”Kompromisslos Verhandeln – Die Strategien und Methoden des Verhandlungsführers des FBI”, von Chris Voss mit Tahl Raz, Erscheinungsjahr: 2016 (Originalausgabe), 320 Seiten, 18 EUR (Taschenbuch)

Ein Buch, das sich sehr gut lesen lässt. Der Autor lässt eine Vielzahl von Schilderungen zu realen Verhandlungssituation aus seiner Rolle als FBI Chefverhandler einfließen – von Entführungen, Geiselnahmen bis hin zu kommerziellen Verhandlungen. Und er lässt such Forschungsergebnisse aus psychologischen Studien einfließen, die den Empfehlungen eine solide Grundlage geben.

Eine Kernbotschaft aus dem Buch: Verhandlungserfolge sind keine Glückssache, sondern lassen sich mit konsequentem Einsatz reifer Methoden erzielen: “In den 20 Jahren, die ich beim FBI gearbeitet hatte, hatten wir ein System entwickelt, mit dem wir fast alle Entführungsfälle und Geiselnahmen lösen konnten.“ (S. 14) – eine ermutigende Botschaft, die ganz zweifelsohne Lust auf das Buch macht.

Um das Fazit vorwegzunehmen: Das Buch ist unbedingt lesenswert, unterhaltsam und vermittelt ein brauchbares Methodenset für Verhandlungssituationen. Klar ist auch, dass man dieses Methodenset erst einmal einüben muss. Es handelt sich im Wesentlichen um Konversationstechniken: Diese muss man praktizieren und – auch im Eifer des Gefechts – ganz unbewusst abrufen können.

Das Herzstück: Zuhören bzw. „taktische Empathie“

Zuhören. Es klingt banal, hat aber eine zentrale Bedeutung aus Sicht des Autors, da emotionale Beeinflussung nur möglich wird, wenn man den anderen tatsächlich erreichen kann und Einfluss nehmen kann auf den (emotional gesteuerten) Entscheidungsprozess: “Das gesamte Konzept, das Sie als Herzstück dieses Buches kennenlernen werden, heißt taktische Empathie. Das ist Zuhören als eine Art Kampfkunst.“ (S. 28) Und: “Den Standpunkt seines Gegenübers zu ignorieren, führt nur zur Frustration und Verärgerung und hat wahrscheinlich zur Folge, dass er gerade nicht tun wird, was Sie gerne möchten. Das Gegenteil davon ist taktische Empathie.“ (S. 68)

Warum das gar nicht so einfach ist? – “Gutes Zuhören ist nämlich nicht so einfach, wie man es meinen könnte. (…) Die meisten Menschen sind so mit ihren eigenen Argumenten beschäftigt, die sie zur Untermauerung ihrer eigenen Positionen vorbringen wollen, dass sie ihrem Gegenüber nicht aufmerksam zuhören.“ (…) Effektive Verhandlungen beginnen damit, dass wir unserem Gegenüber aktiv zuhören und es zum Mittelpunkt machen, seine Gefühle validieren und Vertrauen und Sicherheit erzeugen, damit ein echter Dialog möglich wird. (S. 41f)

Gutes Zuhören spielt natürlich auch bei anderen Verhandlungs-Ratgebern eine Rolle, etwa bei der Methode des Schranner-Instituts: Dort wird etwa die Rollenverteilung dergestalt vorgenommen, dass ein „Negotiator“ die eigentliche Verhandlungsführung übernimmt, während der „Commander“ den Fokus auf das Zuhören setzen kann, und so etwa „windows of opportunity“ erkennt, wenn Signale für eine Einigung erkennbar werden. Und so ist auch kaum überraschend, dass Teamarbeit auch für den Autor Chris Voss ein absolutes Muss darstellt: “(…) in solchen Situationen arbeitet niemand alleine; wir arbeiten immer in Teams. Der Sinn dieses Vorgehens bestand darin, möglichst viele Detailinformationen einzufangen, denn vier Ohren hören mehr als zwei.“ (S. 40).

Die Spiegeltechnik

Das Konzept der „taktischen Empathie“ ist zweifellos relevant, differenziert das Buch aber noch nicht von anderen Ratgebern. Tatsächlich ist dieses Konzept als Rahmen zu verstehen, als Grundidee; im Fortfolgenden werden nun spezifischer Methoden vorgestellt. Zum Beispiel die Spiegeltechnik:

“Bei der Spiegeltechnik, auch Isopraxismus genannt, handelt es sich im Wesentlichen um Imitation. Das ist ein neuropsychologisches Verhalten, das darin besteht, dass sich zwei Menschen gegenseitig nachahmen, um bei ihrem Gegenüber Wohlbefinden zu erzeugen. Es lässt sich mit Sprachmustern, Körpersprache, Vokabular, Sprechtempo und Stimmlage erzeugen. (…) Es ist so einfach, dass es fast lachhaft ist: Für das FBI bedeutet ein ‚Spiegel‘, dass Sie die letzten drei Worte (beziehungsweise die maßgeblichen ein bis drei Worte) der letzten Aussage ihres Gegenübers wiederholen. (…) Indem Sie die letzten Worte ihres Gegenübers wiederholen, lösen Sie den Spiegelinstinkt aus. Dieser besteht darin, dass sich ihr Gesprächspartner genötigt fühlt, seine letzten Worte näher zu erläutern und den Verbindungsprozess zwischen ihnen aufrechtzuerhalten.“ (S. 50f)

Labeling & Selbstvorwürfe

Zur Technik des Labeling:

“Labeling ist eine Methode, mit der man die Emotionen eines anderen Menschen validiert, indem man sie durch offene Benennung anerkennt. Geben Sie der Emotion eines Menschen einen Namen, und Sie zeigen, dass Sie sich mit seinen Gefühlen identifizieren. Damit stellen Sie Nähe zu diesem Menschen her. (…) Labeling bieten einen besonderen Vorteil, wenn Ihr Gegenspieler angespannt ist. Indem man negative Gedanken offen ausspricht, nimmt man ihnen das Bedrohliche.

In einer Studie mithilfe bildgebender Verfahren stellte der Psychologieprofessor Matthew Lieberman (UCLA) fest, dass das menschliche Gehirn eine größere Aktivität in der Amygdala entwickelt – das ist der Teil des Gehirns, in dem das Angstgefühl entsteht -, wenn die betreffende Person Fotos von Menschen betrachtet, deren Gesichter starke Emotionen zeigen. Wenn sie jedoch gebeten werden, das Gefühl zu benennen, verlagert sich die Hirnaktivität auf Bereiche, die das rationale Denken steuern. In anderen Worten: Der Vorgang, ein Gefühl zu benennen – ein Angstgefühl in rationale Worte zu verpacken – stört die rohe Intensität dieses Gefühls.“ (S. 72f)

Zur Technik der Selbstvorwürfe: “Zählen Sie die schlimmsten Vorwürfe, die Ihnen Ihr Gegenüber machen könnte, auf, bevor er es tut. Mit der Vorwegnahme von Anschuldigungen bereiten Sie sich darauf vor, negative Dynamiken abzuwehren, bevor sie sich verankern können.“ (S. 94)

Zum Weiterlesen

  • Erfolgreiche Verhandlungen mit dem „Schranner-Konzept“ – Meine persönliche Review zu Buch und Seminar
  • Eine Buchkritik zum Klassiker „SPIN-selling“ von Neil Rackham
  • „Psycho-logisch richtig verhandeln“ von Vera F. Birkenbihl – eine Buchkritik
  • Author

    Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.