Es ist das erste Mal in der Geschichte, dass eine Virus-Pandemie auf eine (in vielen Weltregionen) digitalisierte Gesellschaft trifft. Die Situation ist ungleich jener bei ähnlich globalen Virus-Pandemien wie Spanische Grippe (1918 bis 1920) oder SARS (2002/2003); zwar war zum Zeitpunkt von SARS bereits die erste Digitalisierungswelle abgeschlossen (Aufbau des Internets, ca. 1985 bis 1999), jedoch lag die Zahl der Internetnutzer etwa im 2002 erst bei ca. 600 Mio. (heute: 4,5 Milliarden), das Smartphone war noch nicht auf dem Markt (Einführung iPhone im Jahr 2007).
Es lohnt darum ein kurzer Blick darauf, wie digitale Instrumente die Bekämpfung des Coronavirus sowie dessen Ausbreitung unterstützt. Nachfolgend ein Überblick zu den wichtigsten Aspekten.
Erstens: Information: Das Internet hat sich als wichtigster Gesundheitsratgeber etabliert, und zwar zunächst ganz unabhängig vom Coronavirus: Mit wenigen Klicks lassen sich Krankheitssymptome recherchieren, es finden sich (auch für den Laien verständliche) Erklärvideos zu verschiedensten Krankheitsbildern und Therapien bzw. chirurgischen Eingriffen, außerdem Hausmittel, Ernährungstipps und Ähnliches.
Was den Coronavirus angeht, bietet vor allem das Robert-Koch-Institut auf der Webseite www.rki.de eine kontinuierliche Risikobewertung, Dutzende von Antworten auf Fragen rund um das Coronavirus. Und die Johns Hopkins Universität bietet eine Real-Time Landkarte der Verbreitung. Es gibt eine Vielzahl von Anleitungsvideos und Checklisten zur Einhaltung grundlegender Hygieneregeln.
Zweitens: Informationsverbreitung: Social Media sind ein Kanal, über den relevante Informationen über das Coronavirus und präventive Massnahmen bis in die letzten Winkel der Gesellschaften verbreitet werden. Natürlich, das sind nicht nur Anleitungsvideos zum Händewaschen, sondern auch satirische Auseinandersetzungen oder Boulevardeske Beiträge, die bisweilen Panikmodus verursachen. Es lässt sich nicht leugnen, die digitale/mediale Infrastruktur bringt auch negative Effekte mit sich, aber dennoch bleiben Social Media ein wichtiges Instrument, entscheidende Informationen zu wichtigen hygienische Maßnahmen und der Risikoeinschätzung effizient bereitzustellen.
Zeitungen nutzen wiederum Eilmeldungen, womit Gesundheitsbehörden Informationen darüber bereitstellen können, an welchen Orten / Veranstaltungsorten / Events etwa Infizierte präsent waren; eben solche Informationen erreicht etwa Bürger der Stadt Berlin durch Eilmeldungen von Zeitungen wie dem Tagesspiegel, wo etwa bekannt gegeben wird, dass am Tag X, abends / mittags / vormittags ein Infizierter / eine Infizierte Gast gewesen sei. Es ist dann noch immer den Empfängern / Betroffenen selbst überlassen, hieraus Schlussfolgerungen zu ziehen (Hinweis: Aufgrund der Multiplikatoreffekte in einer Infektionskette kann eine Person ja durchaus innerhalb von 6 Wochen den Virus an bis zu 3 000 Personen weitergeben). Entscheidend ist: Das Instrumentarium für eine Real-Time Weitergabe dieser Informationen steht zur Verfügung.
Drittens: Home Office, Webkonferenzen: Man erkennt es am Boom der Aktienkurse für Anbieter von Webconferencing-Software; diese Instrumente haben Hochkonjunktur. Workshops, Abstimmungsmeetings, Produktpräsentationen und Vieles mehr lassen sich heute bei einfacher Bedienung über eine Webkonferenz abhalten, und das wird nicht erst seit der Coronakrise, aber nun in zunehmendem Maße genutzt. Der Coronovirus wird darum einen nachhaltigen Impuls zur Nutzung dieser Technologien setzen, der weit über die Dauer der Pandemie anhalten wird (übrigens mit positiven Effekten für den Klimaschutz).
In gleicher Weise trägt auch das Home Office dazu bei, den wirtschaftlichen Betrieb aufrecht zu erhalten und gleichzeitig Infektionsketten (im Unternehmen, bei der Anreise zum Arbeitsplatz) zu unterbrechen. Das gilt natürlich nicht für alle Tätigkeitsprofile, weder können Kellner, Chirurgen oder Zugschaffner nun per Home Office arbeiten. Aber es ist möglich für Softwareentwickler, Buchhalter, Beschäftigte im Marketing, Produktdesigner (mittels CAD-Programmen und Ähnlichem), kurz: Wer auch immer primär am Rechner arbeitet, hat große Chancen, Home Office Optionen nutzen zu können.
Die „Virtualisierung des Arbeitsplatzes“ betrifft im Übrigen auch auf die Arbeit von Ärzten selbst, nämlich in Form der Telemedizin. Diese Fernbehandlung ist in einigen europäischen Ländern schon seit einigen Jahren bekannt, in Deutschland ist seit einem Votum des Ärztetages in 2018 das Verbot der ausschließlichen Fernbehandlung gelockert worden. Covid-19 dürfte für die Telemedizin einen weiteren Schub bringen, nicht nur durch steigende Nachfrage, sondern auch in regulatorischer Hinsicht: Beispiel China, hier hat Covid-19 bereits dazu geführt, dass Mitte Februar Regularien zur Telemedizin gelockert wurden; in China sorgte übrigens der Virus auch dafür, dass sich die Konsultationen auf der Gesundheitsplattform JD Health seit Ausbruch der Krankheit verzehnfacht (sic!) haben.
Viertens: Tracking: Es ist der Albtraum eines jeden Datenschützers, keine Frage. Aber Fakt ist, dass Ortsdaten auf Smartphones durch Apple oder Google minutengenau erhoben und für mehrere Wochen gespeichert werden. Damit ist es in der Theorie möglich, das Bewegungsprofil von Infizierten zu ermitteln und diese Information zu nutzen. Tatsächlich wird inzwischen auch in Deutschland diskutiert, diese technische Option zu nutzen – Ausgang offen.
In China oder Taiwan wird diese Möglichkeit bereits genutzt, Datenschutz nimmt in diesen Staaten eine (sehr) untergeordnete Rolle ein. Risikopersonen werden elektronisch überwacht, mithilfe des Handys. Personen, die sich mit Infizierten in einem Zug, Hotel oder auf einer Veranstaltung aufgehalten haben, können so ermittelt und gewarnt werden. Und das geht noch weiter: Nutzer des bekannten Dienstes Alibaba sind angewiesen, Vitalparameter (Körpertemperatur, sonstige Symptome) zu erfassen.
Fünftens: Home Entertainment: In China waren ca. 45 Millionen Menschen in Quarantäne. Jüngst wurden die italienischen Städte Mailand, Parma und Venedig abgeriegelt. In Deutschland wurden im Nordrhein-Westfälischen Kreis Heinsberg Menschen unter Quarantäne gestellt. Tage- und mitunter wochenlang in den eigenen vier Wänden eingesperrt zu sein, ist nicht einfach. Das ist psychologisch eine Herausforderung.
Es mag ein wenig irrwitzig klingen, aber Home Entertainment, Kommunikationsmöglichkeiten über das Internet, Skype, WhatsApp-Videocalls und Ähnliches können die psychologische Bürde reduzieren. Natürlich ist Langeweile ein Problem. Da sollte man nicht geringschätzen, dass Netflix, Maxdome, Amazon Prime, aber auch die Mediathek des öffentlichen Fernsehens ein Angebot gegen die Langeweile machen und sicherlich auch gegen die zermürbende Beschäftigung mit der Frage, wie das für einen selbst wohl ausgehen möge.
Dieser Überblick ist nicht vollständig, aber gibt eine Vorstellung davon, wie Digitalisierung und die digitale Infrastruktur die Handlungsoptionen von Betroffenen, von Gesundheitsbehörden angesichts einer Pandemie wie dem Coronavirus zu erweitern. Zu nennen wäre sicherlich noch der Einsatz digitaler (Big Data) Technologie bei der Impfstoffentwicklung, der Einsatz digitaler Technologie bei der Datenverarbeitung/-aufbereitung in den Gesundheitsbehörden oder auch KI-Technologien zur Simulation der Ausbreitung.
Nachtrag: Die Coronakrise ist einerseits von der begründeten Sorge begleitet, dass die einbrechende Nachfrage in Tourismus, Gastronomie, Luftverkehr und weiteren Branchen Insolvenzen verursacht und bleibende Spuren hinterlässt; andererseits besteht das Risiko, dass aufgrund von Erkrankungen Versorgungsinfrastrukturen bei Gesundheitssystem, Polizei, Feuerwehr oder auch bei der Lebensmittelproduktion/-verteilung nicht aufrecht erhalten werden könn(t)en. Kurz: Einbruch der Nachfrage im ersten Fall, Einbruch des Angebots im zweiten Fall.
Betrachten wir die „Grundversorgungsstrukturen“: Bietet die Digitalisierung hier Abhilfe, zumindest in Teilen? Man kann als Ausgangshypothese durchaus formulieren, dass ein hoher Grad an Automatisierung erlauben würde, Krankheitsfälle im Personalbereich zu kompensieren. Kennen Sie die Stress-APP Kenkou? Sie halten Ihren Finger an die Kamera, es wird (für mich als Nicht-Mediziner verblüffenderweise) zuverlässig der Stresspegel bestimmt. Man stelle sich einen vergleichbar einfachen und zuverlässigen Selbsttest vor für Covid-19: Fingerprick, ein Tropen Blut, ein Sensor am Smartphone, fertig. Ein solches Szenario ist gegenwärtig noch Science-Fiction, aber es illustriert die Hypothese: Das Gesundheitssystem würde (zumindest bei der Anamnese) signifikant entlastet, Ärzte könnten eher in der Therapie-Phase eingesetzt werden.
Im Gesundheitsbereich haben freilich bereits einige digitale Technologien Einzug gehalten, die Ärzte und deren Hilfspersonal entlasten: Spracherkennungssysteme für Dokumentationszwecke, Online-Portale oder Chatbots zur Terminvereinbarung oder die bereits oben erwähnte Telemedizin. Die ärztliche Betreuung und Pflege bleibt aber nach wie vor eine höchst-persönliche Dienstleistung. Von KI-basierten Diagnosen (ein Pilotprojekt von Watson etwa an der Universität Gießen ist gescheitert) oder Pflegerobotern sind wir noch weit entfernt.
Anders im Bereich Handel und Produktion. Die Factory 56 von Daimler wird als modernste Autofabrik der Welt fast ohne (Fach)Arbeiter laufen; die Kommissionierung von Paketen im Versandhandel läuft in Teilen hochautomatisiert, mit von Robotern betriebenen Hochregallagern. Amazon hat in den USA pilotweise den Lieferservice mit Drohnen gestartet, und im eigenen stationären Handel wird eine Kamera-basierte Technologie eingesetzt, die Kassierer/Innen überflüssig macht. Krankheitsbedingte Personalausfälle wirken sich in diesem (teil)automatisierten Umfeld in abgeschwächter Form auf die Lieferfähigkeit aus.
Aber klar ist auch: Die Produktionsausfälle in China, die unterbrochenen Lieferketten (auch bei für die gesundheitliche Versorgung relevanten Artikeln und Medikamenten) ist für die Coronakrise im Jahr 2020 eine schmerzhafte Realität. Hier wird deutlich, dass der Mensch zentral ist in unserer Wirtschaft, unserer Produktion – und das gilt umso mehr für Dienstleistungen, die erbracht werden bei der Polizei, bei der Feuerwehr und im Gesundheitssektor. Und das wird (und sollte) auch so bleiben.
Passen Sie auf sich auf und bleiben Sie gesund!
Mit herzlichen Grüßen, Ihr Sebastian Zang