Warum ein Artikel über Verhandlungen in einem Blog zu Digitalisierung?
Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen ist eine Verhandlung ein Kommunikationsprozess im Grenzbereich, wo Interessengegensätze zweier (oder mehrerer) Parteien aufeinanderprallen. Wie wird dieser Kommunikationsprozess (mit allen Haupt- und Nebensträngen) digitalisiert? Die Grundkonstallation ist hier wie folgt: Die (offizielle) Hauptverhandlung findet über eine Videokonferenzsoftware statt. Für den taktischen Abstimmungsprozess innerhalb eines Verhandlungsteams wiederum wird etwa WhatsApp genutzt. Und für die (informelle) Sondierung von Möglichkeitsräumen für eine Einigung im Verhandlungsprozess zwischen den Verhandlungsparteien wird häufig LinkedIn genutzt, und zwar deshalb, weil diese Business Network Plattform international funktioniert, also auch nach China.
Es gibt, zum anderen, einen zweiten Grund für die Vorstellung des Buchs auf diesem Digitalisierungs-Blog. Viele Start-Ups sind in der Corona-Krise in eine herausfordernde Situation geraten: Die Business Pläne sind für viele Geschäftsmodelle Makulatur geworden, die finanzielle Situation gestaltet sich nicht selten prekär. Viele Start-Ups scheuen in dieser Situation die Verhandlung mit Investoren, da sie ihre Verhandlungsposition als zu schwach einschätzen. Matthias Schranner dagegen empfiehlt gerade jetzt in dieser Situation eine Verhandlungslösung mit den Investoren, nämlich: „um langfristig das Risiko zu verhandeln“. Schranner skizziert einen Ansatz, wonach für einen Zeitraum von 3 Jahren das Risiko bestimmt wird, und zwar für jede Seite; damit entsteht ein gemeinsamer Plan, auf den sich Gründer zukünftig berufen können. Damit ergibt sich eine veränderte Konstellation, etwa wenn in Zukunft eine Planabweichung eintritt. Dann kann der Gründer formulieren: „Wir gemeinsam laufen aus unserem gemeinsam abgestimmten Plan …“. Aus einer „Wir-gegen-Investoren“-Konstellation entsteht eine „Wir-gemeinsam“-Position.
Das Buch zum Schranner Konzept bei Verhandlungen: Konfliktbereitschaft gewünscht
“Das Schranner Konzept. Die neuen Prinzipien für die Verhandlungen der Zukunft“ von Matthias Schranner, Econ-Verlag, 200 Seiten, Erscheinungsjahr 2019
Zu den Grundlagen der professionellen Verhandlungsführung gehört die richtige Teamaufstellung: Es gibt drei typische Rollen innerhalb eines Verhandlungsteams: Erstens, den „Negotiator“ (Verhandlungsführer), der primär den Verhandlungsprozess mit der Gegenseite führt. Zweitens, den „Commander“, der sich in der Verhandlung stark zurücknimmt und darum auf die taktische und strategische Analyse des Verhandlungsverlaufs fokussieren kann; er spielt dem „Negotiator“ die entscheidenden Hinweise auf vielversprechende taktische Schachzüge zu. Es gibt, drittens, den „Decision Maker“, der schlussendlich die Entscheidungen trifft (das ist häufig der Geschäftsführer) – Letztere Person nimmt an der Verhandlung selbst nicht teil.
Dieses Modell basiert auf dem FBI-Modell, das stetig weiterentwickelt wird und das auch das Schranner-Institut bei der Begleitung von komplexen und schwierigen Verhandlungen auf internationalem Parkett einsetzt. Verhandlungsprozesse laufen hierbei nach einem bestimmten Schema ab, das man kennen sollte und wo Regeln gelten. Deutsche Verhandlungsteams etwa machen oft den Fehler, bereits mit einem „Kompromissvorschlag“ an den Verhandlungstisch zu kommen (in dem die vermeintliche Position der Gegenpartei mitgedacht ist) – statt zu Beginn ihre eigenen Forderungen zu formulieren. Und wenn man seine Forderungen zu Beginn klar formuliert, dann sollte man einen Fehler nicht machen: Keine Begründung und keine Rechtfertigung liefern. Damit würde die eigene Verhandlungsposition geschwächt, man macht sich angreifbar.
VOR dem Beginn einer Verhandlung wird die Verhandlungsstrategie festgelegt, fünf mögliche Strategieoptionen gibt es. Zwar ist ein Strategiewechsel unter Berücksichtigung der Dynamik der Verhandlungen nicht unüblich, aber man sollte zumindest zu Beginn eine klare Strategie wählen: (1) Competing, also hohe Konfliktbereitschaft, (2) Kooperation, (3) Nachgeben, entweder wegen fehlender Konfliktbereitschaft oder aus taktischen Gründen, (4) Konfliktvermeidung, was einer Verschiebung des Konflikts auf einen späteren Zeitpunkt gleichkommt oder (5) der Kompromiss.
Matthias Schranner fordert, ein Verhandlungsteam zusammenzustellen, das eine hohe Konfliktbereitschaft mitbringt … und das auch einen gewissen „sportlichen Ehrgeiz“ hat, möglichst viel aus einer Verhandlung rauszuholen – ohne sich allzu früh auf einen Kompromiss einzulassen oder gar nachzugeben. Wichtig ist aus Sicht von Schranner vor allem, dass man sich eines bewusst macht:
„In einem echten Konflikt, also dem Grundelement der Verhandlung, muss man sich entscheiden, ob die Zielerreichung oder die Beziehung zur Gegenseite wichtiger ist. Wenn Ihnen die Beziehung besonders wichtig ist, dann rücken Sie von Ihrem Ziel ab, Sie geben nach oder bieten einen Kompromiss an – denn Sie möchten auf gar keinen Fall die Beziehung beschädigen. Wenn Ihnen hingegen das Ziel wichtiger ist, müssen Sie die – zumindest kurzzeitige – Störung der Beziehung in Kauf nehmen. Sie können nicht beides haben, Sie müssen sich entscheiden.“ (S. 76)
Last but not least noch der Hinweis auf ein unterhaltsames Interview mit einigen Lessons Learned mit Matthias Schranner, und zwar auf dem Podcast von Handelsblatt Disrupt mit dem Interviewpartner Sebastian Matthes: PODCAST mit Ex-Polizist Schranner: „Aus Verhandlungen mit Geiselnehmern können Manager viel lernen”
Und hier eine Videoaufzeichnung zu einem Interview mit Matthias Schranner auf dem 9. Deutsches Wirtschaftsforum von DIE ZEIT in 2017:
Feedback zum Seminar des Schranner Instituts
Es ist Sonntag, 23. August 2020. In der vergangenen Woche habe ich das zweitätige Seminar Qualified Negotiator des Schranner-Instituts absolviert. Kursleiter und Verhandlungsprofi: Andreas Gosses vom Schranner-Institut. Mein Fazit: Eines der besten Trainings, die ich in den letzten Jahren gemacht habe, zumal im sehr angenehmen Ambiente der Villa Kennedy in Frankfurt.
Der Kurs vermittelt das Handwerkszeug für eine taktische Verhandlungsführung, für eine Prozess-Führung von Verhandlungen. Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass diese „Art of Dealmaking“ bei Unternehmen in Deutschland nur wenig verbreitet ist – gerade im Vergleich etwa zu den USA oder UK. Es besteht hingegen die Tendenz, den Fokus bei Verhandlungen auf eine inhaltliche (argumentative) Verhandlung zu legen – statt einer strategischen und taktischen Vorbereitung. Nur wenige deutsche Blue Chip Unternehmen haben bereits organisatorisch „Dealmaker“-Teams aufgebaut, die diese Lücke schließen; eben solche Teams sind im übrigen universell einsetzbar, denn gerade die Rollen des „Negotiators“ muss mit einer Person besetzt werden, die zur Gegenseite in einer Verhandlung eben keine Beziehung hat. Warum? – in a nutshell: Erstens, wer inhaltlich zu tief im Thema ist, gerät schnell in die Versuchung zu argumentieren statt verhandlungstaktisch zu agieren. Zweitens, im Konfliktfall (eben das macht eine Verhandlung aus) müssen die gut funktionierenden Beziehungen zu einem Verhandlungspartner „geschützt“ werden; es gilt zumal, dass Personen mit guten Beziehungen zum Verhandlungspartner dem Risiko unterliegen, die „Beziehung“ schützen zu wollen und nicht den „Deal“.
Was die hohe Qualität des Seminars ausmachte: Ein guter Mix aus theoretischem Überblick und Gruppenübungen (inkl. Rollenspiele). Und vor allem: Eine sehr gut fundierte Diskussion rund um all die Fragen, die sich den Teilnehmern (23 Personen) im Hinblick auf die Umsetzung im eigenen Unternehmen gestellt haben. Der Verhandlungsprofi Andreas Gossen ist tief vertraut mit Praktiken in verschiedenen Industrien (Automotive, Retail oder auch Verhandlungen mit Betriebsräten), und kann auch den Verlauf politischer Verhandlungen (Iran-Deal, Stuttgart21, Wiedervereinigung) einordnen. Vielen Dank, Andreas!
Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Nun gilt es, diese Lerninhalte in die Praxis zu überführen. Verhandlung ist ein Handwerkszeug. Man kann es lernen. Lernen bedeutet Üben Üben Üben. Dabei wünsche ich mir schon mal viel Geduld …