„Mission Economy. A Moonshot Guide to Changing Capitalism“, von Mariana Mazzucato, Penguin Verlag, 2021, 210 Seiten, 11 Euro (Taschenbuch)
Innovation, Innovation, Innovation. Das ist die Zauberformel gegen die Klimakrise, für den Systemwettbewerb mit China oder auch für die Armutsbekämpfung. Gerade in jüngerer Zeit hat die Innovationspolitik einen Paradigmenwechsel durchlaufen – das Credo lautet inzwischen: Missionsorientierte Innovationsstrategie (vgl. auch den Blogpost dazu: HIER).
Die vieldiskutierte Ökonomin und italienisch-amerikanische Ökonomin Mariana Mazzucato mit Professur in London geht in Ihrer Argumentation noch einen Schritt weiter: Hinter den meisten großen Innovationen stünden in Wahrheit der Staat bzw. staatlich initiierte Agenturen. Beispiel: Die Mondlandung (NASA), Internet (DARPA, CERN), GPS (US Navy), Touch-Screen Display (CIA), mp3. Folglich fordert die Ökonomin Mazzucato eine stärkere Rolle des Staates bei Innovationsmissionen (z.B. gegen die Klimakrise); und ganz grundsätzlich plädiert sie dafür, die Rolle des Staates nicht auf eine Korrekturinstanz von Marktversagen zu reduzieren, sondern die Funktionslogik von Märkten an gesellschaftlichen Zielsetzungen auszurichten: ”I call this different way of doing things a mission-oriented approach. It means choosing directions for the economy and then putting the problems that need solving to get there at the centre of how we design our economic system.” (p. 8). Anders formuliert: ”It [=the government] can and should guide the direction of the economy, serve as an investor of first resort and take risks. It can and should shape markets to fulfil a purpose.” (p. 20f)
In dem lesenswerten Buch Mission Economy entwickelt die Ökonomin ihre Argumentation; insbesondere analysiert sie im Detail die erfolgreiche Innovationsmission Mondlandung: Sie arbeitet die Erfolgsfaktoren heraus. Sie stellt klar, wo die Herausforderungen lagen und wo etwa die NASA selbst innovative Herangehensweisen entwickeln musste, um diese äußerst komplexe und langwierige Innovationsmission zum Erfolg zu führen. Wie man sich vorstellen kann, ist das Innovationsprojekt Mondlandung (wie andere Innovationsprojekte auch) eine wechselvolle Geschichte mit Höhen und Tiefen, Rückschlägen und Durchbrüchen.
Did you know: Die Innovationsmission Mondlandung kostet (umgerechnet in heutiger Kaufkraft) etwa 280 Mrd. US-Dollar, etwa 4 Prozent des US Budgets. Rund 400.000 Wissenschaftler, Ingenieure, Spezialisten und andere Personen waren hieran beteiligt. Und Mazzucato stellt klar: “NASA, like many large organizations, was plagued by red tape and poor communication between departments. (…) The success of NASA in the end was down to its ability over time to develop a more nimble bureaucratic structure …” (Hier eine persönliche Filmempfehlung zum Thema: Hidden Figures)
Mission Economy: Die Rolle des Staates im Verständnis von Mariana Mazzucato
Zur Klarstellung: Die Ökonomin Mazzucato will keineswegs den Kapitalismus abschaffen oder eine irgendwie geartete Form der Planwirtschaft einführen. Sie ist auch keine Sozialistin. Ihr geht es um die Weiterentwicklung von Kapitalismus, um eine Weiterentwicklung der Märkte. Von planwirtschaftlichen Ansätzen oder der chinesischen Industriepolitik distanziert sie sich klar: ”to be fair, it’s making progress, and has real ambition about greening its economy, with over $1.7 trillion being invested as part of its five year plan. But a central planning model is not likely to be one that will be able to take on the bold reforms to public and private collaboration that this book envisages.” (p. 13)
Mazzucato sieht vor allem vier (4) Kernprobleme, die eine Weiterentwicklung des Kapitalismus erfordern. Nämlich: ”(1) the short-termism of the financial sector, (2) the financialization of business, (3) the climate emergency, and (4) slow or absent governments.” (p. 15). Zu den Finanzmärkten etwa weist die Autorin darauf hin, dass die Spielregeln dieser Märkte Ergebnis politischer Weichenstellungen seien, hier gäbe es nicht „den Markt an sich“, sondern eine Funktionslogik, die natürlich regulatorisch definiert wird. ”There is nothing in the stars that compels the financial sector to fail to invest in the real economy, or to invest only with short-term profit objectives. We have rewarded it for doing so – for example by reducing taxes on capital gains, by allowing interest payments on debt to be offset against corporate taxes, by permitting investment banking and retail banking to operate within the same corporate group and by wholesale deregulation.” (p. 22) – Dazu auch eine persönliche Filmempfehlung, nämlich die Oskar-prämierte Dokumentation Inside Job
Fordert Mazzucato in punkto Innovationsstrategien nun eine (etatistische) Industriepolitik? Die Rolle des Staates ist hier – wie sich täglich in den Medien ablesen lässt – hochumstritten. Dazu die Autorin: “The history of technological breakthroughs shows that public investment, particularly when made early in the innovation process, absorbs major uncertainties and long-term risks that private investors can be reluctant to take on.” (p. 34) So weit, so bekannt, so gut. Dann stellt sie klar: ”If a government is to act as an investor of first resort and steer an economy towards meeting goals such as a digital revolution or the green transition, of course it will need to make bets and pick winners. But it should pick a direction, and within that direction take a wide portfolio approach. In other words, not pick a technology, or a random sector (usually one of those that lobbies hardest), or even a type of firm (SMEs) – but a direction that can foster and catalyse new collaborations across multiple sectors and have as a key spillover the growth of firms that engage with it. In that sense it is not about picking winners, but picking the willing.” (p. 53) Und: ”Not all strategies of this type succeed, of course; that is part and parcel of trial and error. But sometimes picking winners is confused with state support for troubled industries, for example when the UK government attempted to help the domestic car industry by forming British Leyland in 1968 and shipbuilding by creating Upper Clyde Shipbuilders that same year.” (p. 52)
Wie erwähnt, über die Rolle des Staates gibt es unter Ökonomen keineswegs Einigkeit. Mazzucato hat neben einem Fanclub auch eine Reihe von Kritikern. Im Handelsblatt äußert sich die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer wie folgt zur Autorin von Mission Economy: “Unternehmerische Risiken einzugehen ist die Aufgabe von Unternehmen, nicht die des Staates. (…) Mazzucato schlägt auch vor, der Staat solle wie bei der Mondlandung 1969 „Missionen“ ausrufen, um so die Privatwirtschaft zu Höchstleistungen und damit zu Innovationen zu treiben. Eine berechtigte Forderung? – Solch ein Missions-Ansatz hat funktioniert, wenn es darum ging, einen Rückstand aufzuholen. Japan und Südkorea haben so ihre Autoindustrie vorangebracht. Auch bei großen Herausforderungen wie dem Klimawandel macht eine Mission Sinn, um Kräfte zu bündeln.“ – Die Kritik der Wirtschaftsweisen greift hier meines Erachtens aber zu kurz: Erstens hält die Kritikerin den Ansatz von Mazzucato im Hinblick auf die Klimakrise offenbar doch für adäquat; zweitens haben die USA in den 1960er Jahren eben nicht nur einen „Rückstand“ aufgeholt, sondern den ersten Menschen auf den Mond gebracht (und wieder zurückgeflogen). Und Mazzucato vergleicht in Ihrem Buch den Staat nicht mit einem Unternehmer, sondern mit einem Venture Kapitalisten.
Die Ökonomin Mariana Mazzucato ist im Übrigen nicht blind staatsgläubig. Vielmehr weist sie auch darauf hin, dass der Staat einer solch gestalterischen Rolle aktuell kaum adäquat nachkommen könnte. Heutige bürokratische Prozesse seien kaum dafür geeignet, zudem verfüge der Staat aktuell nicht über die erforderlichen (fachlichen) Kompetenzen – in vielen Bereichen (und das gilt insbesondere für die Digitalisierung) ist der Staat personell ausgehöhlt, ohne externe Berater kaum handlungsfähig.
Das Buch ist äußerst kurzweilig zu lesen; kaum überraschend, es bietet neben allerhand Zahlenmaterial und Statistiken auch einige anekdotische Einblicke in die gelebte Praxis von Privatwirtschaft, Staat und Markt. Nach der Autorin müsse der Staat natürlich nicht alles machen, hier dürfte die Autorin auch durchaus manchmal missverstanden werden. Outsourcing: ja – aber dann bitte richtig. Dazu braucht es gut gestaltete Verträge und eine gute Steuerung. Outsourcing trieb aber gerade in Großbritannien geradezu absurde Blüten, wie die Autorin bitter feststellt: ”While domestic nationalized industries were being abolished, ironically it seemed acceptable that foreign nationalized industries could take over running the same enterprises: today, Electricité de France (EDF) supplies gas and electricity in the UK; MTR, majority-owned by the government of Hong Kong and operator of the Hong Kong metro, is part of a consortium which runs Crossrail, London’s huge underground railway development; Abellio, wholly owned by the Dutch national rail operator, runs bus and rail services around the UK.” (p. 39)
Mission Economy: Fazit
Das Buch Mission Economy ist ein äußerst lesenswertes Buch, einfach geschrieben, auch für Nicht-Ökonomen. Es ist zudem ein Buch, das ein hochaktuelles Thema adressiert. Denn Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg (aber auch: Flutkatastrophe im Ahrtal) haben in den letzten Jahren den Einfluss des Staates sichtbar vergrößert. Hier kam es in Teilen sicherlich auch zum Paradigmenwechsel. Wirtschaftswoche fasste das im Artikel “Die Rückkehr von Big Government“ (Ausgabe Wirtschaftswoche, Ausgabe 14 vom 01.04.2022) prägnant zusammen: „Ein Blick in die Wirtschaftsgeschichte zeigt: Kriege und Krisen erhöhen den Einfluss des Staates auf Wirtschaft und Gesellschaft.“, „Die Ökonomen Alan Peacock und Jack Wiseman zeigten anhand der Erfahrungen Großbritanniens, dass die Staatsausgaben besonders in Kriegszeiten kräftig steigen – und danach nicht wieder auf das Ausgangsniveau sinken. (…) Der US-Ökonom Robert Higgs zeigte, dass der Staat in Krisenzeiten nicht nur seine Ausgaben erhöht, sondern darüber hinaus mit einer Flut von Gesetzen und Regulierungen in das Wirtschaftsgeschehen eingreift.“
Der Diskurs über die Rolle des Staates ist aktueller und drängender denn je. Und bei der Bewältigung der vorgenannten Krisen machte der Staat durchaus einiges richtig – aber eben auch einiges falsch. Die Vision von Mariana Mazzucato liefert für diese Diskussion – wie ich finde – einen guten Benchmark.