Zahlreiche Digitale Technologien und Digitale Tools haben bereits den Lebens- und Berufsalltag verändert: Das Smartphone, das Smart Home, das Internet of Things, Apps und Plattformen wie Facebook oder AirBnB. In immer mehr Anwendungen steckt Künstliche Intelligenz, Sprachassistenten lassen sich bei manchen Anwendungen kaum mehr von menschlichen Ansprechpartnern unterscheiden. Der Anteil von eCommerce am gesamten Handel wächst. Prozesse in der Logistik, in der Fertigung, im Controlling werden kontinuierlich digital optimiert. Hochautomatisierte Smart Factories entstehen, wo die Vision der Industrie 4.0 (Vergleiche dazu den Blogbeitrag Factory 4.0: Status Quo und Ausblick) greifbare Wirklichkeit wird.

Mal abgesehen von den täglichen inkrementellen Fortschritten: Was sind einige visionäre, ambitionierte Projekte, die in der Geschichte der Digitalisierung eines Tages als Meilensteine gelten würden? – Genau solche Leuchtturmprojekte (oder Moonshots) möchte ich vorstellen. Zeithorizont: 10 bis 15 Jahre. Diese Auswahl fällt zwingend subjektiv aus; es bleibt dennoch ein spannender Überblick zu einer Zukunft, die in nicht allzu ferner Zeit eintreten dürfte.

Der Social Robot

Das World Economic Forum hat im Jahr 2019 den Social Robot als eine der Top 10 Zukunftstechnologien bezeichnet, die starke Veränderungspulse in Gesellschaften und Volkswirtschaft geben würden. Die Industrie der Social Robots steckt zwar noch in den Kinderschuhen: Immer wieder gibt es vielversprechende Projekte (wie z.B. JIBO vom MIT Media Lab), denen der Durchbruch auf dem Markt nicht gelingt. Das jedoch ist nur eine Frage der Zeit. Eine Vielzahl an Playern arbeiten an eben diesem Durchbruch. Da gibt es Sophia (Hanson Robotics), Milo robot (RoboKind), Furhat oder der Roboter Moxie, der die Entwicklung von Kindern unterstützen soll. Die rasant steigende Leistungsfähigkeit von Sprachassistenten ist hierbei ein Erfolgsfaktor und ebnet den Erfolgspfad von Social Robots.

Zunächst zur Definition eines Social Robot. Ein solcher Robot unterscheidet sich einerseits von Chatbots und Avataren, insofern Letztere eben physisch nicht präsent sind. Ganz anders der Social Robot, der als einäugiger Haus-Roboter (JIBO) oder als Torso mit ausdrucksstarkem Gesicht (z.B. Furhat). Social Robots grenzen sich andererseits von Industrierobotern klar ab, als Industrieroboter keine (oder nur sehr begrenzte) soziale Fähigkeiten mitbringen. Der Zukunftsforscher Matthias Horx hatte JIBO einmal als „emotionalen Assistenten“ bezeichnet.

Es bleibt spannend, ob die erfolgreichen Social Robots der Zukunft stark humanoide Züge aufweisen – oder ob solche Social Robots eher die Form eine R2D2 annehmen, wo im deutlich erkennbar bleibt, dass es sich um einen Social Robot handelt. In der Roboterpsychologie gibt es den sogenannten Uncanny Valley Effekt: Je menschenähnlicher humanoide Roboter werden, desto mehr Gruseleffekte rufen diese hervor. Womöglich wollen wir als Bio-Wesen wissen, was wirklich lebt und was Maschine ist. Das Unternehmen Furhat etwa setzt darauf, dass der Mensch genetisch darauf angelegt ist, in der sozialen Interaktion Gesichtsausdrücke wahrzunehmen und zu interpretieren. Der Social Robot von Furhat nutzt darum eine Gesichtsmaske, worauf komplexe Emotionen projiziert werden können. Gesichtsausdrücke werden also nicht mechanisch geformt, sondern über eben jene Projektion, die deutlich natürlicher wirken. Auch synchrone Lippenbewegungen zum gesprochen Text für über 40 Sprachen sind so möglich. Die Zukunft wird zeigen, was sich am Markt durchsetzt.

Klar ist, dass ein Social Robot das Potential hat, zum zentralen User Interface zu werden. Und dieses User Interface wird zu einem Ökosystem ebenso wie Alexa zum Ökosystem für Zehntausende von Apps und Anwendungen geworden ist.

Augmented Reality mithilfe von Hologrammen

Nehmen wir an, Sie könnten einem guten Freund gegenübersitzen, der Tausende von Kilometern weiter gerade im Ausland arbeitet. Nehmen wir an, Sie mit der ganzen Familie ein Haus in 3D betrachten und begehen, das gerade für Sie geplant wird. Nehmen wir an, in einer Konferenz kommen Konferenzteilnehmer aus der ganzen Welt an einem Konferenztisch zusammen – als Hologramme.

Diese Technologie wird aller Voraussicht nach in den nächsten Jahren in unsere Berufs- und Freizeitwelt Einzug halten. Jüngst eröffnete der Starprogrammierer Alex Kipman die Microsoft-Entwicklerkonferenz „Ignite 2021“, indem er als Hologramm auftrat. Eine verblüffend realitätsnahe Projektion des Programmierers stand auf dem Boden eines virtuellen Aquariums. Es war eine beeindruckende Demonstration des Projektes „Mesh“, eine Plattform für „Augmented Reality“. Dabei werden echte und digitale Welt miteinander verbunden. Das nachfolgende Kurzvideo (2:30 min) verschafft einen Eindruck:

Flächendeckende Internet-Versorgung per Satellit

Die Netzabdeckung in Deutschland ist notorisch schlecht. Besonders im ländlichen Raum, was einerseits den ländlichen Raum im Digitalen Zeitalter benachteiligt und andererseits Innovationen zur Landwirtschaft der Zukunft verhindert. Kaum überraschend, dass die großten US-Tech Konzerne seit langem das Projekt einer Netzabdeckung per Satellit und Ähnlichem verfolgen. Während das Internet über eine Flotte aus Helium-Ballons von Google inzwischen gescheitert ist (ebenso die Internetversorgung per solarbetriebener Flugdrohnen – Project Titan), setzen Amazon und Starlink von Elon Musk das Projekt eines Internet per Satellit schrittweise um.

Das Starlink-Projekt plant, insgesamt etwa 42.000 Satelliten in eine niedrige Umlaufbahn zu katapultieren. Etwa 1.100 Satelliten sind etwa bereits platziert. Auch in Deutschland steht das Angebot seit dem Frühjahr 2021 zur Verfügung – zumindest in einigen Gebieten. Das Internet per Satellit wird hierzulande das Glasfasernetz nicht ersetzen können, sondern ist vielmehr als Ergänzung zu sehen. Selbst im maximalen Ausbau wird Starlink in Deutschland maximal 1,3 Millionen Anschlüsse mit 100 Mbit/s beliefern können. Das hat vor allem technische Gründe, die Kommunikation mit den Satelliten ist etwa sehr herausfordernd: Diese erdnahen Satelliten überfliegen Deutschland bei einer Geschwindigkeit von 28.000 km/h im Schnitt innerhalb von einer Minute.

Quantencomputer

Ein Quantencomputer könnte die Bewegungsdaten aller Fahrzeuge einer Stadt dergestalt verarbeiten, dass in einem Rechenmodell Ampelschaltungen, Durchschnittsgeschwindigkeiten aller Fahrzeuge und weitere exogene und endogene Faktoren so berücksichtigt werden, dass jedes Fahrzeug optimale Fahrtrouten zur Stauvermeidung angezeigt bekäme und auch die Prognose zur Ankunftszeit deutlich genauer erfolgte als heutige Schätzungen. Ebenso ließe sich Quantentechnologie bei der Materialentwicklung (Solarindustrie, Pharmaindustrie), bei der Risikobewertung in der Finanzindustrie oder im Energiesektor nutzen.

Quantencomputer wurden erstmals in den 1990er Jahren realisiert – im Forschungslabor. Doch inzwischen gewinnt die Technologie an Praxisrelevanz. Auf AWS können Nutzer auf sogenannten Quantum Annealer (eine Vorstufe zu einem voll ausgereiften Quantencomputer) bereits heute Algorithmen laufen lassen. Volkswagen hat bereits ein Pilotprojekt zu einem Navigationssystem basierend auf der Annealer Technologie umgesetzt. Das Start-Up IQM will bis zum Jahr 2024 einen ausgereiften Quantencomputer mit 50 Qubits in Finnland ausliefern – die Ziele von Google oder IBM sind deutlich ehrgeiziger. Ein Überblick zum Status Quo rund um Quantentechnologie gibt’s hier: Quantentechnologie: Status Quo der Entwicklung und Bedeutung für die Praxis

Autonome Fahrzeuge

Autonome Fahrzeuge sind bereits Realität: In mancher Smart Factory, wo sogenannte AGV (Automated Guided Vehicles) bei einer Vielzahl von Sensoren entlang der Fahrstreifen die Intralogistik übernehmen. Oder auf einem abgeriegelten Hafengelände, wo Menschen keinen Zutritt haben. Aber komplett autonome Fahrzeuge (das entspricht Autonomie-Level 5) im Autoverkehr sind erst rund um das Jahr 2030 zu erwarten.

Aber bereits in den nächsten 10 Jahren werden wir uns schrittweise diesem Meilenstein nähern. Zunächst wird etwa das Autonome Fahren für die Autobahn kommen („Autobahnpilot“); diese Fahrsituation lässt sich nämlich vergleichsweise gut kontrollieren. Die nächstgrößere Herausforderung ist der „City-Pilot“: Das urbane Umfeld bietet eine hohe Vielfalt an Störfällen und Überraschungen – aber hier ist die Geschwindigkeit immerhin auf 50 km/h begrenzt. Ein Überblick zum Stand der Entwicklung und den wichtigsten Playern im Markt gibt es hier: Autonomes Fahren: Bestandsaufnahme & Ausblick

Der (allwissende) Sprachassistent

Wer heute am Telefon mit manch holprigem Sprachassistenten der einen oder anderen Bank zu tun hat, der mag hinsichtlich des Zukunftspotentials von Computerlinguistik bzw. Natural Language Processing skeptisch sein. Tatsächlich aber gilt, dass die Entwicklung in diesem Gebiet in geradezu atemberaubendem Tempo abläuft.

Das bis dato größte Sprachmodell, nämlich GPT-3, ist im letzten Sommer veröffentlicht worden, und es kann sicherlich als Meilenstein gelten. Diesem Sprachmodell gelingt die Generierung von Text, die nicht mehr zu unterscheiden sind von Texten, die von Menschen stammen. GPT-3 wurde mit einem Textkorpus von über 1 Milliarden Wörtern trainiert und hat über 175 Milliarden Parameter. Zum Vergleich: Das Vorgängermodell GPT-2 hatte 1,5 Milliarden. Es ist davon auszugehen, dass die nächsten Versionen nochmals eine höhere Leistungsfähigkeit aufweisen.

Das Projekt Open AI (die Entwickler von GPT-3) sind natürlich nicht die einzigen, die an der Weiterentwicklung von Sprachmodellen arbeiten. Amazon (Stichwort: Alexa) gehört ebenfalls dazu. Oder auch IBM: Der US-amerikanische Konzern arbeitet an einem Sprachmodell namens Project Debater, das in Echtzeit Diskussionen zu komplexen Themen führen kann.

Kurz: Es ist absehbar, dass innerhalb der nächsten zehn Jahre Sprachassistenten in unseren Lebens- und Berufsalltag Einzug halten, die Alltagskonversationen ebenso führen können wie professionelle Beratungsgespräche zu Produkten und derlei mehr.

Zur Illustration der Mächtigkeit von GPT-3 habe ich nachfolgend einen Auszug aus einem automatisch (!) generierten Gedicht über Elon Musk.

Once there was a man
who really was a Musk.
He liked to build robots
and rocket ships and such.

He said, “I’m building a car
that’s electric and cool.
I’ll bet it outsells those
Gasoline-burning clunkers soon!”

They sell cool cars
that are electric and clean.
And then he wanted to go
even farther, you see.

The first Tesla, Roadster,
Was just the start of a bigger dream.
He said, “I’m building a plane
that’s electric and green.

Das vollständige Gedicht finden Sie unter: Poem on Elon Musk (unabridged) on www.ar.am

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Author

Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.