Nichts ist spannender als die Frage nach der Zukunft: Wie können und wollen wir zukünftig leben? Welche Gestaltungsmöglichkeiten bietet der technologische Fortschritt? Welche Herausforderungen gilt es zu bewältigen? – Nicht zuletzt hängt der Zusammenhalt einer Gesellschaft davon ab, ob deren Mitglieder sich auf ein gemeinsames Zukunftsprojekt einigen können.

In einer Artikelserie (HIER geht’s zu Teil 1) möchte ich einige Zukunftsentwürfe und visionäre Ideen vorstellen. Das reicht von Tech-Visionen bis zu gesellschaftspolitischen Ideen.

Der Zukunftsentwurf des “Silicon Valley”

Was ist der Zukunftsentwurf des „Silicon Valley“? Anders als diese Frage suggeriert, gibt es selbstverständlich nicht die eine, konsistente Techno-Utopie, die alle im Silicon Valley ansässigen Firmen teilen. Das „Silicon Valley“ steht in dieser Betrachtung eher als pars-pro-toto für jene Firmen, die vor allem technologischen Fortschritt als Treiber der Zukunftsgestaltung sehen – allen voran natürlich die Big Tech Player wie Google, Apple, Microsoft, Amazon und Co.

Um diese Frage zu beantworten gibt es verschiedene methodische Ansätze. Erstens, in welche Ideen investieren die Firmen? Zweitens, welche Trends sieht ein Institut wie das https://futuretodayinstitute.com, die mithilfe quantitativer bzw. statistisches Auswertungen Trends analysieren und in die Zukunft projizieren. Und drittens (diese Aufzählung ist natürlich nicht erschöpfend), welche Zukunftsvision formulieren die Chefs der Big Tech Player wie Jeff Bezos oder Sergej Brin die Zukunft im Jahr 2040?

Der zuletzt genannte Ansatz erweist sich eher als unergiebig. Blickt man beispielsweise in den traditionellen Brief an die Aktionäre des Amazon-Chefs, dann findet man darin keinerlei Ansätze einer Tech-Utopie. Selbst als der damalige Executive Chairman von Google (Dr. Eric Schmidt) und der Director Ideas von Google (Jared Cohen) mit dem Buch Das neue Digitale Zeitalter einen Ausblick auf die „neue digitale Zukunft“ gegeben haben, wurde das Buch nicht allzu visionär. Immerhin, es war damals der erste (ernstzunehmende) Versuch, die Auswirkungen der digitalen Revolution auf unser Leben, die Wirtschaft und die Politik umfassend abzustecken.

Kurzum: Wir schauen uns vor allem an: Worin investieren die Big Tech Player, und was sagt das Zukunftsforschungsinstitut Future Today Institute in seinem 14ten Tech Trend Report.

Bevor wir in die Zukunftsprojektionen des Silicon Valley eintauchen, möchte ich noch eine kurze Antwort auf folgende berechtigte Frage geben: Wird man dem Thema Tech-Utopie gerecht, wenn man sich die Zukunftsvorstellungen von einem Dutzend (und mehr) Unternehmen anschaut? Wird damit die Bedeutung von Unternehmen wie Google, Amazon oder Apple nicht überschätzt? – Tatsächlich gilt, dass diese Big Tech Player hocheffiziente Innovationsmaschinen, wie sie in der Wirtschaftsgeschichte einmalig sind. Jährlich werden Milliarden im zweistelligen Bereich in Bereiche wie KI, Cloud-Computing oder auch Raumfahrt investiert. Nachfolgend eine Graphik, in der die weltweit TOP25 Player in der KI Forschung aufgeführt sind. Google steht an erster Stelle, mit dabei sind außerdem Microsoft, Facebook und IBM. Aus Europa tauchen hier immerhin zwei Institutionen aus, nämlich INRIA (Frankreich) und ETH Zürich (Schweiz).

Quelle: www.macropolo.org

In welche Zukunft investieren die Tech Player? Was sagen Zukunftsforscher?

Vorweg: Der Tech Trend Report 2021 hat über 500 Seiten. Ich kann folglich nachfolgend nur einige (aus meiner Sicht) zentralen Entwicklungen hervorheben. Ich fokussiere mich außerdem auf eine Tech-Utopie, die sich auf digitalen Technologien bezieht; 3D Druck, Raumfahrt oder die Google-Tochter Calico (Forschung zur Verlängerung des Lebens – kurz: BioTech) bleiben hier folglich außen vor. Im Übrigen empfehle ich die Lektüre des erwähnten Trend-Reports: Er ist sehr leserlich und stellt kleinere Lesehäppchen bereit, so dass man jeden Tag ein bisschen darin schmökern kann. Download HIER.

Fangen wir mit einigen (bekannten) Digitalisierungsprojekten an, die ich bereits im Blogpost TOP 6 visionäre Tech-Projekte der Digitalindustrie beschrieben habe.

Da ist das Autonome Fahren. Allzu weit in der Zukunft liegt das im Übrigen nicht mehr, der VW-Chef Herbert Diess gibt sich optimistisch: „Ich rechne damit, dass es zwischen 2025 und 2030 marktreife, autonom fahrende Autos geben wird“. Das McKinsey Center for Future Mobility erwartet, dass Autonomie-Level 5 („Das Fahrzeug übernimmt alle Fahrfunktionen.“) frühestens im Jahr 2030 erreicht wird. Das autonome Fahren kommt – und auch das autonome Fliegen: Zunächst für Lieferdrohnen: Der Einsatz von Drohnen zur Paketauslieferung erreicht die ersten Konsumenten. Nicht nur Silicon Valley Player (Google Wing, Amazon) haben bereits eine Starterlaubnis der Luftfahrtbehörden, sondern auch etablierte Unternehmen der Logistikindustrie (z.B. UPS).

Wir werden schon in den nächsten Jahren erleben, wie immer reifere Sprachassistenten mit Dialogfähigkeit unseren Alltag durchdringen; auch Social Robots werden einen Durchbruch erleben. Ein Grund dafür sind nicht zuletzt enorme Fortschritte in der Computerlinguistik. Um den Fortschritt einzuordnen: Es gibt den sogenannten General Language Understanding Evaluation (GLUE)-Benchmark für die Evaluierung von Systemen zum Verstehen natürlicher Sprache. Der menschliche Basiswert liegt bei 87, und zwischen Mai 2018 und August 2020 stiegen die Systeme zur Verarbeitung natürlicher Sprache von 60 auf 90,6 und übertrafen damit den Menschen.

Das Smart Home spielt für die Zukunftsvision der Tech Konzerne ebenfalls eine wichtige Rolle. Im Brief an die Aktionäre macht Jeff Bezos deutlich, wie weit Amazon diese Vision bereits umgesetzt hat: “Kunden haben mehr als 100 Millionen Smart-Home-Geräte [sic!] mit Alexa verbunden.“ Weitere Player im Smart Home Markt sind Google (Google Nest) und Apple. In diesem Smart Home wird nicht nur ein Smart Robot zum Inventar gehören, sondern auch diverse Heimservice-Bots. Staubsaugerroboter sind in vielen Haushalten bereits Alltag, aber die Entwicklung geht natürlich weiter. Ein Beispiel: Der Bot Handy von Samsung ist zwar noch im Entwicklungsstadium, aber die Kommerzialisierung ist absehbar. Dieser schlanke, autonome Bot holt Wäsche ab, bringt Getränke oder belädt die Spülmaschine.

Industrie 4.0 (vor 10 Jahren von Bosch auf der Hannover Messe als Vision für die Smart Factory der Zukunft formuliert) findet mit wachsender Dynamik Eingang in Produktionsanalgen weltweit. Jüngst eröffnete Bosch ein neues Chipwerk in Dresden: hier wird das Internet der Dinge mit Künstlicher Intelligenz (Artificial Intelligence, AI) verknüpft (AIoT). Und diese komplette Chipfabrik gibt es als sogenannten digitalen Zwilling virtuell bis ins letzte Detail.

Auch werden wir bis 2030 einen Durchbruch im Quantencomputing erleben. Diese Technologie ermöglicht den Einsatz hocheffizienter Optimierungsalgorithmen etwa für das Risikomanagement in der Finanzindustrie, die Steuerung von Energienetzen, die Optimierung von Verkehrsströmen auf den Straßen, aber auch in der Industrie 4.0. Künstliche Intelligenz wird in allen Bereichen eine wachsende Rolle spielen. Im Gesundheitswesen fängt das bei der (erforderlichen) Dokumentation über smarte Sprachassistenten an und hört nicht auf der Diagnostik (bereits heute wird KI bei der Analyse von Röntgenaufnahmen eingesetzt); das Start-Up PainQX ermöglicht eine präzise Schmerzanalyse durch Analyse eines Gehirn EEG (mithilfe eines KI-Algorithmus).

All die vorgenannten Entwicklungen werden bereits mittelfristig Realität, hier werden einfach bestehende Trends bis zur kommerziellen Reife gedacht. Natürlich ist diese Aufzählung alles andere als abschließend, aber es wird erkennbar, was die Zielrichtung all dieser Entwicklungstrends ist: Eine Zukunft mit einer enorm hohen Umgebungsintelligenz und hohem Automatisierungsgrad – sowohl im Arbeitsumfeld, als auch im Haushalt oder Freizeitbereich.

Wer Tech-Utopien sagt, der denkt auch an Ideen wie Transhumanismus oder Posthumanismus. Das Start-Up Neuralink (mit Investor Elon Musk) entwickelt ein Brain-Machine-Interface; für den KI Pionier Schmidhuber ist der Mensch ein evolutionärer Zwischenschritt bis hin zur Superintelligenz, die in ferner Zukunft das Weltall besiedelt. Posthumanistische Tech-Utopien würde ich hierbei allerdings nicht dem Zukunftsentwurf eines Silicon Valley zurechnen: Denn dabei handelt es sich um Unternehmen, die eine Gewinnabsicht haben – mit dem Menschen als Kunden.

Im Übrigen lasse ich hier einmal Klaus Henning zu Wort kommen, der für die Stiftung FuturZwo vor einiger Zeit eine (immer noch gültige) Technische Zukunftsvision formuliert hat. Klaus Henning ist ein deutscher Informationswissenschaftler. Er war bis 2009 Inhaber des Lehrstuhls Informationsmanagement im Maschinenbau und Leiter des Zentrums für Lern- und Wissensmanagement an der RWTH Aachen.

„Die künstliche Intelligenz hat keine Begrenzungen und wird alle Bereiche dieser Welt erobern. Das Zeitalter der Maschinen mit eigenem Bewusstsein beginnt jetzt. (…) Der entscheidende Grund ist die Datenverfügbarkeit durch die extreme Vernetzung und die digitalen Infrastrukturen, die die Voraussetzung dafür bilden, dass sich die rückgekoppelten neuronalen Netze wirksam entfalten können. Die Kombination aus Schnelligkeit im Umgang mit Unmengen von Daten, einem relativ einfachen Lernalgorithmus und ganz wenigen notwendigen „a priori“-Kenntnissen beschreibt den Kern der Leistungsfähigkeit moderner künstlicher Intelligenz.

Dazu möchte ich Ihnen in einem Beispiel den „intelligenten Schuh“ vorstellen, der bereits zum Zeitpunkt seiner Bestellung eine Identität erhält. Er weiß, wer er ist und er weiß auch wer sein Kunde ist. Er weiß, was der Kunde von ihm will, ob er zum Beispiel die Parameter des Kunden überwachen soll. Und er weiß auch, wie sein Zustand und sein Weg sein wird: Er wird sich durch die Fertigungseinrichtungen durcharbeiten müssen, in der es keine klassische zentrale Steuerung mehr gibt. Die Produktions- und Transporteinheiten sind natürlich ihrerseits in einer Symbiose mit ihren intelligenten Agenten, die mit den intelligenten Schuhen verhandeln. Das alles könnte „demokratisch“ nach dem politischen Prinzip der Gewaltenteilung und -verschränkung erfolgen, eine Methode, für die es bereits eine erste Anwendung für textile Webautomaten gibt.

„[Und] das vollautomatische Auto wird nicht einfach nur vollautomatisch fahren. Es wird zum Beispiel der zentrale digitale Zwilling für mobile Pflegekräfte werden und in Schwarmintelligenz mit seinen Kollegen-Fahrzeugen die gesamte Disposition, Dokumentation, Stauüberwachung, Wegeoptimierung etc. übernehmen. Die Pflegekraft kann dann einfach in das Fahrzeug einsteigen und etwa mit Skype direkt das Gespräch mit dem nächsten Patienten anfangen, den sie besucht. In diesem Fall wird dann das Fahrzeug als sozialer Roboter Teil unseres Alltags.“

Halten wir fest: Produkte werden in Zukunft als Super-Agenten agieren. Diese planen ihre Produktion und ihren Transport selbst. Sie haben Anforderungen an andere Agenten, zum Beispiel an eine Fertigungseinrichtung und sie verhandeln mit anderen Agenten über Ressourcen – auf der Straße oder in der Fertigung.“

Die Techno-Utopie des “Silicon Valley” und das Kriterium der Machbarkeit

Bei aller Begeisterung für Techno-Utopien (und bei aller Faszination für Technik) ist es angemessen, auch einen kritischen Blick auf technologie-getriebene Zukunftsentwürfe zu werfen. Denn wenn man eine Utopie als eine „wünschenswerte Zukunft“ beschreibt, dann sollte – streng logisch – ein Zukunftsentwurf optimalerweise von Zielen / zivilisatorischen Idealen / einem Optimalzustand abgeleitet sein. Bei Techno-Utopien lassen sich die zugrunde liegenden Ziele beschreiben als „Wohlstandsoptimierung“, „customer convenience“, „Befreiung vom Joch der Arbeit“ und derlei mehr.

Die Lösungsmächtigkeit von Technologien kann enorm sein, das steht sicherlich außer Frage. Man erliegt bei unkritischer Technikfaszination allerdings schnell dem Irrglauben, es gebe Antworten auf alle Herausforderungen innerhalb eines technologischen Lösungsparadigmas. Das stimmt eben nicht. Ein Grund dafür ist etwa der (inzwischen hoffentlich allbekannte) Rebound-Effekt: Trotz massiver Effizienzgewinne in zahlreichen Technologiefeldern in den letzten Jahrzehnten stehen wir aktuell vor einem Klimaproblem. Warum eigentlich? Genau, wegen des Rebound-Effekts: Die ersten Mobiltelefone aus den 1970er Jahren waren Kiloschwer und keineswegs handlich genug, um sie in die Jackentasche zu stecken. Die Entwicklung ist bekannt, das leichteste Mobiltelefon wiegt heute nicht mal mehr 100 Gramm, und mit der Prozessorleistung eines heute handelsüblichen Smartphones hätte man damals die Apollo-Mission zum Mond steuern können. Diese Explosion bei Verbreiterung des Nutzerkreises (mehr Ressourcenverbrauch) hat den technischen Erfolg bei der Miniaturisierung (weniger Ressourcenverbrauch) bei Weitem überstiegen.

Eben den gleichen Effekt können wir in vielen anderen Bereichen feststellen: Autos wurden immer verbrauchsärmer, gleichzeitig jedoch hat sich die Fahrleistung erhöht, denn Fahren wurde ja billiger (und bequemer), Haushalte besitzen häufig mehr als nur ein Fahrzeug. Häufig gilt darum: Wo technische Effizienz, Prozessverbesserungen oder neue Produktionsmethoden ein Produkt oder eine Dienstleistung dessen Konsum verbilligt haben, folgte häufig die Vermassung (Flugreisen, elektronische Geräte und derlei mehr). Technologischer Fortschritt allein reicht eben nicht (aber es könnte eine hinreichend Voraussetzung sein).

Man kann noch einen anderen Blick auf technologische Machbarkeit werfen. Nämlich: Ist etwas sinnvoll, nur weil es (technisch) machbar ist, oder genauer: Wenn es machbar und kommerziell erfolgreich ist? Ich lehne mich mal aus dem Fenster und sage: Netflix ist toll (ich nutze das auch ab und zu), gerade in der Corona-Zeit hat die geradezu unbegrenzte Programmauswahl für 9,99 EUR pro Monat in mancherlei Familie den Hausfrieden sichergestellt. Und Sie wissen sicherlich, dass Netflix hochprofitabel ist. Aber war die Welt vor Netflix so schlimm? Sind wir mal ehrlich: Netflix war kein Quantensprung für die Menschheit. Der Beitrag zur Lösung der Herausforderungen, die etwa die UNO auflistet, ist ziemlich genau Null (mal ganz zu schweigen von der problematischen Ökobilanz des Video-Streaming).

Und schließlich verführt technische Machbarkeit zu „Lösungen“, die bei näherem Hinsehen eigentlich grotesk sind. Folgende zwei Absätze finden sich etwa im vorgenannten Tech Trend Report 2021 des FTI:

This technology could eventually end up in hospitals, schools, and prisons, providing emotional support robots to patients, students, and inmates. According to health service organization Cigna, the rate of loneliness in the U.S. has doubled in the past 50 years. Two years ago, former U.K. Prime Minister Theresa May created a new cabinet position, the world’s first Minister of Loneliness. In our increasingly connected world, people report feeling more isolated. Future governments struggling with a massive mental health crisis, such as South Korea, may turn to emotional support robots to address the issue at scale.

und:

Walmart filed a patent for robot bees, which would work collaboratively in teams to pollinate crops autonomously. If the project works at scale, it could potentially counterbalance the effects of the world’s honeybee population decline.

Dies sind zwei schlagende Beispiele für einen „blinden“ Technologieglauben, wo man nicht über das technologische Lösungsparadigma hinausdenkt. Wir steuern auf eine Zukunft zu, wo Menschen zunehmend entlastet werden durch Umgebungsintelligenz, wo wir unser Wohlstandsniveau mit deutlich weniger Arbeitsstunden aufrechterhalten können. Eigentlich hätten wir dann – logisch gedacht – sehr viel mehr Freizeit. Und in einem solchen Szenario müssen wir emotional support robots einsetzen, um eine Antwort auf die wachsende Vereinsamung von Menschen zu finden?

Wir wissen um die negativen Effekte unserer heutigen Landwirtschaft auf Fauna und Flora– vom Pestizid-/Fungizideinsatz bis hin zu Monokultur. Insbesondere die (Wild)Biene ist davon betroffen. Und hier soll der Einsatz von robot bees die Antwort sein?

Die Techno-Utopie des “Silicon Valley” und der Gesellschaftsentwurf der Zukunft

Nochmals zusammengefasst: Die technologische Entwicklung (insbesondere seit der Industriellen Revolution) hat die Produktivität stark erhöht, ein historisch einmaliges Wohlstandsniveau hervorgebracht und Consumer Convenience maximiert. Diese Entwicklung wird weitergehen. Eines Tages (in einer Zukunft die voraussichtlich weder ich selbst noch meine Kinder erleben werden) mag gar eine künstliche Intelligenz dem Menschen die Arbeit ganz und gar abnehmen.

Frage: Was macht der Mensch den ganzen Tag? Woraus schöpft er Lebenssinn, das Gefühl der Selbstwirksamkeit? Und eine vielleicht noch drängendere Frage: Wem gehören die Maschinen? Anders formuliert: Wem fließen die Gewinne aus der weitgehenden Automatisierung der Arbeitswelt zu bzw. wie werden diese in der Gesellschaft verteilt? – Es gibt etwa die Bewegung Fully Automated Luxury Communism (FALC), deren Vision ist die Überführung aller Maschinen in ein genossenschaftliches System. Denkt man das zu Ende, käme dies einer Enteignung aller Unternehmer und Investoren gleich, einer Außerkraftsetzung des Eigentumsrechts, einer Vergemeinschaftung von Eigentum, kurz: einer Revolution.

Doch selbst nach einem solchen radikalen Schnitt wäre die Verteilungsfrage nicht (vollständig) geklärt: Man mag in einem so utopischen Szenario noch zugestehen, dass es keine Knappheit mehr für Brot, Butter und den Download von Spielfilmen gibt. Die Annahme einer vollständigen Auflösung der Ressourcenknappheit wäre wiederum grob unrealistisch, hierfür muss man noch nicht einmal ökologische Grenzen annehmen. Nicht jeder kann etwa eine Villa am Wannsee oder Gardasee beanspruchen. Werden Trüffel rationiert?

Worauf ich hinaus will: Mit welchem (neuen) Wirtschafts- und Gesellschaftssystem geht eine technologisch optimierte Zukunft einher? Oder bleibt einfach alles beim Alten? – Kurz: Der Techno-Utopie aus dem „Silicon Valley“ fehlt der Gesellschaftsentwurf. Nein, ganz stimmt das nicht! Im erwähnten Bestseller Das neue digitale Zeitalter gingen beide Autoren damals (2013) angesichts einer zunehmenden Vernetzung über das Internet und angesichts einer verbesserten Informationsversorgung von einem weiteren Siegeszug des „amerikanischen Modells“ aus: Dies würde das Leben von Autokraten erschweren, Missstände ans Tageslicht zerren, Handlungsdruck erzeugen. Selbst der chinesischen Führung werde die Kontrolle über ihre Bürger entgleiten; bekanntermaßen ist diese Erwartung nicht eingetreten.

Andererseits gilt: Können wir wirklich einen Gesellschaftsentwurf von Tech-Unternehmern aus dem Silicon Valley erwarten? Wäre das überhaupt wünschenswert? Google, Amazon, Microsoft und Co. sind Innovationstreiber, die neue technologische Möglichkeiten erschließen und im volkswirtschaftlichen Sinne Produkte und Dienstleistungen effizient bereitstellen. Wie angesichts des technologischen Fortschritts das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem weiterentwickelt (und umgestaltet) wird, entscheidet sich im politischen, partizipatorischen Gestaltungsprozess, der ein Maximum an gesellschaftlichen Akteuren einbezieht und sich an Prinzipien wie Gerechtigkeit, Menschenwürde und derlei mehr orientiert.

Im Zukunftsszenario aus „Das neue Digitale Zeitalter“ geht der Protagonist der Zukunft noch arbeiten. Dabei lenkt er eben nicht mehr selbst das Auto, das ihn zu seinem Arbeitsplatz bringt, sondern er besteigt ein autonom fahrendes Fahrzeug. Und es gibt morgens noch Kaffee – automatisch gebrüht natürlich. Hat er noch eine 40-Stunden-Woche? – Vermutlich nicht. Vor einigen Jahren formulierte der chinesische Milliardär Jack Ma seine Erwartung, dass wir bereits in den nächsten 30 Jahren nur noch vier Stunden am Tag arbeiten werden.

Author

Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.