Digitale Wettbewerbsfähigkeit, klimaneutrale Wirtschaft, Fachkräftemangel, alternde Gesellschaft: Deutschland steht vor gewaltigen Herausforderungen, die eine koordinierte Kraftanstrengung aller erfordert. Und dazu noch eine Prise Innovation. Die neue Erfolgsformel hierfür lautet “missionsorientierte Innovationsstrategien“.

Das hat – zugegebenermaßen – den Sound allbekannter Sonntagsreden. Ist das nur „alter Wein in neuen Schläuchen“ oder Kristallisationspunkt für neuen Optimismus? – Tatsächlich handelt es sich um eine Methodik zielgerichteter und beschleunigter Innovationen, die Transformationsprozesse beschleunigt, aber gleichzeitig sehr ausgereifte Koordinationsprozesse und -strukturen erfordert. Im Vergleich zur herkömmlicher Innovationspolitik handelt es sich um einen klaren Paradigmenwechsel.

Nachfolgend eine kurze Einführung zu diesem äußerst spannenden Thema. Die Bertelsmann Stiftung hat hierzu jüngst eine umfangreiche Good-Practice-Recherche durchgeführt, dort kann man das Thema vertiefen. Hier geht’s zum DOWNLOAD: Vier Ergebnispapiere rund um missionsorientierte Innovationsstrategien

Missionsorientierte Innovationstrategie vs klassische Innovationspolitik

Die Innovationspolitik der Nachkriegsjahre verfolgte die Zielsetzung, Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum ganz allgemein zu fördern (es ging nicht um spezifische gesellschaftliche Herausforderungen). Typische Instrumente waren die öffentliche Finanzierung von Universitäten, die Förderung von Grundlagenforschung, Anreize zu Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in Unternehmen und derlei mehr. Die Abstimmung zwischen den Ministerien war gering. Diesen ersten Ausprägungen von Innovationspolitik lag zudem ein lineares (Miss)Verständnis von Innovationsprozessen zugrunde: Neues Wissen wird in der Forschungsabteilung generiert (an der Universität oder im Forschungslabor eines Unternehmens), und anschließend kommerzialisiert.

Die missionsorientierte Innovationsstrategie (etwa seit 2010er Jahren) unterscheidet sich deutlich hinsichtlich Innovationsverständnis, Zielsetzung und Instrumentarium. Erstens, Innovationsprozesse werden heute deutlich besser verstanden. Heute spricht man vielmehr von einem Innovationssystem. Denn inzwischen ist klar “, dass Innovationen das Ergebnis interaktiver und interdependenter Prozesse unter der Beteiligung verschiedener Akteure aus unterschiedlichen Teilsystemen sind. Innovation ist in dieser systemischen Perspektive also kein isolierter Vorgang, der innerhalb eines Unternehmens abläuft, sondern ein kollektiver Prozess unter der Mitwirkung verschiedener Akteure wie Firmen, Hochschulen, Forschungszentren, staatliche Einrichtungen etc. (…) Die interaktiven Lernprozesse zwischen Firmen und anderen Akteuren eines Innovationssystems sind geprägt von komplexen Beziehungen, vielfältigen Rückkopplungsschleifen und Reziprozität.“ (S. 27f, Ergebnispapier I der erwähnten Studie der Bertelsmann-Stiftung)

Es ist nachvollziehbar, dass für dieses gewandelte Verständnis von Innovation ein angepasstes Instrumentarium zur Innovationsförderung erforderlich ist (wobei Instrumente der „klassischen“ Innovationspolitik noch immer eine Rolle spielen). Neu hinzugekommen sind etwa Initiativen, die die Netzwerkbildung und die Zusammenarbeit zwischen Akteuren fördern.

Missionen (als: Ziele, auf die Innovation ausgerichtet werden soll) entspringen dabei gesamtgesellschaftlichen Zielen und beschreiben in der Regel eine ganzheitliche Systemtransformation. Ein Beispiel: Das System „kommunale Mobilität“ lässt sich etwa beschreiben als ein Zusammenspiel aus diversen Akteuren, Institutionen, Regularien und dem Mobilitätsverhalten von Einzelpersonen. Will man das System „Kommunale Mobilität“ klimaneutral ausrichten, dann reicht nicht etwa die Einführung eines (einzelnen) innovativen Produktes (z.B. Elektrobus im kommunalen Linienverkehr); erforderlich ist vielmehr eine Neukonzeption des gesamten Systems: Ein neu gewichtetes Zusammenspiel von Individualverkehr und öffentlichen Mobilitätsangeboten, Infrastruktur für CO2-freie Mobilität (z.B. Ladesäulen), der Bezug CO2-neutraler Energie (z.B. Erneuerbare Energien der Stadtwerke), autofreie Zonen (vgl. Barcelona, Kopenhagen, etc.), die Finanzierung des Umbaus und derlei mehr.

An diesem Beispiel dürfte deutlich werden, dass missionsorientierte Innovationsstrategien mit einem erheblichen Koordinationsbedarf einhergehen: Sektorenübergreifend, ressortübergreifend, unter Einbezug diverser Teilsysteme der Gesellschaft. Sehr prägnant wird das beschrieben als “staatlich moderierte Etablierung von Korridoren gesellschaftlich akzeptabler Transformationspfade“. Im Übrigen beginnt der Koordinationsbedarf nicht erst bei der Umsetzung der „Mission“. Bereits die Definition einer solchen „Mission“ entspricht einer Entscheidung über gesellschaftliche Prioritäten, was politisch moderiert werden muss.

Missionsorientierte Innovationstrategie: Status Quo in Deutschland

Setzen wir missionsorientierte Innovationsstrategie in Deutschland bereits um? Wie gut gelingt das?

Eben diese Fragen untersucht die Bertelsmann-Stiftung in der vorgenannten Studie. Zunächst stellt die Studie fest, dass die sogenannte Hightech-Strategie (zentraler Rahmen für die Konzeption und Umsetzung der bundesdeutschen Innovationspolitik) ab 2010 als „missionsorientiert“ gelten kann. Die Hightech-Strategie ist ab diesem Zeitpunkt grundsätzlich auf die Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen ausgerichtet.

Die Studie hält jedoch ebenfalls fest, dass Handlungsbedarf für die Umsetzung der Strategie gilt. Die Voraussetzungen hierfür sind im dezentral organisierten und eher fragmentierten Innovationsystem Deutschlands herausfordernd. Es gibt zudem eine schwach ausgeprägte Konsenskultur zwischen Ministerien, um ressortübergreifend Aktivitäten an Missionen auszurichten; auch Kultur und Praxis der breiten Einbindung gesellschaftlicher Akteure sind nur unzureichend entwickelt; und im Vergleich zu ausländischen Innovations-/Förderagenturen sind vergleichbare Agenturen eher mit einem schwachen Mandat ausgestaltet (das betrifft beispielsweise die Agentur für Sprunginnovation SprinD).

Wie kann sich Deutschland hier besser aufstellen? – Hierfür will die Studie der Bertelsmann-Stiftung Impulse liefern, indem Good Practices zu verschiedenen Umsetzungsaspekten einer missionsorientierten Innovationsstrategie vorgestellt werden: Hier wird die gestaltende Rolle der Innovationsagentur Vinnova in Schweden oder des UKRI in Großbritannien vorgestellt; hier wird beschrieben, wie man Rahmenbedingungen für Sprunginnovationen verbessern kann; hier werden auch erfolgreiche Strategien aus dem Ausland zur Förderung von (HighTech-)Start-Ups in der Gründungs- und Wachstumsphase diskutiert.

Viel Spaß beim Schmökern!

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Author

Der Autor ist Manager in der Softwareindustrie mit internationaler Expertise: Prokurist bei einem der großen Beratungshäuser - Verantwortung für den Aufbau eines IT Entwicklungszentrums am Offshore-Standort Bangalore - Director M&A bei einem Softwarehaus in Berlin.