Ein neuer KI-Hype beflügelt Produktivitätserwartungen von Ökonomen, treibt Aktienkurse von Tech Playern nach oben und löst alt-bekannte Ängste vor Massenarbeitslosigkeit durch Automatisierung aus. Viele Fragen, die einst wie Theoriegespinste daherkamen, haben inzwischen eine greifbar praktische Relevanz. Der intime Kenner der KI-Szene und Oxford-Professor Nick Boström erklärte jüngst in einem Handelsblatt-Interview:

” Wann wird Ihrer Meinung nach die Künstliche Intelligenz die menschliche übertreffen? – Ich habe da keine bestimmte Jahreszahl im Sinn, es gibt zu viele und zu unsichere Faktoren. Aber ich denke, dass die Wahrscheinlichkeit nicht gering ist, dass wir das in eher naher Zukunft erleben. Als ich 2014 „Superintelligenz“ geschrieben habe, hätte ich nicht gedacht, dass die Entwicklung so rasch voranschreitet.“

Der Mensch hat sich lange als „Krone der Schöpfung“ betrachtet, und leitete eine Sonderstellung gegenüber der Tierwelt aus seiner Intelligenz ab. Wie verschiebt sich nun also das Menschenbild angesichts einer Umgebungsintelligenz, die zunehmend leistungsfähiger wird? Und: Wie schätzen Kenner der KI-Szene das tatsächliche Bedrohungspotential von KI ein – für die Erwerbstätigkeit, für die politische Stabilität und die Menschheit an sich?

Der Mensch in Abgrenzung zur KI – Das neue Menschenbild

Weit verbreitet ist ein kognitives Weltmodell menschlicher Selbstbeschreibung, bei dem der Wert eines Menschen von seiner intellektuellen Leistungsfähigkeit abhängt. Das mag zurückzuführen sein auf die Bedeutung der Arbeitswelt für unser Selbstbild, hat aber in christlich geprägten Kulturen auch religiöse Wurzeln. So schreibt etwa der Theologe, Philosoph und Unternehmer Prof. Dr. Ulrich Hemel in einem Beitrag: “Die Gottebenbildlichkeit aus Genesis 1, 26 wurde lange als menschliche Vernunftfähigkeit wahrgenommen (vgl. H. Schilling 1961).“

Professor Hemel weist dann im gleichen Atemzug auf die Herausforderung hin, die sich damit bei wachsender kognitiver Leistungsfähigkeit von Künstlicher Intelligenz ergibt, nämlich: “Nicht zuletzt Entwicklungen der KI zeigen nun auf, dass ein solches Menschenbild an Grenzen stößt. Wäre Vernunft wirklich die hervorstechende Eigenschaft des Menschen, dann verliert der Mensch im Kosmos genau dann seine privilegierte Bedeutung, wenn höhere Formen der Vernunft auftreten.“

Ist das kognitive Weltmodell der Ausgangspunkt für das Menschenbild, ist es bis zur These des „Defizitmodells“ nicht mehr weit. Und das heißt: Im Vergleich mit Rechnern und gut programmierten, selbst lernenden Anwendungen ziehen Menschen aus funktionaler Sicht den Kürzeren, etwa weil sie ermüden, die Lust verlieren, unkonzentriert sind und mit einer Reihe weiterer Mängel versehen sind. Ein Lager- oder Produktionsroboter hingegen braucht keinen Schlaf, sucht und findet keine Ablenkung und funktioniert stets klaglos. (…) Zugespitzt ließe sich formulieren: Menschen sind Computer, nur eben schlechtere.

Wer den Menschen in dieser Sicht als „defizitär“ begreift, findet alsbald Lösungen zur Behebung eines (vermeintlichen) Defizits. In diese Tradition gehören der Transhumanismus, die Maschinisierung des Menschen (Cyborgisierung) bis hin zum Post-Humanismus.

Der Philosoph und Bestseller-Autor Richard David Precht nimmt sich in seinem lesenswerten Buch „Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens“ (Buchvorstellung: HIER KLICKEN) dieses Narrativ des Menschseins als kognitiver Champion der Evolutionsgeschichte vor … und de-konstruiert es: Er stellt fest, dass der Mensch von seinem inneren Wesen her nicht getrieben ist, immer mehr Erkenntnis zu gewinnen und immer höhere Intelligenzleistungen zu erreichen. Die Fähigkeit menschlichen Problemlösen wäre also nicht auf immer mehr Erkenntnis ausgerichtet, sondern darauf, sich in einem komplexen (sozialen) Umfeld zu orientieren, sich wohlzufühlen. Spöttisch kommentiert Precht: “Tatsächlich hat sich die Spezies Homo sapiens nicht von einem höheren Drang getrieben kontinuierlich zu immer größeren Intelligenzleistungen entwickelt. Die meisten Angehörigen der Spezies werden von deutlich anderen Motiven beseelt. Und die Anzahl derer, deren Intelligenz sie zu Höchstleistungen beflügelt, ist überschaubar. Viele Vertreter der Spezies gucken weit lieber Fußballspiele an, schwimmen im warmen Meer, trinken Bier, lesen Krimis und fotografieren sich unausgesetzt selbst, anstatt ihre Intelligenz maßlos zu steigern. Der Drang, posthuman zu werden, ist nur bei den Allerwenigsten spürbar, von einem inwendigen Menschheitsbedürfnis keine Spur.“ (S. 96).

Zur Überwindung kognitiver Minderwertigkeitsgefühle bieten sich verschiedene alternative Weltmodelle menschlicher Selbstbeschreibung an. Zunächst einmal kann man Künstliche Intelligenz als reines Werkzeug betrachten (von Menschen entwickelt). Und zwar frei nach dem Motto: Wenn wir wissen, dass Autos schneller fahren als Menschen laufen können, dann können wir uns auch daran gewöhnen, dass digitale Applikationen besser rechnen und bessere kognitive Leistungen erbringen können als wir Menschen. – Das ist die Grundlage für ein MindSet, das ganz klar auf „Duett“ (statt Duell) setzt; diese griffige Formel habe ich übrigens von SAP-Chef Christian Klein übernommen.

Der Theologe und Unternehmer Hemel wiederum verweist zudem auf weitere Traditionen im Christentum: “Schließlich legt das Christentum hohen Wert darauf, dass Gott die Liebe sei. Wenn dies so ist, dann kann Gott nicht nur auf den Gedanken der höchsten Vernunft reduziert werden.“ Damit gewinnt die Emotionalität des Menschen an Gewicht für unser Selbstbild, gerade in Abgrenzung zu Maschinen. Letztere können zwar inzwischen recht zuverlässig Emotionen verstehen (vgl. den Blogpot „Menschenversteher. Wie Emotionale Künstliche Intelligenz unseren Alltag erobert“ – Buchempfehlung); aber Maschinen haben selbst keine Emotionen, und werden diese aufgrund fehlender Leiblichkeit wohl auch nicht entwickeln.

Was jeder im Übrigen einfach nachvollziehen kann: Das menschliche Tun ist nicht grundsätzlich auf olympische Erfolge ausgerichtet. Es ist auch nicht bekannt, dass Menschen aufgehört hätten, Schach, Dame, Go oder Halma zu spielen … auch wenn klar ist, dass kein Mensch jemals mehr die (leistungsfähigste) KI in diesen Disziplinen schlagen wird. Für den „homo ludens“ ist dies nicht entscheidend.

Der Werbeclip einer Biermarke in 2019 brachte das Verhältnis von Lustempfinden und Leistung auf den Punkt. Der Werbeclip (YouTube, 30s) ist höchst sehenswert und unterhaltsam:

Um das Thema abzuschließen: Es wäre natürlich auch verkürzt, den Menschen auf einen Jäger von Glücks- und Lustmomenten zu beschreiben. Der Philosoph Precht hat eine ganz entscheidende Conditio humana benannt. Menschen sind in ihrem Selbstverhältnis Erzähler und damit abhängig von Geschichten. Es geht dem Menschen um eine sinnhafte bzw. sinnstiftende Geschichte für das eigene Leben – und nicht etwa einfach um Glück. Schon gar nicht einfach um ein hedonistisches, flüchtiges Glück des Augenblicks. Precht zieht dafür auch das Beispiel der Elternschaft heran: Nach einer bekannten Studie der Sozialpsychologie bereiten Kinder den Eltern mehr Sorgen als Glück. Doch darum geht es nicht (allein). Kinder stiften Sinn und Bedeutung, das ist entscheidend.“

KI: Das Bedrohungspotential für Jobs, politische Stabilität und die menschliche Existenz

Vorweg: Die KI-Szene ist sich nicht einig darüber, ob KI eine Bedrohung für die Menschheit darstellt oder nicht. Nick Bostrom, Geoffrey Hinton oder Yoshua Bengio sind eher pessimistisch – Meta’s Chief AI Wissenschaftler Yann LeCun teilt diese Sorgen nicht. Und während der Oxford-Ökonom Carl Benedikt Frey vor Massenarbeitslosigkeit warnt, relativieren andere ein solches Schreckensszenario.

Der Oxford-Ökonom Frey hatte vor ziemlich genau 10 Jahren für helle Aufregung gesorgt mit seiner Veröffentlichung THE FUTURE OF EMPLOYMENT: HOW SUSCEPTIBLE ARE JOBS TO COMPUTERISATION? (Download: HIER). In der Studie untersuchte er rund 700 Jobprofile und kam zu dem Schluss, dass 47 Prozent der Jobs in absehbarer Zukunft automatisiert werden können bzw. könnten. Diese Studie löste damals eine Welle von ähnlichen Studien diverser Institutionen, Beratungshäuser und Verbände aus. Und die Diskussion ist nun wieder da – mit voller Wucht. Das Beratungshaus McKinsey kommt heute auf eine ähnliche Größenordnung, in einer jüngst veröffentlichten Studie geht McKinsey davon aus, dass bis 2045 rund 50% heutiger Tätigkeiten automatisiert werden können / könnten. Wer die Presse verfolgt, kennt sicherlich Berichte über Unternehmen, die eine Schrumpfung der Mitarbeiterschaft durch Automatisierung planen (Axel Springer, IBM, British Telecom).

Diese Diskussion um das Automatisierungspotential wird in Deutschland freilich überlagert von Fachkräftemangel, den Herausforderungen rund um die Überalterung der Gesellschaft, einer demographischen Schrumpfung des Pools an Erwerbstätigen. Eine Prognose zur Entwicklung des Arbeitsmarktes (in Deutschland) ist folglich unseriös. Der Sorge vor Massenarbeitslosigkeit steht ein optimistischer Blick auf eine KI-befeuerte Zukunft gegenüber, die der Tech Investor Marc Andreesen wie folgt auf den Punkt bringt (Essay: Why AI Will Save the World, Juni 2023): “(…) technology empowers people to be more productive. This causes the prices for existing goods and services to fall, and for wages to rise. This in turn causes economic growth and job growth, while motivating the creation of new jobs and new industries. In short, no. AI is likely going to increase productivity by automating certain tasks, while allowing us to pursue newer ones.”

Eine ganz anderes Bedrohungspotential sieht der Historiker und Bestsellerautor Yuval Harari. Er stellt fest: Zum einen kann KI inzwischen Intimität mit Menschen herstellen, und zwar mit Hunderten von Millionen Menschen. Wenn es zukünftig einen „persönlichen (KI) Assistenten gibt“, dann übt dieser einen enormen Einfluss auf Kaufentscheidungen und politische Ansichten aus. Zum anderen steht KI an einem Punkt, wo über Zugang zu Sprache, Bildsprache die kulturellen Artefakte von Gesellschaften von KI erschlossen werden, als da wären Religion oder das Rechtssystem. Das Worst Case Szenario von Harari sieht wie folgt aus: ”AI takes over culture. (…) AI could eat the whole of human culture, digest it and start gushing out a new flood of cultural creations. (…) And remember, we humans have never direct access to reality, we are always cocooned by culture and we always experience reality through a cultural prism.”.

Harari führt dies aus in einem sehr sehenswerten Vortrag mit dem Titel AI and the future of humanity (YouTube, Englisch, 40 min):

Und was bedeutet nun die exponentielle Entwicklung von KI für die politische Stabilität und die Menschheit an sich? Schon vor einigen Jahren warnte unter anderem Elon Musk vor einem Dritten Weltkrieg, ausgefochten mit KI-gesteuerten Waffensystemen. Und Tech Investor Andreesen verweist darauf, dass Super-Intelligenz in der Hand von autokratischen Mächten zu einer kritischen Bedrohung werden kann: “China has a vastly different vision for AI than we do – they view it as a mechanism for authoritarian population control, full stop. The single greatest risk of AI is that China wins global AI dominance and we – the United States and the West – do not.“

Es ist folgerichtig, dass führende KI-Unternehmer auf regulatorische Rahmenbedingungen drängen. So hat etwa Sam Altman, Co-Gründer von Open AI, eine globale Kontrollinstanz für KI gefordert. Auf dem jüngst veranstalteten G7-Gipfel erklärten die in Hiroshima versammelten Staats- und Regierungschefs, künftig gemeinsam Regeln für die Entwicklung von KI aufstellen zu wollen. Etabliert wurde dafür eigens ein Ministerformat, genannt. „Hiroshima-KI-Prozess“

Und nun abschließend noch der versöhnliche Blick von Richard David Precht auf das „Terminator-Szenario“, in der eine Super-Intelligenz in einen apokalyptischen Endzeitkampf gegen die Menschheit zu Felde zieht. Aus der Sicht von Precht führen Schreckensszenarien aus Hollywood sowohl Forschung als auch öffentlichen Diskurs völlig in die Irre. Precht fragt: “Warum sollte eine KI, die unendlich intelligent ist, unbedingt expandieren wollen? Im Gegensatz zu biologischen Lebewesen braucht sie nicht zu essen und auch keinen größeren Lebensraum.“ (S. 120). Und er ergänzt dieses Argument mit dem Hinweis darauf, dass die Evolution zunächst Triebe und Willensimpulse hervorgebracht habe; höhere Bewusstheit und planmäßige Intelligenz dagegen seien erst später hinzugekommen. Der Selbsterhaltungstrieb sei in den Trieben und Willensimpulsen verankert – nicht in der planmäßigen Intelligenz. Es sei mithin zweifelhaft, wie sich aus maschineller Intelligenz ein Wille, Triebe oder gar Machtgelüste entwickeln sollten.

Precht dämpft im Übrigen auch die Erwartungen, dass eine wie auch immer geartete Super-Intelligenz all unsere Probleme lösen könnte. Denn: Was nützte eben diese Lösung einer Superintelligenz, wenn Machthaber wie Trump und Bolsonaro ungeachtet eines solchen Lösungsvorschlags einer ganz anderen Logik der Macht und des Geldes folgen?

Das Teaser Bild habe ich mithilfe von Midjourney.ai erstellt; und zwar mit folgendem Prompt: “Attractive woman dancing with an AI robot, 8k, ultrarealistic, silver orange green colours”

Zum Weiterlesen

  • „The Age of AI and Our Human Future“ – Buchkritik
  • „Menschenversteher. Wie Emotionale Künstliche Intelligenz unseren Alltag erobert“ – Buchempfehlung
  • Die 3 META-Themen für unsere Zukunft (3K-Regel): Klima, KI und China
  • Blick in die Zukunft: Der „Tech Trend Report 2023“ des Future Today Instituts
  • Author

    Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.