Seit Anfang 2023 ist die Aktie von NVIDIA in der Spitze um fast 900 Prozent gestiegen. Seit dem Release von ChatGPT im November 2022 wurde die Technologie KI in bislang unbekanntem Maße gehypt worden. „KI wird die Welt retten“, schrieb etwa der bekannte Wagniskapitalgeber Marc Andreessen ((in seinem Essay: „Why AI Will Save the World“, Juni 2023)
Der GARTNER Hype Cycle (vgl. TeaserPic zu diesem Blogpost) beschreibt die typische Verlaufskurve zu eben solchen Technologie-Hypes. Die Frage, die nun Investoren und Anleger umtreibt: Haben wir den „Gipfel der überzogenen Erwartungen“ erreicht? Und: Platzt bald die KI Blase?
Eben dieser Frage gehe ich in diesem Blog nach. Vorweg: Ich bin vergleichsweise zuversichtlich, dass wir insgesamt nur eine moderate Korrektur erleben werden; zudem rechne ich mit einer solchen Konjunktur nicht vor Anfang 2025.
Enorm hohe Investitionen in KI Infrastruktur
Die Investitionen in KI sind tatsächlich enorm: Vor allem die Big Tech Player, aber auch andere Unternehmen, werden in den kommenden Jahren über 1 Billion Dollar (!!) für KI-Investitionen ausgeben: Google will bis Ende des laufenden Jahres 50 Milliarden Dollar in die nötige Infrastruktur investieren. Amazon teilte gerade mit, dass die zunächst veranschlagten 60 Milliarden Dollar wahrscheinlich nicht reichen werden. Die Technologiekonzerne investieren vor allem in KI-Chips, viele streben den Bau eines „Supercomputers“ an. Microsoft etwa entwickelt in Zusammenarbeit mit OpenAI einen Supercomputer mit geschätzten Kosten von über 100 Milliarden Dollar, der aus Millionen von Chips besteht.
Es kommen explodierende Kosten für das Training von KI-Algoritmen hinzu: Eine Studie von Epoch AI postuliert, dass sich die Kosten alle neun Monate verdoppeln. Dieser exponentielle Kostenanstieg bedeutet, dass die Entwicklung neuer Modelle bald die Summe von 1 Milliarde US-Dollar übersteigen könnte, wenn man Strom, Hardware und Mitarbeitergehälter berücksichtigt. Ob sich dieser Trend im nächsten Jahrzehnt fortsetzen wird, ist ungewiss.
Im Handelsblatt findet sich eine sehr anschauliche Graphik, welche die Kostenexplosion beim Training der LLM-Modelle gut sichtbar macht:
Ertragsschwache Geschäftsmodelle
Diesen Kosten stehen vergleichsweise schwache Geschäftsmodelle gegenüber. Der WOW-Effekt, den Nutzer bei der Produktion von Texten, Bildern und Musik erlebt, spiegelt sich bei vielen Anbietern nicht in gleicher Weise im wirtschaftlichen Nutzen dieser Anwendungen wider.
Viele Unternehmen haben also noch kein robustes Geschäftsmodell. Einer Umfrage der Beratung Deloitte zufolge tut sich ein Viertel der Unternehmen schwer, überhaupt Anwendungsfälle für die Technologie zu identifizieren. “Das störte bis vor Kurzem aber kaum jemanden – im Gegenteil. Profitable Anwendungen für KI, so die einhellige Meinung, werden der Technik folgen wie Amazon, Google und Facebook dem Internet.“ bemerkt das Handelsblatt in seiner Analyse Die Angst vor dem Platzen der KI-Blase
Ganz konkret, und zwar für das Unternehmen, das den KI-Hype ausgelöst hat: Laut einem Bericht des Technologie-Magazins „The Information“ prognostiziert OpenAI für das laufende Jahr fünf Milliarden Dollar Verlust – bei einem jährlich wiederkehrenden Umsatz von nur 3,4 Milliarden Dollar.
Im Ergebnis fallen folglich Investitionen und mittelfristige Ertragschancen auseinander.Microsoft-Finanzchefin Amy Hood erklärte Ende Juli, dass sich die eigenen milliardenschweren Ausgaben für KI-Infrastruktur über die kommenden 15 Jahre „oder danach“ amortisieren würden – ein extrem langer Zeitraum.
Die Angst vor der KI Blase
In dem kürzlich veröffentlichten Beitrag AI’s $600B Question (20.06.2024) berechnete David Cahn von Sequoia Capital, dass KI-Unternehmen 600 Milliarden Dollar Umsatz generieren müssten, um das derzeitige Niveau der Investitionen in Rechenzentren zu rechtfertigen. Um die derzeitige Kluft zwischen Investitionen und Einnahmen ins richtige Verhältnis zu setzen. Andere große Namen wie Goldman Sachs gießen ebenfalls Öl ins Feuer.
Der Markt wird bereits nervös. Anfang August lag der NVIDIA-Kurs 20 Prozent im Minus, bevor sich der Kurs wieder erholte. In die Entwicklung der Aktienskurse spielen – dies sei der Vollständigkeit halber erwähnt – gegenwärtig auch die Reaktionen auf Entwicklung zum Ukraine-Krieg, Gaza-Krieg, der US-Wahl und der Zinswende hinein. Anbei der Kurs zweier Unternehmen, die klar vom KI-Hype profitiert haben. (Abruf der Kursdaten vom 02. September 2024)
Aktienkurs von NVIDIA in den vergangenen 3 Jahren:
Aktienkurs von Alphabet in den vergangenen 3 Jahren:
Wo sich der Nutzen von KI bereits in ertragreiche Geschäftsmodelle übersetzt
Investoren blicken vor allem auf die Big Tech Player, die exorbitante Investitionen in LLM-Algorithmen tätigen, u.a. OpenAI. Dort ist man aber auch keineswegs auf dem kommerziellen Auge blind, so hat etwa Aleph Alpha seine Ausrichtung an diesen kommerziellen Rahmenbedingungen neu ausgerichtet, um mittel- bis langfristig profitabel zu werden; eine zukunftstrunkene Naivität muss man den Technologie-Chefs nicht unterstellen.
In zahlreichen Bereichen lässt sich zudem bereits der Nutzen (und das kommerzielle Potential) von KI erkennen. Dazu nachfolgend einige Beispiele, und die Empfehlung, den HANDELSBLATT-Podcast mit dem KLARNA Gründer Sebastian Siemiatkowski anzuhören. Der Claim: „Mit KI können wir die Zahl der Mitarbeiter von 3400 auf 2000 reduzieren“. Hier geht‘ zum Podcast: Handelsblatt-Podcast: Interview mit KLARNA-Gründer Sebastian Siemiatkowski
Einige Auszüge vermitteln ein Verständnis für die Erfahrungen innerhalb des KLARNA-Unternehmens: ”(…) We’ve all tried AI. It’s not always consistent. There’s still a lot of work to be done. (…) I can see that the technology works. And then I understand that there are obviously things that need to be fixed. (…) The fact is that in an information company like ours a lot of is it is making sure that employees have access to the correct information. What we’ve seen is that AI allows us to make sure that all the information is at the hands of people, it’s more available, it’s faster. (…)“
”When ChatGPT was announced we started playing around with it, we encouraged all our employees to start trying it out, testing it, working with it. (…) We came to the conclusion that we will be able to get much more done with much fewer people. And so, back in September, October we said: stop hiring. At that time we were about 4.500 or something. As any tech company we have a natural attrition rate of about 20 percent, which is pretty standard. (…)And we said: If we stop hiring, we start shrinking. So, last time I looked at the number we were about 3.400 or something. And in the back of my mind I have a target, 2.000 people is probably pretty good. And I have been very open about this in the company. But there’s no timeframe. And then, what we do is, we’ve constantly explored a lot of AI tools out there to simplify and automate things that we’re doing internally. What we see is, that while we shrink, and people apply and use a lot of AI internally, they are getting just more productive.”
Thomas Dohmke, Chef der Programmierer-Plattform Github, die inzwischen zu Microsoft gehört, sieht den Coding-Bereich als das vielleicht beste KI-Einsatzfeld an. „Softwareentwickler sind Experten darin, Code-Vorschläge gegenzuprüfen. Daher sind auch Halluzinationen kein großes Problem”, sagt er. Schon heute würden Entwickler Code von anderen Quellen, etwa Internetseiten oder spezialisierten Teams im Ausland, kopieren, prüfen und einfügen. Künftig gehe das durch KI viel schneller. Der eigene Github-Copilot sei ein voller Erfolg und werde schon von über 77.000 Unternehmen genutzt. Dabei schaffe die KI „sowohl Produktivitäts- als auch Zufriedenheitsgewinne.” KI übernehme „Dinge, die nicht so viel Spaß machen”, und das sei erst der Anfang.
Der Konzern Siemens nutzt generative KI, um Bestandsprodukte zu verbessern. So setzt er etwa auf „Industrial Copilots”: KI-Modelle, die beim Planen von Arbeitsabläufen und Produktionsprozessen helfen. Demgegenüber hat das KI-Unternehmen Pailot für eben diese Optimierung von Produktionsprozessen einen leistungsfähigen KI-Algorithmus entwickelt (vgl. dazu auch DIESEN BLOG HIER ). Die Wertschöpfung ist überzeugend: Bei einem Kunden (Kunststoffhersteller) etwa eine Erhöhung der Ausbringung um 17 Prozent. Bei einem Maschinenbauer eine Reduktion von Verspätungen bei der Fertigungstellung von Maschinen von 28 Prozent. Und einem Sensorhersteller gelang die Steigerung der Auslastung des Werks um 10 Prozent.
Und bei aller Hartnäckigkeit der Herausforderungen mit dem „Halluzinieren“ von LLM-Modellen und der fehlenden Belastbarkeit von Aussagen, erzielt die KI-Szene doch durchgehend größere und kleinere Fortschritte: Die Video-Produktion hat in 2023 an Dynamik gewonnen. Und das Unternehmen DeepMind sagte Ende 2023 neuartige Materialstrukturen voraus: Die Forscher von Google DeepMind haben mithilfe von KI die Strukturen von mehr als 2 Millionen neuen Materialien genau vorhergesagt, was erhebliche Auswirkungen auf die Bereiche erneuerbare Energien und Computertechnik hat. Und mit AlphaGeometry wurde ein Durchbruch in den mathematischen Fähigkeiten von KI erreicht: In einer bahnbrechenden Arbeit, die in Nature veröffentlicht wurde, zeigte AlphaGeometry seine Fähigkeit, komplexe Geometrieprobleme auf einem Niveau zu lösen, das mit dem eines menschlichen Olympia-Goldmedaillengewinners vergleichbar ist. AlphaGeometry löste 25 von 30 Geometrieproblemen auf Olympia-Niveau innerhalb der Standardzeit, eine Leistung, die mit menschlichen Spitzenkandidaten vergleichbar ist, und löste eine breite Palette von Mathematik- und Informatikfragen effektiver als menschliche Mathematiker, die allein arbeiten.
Mein Fazit
In der Analyse von Goldman Sachs (vgl. Hinweis weiter oben) erklärte Jim Covello, Leiter der Global Equity Research bei Goldman Sachs: Das Platzen einer KI-Blase sei nicht unrealistisch; der KI-Hype könne aber noch weiterlaufen, „entweder weil sich seine Versprechen erfüllen oder weil es lange dauert, bis eine Blase platzt.“
Und Anfang August erklärte META-Chef Zuckerberg: „Zum jetzigen Zeitpunkt würde ich lieber riskieren, mehr KI-Rechenkapazitäten als nötig aufzubauen, als zu spät dran zu sein“. Und damit bringen beide eine wichtiges Charakteristikum dieser KI-Welle auf den Punkt:
Es ist die Realität, dass neue Technologien ihrer Natur nach grundsätzlich unvorhersehbar sind. Kein Maß an Prognosen oder Zahlenanalysen in den 1990er Jahren hätte eine direkte Linie von den frühen Tagen des Internets zu Anwendungen wie Uber und Instagram ziehen können. Es ist mithin eben nicht irrational, hohe Erwartungen an die KI-Technologie aufrecht zu erhalten. Und für diese Technologie gilt: Es handelt sich um eine Technologie mit Game-Changer-Charakter; und zwar sowohl für die Wirtschaftswelt, als auch für die Geopolitik (vgl. dazu auch meinen Blog zum Buch „Superintelligenz“ von Nick Bostrom). Kein Land von Relevanz kann und will es sich aktuell leisten, bei diesem Technologie-Marathon auszusteigen: China nicht, die USA nicht, und auch nicht Europa (mit Hoffnungsträgern wie Mistral und Aleph Alpha im LLM-Bereich).
Ich habe mit einem Kollegen eine Wette laufen, dass der KI-Hype noch mindestens bis Weihnachten diesen Jahres läuft (ich halte diese Wette) – und ich bin sehr zuversichtlich, dass ich diese Wette auch gewinne.