Nichts ist spannender als die Frage nach der Zukunft: Wie können und wollen wir zukünftig leben? Welche Gestaltungsmöglichkeiten bietet der technologische Fortschritt? Welche Herausforderungen gilt es zu bewältigen? – Nicht zuletzt hängt der Zusammenhalt einer Gesellschaft davon ab, ob deren Mitglieder sich auf ein gemeinsames Zukunftsprojekt einigen können.

In einer Artikelserie möchte ich einige Zukunftsentwürfe und visionäre Ideen vorstellen. Das reicht von Tech-Visionen bis zu gesellschaftspolitischen Ideen. In jedem Blogartikel stelle ich zwei ausgewählte Beiträge vor; dabei lasse ich – soweit möglich – die Vordenker selbst zu Wort kommen in einem Videobeitrag.

Eine Bestandsaufnahme: Von Richard David Precht und Prof. Harald Welzer

Im ersten ausgewählten Beitrag wird keine Zukunftsvision an sich formuliert. Dieser Beitrag ist vielmehr als „Einführung“ in den Themenkomplex „Utopien und Zukunftsentwürfe“ zu verstehen. Hier wird eine Analyse des Status Quo vorgenommen, es werden Kriterien für Zukunftsentwürfe formuliert, es werden Bedingungen für den ökonomisch-sozialen Wandel diskutiert. Welche Veränderungsbereitschaft besteht überhaupt? Es werden gegenwärtige Herausforderungen benannt (v.a. Schaffung eines nachhaltigen sozialen Wirtschaftssystems), und einige herrschende Visionen werden kritisch analysiert.

Diese Bestandsaufnahme erfolgt im angeregten Dialog zwischen zwei bekannten Intellektuellen, durchaus auch mit einem Schuss Selbstironie: Zum einen Richard David Precht, der sich in mehreren Publikationen auch mit Digitalisierung auseinander gesetzt hat. Zum anderen der Sozialpsychologen und Transformationsforscher Prof. Harald Welzer, der unter anderem die Stiftung Zukunftsfähigkeit (www.futurzwei.org) ins Leben gerufen hat.

Grundsätzlich gilt etwa, dass komplexe Gesellschaften wie unsere eine gewisse Trägheit besitzt, eine Veränderungsresistenz (positiv formuliert: Stabilität); der Status Quo wird durch ein komplexes Netz von Abhängigkeiten zwischen Akteuren, Institutionen gestützt. Auslöser für Veränderungen sind in der Regel Akteure, die Konflikte provozieren und andere zwingen, sich damit auseinander zu setzen; häufig sind dies Akteure einer neuen Generation (vgl. etwa Bündnis90/Die Grünen zu deren Anfangszeiten). Zitat Prof. Welzer: „Keine Gesellschaft entwickelt sich weiter ohne generationellen Protest bzw. Konflikt.“

Die heutige Zeit sei im Übrigen – so Prof. Welzer – geprägt von einem Gefühl des „Epochenumbruchs“: dem Gefühl, dass sich gerade etwas fundamental ändert. Prof. Welzer diagnostiziert demgegenüber für die Zunft der Sozialwissenschaftler und Philosophen ein Defizit, in den letzten Jahrzehnten (bis heute) Zukunftsbilder zu entwickeln bzw. zu entwerfen. Gleiches gelte für die Parteien („visionäre Obdachlosigikeit“). Man müsse Gesellschaft eigentlich „völlig anders denken“, und zwar sozial und ökologisch zusammen – aber es passiere nicht. Einen Startpunkt für die Entwicklung neuer nachhaltiger Zukunftsentwürfe sieht Welzer etwa darin, die Arbeitszeitpolitik und Mobilität zu hinterfragen.

Beide Intellektuelle formulieren auch Kritik an bekannten technischen Utopien: Zum einen gehen diese technischen Utopien nicht mit einem Gesellschaftsentwurf einher. Zum anderen seien diese Utopien meist „binär“. Häufig werde für ein Problem eine Lösung bereitgestellt; menschliche Probleme seien aber in den meisten Fällen eben nicht binär. Ebenfalls wird analysiert, welchen Beitrag Technik in der Geschichte zu den zivilisatorischen Fortschritten geleistet hat (Friedensphase, niedrige Kriminalität, Lebensdauer, Wohlstand, …). Fazit: Menschliche Kulturgeschichte ist nicht gleichzusetzen mit Technikgeschichte. Aber dennoch natürlich gilt: „Digitalisierung ist extrem hilfreich“.

Prof. Dr. Nico Paech: Postwachstumsökonomie

Prof. Dr. Nico Paech ist zweifelsohne einer der prominentesten Repräsentanten der Postwachstumsökonomie; er hält einen Lehrstuhl für Ökonomie an der Universität Siegen. Der zentrale Ausgangspunkt der Postwachstumsökonomie ist dabei die ökologische Herausforderung der Menschheit im 21ten Jahrhundert: Klimakrise, Biodiversität, Bodenbelastung, Vermüllung der Ozeane und derlei mehr. Kurz: Begrenztheit der Ressourcen.

Hinzu kommt eine zunehmende Arbeitsproduktivität (nicht zuletzt durch Digitalisierung), die den gleichen wirtschaftlichen Output mit immer weniger Arbeitseinsatz (also: Arbeitsplätzen) erzielt. In den vergangenen Jahrzehnten konnten Industrieländer bei steigender Arbeitsproduktivität die Vollbeschäftigung aufrecht erhalten durch stetiges Wachstum – wohlgemerkt: bei einer regulären 40 Stunde Woche.

Die Postwachstumsökonomie hat in diesem Kontext den Zukunftsentwurf einer ökonomischen Transformation entwickelt, in dem die höhere Arbeitsproduktivität zukünftig in Arbeitszeitreduktion umgewandelt wird (nicht mehr in Wachstum). Teil des Zukunftsentwurfs ist auch eine teilweise Überführung der globalen hypereffizienten Industrieproduktion in regionale (oder gar lokale) Produktionseinheiten (Technologien wie 3D Printing machen dies ja möglich). Das erhöht zugleich die „Resilienz“ des Systems – etwa gegenüber Störungen in den globalen Supply Chains.

Dieser Zukunftsentwurf ist nicht ausschließlich in der ökonomischen Logik entwickelt. Es werden hier ebenfalls Aspekte wie Sinnstiftung, Gemeinschaftsbildung und derlei berücksichtigt. Es handelt sich als um ein ganzheitliches Konzept, das technologische, ökonomische und soziologische Überlegungen berücksichtigt.

Das Postwachstumsökonomie ist das Gegen-Narrativ zum „Grünen Wachstum“, das Ökonomen wie Paech auf Basis empirischer Erkenntnisse für unrealistisch halten – und zwar aufgrund von Rebound-Effekten und derlei mehr. Die Postwachstumsökonomie bricht dabei ganz offen mit dem Wachstums-Paradigma und nimmt dafür einen Verlust an materiellem Wachstum in Kauf –zugunsten eines Zugewinns in anderen Bereich, was in Summe die Lebenszufriedenheit steigert.

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Author

Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.