Covid-19 hat vieles auf den Kopf gestellt, aber die Kurse von Tech-Aktien haben sich als beeindruckend unverwundbar erwiesen. Der Aktienindex Nasdaq (mit Tech-Unternehmen) ist seit Anfang 2020 um 25% gestiegen und hat seinen Gesamtanstieg in den letzten zehn Jahren auf über 400% gesteigert. Ohne eine Handvoll Technologieriesen wie Apple und Microsoft wäre der S&P 500 in diesem Jahr bisher gefallen.

Manch ein Investor an der Börse dürfte sich an den Boom am Neuen Markt erinnert fühlen: In den USA stürzte der Nasdaq nach einem Höchststand im März 2000 ab und verlor 73% seines Wertes. In Deutschland verlief die Entwicklung noch dramatischer: Der Aktienindex Nemax erreichte ebenfalls ein Hoch im März 2000, stürzte dann um 96 Prozent ab. Die Deutsche Börse zog schließlich den Stecker für diesen Aktienindex, und zwar am 05. Juni 2003

Vergleicht man den aktuellen Boom von Tech-Aktien mit der Entwicklung am Neuen Markt, ergeben sich interessante Ähnlichkeiten – aber auch Unterschied. Hieraus ergeben sich wichtige Lessons Learned für Börseninvestoren.

Aktueller Boom der Tech-Aktien im Vergleich mit dem „Neuen Markt“ – Die Ähnlichkeiten

Beide Booms werden und wurden von Neugeldzuflüssen getragen. In den späten 1990er Jahren zogen Discount-Makler und Online-Handelsplattformen Amateurkunden an, die von dem scheinbar grenzenlos wachsenden Markt profitieren wollten. Auch heute handelt eine Armee von Kleinanlegern Aktien und Derivate auf neuen Plattformen wie Robinhood.

In den 1990er Jahren rechtfertigten Tech-Visionäre und Börsenkommentatoren hohe Aktienpreise, indem sie den Beginn einer neuen Wirtschaft und einer neuen Wachstumswelle ankündigten. Das Wachstum sollte getrieben sein von leistungsfähigeren Computern, ausgefallener Software und dem Internet. Die heutigen Optimisten führen das Potenzial von Cloud Computing und künstlicher Intelligenz bis hin zu Elektrofahrzeugen und Blockchain an.

Auf den ersten Blick scheint auch die Wirtschaftsleistung ähnlich zu sein. In den späten 1990er Jahren sank in den USA die Arbeitslosenquote auf 4% und die Löhne stiegen in die Höhe. Am Vorabend der Pandemie lag die Arbeitslosenquote in Amerika auf einem historischen Tiefstand. Das Lohnwachstum hatte sich nach einem Jahrzehnt der Stagnation signifikant beschleunigt. Das Census Bureau veröffentlichte im September 2020 Zahlen, wonach in den USA das reale mittlere Haushaltseinkommen 2019 um sehr gesunde 6,8% angestiegen war.

Aktueller Boom der Tech-Aktien im Vergleich mit dem „Neuen Markt“ – Die Unterschiede

Als die 1990er Jahre anbrachen, jagten Ökonomen vergeblich nach den effizienzsteigernden Effekten der neuen Technologie. Der nobelpreisgekrönte Ökonom Robert Solow witzelte in 1987, dass „man das Computerzeitalter überall sehen kann, nur nicht in den Produktivitätsstatistiken“. Das sollte sich allerdings ändern. Die Arbeitsproduktivität stieg in den Jahren 1998-2000 in den USA um mehr als 3% pro Jahr, eine Leistung, die die Wirtschaft seit Anfang der 1970er Jahre nicht mehr erbracht hatte. Das Wachstum der totalen Faktorproduktivität (ein Maß für die Effizienz des Einsatzes von Kapital und Arbeit, das oft als Maß für einen technologischen Fortschritt betrachtet wird) stieg laut Robert Gordon von der Northwestern University von 1995 bis 2004 um etwa 2% pro Jahr. Das war ein deutlicher Anstieg gegenüber dem durchschnittlichen Tempo von 0,5% in den Jahren 1973-95 und entsprach fast der Rate, die in den Goldenen Wachstumsjahren 1947-73 erreicht wurde. Soviel zu den ökonomischen Rahmenbedingungen zu Zeiten des Neuen Marktes.

Betrachten wir die Gegenwart: Die Produktivität in den 2010er Jahren sieht dagegen erbärmlich aus. Das jährliche Wachstum der Arbeitsproduktivität ist seit 2010 nicht über 2% gestiegen. Das Wachstum der totalen Faktorproduktivität ist nach den von John Fernald von der Federal Reserve Bank of San Francisco erhobenen Daten düsterer denn je: nur 0,3% im Durchschnitt der Jahre 2004 bis 2019. Nimmt man allein die 2010er Jahre, so fällt der Durchschnitt auf nur 0,1%.

Beim Blick auf die Unternehmensgewinne ergibt sich eine vergleichbare Diskrepanz:

Das starke Wachstum der Arbeitsproduktivität in den 1990er Jahren ermöglichte einen Anstieg der Löhne, ohne dabei die Unternehmensgewinne zu schmälern. Mag man den Dotcom-Boom vor allem mit profitlosen Jungunternehmen ohne klaren Weg in die schwarzen Zahlen erinnern, so gilt aber: Die Unternehmensgewinne nach Steuern stiegen während des Jahrzehnts von 4,7% des BIP im Jahr 1990 auf 6,7% im Jahr 1997. Das Jahrzehnt schloss mit 5,6% ab.

In den 2010er Jahren gingen die Unternehmensgewinne im Verhältnis zum BIP sogar zurück, wenn auch von einem viel höheren Niveau als in den 1990er Jahren: von 10,4% im Jahr 2010 auf 9,0% im Jahr 2019. Aussagekräftiger ist jedoch die Art und Weise, in der die Unternehmen während der beiden Jahrzehnte auf Gewinnchancen reagierten. Die Investitionen in Computerausrüstung, Software und F&E sind in den 1990er Jahren sprunghaft angestiegen, und zwar um 1,5 Prozentpunkte des BIP in diesem Jahrzehnt. In den 2010er Jahren stiegen die Investitionen trotz des viel höheren Gewinnniveaus nur um 0,7 Prozentpunkte des BIP.

Die dynamische Entwicklung der Aktienkurse Ende der 1990er Jahre ging einher mit technologiegetriebenem Strukturwandel. Produktivitätssteigerung kamen durch die Fortschritte in der Computerherstellung. Als die Preise stürzten und die Kapazitäten in die Höhe schossen, begannen andere Firmen in neue Ausrüstung zu investieren. Die Produktivitätsgewinne begannen sich auf die gesamte Wirtschaft auszudehnen und halfen den Unternehmen bei der Rationalisierung der Fertigung und der Umwandlung wichtiger Industriezweige.

Nach dem Zusammenbruch der Märkte hielten diese Gewinne noch einige Jahre lang an und beschleunigten sich sogar noch. Obwohl viele Dotcom-Lieblinge verschwanden, blieb die während des Dotcom-Booms aufgebaute digitale Infrastruktur bestehen. So wie eine Reihe von Firmen (wie z.B. Amazon), die mit der Zeit kamen, um die Unternehmenslandschaft zu dominieren.

Aktueller Boom der Tech-Aktien im Vergleich mit dem „Neuen Markt“ – Fazit

Einige der heutigen Überflieger werden sich mit der Zeit als gute Investitionen erweisen. Optimismus in Bezug auf die Realwirtschaft erfordert – so die Zeitschrift The Economist – etwas mehr Vertrauen. Hoffnung schüren einige Ökonomen mit folgender Analyse: Sie gehen davon aus, dass schwer messbare „immaterielle“ Investitionen – wie die Zeit, die für die Umgestaltung von Geschäftsprozessen aufgewendet wird – einen wachsenden Anteil der Energien der Unternehmen in Anspruch nehmen. Wenn dem so ist, könnten sowohl die Investitionszahlen als auch die künftigen wirtschaftlichen Aussichten unterschätzt werden.

Sowohl der Ausstoß pro Stunde als auch die gesamte Faktorproduktivität haben sich 2019 beschleunigt. Auch wenn sie deutlich hinter den 1990er Jahren zurückblieb, könnte dieser Aufwärtstrend eine sich anbahnende wirtschaftliche Transformation vorwegnehmen. Und die Covid-19-Pandemie hat den Geschäftsaktivitäten Einschränkungen auferlegt, was wiederum die technologiegetriebene Umstrukturierung beschleunigen könnte. Diese Möglichkeit hat wahrscheinlich zu dem Anstieg der Aktienkurse im Technologiebereich seit März beigetragen.

Die Zeitschrift The Economist kommt zum Schluss: Gegenwärtig basieren Technologiebewertungen in weitaus größerem Maße als in den 1990er Jahren auf dem, was sein könnte, und nicht auf dem, was ist. Das sollte Investoren bewusst sein.

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Dieser Artikel basiert im Wesentlichen auf einem Artikel der Englischen Ausgabe von The Economist, Ausgabe September 19th, 2020
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Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.