Oder anders formuliert: Was bringt eigentlich die Digitalisierung wirtschaftlich? Schafft Digitalisierung eigentlich signifikantes Wirtschaftswachstum? – Diese Frage wirkt auf den ersten Blick zunächst einmal ketzerisch – zumal von einem Manager aus der IT Industrie.

Aber tatsächlich zieht etwa der Journalist Derek Thompson eine nüchterne Bilanz für die USA: „Uns wurde eine weitere industrielle Revolution versprochen. Bekommen haben wir eine Revolution begrenzt auf Customer Convenience.“ Er beklagt, dass die Digitale Ära in den USA mit einem Rückgang des Wirtschaftswachstums einher ging. Zwar hat Digitalisierung einige wenige Superreiche hervorgebracht, aber kaum genügend neue Jobs für die Mittelschicht, um etwa die Abwanderung der Fertigungsindustrie ins Ausland zu kompensieren.

Und wie ist das in Deutschland? – Es gibt Studien (etwa von Prognos AG) zum Wachstumseffekt von Digitalisierung. Nach Einschätzung der Studienautoren liegt dieser Wachstumsimpuls bei etwa einem halben Prozent. Das ist nicht Nichts – aber dies Zahl sieht so gar nicht nach einer Revolution aus. Wenn wir an Revolution denken, dann etwa daran, dass sich mit der Ersten und Zweiten Industriellen Revolution das Pro-Kopf-Einkommen vervielfacht hat. Um sich einen Begriff zu machen: Bis zum Jahr 1750, also VOR der Ersten Industriellen Revolution, war das Wirtschaftswachstum dergestalt, dass sich etwa alle 6.000 Jahr das Pro-Kopf-Einkommen verdoppelte. Nach 1750 schrumpfte dieser Zeitraum auf nur 50 Jahre, für reine Industriegesellschaften sogar in der Größenordnung von 7 bis 10 Jahren(!). Wow, das ist revolutionär. Dem stehen also ein halbes Prozent aus der Digitalisierung gegenüber. Um diese Zahl einordnen zu können: Wenn die Arbeitszeit in Deutschland (etwa über weniger Feiertage) um ein Prozent steigt, dann ist dies gleichbedeutend mit einem Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Leistung um 0,3 Prozent. Oder: Als der Virus SARS 2002/2003 grassierte und einen dämpfenden Effekt etwa auf die Luftfahrt- und Tourismusbranche ausübte, verringerte diese das Wachstum Chinas um etwa 1 Prozent.

Das ist doch merkwürdig. Digitalisierung löst doch sichtbar Umwälzungen in unserem Privat- und Arbeitsalltag durch, vom Smartphone bis hin zur Smarten Fabrik. Lassen Sie uns das einmal genauer anschauen. Und zwar in folgenden Schritten: Zunächst einmal einige Grundüberlegungen, wie Wachstum aus der Sicht eines Ökonomen zustande kommt. Und danach beleuchten wir die wichtigsten Effekte der Digitalisierung auf die Volkswirtschaft.

Einige Grundüberlegungen zu Wachstum und Digitalisierung

Vorweg also ein kurzer Blick auf die Frage, wie es aus Sicht eines Ökonomen zu Wachstum kommt.

Erstens: Wenn eine vierköpfige Familie in ein tolles Restaurant geht und für 300 Euro konsumiert, dann erhöht sich das Bruttosozialprodukt um 300 Euro. Bleibt die Familie stattdessen zuhause und schaut einen Film aus der Netflix-Filmbibliothek, dann sieht die Rechnung so aus: Das Netflix-Abo besteht sowieso, es entsteht kein zusätzlicher Konsum, nur die Packung Chips (1,89 Euro), die Flasche Rotwein (8,99 Euro, für die Eltern) und die Packung O-Saft (1,19 Euro, für die Kinder). Wer Wachstum will, muss – salopp gesprochen – dafür sorgen, dass Menschen umsatzstarken (Freizeit)Aktivitäten nachgehen. Also: Auf ein teures Konzert gehen statt Spotify hören, zum Beispiel.

Oder nehmen Sie ein anderes Beispiel: Es gibt ein Kneipensterben auf dem Land, nicht zuletzt deshalb, weil die Kneipe ihre Funktion als zentraler Kommunikationsort im Ort verliert; Social Media haben diese Funktion übernommen, zumindest teilweise. Social Media sind aber kostenlos, der Umsatz in der Kneipe fällt weg. Hier gilt: Umsatz wird durch kostenfreie Angebote substituiert.

Betrachten wir einen zweiten wichtigen Aspekt: Maschinisierung und Automatisierung sind vor allem Effizienztechnologien: In einem vollautomatisierten Hochlager entfallen Lagerarbeiter, ein CAD-Programm für die Bauplanung erfordert häufig keine Statiker mehr, ein Schweißroboter ersetzt Arbeiter in der Produktion. Ein No-brainer. Diese Logik war zu Zeiten der Zweiten Industriellen Revolution (um die Jahrhundertwende zum 20ten Jahrhundert) nicht anders, neue Organisationsformen (Taylorismus) und Maschinisierung machten die Produktion um ein Vielfaches effizienter, sprich: Für die gleiche Produktionsmenge waren weniger Arbeiter erforderlich. Dennoch führten effizientere Fabriken nicht zur Massenarbeitslosigkeit; denn die Zweite Industrielle Revolution ging einher mit dem Entstehen gigantischer neuer Industriezweige, namentlich der Automobilindustrie, der Elektroindustrie, der Flugzeugindustrie oder auch der chemischen Industrie. Es entstanden Millionen neuer hochbezahlter Arbeitsplätze, die häufig von Arbeitern eingenommen wurden, die vorher schlecht bezahlt in der Landwirtschaft gearbeitet hatten. Auch hier wird ein zentrales Prinzip von Wachstum erkennbar: Hochbezahlte Arbeitsplätze ersetzen weniger gut bezahlte Arbeitsplätze. Bitte merken Sie sich das, das spielt später noch eine große Rolle. Und dies wird in der Regel ermöglicht durch innovative, wettbewerbsfähige Unternehmen, die neue Produkte, neue Dienstleistungen, ja: neue Branchen schaffen.

Eine Effizienztechnologie wie die Digitalisierung schafft also nur die Voraussetzungen für Wachstum (es ist eine notwendige Bedingung, nicht jedoch hinreichend). Dazu ein illustrierendes Beispiel: Wenn in einer Autofabrik eine effiziente Technologie eingeführt wird (KI, Robotik) und die Produktivität eines Arbeiters darum von einem Fahrzeug pro Tag auf 2 Fahrzeuge pro Tag gesteigert wird, dann gibt es davon ausgehend mehrere Folgeszenarien: (a) Für alle Arbeiter wird die Arbeitszeit um die Hälfte reduziert. (b) Die Hälfte der Arbeiter wird entlassen oder (c) die Hälfte der Arbeiter nimmt an einem Abfindungsprogramm teil und findet einen Job in einer neu entstehenden Industrie.

Der Wachstumseffekt ist für diese drei unterschiedlichen Szenarien sehr unterschiedlich, schauen wir das einmal an.

Im Fall (a) – die Arbeitszeit wird für alle reduziert – bleibt die Wertschöpfung in der Volkswirtschaft gleich, wenn man annimmt, dass Effizienzgewinne nicht an Kunden weitergegeben werden (Preis bleibt stabil). Im Fall (b) – die Hälfte der Arbeiter wird entlassen – bleibt die Wertschöpfung in der Volkswirtschaft ceteris paribus ebenfalls gleich; die reduzierte Arbeitszeit verteilt sich allerdings völlig anders, dass das nicht sozialverträglich ist, ist uns allen klar. Nur im Fall (c) – nämlich neue Jobs in neuen Industrien – haben wir ein Wachstumsszenario, denn zu der gleichbleibenden Wertschöpfung in der Autofabrik kommt die Wertschöpfung der neuen Industrie hinzu, und die Arbeitszeit bleibt hier konstant.

Das ist natürlich ein vereinfachtes Modell, das aber zumindest grundsätzliche Überlegungen der Wachstumstheorie transparent macht. In Wirklichkeit kommen weitere Effekte hinzu: Wenn Produktivitätsgewinne in Form von Lohnerhöhungen an Arbeiter weitergegeben werden, erhöht dies die Lohnsumme, dies wiederum setzt einen Impuls für den privaten Konsum, zumal wenn die Zukunftsaussichten optimistisch stimmen (vgl. Ludwig Erhard: „Psychologie ist die Hälfte der Wirtschaftspolitik.“). Wenn ein Teil der Produktivitätsgewinne in Form von Preissenkungen an Konsumenten weitergegeben werden, führt dies außerdem zu höherem Absatz und gegebenenfalls zu höherem Umsatz. Undsoweiter.

Digitalisierung: Analyse der Wachstumseffekte

Soweit also zwei Faustregeln für mehr Wachstum. Kommen wir jetzt zum Zweiten Teil, nämlich betrachten wir nun zentrale Entwicklungen der Digitalisierung und deren Wachstumseffekt.

Investitionen zum Aufbau der digitalen Infrastruktur

Zunächst einmal gilt, dass Digitalisierung einen immensen Investitionsschub in digitale Infrastruktur ausgelöst hat: Unternehmen haben in den Aufbau von Webseiten und Native Apps investiert, eCommerce-Plattformen, die Entwicklung von Omni Channel-Angeboten. Diese digitale Infrastruktur ist nicht nur an der Schnittstelle zum Kunden entstanden (Webseiten, Apps, etc.), sondern auch im Bereich der Produktion: Vernetzung von Maschinen mit IoT-Sensoren für Produktionsleitstände (Stichwort: Factory 4.0), Netzwerkinfrastruktur der Telekom-Firmen, 4G/5G-Netzwerke an Produktionsstandorten für die digitale Steuerung von Maschinen und autonomen Robotern (z.B. bei OSRAM in Schwabmünchen), automatisierte Lager (z.B. bei Amazon) und derlei mehr. Studien (z.B. von BCG) gehen aus von Investitionen im dreistelligen Milliardenbereich in den nächsten 25 Jahren allein für das Konzept von Industrie 4.0. Als Investitionsgüterhersteller kann Deutschland hier klar profitieren (vgl. auch das Buch >„Titelverteidiger“).

Unter Investitionen im Unternehmensbereich fällt ebenfalls die neu entstandenen Beratungsangebote rund um KI, Blockchain, IoT, kurz: Digitales – und zwar sowohl bei den etablierten Beratungshäusern (PWC, BCG, etc.), also auch durch neue Unternehmen. Und es ist eine Vielzahl von Unternehmen neu entstanden, die genuin neue Digitale Angebote entwickeln wie Parship, eBay, affiliate Marketing-Anbieter wie zanox, Medienagenturen für digitale Plattformen wie Performance Media, ebenso die Content-Industrie zur Bespielung all der neuen digitalen Schnittstellen zum Kunden.

Natürlich bleibt es nicht bei diesen Anfangsinvestitionen. Zum einen müssen einige Investitionen in regelmäßigen Zyklen erneuert werden (z.B. Modernisierung der Webseite), zum anderen fällt kontinuierlicher Pflegeaufwand an (Webseite, Unternehmensdaten bei GoogleMaps, Blog-Seiten, etc.). Und für die neuen digitalen Kanäle muss Erreichbarkeit sichergestellt sein (z.B. per Chat, per Email).

Nun ist aber wichtig zu verstehen: Es gibt hier auch einen Kannibalisierungseffekt: Während Marketingabteilungen einerseits mehr Geld für Webseiten und Apps ausgeben, gehen andererseits Investitionen in Druckerzeugnisse zurück; das erklärt die Krise der Druck- und Druckmaschinenindustrie. Insgesamt können wir allerdings davon ausgehen, dass diese Investitionen in Digitale Infrastruktur einen Wachstumsimpuls setzen.

Entwicklung des Konsums im digitalen Zeitalter

Wie schaut es mit dem Konsum aus?

Es dürfte aber auch klar sein, dass eine Digitalisierung von Unternehmensprofilen (z.B. Webseite) und die Multiplizierung von Kommunikationskanälen (z.B. Web, App, Chat, Email) nicht automatisch Umsatzsteigerung bedeutet. In manchen Märkten gilt schlicht ein Null-Summen-Spiel: Wenn die 3 Bäckereien eines Ortes online gehen und einen Chat-Kanal pflegen, dann dürfte darum der Absatz an Schwarzbrot kaum steigen. Wenn ein Versicherungsunternehmen für seine Stammkunden neben telefonischer Erreichbarkeit noch Email, Chat und SMS einführt, dann schließt ein solcher Stammkunden darum nicht zwingend eine weitere Versicherung ab. Wie Sie nun Ihre Pizza bei PizzaHut auch online oder per App bestellen können – statt per Telefon wie in der vor-digitalen Ära: Essen Sie darum mehr Pizza als vorher? Kurz: Die Digitalisierung hat den Standard bei Customer Convenience signifikant erhöht, höhere Customer Convenience führt aber nicht in allen Märkten zwingend zu mehr Umsatz.

Das Argument der Kannibalisierung gilt natürlich (und vor allem) für jene Märkte, die durch eine Digitalisierung von Content entstanden sind: Bücher, Zeitungen, Filme, Musik. Der gesamte Büchermarkt ist insgesamt stagnierend bzw. rückläufig. Und im Fernseh- und Heimkinomarkt gilt: Die Streaming-Angebote haben zu einem gigantischen Preisrückgang geführt, ein einzelnes Video kostete im Verlauf in den 1990ern rund 8 Mark (inflationsbereinigt heute ca. 6,50 EUR), ein Netflix-Monatsabo („Standard“) hingegen kostet nurmehr 11,99 Euro (pro Monat!). Darum ist der klare Trend zu Video-on Demand kaum überraschend. Der Umsatz dieses Fernseh- und Heimkinomarktes ist insgesamt betrachtet aber vergleichsweise moderat gewachsen, etwa 1,5% pro Jahr in den letzten Jahren (Vgl. die PwC-Studie „Fernseh- und Heimkinomarkt – German Entertainment & Media Outlook 2018-2022“). Und die Beratungsgesellschaft PwC prognostiziert für die Zukunft gerade einmal „eine stabile Entwicklung bei einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 0,4 Prozent pro Jahr“. Das ist nicht gerade schwindelerregend.

Kannibalisierung hin oder her, was ist nun der Gesamteffekt von Digitalisierung auf den Konsum? Die Autoren Steffen Lange und Tilman Santarius stellen in ihrem Buch „Smarte Grüne Welt? (Oekom-Verlag, Erscheinungsjahr 2018) nüchtern fest: „Der Onlinehandel nimmt deutlich zu. (…) Der herkömmliche Handel wächst ebenfalls weiter an, wenngleich im Schnitt nur noch um ein Prozent im Jahr. Trotz aller Optionen für den Wiederverkauf gebrauchter Waren, Prosuming und Sharing wirkt die Digitalisierung bislang insgesamt konsumsteigernd.“ (S. 48). Und die Autoren liefern auch eine Begründung, hier seien einige Stichworte genannt: Marketingmacht der Shoppingplattformen, die Verführungskraft der smarten Algorithmen, personalisierte Werbung und omnipräsente Shoppingoptionen, zudem können Sie nun 24 Stunden an 7 Tagen in der Woche shoppen, ohne Rücksicht auf Ladenöffnungszeiten.

Neue Digitale Angebote. Neue Digitale Märkte

So, schauen wir uns drittens Neue Digitale Angebote, Neue Digitale Märkte an. Das heißt, Märkte, die durch die Digitalisierung erst geschaffen wurden und die folglich keine bestehenden Märkte kannibalisieren: Zwar gab es bereits in der vor-digitalen Ära Partnervermittlungsagenturen, dennoch lässt sich sagen, dass Angebote wie Parship diese Dienstleistung erst demokratisiert haben, heißt: zum Massenmarkt gemacht haben. Das gleiche Argument gilt auch für eBay und vergleichbare Second-Hand-Plattformen: Natürlich gibt es Flohmärkte (Trödelmärkte) bereits seit Jahrhunderten, aber der überregionale Charakter von Internet-Auktionsplattformen schafft einen Markt von neuer Qualität (Größe, Reichweite), erhöht die Wiederverkaufsrate und maximiert die Chance, einen Käufer mit hoher Wertschätzung für das Angebot zu finden (heißt: maximaler Preis).

Gleichermaßen neue digitale Märkte sind auch Berufliche Netzwerke (LinkedIn, XING). Videocalls mit Skype oder WhatsApp, und zwar sowohl im beruflichen als auch im privaten Bereich. Social Media (Facebook, Instagram, Snapchat, TicToc, Twitter, etc.). Der Wachstumsimpuls ist hierbei keineswegs einheitlich. LinkedIn basiert auf einem Abo-Modell, der Nutzer zahlt für den Zugang zum Netzwerk. Ein Großteil der Social Media-Angebote (und auch Google) wiederum sind werbefinanziert – hier gibt es – kaum überraschend – einen Kannibalisierungseffekt zu herkömmlichen Werbemedien wie Print und Outdoor. Dabei gilt: Insgesamt ist der Werbemarkt (also: Werbeausgaben) seit 2014 leicht rückläufig (vgl. „Werbemarkt Deutschland. Dialogmarketing-Monitor 2019“ der Deutschen Post).

Es kommen Videoplattformen hinzu wie YouTube, Vimeo oder auch twitch. Und natürlich nicht zu vergessen: Das Smartphone, Tablets und derlei mehr – und das darauf aufbauende Ökosystem von Applikationen: Meditations-Apps, Videospiele, kleine Helferlein. Damit wir etwa Gefühl für die wirtschaftliche Bedeutung etwa des Smartphones erhalten: Der Smartphone-Markt in Deutschland (und zwar nur Geräte) hat ein Volumen von 11 Mrd. Euro (0,32 Prozent des BIP), der App-Markt beläuft sich auf 1,6 Mrd. Euro und der Umsatz mit Daten- und Sprachdiensten liegt bei 20 Mrd. Euro. Zum Vergleich: Der Automobilmarkt in Deutschland ist rund 260 Mrd. Euro schwer.

Zwar nicht neu, aber mit einer neuen Wachstumsdynamik dank Digitalisierung, ist der Markt für Gaming, der in Deutschland auf immerhin 36 Millionen Gamer angewachsen ist (das entspricht 45% der Gesamtbevölkerung). Virtual Reality wird hier bald einen weiteren Wachstumsimpuls liefern. Zur Einordnung der Umsätze in der Gaming Branche: Diese liegen aktuell bei 4,7 Mrd. Euro, also 0,14 Prozent des BIP. Wächst die Branche um 5% (entspricht dem Wachstum von 2018 gegenüber 2017), dann liegt der Wachstumsimpuls für die Gesamtwirtschaft bei 0,007 Prozent. Heißt: Die Wachstumsdynamik mag hier beeindruckend sein, der Effekt auf die Gesamtwirtschaft ist gering.

Die Sharing Economy

Werfen wir abschließend, bevor wir zur Schlussbetrachtung kommen, noch einen Blick auf die Sharing Economy, und zwar am Beispiel von Car Sharing: Wenn mithilfe von Autonomen Fahrzeugen Car Sharing im Sinne einer maximalen De-Materialisierung umgesetzt wird (heißt: kein Haushalt besitzt noch ein Auto, Fahrzeuge werden bei Bedarf angefordert), dann werden in Deutschland nicht mehr (wie heute) 60 Mio. Fahrzeuge erforderlich sein, sondern nur noch 2 Mio.. Der guten Ordnung halber sei darauf hingewiesen, dass die Technologie für Autonomes Fahren auf absehbare Zeit nicht reif ist, aber es lohnt sich, den Effekt der Sharing Economy auf das Wachstum einmal durchzuspielen.

Wenn sich also Car Sharing durchsetzte, dann gehen die Umsätze im Mobilitätssektor zurück – denn diese neue Form der Mobilität setzt sich natürlich nur unter der Bedingung durch, dass Car Sharing kostengünstiger ist als der Besitz eines Fahrzeugs. Ergo schrumpft der Markt, gemessen in Euro Umsatz (sofern nicht mehr gefahren wird). Gleiches gilt grundsätzlich für alle Märkte, in denen Sharing zum Grundprinzip wird; man muss auch hier dazu sagen: Davon sind wir in allen Sharing Märkten noch meilenweit entfernt, die Sharing Economy ist bislang ein Nischenphänomen; ein Beispiel: Der Fahrzeugbestand für Car Sharing macht heute etwa 0,04 Prozent des gesamten Fahrzeugbestands in Deutschland aus.
Interessant ist nun, dass der Effekt der Sharing Economy auf das Wachstum im Sinne des BIP negativ ausfällt. Obwohl – und dies ist das volkswirtschaftliche Paradoxon – der Nutzen für die Haushalte gleichbleibt bzw. billiger wird.

Fazit: Digitalisierung, Wachstum und Wohlstand

Dieses Paradoxon – und jetzt kommen wir zur Schlussbetrachtung – lässt sich vergleichsweise einfach auflösen: Das heute übliche Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Messgröße für Wirtschaftsleistung sagt nur bedingt etwas aus über den Lebensstandard des (Normal)Bürgers beziehungsweise über den Wohlstand aus. Diese Diskussion ist fast so alt wie die Messgröße selbst. Das lässt sich nicht nur am Car Sharing erkennen, sondern auch dort, wo die Digitalisierung Bezahlangebote durch Kostenlosangebote ersetzt, etwa bei der Verdrängung der Brockhaus-Enzyklopädie durch das kostenlose Wikipedia. Der volkswirtschaftliche Wachstumsbegriff (basierend auf dem BIP) wird der Digitalisierung nur bedingt gerecht. Das ist ein wichtiges Fazit, ein weiteres wichtiges Fazit folgt noch:

Fassen wir kurz das bisher Gesagte zusammen: Digitalisierung setzt Wachstumsimpulse durch den Aufbau der digitalen Infrastruktur, durch Mehr-Konsum und durch genuin neue (digitale) Angebote. Dem stehen gegenläufige Effekte aus der Sharing-Economy, Kannibalisierungseffekte und Kostenlos-Angeboten gegenüber (bislang überschaubar).

Nun müssen wir darüber hinaus noch einen wichtigen Effekt berücksichtigen: Die Digitalisierung (Automatisierung) hat seit den 1980ern zahlreiche Mittelklasse-Jobs obsolet gemacht. Und die neuen Jobs an der Mensch-Maschine-Schnittstelle sind keineswegs immer nur hochqualifizierte Jobs, sondern nicht selten weniger anspruchsvolle Jobs wie Uber-Fahrer, Fahrradkuriere undsoweiter; keineswegs ist es so, dass die Anzahl an hochbezahlten Programmierern und Ingenieuren explodiert ist; dies beschreiben etwa die Buchautoren Matthias Horx und Sascha Lobo.

Vergleichen wir das mit der Situation während der Zweiten Industriellen Revolution um die Jahrtausendwende zum 20ten Jahrhundert stellen wir also fest, dass die Vierte Industrielle Revolution nur bedingt neue gut bezahlte Mittelklasse Jobs geschaffen hat. Hieraus ergibt sich eine ungleichere Einkommensverteilung; und dieser Effekt wird erkennbar daran, dass die Lohnsumme seit den 1980ern in den meisten westlichen Ländern fällt, unter anderem weil aufgrund eines zunehmenden Einsatzes von Automatisierungstechnologie Produktivitätsgewinne verstärkt Kapitaleignern zufließt.

Problematisch hieran ist unter anderem, dass Menschen mit hohem Einkommen einen geringeren Anteil des Einkommens für Konsum ausgeben, heißt: Das Konsumniveau in einer Gesellschaft mit ungleicher Einkommensverteilung ist niedriger als das Konsumniveau in einer Gesellschaft mit vergleichsweise gleicher Einkommensverteilung. Darum sind sich inzwischen viele namhafte Ökonomen einig, dass wir uns aller Wahrscheinlichkeit nach auf langfristig niedriges Wachstum einstellen müssen.

Das ist ein kontraintuitives, überraschendes Fazit. Aber natürlich müssen Politik und Gesellschaft hierauf eine Antwort finden. Wir leben in einer Zeit der technologischen Revolution, das erfordert Anpassungsleistung.

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, vielen Dank, dass Sie den Podcast bis hier verfolgt haben. Es bedankt sich herzlich Ihr Sebastian Zang.

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Author

Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.