ein Selbstverständnis, in dem sich Japan von asiatischen Ländern wie China oder Indien abgrenzen. Man fühlt sich hier durchaus näher zu den USA und Europa. Dazu mehr weiter unten.
Alltagsbeobachtungen
Die japanische Kultur ist bekanntermaßen charakterisiert von hoher Disziplin und einem ausgeprägten Sinn für Ordnung. Dies wird unmittelbar spürbar, wenn man den japanischen Kosmos betritt: An den Fußgängerampeln (nie bei Rot), bei Rolltreppen (links gehen, rechts stehen), ein aufgeräumtes Straßenbild auf Haupt- und Nebenstraßen, tiptop-saubere Straßen und Parks, Pünktlichkeit (bei Geschäftstreffen, in der Metrostation) oder beim Schlangestehen an der Metrostation.
Mindestens ebenso charakteristisch für Japan sind vornehme Zurückhaltung des Einzelnen (es handelt sich um eine gemeinschafts-orientierte Kultur), eine ausgeprägte Höflichkeit und hohe Service-Orientierung.
Wenn man Essen geht, fällt auf: Es gibt eine Vielzahl von kleinen Restaurants, egal ob Sushi-, Ramen- oder sonstige Restaurants. Nicht untypisch sind 6 oder auch mal 14 Sitzplätze. Einerseits ist dies der Tatsache geschuldet, dass Platz in Tokio rar ist (entsprechend hoch ist der Durchsatz an Gästen – gerade während der Mittagszeit wird schnell serviert, man hält sich gerade mal 10 Minuten in einem solchen Restaurant auf); andererseits bestätigte mir einer unserer Gastgeber, dass sich Japaner in einem solchen Kontext am wohlsten fühlen.
Apropos Gastronomie: Japaner trinken viele Getränke gerne eiskalt. Coca Cola oder auch Wasser werden mit Eiswürfeln serviert (auch im Film Perfect Days ist das gut zu sehen). Während man etwa in Indien (oder auch in der Mongolei) – abgeleitet aus ayurvedischen Prinzipien – an kalten wie heißen Tagen heiße Getränke präferiert, verhält es sich in Japan genau umgekehrt. Wohnungen würden – so erzählte mit einer unserer Gastgeber – auch selten stark geheizt.
Japan ist – so sehe ich das – auch eine Automatenkultur. Getränkeautomaten etwa findet man in Tokio in erstaunlicher Dichte, an vielen Straßenecken, aber teilweise auch im Eingangsbereich von Wohnblöcken:
Was man ebenfalls häufig sieht, sind Automaten, wo man etwa Spielfiguren und Ähnliches kaufen kann, und zwar in einer geradezu explosiven Vielfalt. Das ist in etwa vergleichbar mit Kaugummi-Automaten (die in Deutschland freilich weitgehend aus dem öffentlichen Leben verschwunden sind). Im Mega-Kaufhaus Yodobashi gibt es Hunderte solcher Automaten, die mehrfach aufeinander- und nebeneinander gestapelt sind und auf Flächen von 200 bis 300 Quadratmetern einen ganz eigenes Einkaufserlebnis schaffen.
Wer Japan hört, denkt auch schnell an Sumo. Wer kennt sie nicht, die kräftigen Sumo-Ringer, die einander versuchen, aus dem Ring zu stoßen. Ein Schauspiel, das in der Regel nur rund 10 Sekunden dauert, selten länger als 30 Sekunden. De facto habe ich keinen einzigen Sumo-Fan unter den Gastgebern gefunden – dieser Nationalsport scheint zunehmend an Popularität zu verlieren. Einer meiner Gastgeber erklärte mir: noch vor 10 Jahren kannte jeder in Japan den jeweils aktuellen Sumo-Großmeister („yakazuna“). Heute gilt das nicht mehr. Er könne das auch nicht sagen. Populär sind Sportarten wie Baseball oder American Football.
Wer durch die Stadt schlendert, trifft immer wieder auf Shinto-Schreine: Kleine Schreine auf 80 bis 150 Quadratmetern, aber natürlich auch die großen Touristen-Attraktionen wie der Meiji-Schrein oder der Asakusa-Schrein:
Auf Wikipedia findet sich folgende kompakte Information zur Einordung des Shintoismus in Japan: ”Die Mehrzahl der Japaner fühlt sich sowohl dem Shintō als auch dem Buddhismus verbunden. (…) Shintō (dt. Weg der Kami) – oft auch als Shintoismus bezeichnet – ist der Glaube an die einheimischen Götter Japans, die Naturkräfte, aber auch vergöttlichte Ahnen verkörpern können. Shintō ist eine polytheistische Religion ohne Gründer und ohne festgelegte Lehren und beruht daher auf einem anderen Religionskonzept als die so genannten monotheistischen Schriftreligionen. Auch Jenseits- und Moralvorstellungen sind nicht deutlich herausgearbeitet und stark vom Buddhismus oder von chinesischen Konzepten beeinflusst. Im Grunde ist der Shintō ein Nebeneinander lokaler Traditionen mit einem gemeinsamen rituellen Kern.“
Erdbeben gehören in Japan zum Alltag. Alle 3 bis 4 Tage ereignet sich hier ein Beben, das spürbar ist. Tipp unserer Gastgeber: Sollte es mal ein Erdbeben geben, das nicht nach wenigen Sekunden vorbei ist, am besten bei geöffneter Tür in einen Türrahmen stellen.
Es gibt eine Webseite der Japan Meteorological Agency, die einen guten Überblick zu den täglichen Beben in Japan gibt. HIER geht’s zur Seite “Earthquake Information”. Hier erkennt man sehr gut, wie alltäglich Beben mit einer Magnitude von 3 bis 4 in Japan sind:
News zur demographischen Herausforderung in Japan und einer Strategie, die etwa in der Altenpflege auf Robotik setzt, sind bekannt. Umso erstaunlicher ist es zu beobachten, dass in Japan in vielen Bereichen (Hilfs)Arbeitskräfte sehr großzügig eingesetzt werden. Beispiele sind etwa uniformierte Personen an Auffahrten von Parkhäusern, die anfahrende Autos anweisen. Oder Personen, die an gesicherten Baustellen zusätzlich noch mit Leuchtstab Tag und Nacht für sicheren Verkehrsfluss sorgen. Aus Sicht eines ausländischen Besuchers ergibt das ein paradoxes Bild … dem werde ich bei Gelegenheit nochmals nachgehen.
Beobachtungen aus dem Geschäftsleben in Japan
Die Klassiker aus dem Business Knigge für Japan: Die Visitenkarte wird bei einer kleinen Zeremonie mit zwei Händen übergeben, begleitet von einer leichten Verbeugung. Bei Geschäftsmeetings nicht schneuzen. Pünktlich sein. Und es empfiehlt sich in einer vergleichsweise formellen Kultur, Krawatten mit ins Gepäck zu nehmen.
Was ich vor Ort noch gelernt habe. Japanische Angestellt verbleiben häufig ein ganzes Leben lang bei dem gleichen Arbeitgeber, es gibt eine starke Loyalität und Verbundenheit mit dem Arbeitgeber. Zwar gibt es heute auch eine wachsende Anzahl an Menschen, die ihren Arbeitgeber auch mal wechseln, jedoch längst nicht so häufig, wie es bei uns in Deutschland der Fall ist.
Es wird auch viel gearbeitet. Überstunden sind eher die Norm, weniger eine Ausnahme. Das Phänomen „Karoshi“ – Tod durch Überarbeitung – ist eine Ausnahme, aber es prägt die Sichtweise auf die Arbeitskultur in Japan. Wichtiger Hintergrund: Der Beruf ist in Japan ein wichtiger Teil der Persönlichkeit. Man identifiziert sich stark damit und legt deshalb auch so großen Wert darauf. Die Woche gehört quasi der Arbeit und nur das Wochenende der Familie.
Neueinsteiger erhalten typischerweise rund 10 Urlaubstage (=gesetzliches Minimum). Nach längerer Betriebszugehörigkeit sind rund 20 Urlaubstage üblich.
Ein wichtiges Learning für das GoToMarket von Software in Japan. Tatsächlich spielen Ratings von Analysten wie GARTNER (und auch Enterprise Management Associates für Workload Automation, wie für die Software von Beta Systems Software AG) nur eine sehr untergeordnete Rolle. Deutlich entscheidender: Gibt es bereits japanische Unternehmen, die die Software einsetzen.
Needless to say: Die Kommikationsmuster sind kulturell bedingt ganz anders. Das ist ein eigenes, abendfüllendes Thema – nur so viel: Ebenso wie auch in Deutschland empfiehlt es sich, manche Themen am Abend an der Bar anzusprechen, wenn die Krawatten gelockert sind und die Gespräche nach ein, zwei Gläschen Sake, Bier oder Whiskey nicht mehr den strengen Regeln unterliegen. Hier kann man kritischere Punkte ansprechen oder mal die Reaktion auf neue Ideen antesten.
Erlebniswelt Tokyo
Die Erlebniswelt in Tokyo ist riesig, und hierzu gibt es auch genügend Quellen im Internet. Ich erlaube mir, meine persönlichen Highlights vorzustellen:
An erster Stelle: Das Digital Art Museum. Ganz fantastisches Erlebnis, ganz und gar immersiv. Das nachfolgende Video gibt einen sehr guten Eindruck. Empfehlung: Das Museum ist sehr populär, unbedingt Karten mit einigen Tagen Vorlauf kaufen.
Als Sushi-Fan war ich am Vormittag auf dem Tsukiji Fischmarkt, wo es inmitten eines bunten Treibens allerlei Leckereien fangfrisch oder knusprig vom Grill gibt:
Grundsätzlich kann man hier sehr gut essen. Ich hatte sogar das Vergnügen, in einem Restaurant zu speisen, wo das Wasabi direkt an unserem Tisch frisch gerieben wurde (das Wasabi in herkömmlichen Sushi-Restaurants entspricht grün koloriertem Meerrettich, da echtes Wasabi äußerst selten und teuer ist):
Wie asiatisch ist Japan wirklich?
Zum Schluss nochmals zur Frage, wie asiatisch Japan wirklich ist. Die (isolierte) Insellage Japans schafft ein Selbstverständnis, wonach sich Japaner von asiatischen Ländern wie China oder Indien abgrenzen. Man fühlt sich hier durchaus näher zu den USA und Europa.
Was macht eine „asiatische Kultur“ eigentlich aus? Und inwiefern erfüllt Japan diese Kriterien?
Was zweifelsohne asiatische Kulturen charakterisiert: Während westliche Kulturen mehrheitlich individualistisch ausgerichtet sind, gelten asiatische Länder als eher (gemeinschaftsorientiert) – das gilt für Indien, China ebenso wie für Vietnam. Und eben das lässt sich auch für Japan feststellen.
Was Japan ebenfalls gemein hat mit asiatischen Kulturen: Religion / Spiritualität haben eine eindeutige asiatische Prägung. Buddhismus spielt in Japan ein wichtige Rolle, ebenso lassen sich Einflüsse des Konfuzianismus erkennen.
Wo ein deutscher Besucher ebenfalls Gemeinsamkeiten mit anderen asiatischen Kulturen entdeckt: In einer fröhlichen und ausgelassenen Buntheit von Plakaten oder Fernsehprogrammen. Das findet man in Ländern wie Indien in ganz ähnlichen Weise.
Auch eine eher hierarchische Struktur von Gesellschaft und Unternehmensstrukturen ist meines Erachtens eher typisch für asiatische Kulturen als westliche Kulturen.
Demgegenüber argumentiert ein Artikel in der Zeitung NZZ (Wie asiatisch ist Japan wirklich?) etwa wie folgt: “Sicher gilt, dass die folgenschwersten Ambivalenzen in Japans Haltung gegenüber Asien aus seinem schwierigen Verhältnis mit China resultieren, auch wenn die notorische Vernachlässigung Indiens durch die japanische Aussen- und Sicherheitspolitik ein Indiz dafür ist, dass auch gegenüber dem Herkunftsland des Buddhismus eine gewisse arrogante Distanzierung im Spiel ist.“ Dieser Artikel gibt ein sehr ausdifferenziertes Bild zu den Verhältnissen zwischen Japan und seinen wichtigsten Nachbarn. Lektüre: empfehlenswert.
Das Teaser Bild habe ich mithilfe von Midjourney.ai erstellt; und zwar mit folgendem Prompt: A highly realistic night scene of Tokyo’s futuristic skyline, blending modern skyscrapers with traditional Japanese elements. Neon signs and glowing billboards light up the bustling city streets, with the iconic Tokyo Tower standing tall in the distance. The image captures the energetic yet serene essence of Tokyo at night. Shot with a Canon EOS camera, ultra-realistic, sharp details.