Die Überschrift dieses Artikels suggeriert, es könnte eine Trendwende zugunsten einer größeren Relevanz ethischer Aspekte bei Unternehmensinvestments und Geschäftsmodellen geben. Ist das so? Eben hierauf versucht dieser Artikel eine Antwort – oder eher einen Diskussionsbeitrag, denn das umfangreiche Thema lässt sich in einer Kolumne keineswegs abschließend behandeln. Hierbei geht es mir vor allem um zwei ethische Aspekte: Zum einen ethische Verantwortung gegenüber nachfolgenden Generationen (ökologische Nachhaltigkeit, Klimawandel), zum anderen Verantwortung für Arbeitsbedingungen in entwickelten Ländern sowie Entwicklungsländern (soziale Nachhaltigkeit).

Positive Nachrichten zu ethischem Handeln in der Wirtschaftswelt

Wir haben jüngst eine Reihe interessanter Entwicklungen beobachten können, die Optimisten veranlassen können, eine solche Trendwende auszumachen: Im vergangenen Jahr erklärte der Blackrock-CEO Larry Fink: „Der Kapitalismus ist zu weit gegangen“. Fink forderte, Unternehmen müssten sich stärker für die Gesellschaft engagieren.

Jüngst haben über 1 000 Firmen im Rahmen der Initiative “Stop Hate for Profit“ beschlossen, zumindest temporär keine Werbung mehr auf dem weltweit größten Social Media Netzwerk Facebook zu schalten. Darunter Firmen wie Coca-Cola, Starbucks, Henkel, SAP, Volkswagen, Unilever.

Amazon wiederum will bis 2030 komplett grün werden, bis 2040 gar klimaneutral. Der Tech Konzern Microsoft geht weiter und will bis 2030 gar C02-negativ werden. Und der Norwegische Staatsfonds verbannt RWE-Aktien aus seinem Investmentportfolio, da RWE primär mit fossilen Energien Strom produziere.

Weitere beispielhafte Unternehmensnachrichten, die Optimismus schüren: Wir haben erlebt, wie 2018/2019 Mitarbeiter von Google (Motto: „Don’t be evil“) das Projekt Maven erfolgreich boykottiert haben, mit dem Ergebnis eines Rückzugs von Google aus der Zusammenarbeit mit dem Pentagon: Im Projekt Maven ging es um die KI-basierte Auswertung von Bildmaterial, das von Drohnen (im militärischen Kontext) generiert wird. Wir erinnern uns: Insbesondere die Millenial-Generation fordert einen glaubhaften Purpose ihrer Arbeitgeber, und fordert Konsequenz in der Umsetzung (vgl. Google)

Der CEO der OTTO Gruppe, Alexander Birken, gibt sich in einem Interview mit dem Online-Magazin t3n zukunftsoptimistisch: “Ich bin davon überzeugt, dass das Thema Werte bei Kaufentscheidungen Jahr für Jahr an Bedeutung zunehmen wird.“ (vgl. t3n-Podcast vom 15.11.2019). Apropos OTTO-Gruppe: Michael Otto ist aktuell Vorsitzender der Stiftung 2 Grad, die sich für langfristiges unternehmerisches Engagement im Klimaschutz engagiert. Gegründet im Jahr 2012 gehören ihr namhafte Unternehmen an wie Deutsche Bahn AG, Otto Group, PUMA SE, Deutsche Telekom AG, Schwäbisch Hall, Schüco International KG, BSH Hausgeräte GmbH und weitere.

Eine nüchterne Perspektive auf Indizien für eine ethische Trendwende

Wer an den Facebook-Boykott denkt, hat vielleicht den Fall Brent Spar vor Augen: Es handelt sich dabei um eine Plattform der Ölfirma Shell in der Nordsee. Diese wurde Anfang 1995 von Greenpeace besetzt, um eine Entsorgung per Versenkung in der Nordsee zu verhindern. Greenpeace startete Boykottaufrufe, die auf große Resonanz in der Bevölkerung stießen. Die Umsätze an den Shell-Tankstellen brachen daraufhin um bis zu 50 % ein. Ergebnis: Shell lenkte schließlich ein. Die Plattform wurde nicht versenkt, sondern an Land entsorgt

Dies vorausgeschickt gilt: Es wird kein Happy End für den Facebook-Boykott geben. Facebook hat eigenen Angaben zufolge etwa sieben Millionen (!) Werbekunden. Von einem schmerzhaften Umsatzeinbruch wie beim Shell-Boykott ist die “Stop Hate for Profit“-Kampagne Lichtjahre entfernt. Tatsächlich liegt der Aktienkurs schon längst wieder auf Vor-Boykott-Niveau. Facebook wird weiter auf ein bekanntes (und in Studien belegtes) Phänomen setzen (das im Geschäftsmodell bis zu einem gewissen Grad einkalkuliert ist): Social Media User interagieren umso fleißiger, je schriller die Nachrichten und Meinungen ausfallen.

Nun zum Rückzug des Norwegischen Staatsfonds aus Konzernen wie RWE. Wer dies als Triumph der (Umwelt)Ethik etikettiert, übersieht den wesentlichen Treiber für diese Entscheidungen: Das Ende des „fossilen Zeitalters“ wird weniger aus einem ethischen Verantwortungsgefühl heraus eingeläutet, sondern aus Gründen betriebswirtschaftlicher Rendite: Die Kosten für die Erzeugung erneuerbaren Stroms sind bereits so stark gefallen, dass Kohleverstromung die Wettbewerbsfähigkeit verloren hat; neue Kohlekraftwerke sind inzwischen betriebswirtschaftliche Nonsens-Projekte (und lassen sich eigentlich nur noch mit dem Einfluss der Kohlelobby erklären).

Lassen Sie mich nochmals auf den Shell-Boykott zurückkommen: Lässt sich dieser Erfolg nicht immerhin anführen, um die Mobilisierungsfähigkeit von Konsumenten zu belegen? Der „grüne“ oder „ethische“ Konsument ist doch hier geradezu greifbar. So scheint es auf den ersten Blick. Nun gilt aber, dass es Autofahrern im Grunde völlig egal ist, ob sie die Zapfsäule bei JET, ARAL oder ESSO anfahren. Wo ist der Unterschied? Die Situation ist allerdings eine gänzliche andere bei Facebook, denn wer als Werbetreibender auf Facebook verzichtet, hat kaum/keine Alternativen – zumindest für bestimmte Kampagnentypen der Online-Werbung.

Die „Abstimmung mit den Füßen“ durch die Verbraucher gerät also schnell an die Grenzen. Das 1-Liter-Auto war bekanntermaßen ein Flop. Und gerade das Jahr 2019 hat einige Illusionen über den „grünen“ Verbraucher ein für allemal hinweggefegt. Es war das zweite Jahr in Folge mit einem heißen Sommer, der den Klimawandel in Deutschland in besonderer Weise erlebbar gemacht hat. Es war das Jahr, in dem Fridays for Future lange Zeit die Medien dominiert hat, ebenso die Figur Greta Thunberg, die im gleichen Jahr den Alternativen Nobelpreis erhalten hat und die vom Magazin TIME zur „Person of the Year“ gewählt wurde. Und doch: In eben diesem Jahr 2019 gab es ein historisches Rekordhoch bei SUV-Neuzulassungen in Deutschland, knapp 800.000 SUV, mehr als 20% mehr als im Vorjahr.

Kurz: Man sollte nicht allzu viel Hoffnungen auf den „grünen“ Konsumenten setzen. Kürzlich bin ich auf ein treffendes Diktum des schottischen Philosophen David Hume gestoßen: „Es widerspricht nicht der menschlichen Natur, wenn ich lieber den Untergang der Menschheit will als einen Ritz in meinem Finger.“ (gefunden im jüngsten Buch von Richard David Precht: Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens)

Ich lasse nochmals den nüchternen Pessimisten zu Wort kommen: Die ehrgeizigen Ziele von Amazon und Microsoft hinsichtlich Klimaneutralität sind beispielhaft, gar keine Frage. Der ein oder andere wird relativierend bereits darauf hinweisen, dass diese Big Tech Konzerne mit diesen Maßnahmen Reputationsmanagement betreiben, denn all diese Konzern stehen aus verschiedenen (berechtigten) Gründen stark in der Kritik – wie nicht zuletzt die jüngste Anhörung von Jeff Bezos, Satya Nadella sowie den Facebook und Google-Chefs unterstreicht. Aber ich will auf etwas anderes hinaus:

Microsoft hatte erklärt, es sollten diejenigen vorangehen, die es sich leisten können, deartige „grüne Maßnahmen“ umzusetzen. Und eben dies ist mein Punkt: Betrachtet man die Profitabilität von Playern wie Microsoft oder anderen Tech Konzernen, dann wird erkennbar, wieso diese Konzerne jedes Jahr Milliarden in die Weiterentwicklung der (Cloud)Rechenzentren investieren können. Und wieso eben diese Konzerne den finanziellen Spielraum für das Ziel „Klimaneutralität“ haben. Vergleiche dazu den Blogpost So profitabel sind Digitale Geschäftsmodelle. Die Krux: Welche Unternehmen können sich das noch leisten (oder glauben, es sich leisten zu können) – außer Apple, Google, Oracle und Co.?

Resumee

Man darf die oben erläuterte ökologisch vorteilhafte Rendite-Konstellation zugunsten Erneuerbarer Energien natürlich als positive Nachricht begreifen; man sollte im emotionalen Überschwang aber nicht so weit gehen, hier den Sieg der Ethik über die kapitalistischen Prinzipien zu feiern. Aber natürlich gilt: Die Chancen Erneuerbarer Energien sind ungleich höher, wenn diese die Funktionslogik des Marktes als Rückenwind nutzen können. Denn die Funktionslogik des Marktes ist einer der mächtigsten Treiber im Change Management unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems; wenn die renditeorientierte Logik „die Weichen auf Grün“ stellt, ist viel gewonnen. Denn so können (bei richtiger politischer Weichenstellung!) eine gigantische Kreativität und Investitionen zugunsten von Nachhaltigkeit mobilisiert werden.

Insofern ist es übrigens auch zu begrüßen, wenn das Weltwirtschaftsforum Anfang dieses Jahres einen Bericht vorgelegt hat, in dem die „Leistungen des Ökosystems“ für die wirtschaftlichen Aktivitäten beziffert werden (Download hier: The Global Risks Report 2020 – World Economic Forum). Hier lässt sich nachlesen, dass mehr als die Hälfte des weltweiten Bruttosozialprodukts mit 44 Billionen Dollar mäßig oder in hohem Grad abhängig von der Natur und ihren „Dienstleistungen“ ist. Der wirtschaftliche Gegenwert der „Dienstleistungen“ von Bienen, Hummeln oder des Arganbaums (für die Kosmetikindustrie) und Vieles mehr werden hier beziffert. Nun taucht die „Natur“ endlich in den Modellrechnungen der Ökonomen auf (übrigens: Ich bin ja selbst zunächst einmal Ökonom, das ist für mich also kein Schmähbegriff).

Wenn man mich nun fragte: Herr Zang, sind Sie jetzt Optimist oder Pessimist? – Also, um ehrlich zu sein: Die bequemste Antwort wäre: „Ich bin Optimist“. Denn wer sich überzeugt zeigt, dass Technologiesprünge (Faktor 4, 5 oder 10 – oder mehr) eine vollständige Entkopplung von Ressourcenverbrauch und Wirtschaftswachstum bewerkstelligen und den Klimawandel stoppt, der hat NULL Handlungsdruck. Der muss sich nicht ändern. Wer Optimist ist, kann sich auf die Position zurückziehen, dass wir „auf dem richtigen“ Weg sind, kurz: Alles im grünen Bereich, Weitermachen wie bisher!

Ich bin insofern kein Optimist. Ich glaube aber daran, dass es im Grundsatz (politische) Instrumente gibt, notwendige Weichenstellungen einzuleiten. Aber das wird ein schmerzvoller Prozess. Es wird Verlierer geben. Das wird ein sehr schwieriger politischer Prozess.

Was mich zuversichtlich stimmt, dass (mit viel Anstrengung und einer gewissen Bereitschaft zum Verzicht) ein Wandel gelingen kann: Ich kenne einige Unternehmer/Manager, die eine bemerkenswerte ethische Unternehmensführung betreiben. Und dazu zählt auch mein aktueller Arbeitgeber, die Beta Systems Software AG. Der Vorstand zeigt in vielerlei Belangen ein unbeirrbares Ethos – in sozialethischen wie umweltethischen Belangen. Dies beginnt bei der Reisekostenrichtlinie (klare Präferenz auf Zugfahrten!) und endet nicht bei Entscheidungen über Unternehmenszukäufe; als Director Mergers & Acquisitions führe ich ebendiese Diskussionen mit dem Vorstand: Geschäftsmodelle werden immer in Hinblick auf soziale und ökologische Nachhaltigkeit bewertet; natürlich geht es auch um ökonomische Nachhaltigkeit (Rendite), aber unter der unverhandelbaren Vorbedingungen ethischer Vertretbarkeit des Geschäftsmodells. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Und man kann das nicht hoch genug wertschätzen.

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Author

Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.