Meine Kinder werden das Jahr 2100 erleben. Die Klimaentwicklung hat damit eine sehr persönliche Relevanz, Zahlen in Zukunftsszenarien zur Temperatur am Ende des Jahrhunderts verlieren da ganz schnell die abstrakte Unschuld.

Als Manager und Digital Evangelist in der Digitalindustrie frage ich mich (nicht zum ersten Mal auf diesem Blog): Was kann der Beitrag von Digitaler Technologie für eine Grüne Smarte Welt sein? Wird ein jahrzehntealtes Versprechen des technologischen Fortschritts eingelöst, nämlich: Reduktion des Naturverbrauchs dank höherer Effizienz? Ein Klassiker dieses Fortschrittsoptimismus ist bekanntermaßen der Bestseller „Faktor Vier. Doppelter Wohlstand – Halbierter Naturverbrauch“ (Autoren: Ernst Ulrich von Weizsäcker, Amory B Lovins, L Hunter Lovins) aus dem Jahr 1995. Und 15 Jahre später (nämlich 2010) kam dieses Versprechen in einer Neuauflage auf den Büchermarkt, diesmal mit einem noch ehrgeizigeren Ziel: „Faktor Fünf: Die Formel für nachhaltiges Wachstum“ (Autoren: Ernst Ulrich von Weizsäcker), Karlson Hargroves, Michael Smith).

Längst wurden auch diese Autoren überboten, Frank Thelen etwa fordert in seinem Buch „10XDNA: Das Mindset der Zukunft“ eine Revolution mit Faktor 10. Sportlich, sportlich, die Messlatte liegt nun schon ziemlich hoch … aber trotzdem muss man fragen, ob das eigentlich reicht.

Werfen wir zunächst einen Blick auf die Entwicklung der Weltbevölkerung: Das mittlere Szenario unter den Prognosen der Vereinten Nationen geht von einem Anstieg der Weltbevölkerung bis 2100 auf 10,9 Milliarden Menschen aus (heute: 7,9 Milliarden). Im Worst Case Szenario explodiert die Bevölkerung auf 15,6 Milliarden. Im optimistischen Szenario ist der Peak im Jahr 2054 erreicht (9 Milliarden) und die Bevölkerung schrumpft auf 7,3 Milliarden bis 2100.

Die Weltwirtschaft ist in den vergangenen Jahrzehnten jährlich um ca. drei Prozent gewachsen: Zwischen 1980 und 2019 im Schnitt um 3,5% (mit 3,9% zwischen 2000 und 2009, mit 3,8% zwischen 2010 und 2019). Schreiben wir einmal dieses Wachstum der Weltwirtschaft von 3% fort bis zum Jahr 2100, dann bedeutet das: Die Wirtschaft wird sich bis dahin um den Faktor 10 (!) vergrößern (selbstverständlich ist das inflationsbereinigt). Faktor 10!

Was heißt das? – Will man bei einem Anwachsen der Weltwirtschaft um Faktor 10 bis zum Jahr 2100 den „Naturverbrauch“ auf dem heutigen Niveau „einfrieren“, dann muss die Technologieeffizienz ebenfalls um den Faktor 10 steigen. Will man das Ziel „Halbierter Naturverbrauch“ erreichen, dann müsste die Technologieeffizienz sogar um Faktor 20 verbessert werden. Warum halbieren? – Der sogenannte „Earth Overshoot Day” markiert bekanntermaßen das Datum, an dem die Nachfrage der Menschheit nach ökologischen Ressourcen und Dienstleistungen in einem bestimmten Jahr das übersteigt, was die Erde in diesem Jahr regenerieren kann. Im Jahr 2021 fiel dieser Tag auf den 29. Juli. Ungefähr die Mitte des Jahres, so leite ich das Ziel der „Halbierung“ ab. Uns ist klar, bezogen auf das CO2-Budget ist eine Halbierung viel zu kurz gesprungen, aber ich überlasse es hier der Leserin bzw. dem Leser, meine Überlegungen gedanklich um diese Aspekte zu ergänzen.

Nachfolgend gehe ich einfach mal der Frage nach, wo das Potential von Digitaltechnologie liegt, was sich in der Praxis beobachten lässt und welche Schlussfolgerung man daraus ziehen muss. Die Autoren der „Faktor X“-Steilvorlagen (Faktor 4, 5 und 10) beziehen sich natürlich nicht nur auf Digitaltechnologien. Aber ich will mich hierauf beschränken, ganz nach dem Motto „Schuster bleib bei Deinen Leisten“.

Die Hoffnung: Effizienzrevolution mit Digitaler Technologie

Für Viele von uns und in vielen Bereichen ist das Digitale eine Komforttechnologie (Routenplaner, Preisvergleiche, Speech-to-Text, Übersetzungen, undsoweiter). Und in vielen Bereichen ist es eben auch Effizienztechnologie: Dazu zählen KI-basierte Automatisierungen; dazu zählt auch die Vernetzung von Systemen wie Maschinen (Industrial Internet of Things – IIoT), so dass unter Zusammenführung eines Maximums an Informationen optimale Produktions- oder Logistikpfade ermittelt werden können. Das Effizienzpotential von IIoT in der produzierten Industrie etwa zeigen einige Leuchtturmprojekte auf. Abfallreduktion bis zu 90% (=Faktor 10), Energieeffizienz bis zu 50% (=Faktor 2) und derlei mehr:

Diese Graphik habe ich einem McKinsey-Whitepaper entnommen. Hier geht’s zum Download: Leveraging Industrial IoT and advanced technologies for digital transformation

Das Moore’sche Gesetz ist geradezu der Inbegriff des Produktivitätsfortschritts in der Digitalindustrie, nämlich: Verdopplung der Chipleistung alle zwei Jahre. Das heißt etwa auch: Kostete die Speicherung von einem Megabyte an Daten in 1965 noch 85.000 US-Dollar (inflationsbereinigt), so liegen diese Kosten heute nurmehr bei 0,00002 US-Dollar (sic!).

Beispiele für Effizienzsteigerungen (und Potentiale) durch Digitaltechnologie sind quasi unbegrenzt: Vermeidung von Leerfahrten in der Logistik durch effiziente Marktplätze für Frachten und Fahrzeugkapazitäten. Weiterverwendung von Gebrauchtem dank Digitalen Flohmärkten wie ebay. Smart-Grids im Zusammenspiel mit Smarten Elektrogeräten und Speicherkapazitäten (z.B. Elektroautobatterien) orchestrieren ein Gleichgewicht zwischen Stromangebot und -nachfrage, auch bei schwankender Stromproduktion durch eine Vielzahl dezentraler Prosumenten. Es gibt die Sharing-Economy (Car Sharing statt eigenes Fahrzeug). Es gibt Marktplätze für den Handel mit (hochwertiger) Second-Hand-Kleidung (Stichwort: Kreislaufwirtschaft). Intelligente Thermostate im Smart Home minimieren Heizkosten. Undsoweiter. Vergleiche auch folgenden Blogbeitrag: 7 spannende Start-Ups für Clean Energy & Eco Tech

Klimawandel: Worum es wirklich geht

Der Mensch ist äußerst unbegabt darin, sich nicht-lineare Entwicklungen vorzustellen (Das ist übrigens spätestens in der Corona-Krise klar geworden). Ich nehme mich davon gar nicht aus. Kürzlich ist mir bei einem (sehr guten) Podcast mit dem Meteorologen Sven Plöger auch klar geworden, wie gründlich man nicht-lineare Effekte in einem komplexen System wie dem Ökosystem Erde unterschätzen kann. In welcher Größenordnung …

Temperaturanstieg von 4 Grad. Das klingt ja erstmal nach: Naja, dann wird es in Deutschland eben so warm wie in Italien. Das wäre lineares Denken. Dem setzt Sven Plöger im Podcast Wie lebt es sich auf einer vier Grad wärmeren Erde die nicht-lineare Systemdynamik entgegen. Und dafür schafft Sven Plöger wie folgt Verständnis: “Wie war die Situation, wenn es vier Grad kälter ist. Und da gucke ich einfach ans Ende der letzten Eiszeit vor 11.000 Jahren. Wie sah‘ die Welt aus? Eine vier Grad kältere Welt, das ist eine Welt, wo Sie zum Beispiel keine Alpentäler mehr finden, weil alles voller Eis ist. Da lebt dann kein Mensch. Berlin: 500 Meter unter Eis. (…) Skandinavien: Zwei-Komma-Drei Kilometer unter Eis. Boston, New York, solche Städte: Anderthalb Kilometer unter Eis. Das heißt, der Satz geht ganz einfach: Eine vier Grad kältere Welt hat mit der heutigen Welt nichts zu tun. Und dann ist es auch klar, dass auch eine vier Grad wärmere Welt mit der heutigen Welt nichts zu tun hat.“

Ich finde diese Analogie sehr eindrücklich.

Ernüchterung: Digitalisierung in der Praxis

Das Institut für ökologische Wirtschaftsförderung (IÖW) hat in einer Studie aufgezeigt, dass Digitalisierung bisher eher zu mehr als weniger Energieverbrauch geführt hat. Und der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) warnt: Ungestaltete Digitalisierung ist Brandbeschleuniger beim Ressourcenverbrauch. Der Beirat verbindet diese Warnung mit dem klaren Appell an die Politik: Die Politik muss die Digitalisierung in den Dienst nachhaltiger Entwicklung stellen. Denn ohne aktive politische Gestaltung wird der digitale Wandel den Ressourcen- und Energieverbrauch sowie die Schädigung von Umwelt und Klima weiter beschleunigen, so die Wissenschaftler*innen in ihrem neuen Hauptgutachten.

Man ahnt es schon: Natürlich, das Internet, jede einzelne Google-Suche, jede Email, Streamingdienste (Netflix, Spotify, etc.) und Cloud-basierte Software (Office365, Salesforce, etc.) erfordern physische Rechenzentren auf der ganzen Welt. Diese müssen 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche eingeschaltet, gekühlt und geschützt werden.

Und in dem Buch „Smarte Grüne Welt“ (Erscheinung: 2018) analysieren die Autoren Steffen Lange und Tilman Santarius eine Vielzahl von Lebensbereichen und Industrien, beschreiben die Auswirkungen von Digitalisierung, quantifizieren diese und machen dabei die Annahmen und Rahmenbedingungen vollständig transparent. Und für viele Bereiche ziehen die beiden Autoren ein nüchternes Fazit, denn der erhoffte „grüne Effekt“ tritt nicht ein. Ein Beispiel: “Das Herunterladen von E-Books statt der Fahrt zur Buchhandlung, das Streaming von Filmen statt Kaufen und Leihen von DVDs, Onlineshopping statt Einkaufen mit dem privaten PKW, Skypen und Videokonferenz sowie Telearbeit im Job – dies alles findet längst statt und hätte daher in den vergangenen Jahren doch bereits zu einer gewissen Verringerung des Verkehrsaufkommens beitragen müssen. Doch weder in Deutschland noch anderswo ist das Verkehrsaufkommen gesunken, sondern immer weiter angestiegen.“ (S. 64 f.)

Wie kann das sein?

Es gibt natürlich nicht nur eine Antwort, sondern viele Antworten. Die Sharing-Economy – so komfortabel das durch Digitialtechnologie geworden ist – fristet (noch) ein Nischendasein. Und vor allem lässt der Rebound Effekt grüßen: Wir sparen durch Car-Sharing Geld, das wir dann in die Flugreise nach Barcelona investieren. Wir erzielen Kosteneffizienz in der Produktion dank IIoT mit dem Ergebnis, dass sich nun ein größerer Kundenkreis das Produkt leisten kann. Undsoweiter.

Eben darum appelliert der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), Rahmenbedingungen zu setzen, so dass Effizienzgewinne eben nicht von Rebound-Effekten zunichte gemacht werden.

Uns sollte auch bewusst sein, dass Innovationen nicht zwingend mit dem Effekt eines geringeren Naturverbrauchs einhergehen. Nehmen wir das Autonome Fahrzeug, das nach Experteneinschätzung in der ersten Hälfte der nächsten Dekade marktreif sein dürfte; dabei würde es sich um einen beachtenswerten technologischen Durchbruch handeln, bis dort hin dürften Hunderte von Milliarden an Entwicklungskosten in diese Technologie geflossen sein. Diese Technologie wird aber (nach meiner Einschätzung) keinen Beitrag zur Minimierung des Naturverbrauchs leisten – zumindest nicht per se. Im Best Case Szenario könnte die Technologie den Trend zu Car Sharing verstärken (Brauchen wir noch ein eigenes Fahrzeug, wenn wir per Knopfdruck ein Fahrzeug zu akzeptablen Kosten bestellen können?); im Worst Case wird Mobilität noch viel komfortabler, was zu mehr Fahrkilometern (also: Energieverbrauch) führt.

Fazit: Über Innovation, Optimismus und politisches Kapital

Egal, von welcher Seite man es betrachtet: Die Herausforderung (egal ob nun Klimawandel oder Naturverbrauch) entspricht einer Herkulesaufgabe, ohne einen „Ruck“ (Roman Herzog, 1997) bzw. ein ambitioniertes politisches Programm wird es nicht gehen. Schwer vorstellbar, dass das schmerzfrei verlaufen wird – jede andere Behauptung halte ich für Schönfärberei.

Ein jüngst erschienener Artikel im Handelsblatt bringt die (schmerzhaften) Konsequenzen des Klimamaßnahmenplans beim Reizthema Mobilität/Benzinpreis auf den Punkt: “20 Millionen Tonnen Kohlendioxid. Exakt diese Menge wird der nächste Bundesverkehrsminister schnell einsparen müssen, um die Klimaziele [im Verkehrssektor] einzuhalten. (…) Das immer wieder heiß diskutierte Tempolimit auf Autobahnen brächte nur zwei Millionen Tonnen, also ein Zehntel der nötigen Einsparung. Ein sofortiges Verkaufsverbot von Verbrennerautos spart sechs Millionen Tonnen pro Jahr ein, wie die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität (NPM) vorrechnet. Um 20 Millionen Tonnen einzusparen, müssten etwa von heute auf morgen doppelt so viele Menschen mit Bus und Bahn fahren.” Und: ”Der Benzinpreis wird allein 2022 um rund 70 Cent steigen müssen, um jenes Klimaziel im Verkehrssektor über ein faktisches Fahrverbot via Portemonnaie schnell zu erreichen.“

Die Wirtschaft sieht das übrigens genauso. Erst gestern veröffentlichte das Handelsblatt ein Interview mit dem Allianz-Chef Oliver Bäte. Darin war zu lesen: „Die Politik muss endlich ehrlich sagen, dass Klimaschutz ohne höhere Kosten bei Mobilität, Energie und teilweise auch Lebensmitteln nicht möglich ist“, sagt Bäte im Gespräch mit dem Handelsblatt. Natürlich bedeute Klimaschutz auch Verzicht.

Es zählt zu den taktischen Wahlkampfmärchen, dass die Gründe Wende zum Nulltarif zu haben sein wird. Diese Erzählungen von der Wahlkampfbühne sind allerdings äußerst kontraproduktiv im Hinblick auf das Erwartungsmanagement. Diese Wahlkampfmärchen werden lange nachhallen; und solange es überdies Stimmen gibt, die behaupten, dass es einen Wandel ohne (ggf. vorübergehenden) Verzicht und Schmerzen geben könnte, wird sich die Bereitschaft für einschneidende Reformen kaum entwickeln können.

Eine Herkulesaufgabe, das auf jeden Fall, aber (noch) kein Ding der Unmöglichkeit. Darum findet man noch einige Optimisten, die an eine rechtzeitige sozial-ökonomische Transformation glauben. Sven Plöger zählt dazu. Und der Soziologe und Transformationsforscher Prof. Dr. Harald Welzer erklärte jüngst in einem Interview mit dem Philosophen Richard Precht: “Die Art und Weise, wie wir heute leben dürfen, jedenfalls in den Augen der Menschen vor 100 Jahren, wäre eine unvorstellbare Utopie in jeglicher Hinsicht gewesen. (…) Ich finde, wenn man das Privileg hat, in einer solchen Gesellschaft aufgewachsen zu sein, hat man kein Recht auf Pessimismus.

Gründe für Optimismus gibt es ja durchaus: Es gibt einen breiten gesellschaftlichen Konsens für die Notwendigkeit zum Handeln. Das Thema ist in den Führungsetagen der Wirtschaft und der Politik angekommen. Wir entwickeln Instrumente wie die Missionsorientierten Innovationsstrategien zur Reife, die technologische Innovationen gezielt auf gesellschaftliche Herausforderungen wie die Klimakrise fokussieren und beschleunigen. Es gibt Ideen wie Kreislaufwirtschaft, es gibt „Blue Prints“ wie die Fahrradstadt Kopenhagen oder die katalanische Hauptstadt Barcelona mit einer Umnutzung von Verkehrsfläche in sogenannten „Superblocks“. Und es gibt viele weitere gute Gründe und Initiativen für Optimismus. Aber es gilt natürlich auch, dass es zu den vielen verschiedenen Transformationspfaden noch keinen Konsens gibt, dieses politische Moderationsprozess wird eine gigantische Herausforderung – das ist die eigentliche Sollbruchstelle. Das hierfür erforderliche politische Kapital ist immens; beziehen wir das einmal konkret auf Deutschland, hier stellt sich die Frage, wer überhaupt (noch) über das hier erforderliche politische Kapital verfügt. Das ist für mich eine rhetorische Frage.

Schauen wir uns einmal die erforderlichen Rahmenbedingungen für größere politische Reformen, für einschneidende sozio-ökonomische Transformationen an. Das gilt etwa, wenn (in Demokratien) Reformer dezidiert in politische Spitzenämter gewählt werden; Beispiel Barcelona, wo die linksradikale Ada Colau ins Bürgermeisteramt der katalanischen Hauptstadt gelangte und ein „grünes“ Smart City Konzept mit den genannten „Superblocks“ umsetzte. Einschneidende Reformen finden zudem häufig im Krisenfall oder im Kriegsfall statt: So haben Spitzensteuersätze von über 90 Prozent etwa ihren historischen Ursprung im Kontext des Ersten Weltkriegs, wo die US-Regierung diese Steuerpolitik zur Kriegsfinanzierung umsetzen konnte. Gerade die Coronakrise liefert ganz aktuell ein Lehrstück darüber, welche politischen Spielräume sich im Krisenfall plötzlich eröffnen (und man muss das nicht nur positiv sehen). Gerade Italien wurde zu Beginn der Coronakrise zum Schauplatz einer ungeheuerlichen menschlichen Tragödie, und angesichts dieser erlebten (nationalen) Katastrophe sind die jüngsten Maßnahmen des Ministerpräsidenten Mario Draghi möglich geworden. Nämlich, nur diejenigen können zur Arbeit erscheinen, die die 3G Regel einhalten („Super Green Pass“). Und wer nicht zur Arbeit erscheint (bzw. nicht erscheinen darf), der wird ohne Bezahlung freigestellt! Vor 2 Jahren völlig undenkbar.

Man darf natürlich nun nicht der Versuchung erliegen, Katastrophenszenarien mit dystopischem Beigeschmack herbeizureden. Gleichwohl muss jedem Demokraten daran gelegen sein, dass Politik so vorausschauend agiert, damit Gesellschaften nicht in vorhersehbare Krisensituationen schlittern, wo politische Entscheidungen nur noch im Ausnahmezustande getroffen werden und demokratischer Kontrolle entzogen werden. Je länger die Einleitung von Reformen verzögert wird, desto größer wir allerdings ein solches Risiko. Man darf nun keine Zeit mehr verlieren. Im Übrigen gilt: Bereits die Zielsetzung Deutschlands, bis 2045 klimaneutral zu wirtschaften, wird sehr anstrengend. Folgt man gar der Argumentation der Initiative German Zero, dann erfordert die Begrenzung der Erderhitzung auf 1,5 Grad, dass Deutschland bis spätestens 2035 klimaneutral werden muss. Ich komme zurück auf den Beginn der Überlegungen, die mich an diesen Punkt gebracht haben: Hierfür (egal ob das Jahr 2035 oder 2045) wird immenses politisches Kapital benötigt.

Eine „Abkürzung“ gibt es nicht. Und die Postwachstumsökonomie? – Aus guten Gründen beschäftigt sich die „Plurale Ökonomik“ zunehmend mit dem Szenario, wie eine Wirtschaft ohne Wachstum aussehen könnte (steady-state economy); denn empirisch gilt, dass Wirtschaftswachstum sich bislang nicht von Naturverbrauch (vollständig) entkoppeln ließ, und es spricht einiges dafür, dass man nicht naiv darauf vertraut, dass ein solch seliger Zustand des Perpetuum Mobile eines Tages eintreten könnte. Einer der bekanntesten Vertreter der Postwachstumsökonomie ist der Ökonom Prof. Nico Paech. Ich finde die Überlegungen äußerst interessant, diese Diskussion gehört in den großen öffentlichen Diskurs. Aber eine „Abkürzung“ ist das keinesfalls, auch eine solche Transformation ist eine Herkulesaufgabe – national wie global. Schon allein deshalb, weil dieses Konzept im diametralen Gegensatz steht zum dominierenden Narrativ ewigen Wachstums und Wohlstandszugewinns für alle.

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Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.