Wir stecken mitten in der Digitalen Revolution – trotzdem ist das Produktivitätswachstum „flach wie ein Brett“ (Zitat des Chefökonomen des Handelsblattes, Prof. Bert Rürup). Dutzende Haushaltsgeräte erleichtern heute die Haushaltsarbeit im Vergleich zum Jahr 1900 – trotzdem verbringen wir ähnlich viel Zeit bei der Haushaltsarbeit. Motoren werden verbrauchsärmer – trotzdem ist der CO2 Ausstoß des Verkehrssektors nicht zurückgegangen.

Wie kommt das?

Beispiel Haushalt: Die Effizienzgewinne durch Technologie sind immens. Im Verlaufe des letzten Jahrhunderts sind Waschmaschine, Elektroherd, Rührgeräte, Kühlschrank, Staubsauger oder auch der Trockner hinzugekommen. Eingesparte Zeit? Fehlanzeige! – Die Ansprüche sind parallel gestiegen. Der höhere Hygienestandard sorgt dafür, dass wir Kleidung mehrfach wechseln, es wird häufiger sauber gemacht, es gibt größere Wohnungen und deutlich mehr Gegenstände im Haushalt: Um 1900 beherbergte jeder mitteleuropäische Haushalt im Durchschnitt etwa 400 Objekte. Heute sind es 10 000 (sic!).

Nehmen wir ein anderes Beispiel: Das Auto wurde zwar effizienter, aber auch schwerer aufgrund mehr Raumangebot, mehr Fahrkomfort, mehr Sicherheitsfeatures – und schlussendlich führt komfortableres Fahren zu mehr Fahrkilometern, und die günstigeren Herstellungskosten führten zu einem Zweitfahrzeug im Haushalt. Beim Mobiltelefon führte der Erfolg bei der Miniaturisierung dazu, dass die Anzahl der Nutzer explodierte: Das Mobiltelefon wurde vom exklusiven Statussymbol einiger Geschäftsleute und Politiker zum Massenprodukt.

Häufig gilt: Wo technische Effizienz, Prozessverbesserungen oder neue Produktionsmethoden ein Produkt oder eine Dienstleistung dessen Konsum verbilligt haben, folgte häufig die Vermassung (Flugreisen, elektronische Geräte und derlei mehr). In der Ökologie heißt das Rebound-Effekt.

Wie Effizienzgewinne aufgefressen werden: Wo ist die Produktivitätsrevolution der 4ten Industriellen Revolution?

Die Produktivitätssprünge in der Digitalindustrie finden sich etwa im Moore’schen Gesetz wieder (Verdopplung der Chipleistung alle zwei Jahre). Das heißt etwa auch: Kostete die Speicherung von einem Megabyte an Daten in 1965 noch 85.000 US-Dollar (inflationsbereinigt), so liegen diese Kosten heute nurmehr bei 0,00002 US-Dollar (sic!).

Eine solche (Preis)Entwicklung rechtfertigt durchaus den Begriff (Digitale) Revolution. Und dennoch konstatieren Ökonomen immer wieder nüchtern, dass sich diese Revolution nicht in der Produktivitätsentwicklung niederschlägt. In einem jüngst veröffentlichten Podcast erklärte Professor Bert Rürup (Chefökonom des Handelsblatt): Das Produktivitätswachstum seit trotz Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz so „flach wie ein Brett“. Der Journalist Derek Thompson wiederum zieht eine nüchterne Bilanz für die USA: „Uns wurde eine weitere industrielle Revolution versprochen. Bekommen haben wir eine Revolution im Bereich von Customer Convenience.“

Thompson beklagt gar, dass die Digitale Ära in den USA mit einem Rückgang des Wirtschaftswachstums einher ging. Zwar habe Digitalisierung einige wenige Superreiche hervorgebracht, aber kaum genügend neue Jobs für die Mittelschicht, um etwa die Abwanderung der Fertigungsindustrie ins Ausland zu kompensieren. Man reibt sich verwundert die Augen: Aber diese Kostendegression ist doch real, wir übersetzen seitenweise Texte mithilfe der KI-basierten Funktion von DeepL und KI hat schon längst die besten Spieler in Schach, Go und anderen Disziplinen geschlagen?!

Die Erklärung findet sich in verschiedenen Ursachen. Etwas genauer habe ich mir das auch in einem früheren Blogpost angesehen, nämlich hier: Wo bleibt die Killer App in der Digitalen Ära?. Hier ein paar wichtige Ursachen:

Erstens – das formulieren die beiden Ökonomen Michael Hüther und Prof. Bert Rürup im vorgenannten Podcast – werden Produktivitätsgewinne durch höhere Anforderungen an Compliance und ähnliches (kurz: Overhead) aufgefressen. Zum einen hat die Digitalisierung selbst eine Reihe neuer Compliance-Anforderungen mit sich gebracht (vgl. den Blogpost: IT Sicherheitsgesetze und IT Sicherheitsstandards – ein Überblick); zum anderen hemmt die allbekannte Bürokratie in Deutschland die Produktivitätsentwicklung, hier sei auf die jüngste Kritik des Silicon Valley-Entrepreners Elon Musk verwiesen: Er fragte sinngemäß angesichts des Bürokratiedickichts in Deutschland, wie hier noch Unternehmertum möglich sein solle.

Zweitens, manche Ökonomen stellen auch die Messung der Wertschöpfung an sich infrage: Die Einführung von Car-Sharing etwa führt (im Idealfall) zu gleichbleibendem Nutzen, im Bruttosozialprodukt jedoch ist der Effekt wegen geringerer Autoverkäufe negativ; ein ähnliches Argument gilt dort, wo die Digitalisierung Bezahlangebote durch Kostenlosangebote ersetzt, etwa bei der Verdrängung der Brockhaus-Enzyklopädie durch das kostenlose Wikipedia.

Drittens: Arbeitsproduktivität ist letztlich Wertschöpfung im Verhältnis zum Arbeitszeitvolumen. Nun gilt: Die Digitalisierung (Automatisierung) hat seit den 1980ern zahlreiche Mittelklasse-Jobs obsolet gemacht. Und die neuen Jobs an der Mensch-Maschine-Schnittstelle sind keineswegs immer nur hochqualifizierte Jobs, sondern nicht selten weniger anspruchsvolle Jobs wie Uber-Fahrer, Fahrradkuriere undsoweiter; keineswegs ist es so, dass die Anzahl an hochbezahlten Programmierern und Ingenieuren explodiert ist; dies beschreiben etwa die Buchautoren Matthias Horx und Sascha Lobo. Problematisch hieran ist unter anderem, dass Empfänger hoher Einkommen einen geringeren Anteil des Einkommens für Konsum ausgeben, heißt: Das Konsumniveau in einer Gesellschaft mit ungleicher Einkommensverteilung ist niedriger als das Konsumniveau in einer Gesellschaft mit vergleichsweise gleicher Einkommensverteilung. Darum sind sich inzwischen viele namhafte Ökonomen einig, dass wir uns aller Wahrscheinlichkeit nach auf langfristig niedriges Wachstum einstellen müssen.

Wenn Effizienzgewinne aufgefressen werden: Kann Technologie die Umwelt retten?

Aktuell setzen wir darauf, dass wir durch technologische Effizienz und Dekarbonisierung eine „Grüne Wirtschaft“ erreichen können – eine Wirtschaft, deren Wertschöpfung vom Naturverbrauch (weitestgehend) entkoppelt ist. Diese Idee ist ja nicht neu: Gerade zu meiner Studienzeit war ein Buch mit ebendieser These en vogue: „Faktor Vier. Doppelter Wohlstand – Halbierter Naturverbrauch“ (Autoren: Ernst Ulrich von Weizsäcker, Amory B Lovins, L Hunter Lovins) aus dem Jahr 1995. Und 15 Jahre später kam dieses Versprechen in einer Neuauflage auf den Büchermarkt, diesmal mit einem noch ehrgeizigeren Ziel: „Faktor Fünf: Die Formel für nachhaltiges Wachstum“ (Autoren: Ernst Ulrich von Weizsäcker, Karlson Hargroves, Michael Smith).

Noch immer gibt es Techno-Optimisten, die bei der Rettung des Klimas ganz (ausschließlich) auf technologische Revolutionen setzen. Zum Beispiel der Autor des Buches „Erde 5.0“. Kühn bzw. naiv formuliert er: “Was der Mensch eigenständig nicht schafft, nämlich den Verbrauch nachhaltig zu senken, bewirkt die Dematerialisierung zwangsläufig. Nicht als geplante umwelt- oder wirtschaftspolitische Maßnahme, sondern als unvermeidbare, zwingende, sozusagen selbsttätige Folge der Digitalisierung.“. Skepsis ist angebracht. Denn erst jüngst hat das Institut für ökologische Wirtschaftsförderung (IÖW) in einer Studie aufzeigt, dass Digitalisierung bisher eher zu mehr als weniger Energieverbrauch führt.

Warum? – Der Rebound-Effekt lässt grüßen. Einige (allerdings: wenige) Ökonomen stellen das Narrativ der Grünen Wirtschaft darum ganz in Frage: Technologische Effizienz (inkl. Dekarbonisierung) werde nicht die Ära der Grünen Wirtschaft einleiten. Einer der bekanntesten Ökonomen mit dieser Position ist Prof. Nico Paech. Er setzt dagegen auf die Postwachstumsgesellschaft: Die Zielsetzung des kontinuierlichen Wachstums wird darin aufgehoben, zudem wird die globale Industrieproduktion zurückgeführt zugunsten einer stärker regional ausgerichteten Industrieproduktion. Er positioniert sich damit gegen den Mainstream innerhalb der ökonomischen Disziplin, die Dringlichkeit des Klimaproblems legt eine Auseinandersetzung mit seinen Ideen nahe – auch wenn sein Konzept einer Postwachstumsgesellschaft zum gegenwärtigen Zeitpunkt eher utopischen (oder: revolutionären) Charakter hat, da nicht mehrheitsfähig. Wer mit dem Konzept der Postwachstumsgesellschaft noch nicht vertraut ist, dem empfehle ich nachfolgenden Vortrag von Prof. Paech (YouTube, 60 min):

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Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.