eBay machte bereits im zweiten Jahr nach Gründung Gewinne. Google startete in 1997 und nur vier Jahre später schrieb das Unternehmen schwarze Zahlen. Und SAP dürfte schon im Gründungsjahr 1972 schwarze Zahlen geschrieben haben: Der Umsatz lag auf heutige Wertverhältnisse umgerechnet bei ca. 1,15 Mio. Euro – und das bei 9 Mitarbeitern. Auch der deutsche Shootingstar Celonis (Prozessmining) schrieb bereits in den Gründungsjahren Gewinn.

Es ist aber keineswegs die Regel, dass Digitale Geschäftsmodelle so schnell den Break-Even erreichen. Und nicht immer ist klar, ob die Wette aufgeht und der Break-Even überhaupt je erreicht wird. Schauen wir uns die Beispiele einiger bekannter Tech Player an.

Unternehmen mit langer Investitionsphase bis zum Break-Even

Starten wir mit dem wachstumsstarken Player SalesForce. Das Unternehmen wurde 1999 gegründet, der EBIT weist erstmals 17 Jahre nach Gründung (sic!) schwarze Zahlen aus. Im letzten Finanzgeschäftsjahr 2019/20 liegt die operative Profitabilität bei 3 Prozent. Dem steht allerdings ein beeindruckendes Umsatzwachstum gegenüber: In den letzten 5 Jahren wuchs der Umsatz um 220% Prozent auf 17 Mrd. USD (Finanzgeschäftsjahr 2019/20).

Oder nehmen Sie den Shootingstar Splunk, am einfachsten zu beschreiben als „Google für Big Data“. Die Software ist populär, der Umsatz wuchs zwischen 2014 und 2019 um satte 425%. Die Gründung liegt 17 Jahre zurück (Gründung in 2003), aber von schwarzen Zahlen ist das Unternehmen noch immer entfernt: Im Schnitt der letzten 5 Jahre lag der operative Verlust bei ca. 30 Prozent (im letzten Finanzgeschäftsjahr: 11 Prozent).

Ein vergleichbares Muster ist erkennbar bei ServiceNow (Gründungsjahr: 2004). Das Umsatzwachstum zwischen 2014 und 2019 lag bei 410% (auf 3,5 Mrd. USD). 15 Jahre nach Gründung (!) erreichte das Unternehmen erstmals schwarze Zahlen, wenngleich nur etwas mehr als eine schwarze Null (ca. 1 Prozent).

Und AirBnB, das Finanznachrichten zufolge bald an die Börse will? Das Unternehmen wurde 2008 gegründet und erreichte nach eigenen Angaben in 2016 erstmals schwarze Zahlen (8 Jahre nach Gründung). Auch hier: Hohes Umsatzwachstum, im 5-Jahreszeitraum 2013 bis 2018 explodiert der Umsatz von 250 Mio. US-Dollar auf 3,6 Mrd. US-Dollar (+1.340%, Datenquelle: craft.co). Die EBIT-Marge liegt im unteren einstelligen Bereich, für 2017 wird sie mit 4 Prozent angegeben, für 2018 mit 1 Prozent. Inzwischen ist das Unternehmen allerdings wieder in die Verlustzone gerutscht.

Ein weiterer Player aus der Plattformökonomie: UBER. Das Ride-Hailing-Unternehmen wurde etwa zum gleichen Zeitpunkt wie AirBnB gegründet, nämlich 2009. Umsatzwachstum: Im Zeitraum 2016 bis 2019 von 3,8 Mrd. US-Dollar auf 14,1 Mrd. US-Dollar. Die Firma (ebenso wie Konkurrent LYFT) hat allerdings bekanntermaßen eine sehr hohe Cash-Burn Rate, die operative Verlustmarge lag im 4-Jahreszeitraum 2016 bis 2019 im Schnitt bei 54 Prozent (2019: 60 Prozent negative Marge). Es kommen regelmäßig Zweifel auf, ob dem globalen Marktführer im Segment Ride-Hailing der Break-Even überhaupt gelingt.

Wieso sind aber nun die Unterschiede in der Dauer bis zum Break-Even so groß?

Die verschiedenen Produkt-Markt-Kategorien: Milliardenverluste vs Schneller Break-Even

Betrachtet man den Entwicklungspfad von Unternehmen zum Break-Even, dann lassen sich einige „idealtypische“ Kategorien ausmachen. Die Einordnung von Unternehmen in die Kategorien ist natürlich in der Praxis nicht immer trivial, aber zumindest schafft es Orientierungspunkte für die Diskussion und das Verständnis.

Fangen wir, erstens, mit dem Best-Case an. Ich illustriere das an SAP und Celonis. Diesen beiden Unternehmen ist etwas gelungen, was nicht untypisch ist in der Softwarebranche: Diese Unternehmen haben nicht etwa im Elfenbeinturm eine Standardsoftware entwickelt und sind danach in eine Vermarktungsphase gegangen. Vielmehr hat SAP als Auftragsarbeit für seinen ersten Kunden (das Nylonfaserwerk der Imperial Chemical Industries) ein Softwaremodul zur Finanzbuchhaltung entwickelt, das von Anfang an als Standardsoftware konzipiert war. Kurz: Bezahlte Entwicklungskosten für eine Standardsoftware. Nach dem ersten profitablen Kundenauftrag (!) konnte SAP das Produkt also als Standardsoftware weiterverkaufen. Das war bei Celonis ganz ähnlich.

Betrachten wir, zweitens, als nächstes den Fall, der am entgegengesetzten Ende des Spektrums von Entwicklungspfaden liegt: Nämlich Unternehmen, die auf Zukunftstechnologien setzen, die noch Milliardeninvestitionen erfordern bis zur Vermarktungsreife.

Hierzu zählt etwa die Quantentechnologie. Unternehmen wie Google oder IBM investieren gegenwärtig Milliardenbeträge in die Entwicklung einer Technologie, die etwa um das Jahr 2030 kommerzielle Relevanz bekommen dürfte. Zwar gelang einem Google-Quantencomputer Ende des Jahr 2019 die Lösung einer mathematischen Aufgabe, für die ein herkömmlicher Rechner wohl um die 10.000 Jahre benötigt hätte. Aber das war ein Meilenstein im Wettstreit der Forschungslabore.

Ein weiteres Beispiel für Investitionen in eine Zukunftstechnologie, die erst mittelfristig kommerziellen Return-on-Invest ermöglicht, ist zweifelsohne das Feld Autonomes Fahren. Vor zehn Jahren waren Tech Enthusiasten zwar noch davon ausgegangen, dass im Jahr 2020 bereits Autonome Fahrzeuge (SAE Level 5) auf den Straßen unterwegs sein würden; heutige realistischere Einschätzungen gehen davon aus, dass dieser Zeitpunkt eher rund um das Jahr 2030 zu erwarten ist. Bis dahin sind weiter Milliardeninvestitionen erforderlich. Bei einem der Technologieführer in diesem Bereich, Waymo (Teil des Alphabet-Konzerns), liegen die Investitionen bei rund einer Milliarde US-Dollar. Pro Jahr!

Lassen Sie uns nun, drittens, den Fall von Unternehmen betrachten, die sich strategisch in einem Markt sehen, der von einer The-winner-takes-all-Logik charakterisiert wird. Das sind beispielsweise Märkte, die eine hohe Tendenz zur Monopolisierung haben. Warum? Entweder wird eine Infrastruktur nur ein Mal benötigt. Oder aber Netzwerkeffekte sorgen dafür, dass der Marktführer immer dominanter wird. Das gilt zweifellos für viele Unternehmen der Plattformökonomie. Facebook, LinkedIn, AirBnB. Die Strategie dieser Unternehmen lautet häufig „Blitz-Scaling“. In der Praxis hießt das, diese Tech Unternehmen investieren massiv in Marketing und den Aufbau einer globalen (!) Sales-Organisation. Es geht darum, diese „The-winner-takes-it-all“ Märkte schnell zu besetzen, und zwar weltweit. Profitabilität ist dabei strategisch nachrangig.

Unternehmen, die eine solche Strategie verfolgen: UBER, LYFT oder Delivery Hero.

Viertens, die Strategie des Blitz-Scaling wird nicht ausschließlich von Unternehmen verfolgt, die in Märkten mit The-winner-takes-all Logik agieren. Natürlich lässt sich diese Unterscheidung nicht immer zweifelsfrei treffen, aber ich lehne mich mal so weit aus dem Fenster zu sagen: Facebook und LinkedIn agieren zweifellos in einem solchen The-winner-takes-all-Markt. Meines Erachtens gilt dies aber nicht für den Markt von CRM-Software. Wer also erklären will, warum SalesForce erstmals nach 17 Jahren schwarze Zahlen schreibt, der muss tiefer analysieren. Das wiederum soll nicht Gegenstand dieses Artikels sein.

Fazit für Tech Investoren? Fazit für die europäische Tech Industrie?

Ein einfaches Fazit liegt auf der Hand: Wer in Zukunftstechnologien investiert, braucht einen langen Atem. Ein no-brainer. So ist es etwa im Markt für Autonomes Fahren nicht verwunderlich, dass sich Investoren eben darauf einstellen: Ford und Volkswagen bündeln ihre Kräfte für den bevorstehenden Marathon, und Google hat frische Gelder eingeworben.

Den langen Atem benötigen auch jene Investoren, die in Märkten mit The-winner-takes-all-Logik agieren. An dieser Stelle sei allerdings angemerkt, dass sich gegenwärtig ein Shift im Mindset beobachten lässt: Die finanzielle Geduld von Investoren stößt an Grenzen, Investoren fordern zunehmen eine stärkere Orientierung an Profitabilität ein. Und die Coronakrise hat diesen Prozess beschleunigt.

Es ist ein no-brainer, darf aber in diesem Artikel der Vollständigkeit halber nicht fehlen: Silicon-Valley-Investoren haben eine andere Risikobereitschaft, haben einen längeren Zeithorizont. Als ich Anfang der 2010er Jahre in Bangalore ein IT Entwicklungszentrum aufgebaut habe, ists mir dieser unterschiedliche zeitliche Horizont für Investitionen erstmals bewusst geworden. Indische Investoren – so hat man mir das damals erklärt – wollen nach ein bis zwei Jahren einen Return-on-Invest (das ist auch der Grund, weshalb US-Investoren bei großen indischen Tech Playern so dominant sind). Europäische Investoren haben im Vergleich dazu eine mittelfristige Perspektive. Und den längsten Atem haben US-Investoren: Ist die Idee groß genug, kann der Zeitpunkt für den Return-on-Invest klar jenseits der 10-Jahres-Zeitlinie liegen. Dazu ein illustrierender Kommentar des Internet-Unternehmers Oliver Samwer: “Tesla hätte in Deutschland nie eine Finanzierung bekommen“

Dieser Blogpost hat gerade eine besondere Aktualität, da wir gerade die Diskussion um das neue DAX-Unternehmen Delivery Hero erleben. Das ist ein Unternehmen, das neun Jahre nach Gründung noch tief in den roten Zahlen steckt, konkret: 460 Millionen Euro Verlust vor Steuern von Januar bis Juni 2020 – bei einem Umsatz von 958 Mio. Euro. Und der Gründer Östberg hat für sein Unternehmen klar formuliert, dass in seinem Zielmarkt eine The-winner-takes-all Logik gilt. Nach Östberg könne nur der Marktführer in einem Land wirklich Geld verdienen. Ich will das Geschäftsmodell gar nicht kommentieren. Klar ist aber, dass Europäische Anleger / Investoren sich traditionell schwer tun mit derlei Investitionen.

Man mag als Europäer angesichts der schier absurd langen Verlustphasen (17 Jahre!) von US-amerikanischen Unternehmen verwundert den Kopf schütteln; aber gleichzeitig müssen wir eingestehen, dass die Dominanz der US-amerikanischen Unternehmen geradezu erdrückend ist. Diesen Zusammenhang von langem Atem und Digitaler Vorherrschaft muss man zur Kenntnis nehmen. Und Konsequenzen daraus ziehen.

Im Zusammenhang mit der Dominanz US-amerikanischer (und auch: chinesischer) Tech Player finde ich den Europäischen Defätismus bisweilen schwer zu ertragen. Ich kann mich nicht erinnern, dass China vor 10 oder 20 Jahren je erklärt hätte, der technologische Vorsprung der Industriestaaten sei nicht mehr einzuholen. Das Ergebnis ist bekannt. Europa ist demgegenüber allzu schnell bereit, solche Schlussfolgerungen zu ziehen. Wie oft liest man, im Bereich Cloud sei der Zug bereits abgefahren. Wirklich? Mag sein, dass ein einzelner Player wie Siemens oder Deutsche Telekom eine solche Aufholjagd nicht stemmen kann. Aber was ist mit einem Joint Venture von Siemens, Deutsche Telekom, SAP, Software AG, L’Orange (ehemals: France Telekom), Ericsson und andere europäische Player?

Deutlich kämpferischer gibt sich hier der Burda-CEO Paul-Bernhard Kallen. Seine Analyse des Status Quo ist nüchtern: “Amerika tut gerade sehr viel dafür, dass Europa eine digitale Kolonie bleibt.“. Und ebenso nüchtern bewertet er auch die europäischen Initiativen: “Es geht alles in die richtige Richtung, aber die Maßnahmenpakete sind relativ klein, kein großer Wurf. Wir wollen beim Thema Künstliche Intelligenz führend sein, reden über Daten und Algorithmen – und greifen auf Software und Programme von Amazon, Microsoft und Google zurück.“ Und schließlich sein Appell, dem ich mich nur allzu gerne anschließe: “[Wir] brauchen einen echten Kraftakt. Wir müssen eine eigene digitale Infrastruktur aufbauen.

Author

Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.