Sie haben Indien als Standort für eine IT Offshore Entwicklungsstrategie in die nähere Auswahl genommen? Oder Sie sehen das Potential in Indien für Ihre Datenstrategie im Kontext einer KI-/Daten-Ökonomie? Dann stehen Sie vor dem nächsten Schritt: Welcher Standort auf dem Subkontinent Indien eignet sich am besten? Welcher Bundesstaat? Welche Stadt?
Vorweg: Für die produzierende Industrie ist die Standortwahl in Indien eine weit größere Herausforderung. So brach etwa Ende Juli 2012 wegen Überlastung des Stromnetzes für zwei Tage die Stromversorgung für ca. 600 Millionen Menschen in Indien zusammen – einer der größten Stromausfälle weltweit. Für produzierende Unternehmen ist das weit wichtiger als für die IT Industrie, und gerade bei diesen Infrastrukturthemen weist Indien entscheidende Schwächen auf. Es kommen die Herausforderungen beim Erwerb von Grund und Boden hinzu, außerdem restriktive Arbeitsgesetze. Und auch Herausforderungen im Zusammenhang mit der Red Tape Beauraucracy, um an erforderliche Genehmigungen zu gelangen.
Die IT Industrie ist – wenn überhaupt – von diesen vorgenannten Herausforderungen nur marginal betroffen, es ist ein „People Business“: Der Arbeitsmarkt im Bereich IT ist hochmobil, restriktive Arbeitsgesetze spielen hier keine Rolle. Leistungsfähige BackUp-System (Dieselgenerator plus USP-Geräte) erfordern zwar Investitionen, jedoch im überschaubaren Rahmen. Office Space Anbieter wie Regus haben derlei Infrastruktur als Standard. Die wesentliche Anforderung an die Transportinfrastruktur ist die gute Erreichbarkeit eines Flughafens, so dass eine Anreise aus Deutschland / Europa einfach möglich ist (und umgekehrt); und natürlich sollte eine stabile Telekom-Infrastruktur gegeben sein (Webkonferenzen, gemeinsamer Zugriff auf GitHub und ähnliche gemeinsame Infrastruktur).
Das Kernkriterium für die Standortwahl bei einem IT Entwicklungszentrum ist unstrittig die Verfügbarkeit eines IT Talentpools. Die typischen Leitfragen sind hier:
- Welche Qualifikation müssen die Fachkräfte aufweisen?
- Was ist die erwartete Entwicklung der Löhne?
- Wie hoch ist der Wettbewerb um diese Fachkräfte – in gesamt Indien und je Standort?
- Wie hoch ist die Lebensqualität am Standort zur Bindung von hochqualifizierten Fachkräften bzw. Welche Prämien sind ggf. zu zahlen, um hochqualifizierte Fachkräfte mit Familie an Standorten mit unattraktiver Freizeitinfrastruktur zu halten?
- Mit welcher Fluktuation ist zu rechnen? Welche Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung sind erforderlich?
Je nach technologischer Ausrichtung des geplanten IT Entwicklungszentrums (vgl. Die wichtigsten Programmiersprachen und Frameworks) ist zu prüfen, welche Schwerpunkte örtliche Universitäten oder Ausbildungsinstitute haben.
Grundsätzlich gilt die Faustregel: In First Tier Cities wie Bangalore („IT Capital of India“), Hyderabad oder Pune ist der Talentpool sehr groß – im vergleich zu Second oder Thier Tier Cities wie Chennai, Kochin oder Thiruvanthapuram. Es gilt aber auch: Die Kosten sind in den 1st tier Cities auch deutlich höher, ebenso ist die Mitarbeiterfluktuation dort signifikant höher.
Verschiedene Regionen bzw. Bundesstaaten weisen zudem eine jeweils unterschiedliche Arbeitskultur auf. Andra Pradesh oder Tamil Nadu stehen beispielsweise für eine sehr fleißige Arbeitsethik. Das spiegelt sich beispielsweise auch darin wieder, dass Telugus (Inder aus dem Bundesstaat Andra Pradesh) einen Großteil der Studenten in den Elite-Hochschulen „Indian Institutes of Technology“ (IIT) ausmachen. Denn der Zugang zu diesen Institutionen wird gesteuert über extrem selektive Auswahltests möglich, die einen fast übermenschlichen Fleiß voraussetzen. Auch aus eigener Erfahrung kann ich bestätigen, dass Telugus eine bemerkenswerte Arbeitsethik mitbringen. Ein weiterer Indikator: Die erfolgreichsten indisch-stämmigen Ethnien in den USA sind Gujarati und Telugus.
Und last but not least: Achten Sie auch auf Staatliche Förderprogramme. Hyderabad etwa hat in den letzten Jahren mit großzügigen Förderprogrammen gelockt, um IT Industrie am Standort anzusiedeln.
Zum Weiterlesen: 5 Jahre IT Entwicklungszentrum in Bangalore – ein Unternehmergespräch