Weltuntergang fällt aus!: Warum die Wende der Klimakrise viel einfacher ist, als die meisten denken, und was jetzt zu tun ist, von Jan Hegenberg, August 2022, 22 EUR (Taschenbuch)
Die Klimakrise löst bei Vielen – zu Recht – Ängste aus, inzwischen hat sich hier der Begriff “Klimaangst“ fest etabliert; wer sich mit dem Thema auseinander setzt und die aktuelle Nachrichtenlage dazu verfolgt, dürfte den Gefühlscocktail aus Frustration, Ohnmacht und Fassungslosigkeit gut kennen.
Keine Frage, die Herausforderung gleicht bei nüchterner Betrachtung tatsächlich einer Herkulesaufgabe; aber eine depressive, defätistische Katastrophenerwartung hilft niemanden und mobilisiert keine Kräfte. Darum schaue ich mich gerade um, welche Bücher nicht nur Untergangsszenarien ausmalen, sondern auch überzeugende Lösungsperspektiven aufzeigen.
Das Buch von Jan Hegenberg halte ich für lesenswert; das Buch hat auch seine Schwächen (dazu gleich mehr), aber insgesamt würde ich das Buch empfehlen, wenn mich jemand fragt: „Wie gehen wir jetzt mit der Klimakrise um, was sollen wir jetzt machen?“ Nachfolgend einige wesentlichen Aspekte, die das Buch ausmachen.
Der Autor Hegenberg ist kein naiver Technologie-Optimist, der die Weltenrettung durch eine bahnbrechende Innovation erwartet; er ist andererseits auch kein Minimalismus-Prediger, der mit Konsumverboten und Zwangsveganismus die Notbremse ziehen möchte. Gleichwohl setzt Hegenberg auf ein (nicht unrealistisches) Maß an Innovation, etwa in der Speichertechnologie und Batterietechnologie; und Jan Hegenberg pflegt einen nachhaltigen Lebensstil (pflanzliche Ernährung, autofrei), schreibt das Buch aber keineswegs mit erhobenem Zeigefinger.
Sehr positiv: Der Autor setzt zu Recht voraus, dass allen Leser:innen die Brisanz des Themas bekannt ist und erspart uns Leser:innen das Wiederkäuen inzwischen allseits bekannter Fakten zur Klimakrise, den Hinweis auf die Zunahme von Extremwetterlagen undsoweiter. Er fokussiert auf die Kernbotschaft des Buches: den Lösungspfad.
Jan Hegenberg ist Blogger (vgl. www.graslutscher.de) und hat einen reichweitenstarken Schreibstil entwickelt. „Unterhaltsam“ trifft es sicherlich ganz gut, „flapsig“ würde auch passen. Die Zielgruppe des Buches sind Leser:innen mit Affinität zu Star Wars, Star Trek, Zurück in die Zukunft oder Herr der Ringe – das taucht immer wieder auf. Das sind allesamt nicht meine Lieblingsfilme, und Schreibstil ist immer Geschmackssache … aber ich werde darum nicht meckern: Das Buch ist ein Bestseller, und es sollte darum gehen, mit der Botschaft möglichst Viele abzuholen.
Sein Schreibstil ist ganz bewusst nicht akademisch. Es ist ein emotionalisierender Schreibstil, bißchen Infotainment, ganz typisch sind etwa Formulierungen wie Folgende: „der Witz ist jetzt, dass …“, „das Verrückte daran …“, „witzigerweise“, „einer gewaltigen, unvorstellbaren Menge von …“, „das größte vegane Buffet aller Zeiten“, „entsetzliche schwere Pflüge“.
Hegenberg „übersetzt“ ganz gezielt Zahlen in vorstellbare Metaphern. Ein gutes Beispiel ist etwa Folgendes, wo es um den gesamten Energieverbrauch (über alle Energieträger hinweg) pro Kopf geht: “Umgerechnet in diese typischen großen 200-Liter Ölfässer wären das ungefähr 20 Fässer (die wiegen zusammen 4,5 Tonnen), die wir [in Deutschland] pro Person und Jahr verbrennen“ (S. 35)
Und bei allem Optimismus des Autors, dass unsere Innovationskraft etwa bei Speichertechnologie und Batterietechnologie rechtzeitig praxistaugliche und skalierbare Lösungen hervorbringt, macht er seinen Leser:innen auch klar, dass wir keine Wunder erwarten können. Er schafft eine realistische Erwartungshaltung zu manch vermeintlichen Lösungsformeln für alle Probleme der Welt:
“Bitte behaltet das auch immer im Hinterkopf, wenn Menschen mal wieder über angeblich geniale Erfindungen irgendwelcher Typen berichten, die im Alleingang die Energieversorgung der Zukunft gesichert haben wollen. Meistens sind das dann ‚deutsche Forscher‘ , ein ‚bayerischer Tüftler‘ oder sonstige Figuren, die gegen den blöden Mainstream die eierlegende Strommilchsau erfunden haben wollen. Womit auch immer ein Auto betrieben oder ein Haus erwärmt werden soll, die Energie kann nicht einfach so hergezaubert werden.“ (S. 43)
Und bezogen auf eine Pressemeldung zur teilweisen Betankung eines Fliegers von Air France schreibt er: „es klang so, als könnten wir in der Zukunft einfach mit Abfall fliegen“ (…) [Aber] Selbst wenn ganz Deutschland sich nur noch von Pommes Frites ernähren würde, reichte all das dabei anfallende Speiseöl nicht im Ansatz für unseren Flugverkehr, denn die deutsche Fluggesellschaften verbrauchen Kerosin mit dem etwa 5.000-fachen Energiegehalt von allem in Deutschland verbrauchten Speisefett.“ (S. 43)
Der Autor Hegenberg arbeitet auch heraus, dass ein übertriebener ethischer Anspruch bei der Entwicklung von Lösungspfaden die Bewältigung der Klimakrise torpediert. Er nennt es „destruktiven Perfektionismus“. Dazu schreibt er: “(…) Wenn Lithium in überflüssigen Konsumprodukten wie singenden Plüschbären oder verglasten Toilettenschüsseln verbaut wird, sind die chilenischen Flamingobestände keine Rede wert. (…) Wenn aber jemand das Lithium nutzen möchte, um uns von einem hochgefährlichen Rohstoff wie Erdöl unabhängig zu machen, dann wird erst mal ganz genau geprüft, ob auch die gesamte Produktionskette maximal ethischen Ansprüchen genügt. Ihr könnt die halbe Spielzeugabteilung mit Elektronik-Komponenten aus seltenen Erden vollballern, um euch von den Erlösen ein Haus mit Pool, riesigem Grill und Dreier-Garage zu kaufen und geltet damit als cleverer Geschäftstyp. Aber wenn ihr mit den seltenen Erden eine ökologische Katastrophe globalen Ausmaßes vermeiden wollt, dann habt ihr auf einmal die Aufmerksamkeit einer Armee von Leuten, die die Rettung der Menschheit bitte in absoluter Perfektion mit grünem Punkt und Umweltengel umgesetzt haben wollen.“ (S. 154)
Auf eine Schwäche möchte ich abschließend noch hinweisen. Im Kapitel „Ein Tag im Jahr 2040“ skizziert der Autor, wie das Leben in einer neu ausgerichteten Wirtschaft etwa ablaufen könnte. Und hier findet man u.a. folgende Passage:
“Statt zum Flughafen fahrt ihr mit dem Zug also zurück nach Rostock und von dort zum Hamburger Hypertrain-Terminal, das nach Vorbild des japanischen Shinkansen-Netzes separat vom übrigen Schienenverkehr funktioniert und die Millionenstädte innerhalb und außerhalb Europas miteinander verbindet.“ (S. 262)
Das ist natürlich vollkommen unrealistisch. Bei Infrastrukturentwicklung gibt’s für Deutschland bestenfalls eine 3 minus, man denke an den die Ewigkeitsbaustelle Stuttgarter Bahnhof, das marode Schienennetz der DB AG oder die fehlenden Stromleitungskapazitäten für Einspeisungen aus Erneuerbaren Energien. Dieses (durchaus mit einem Augenzwinkern gemeinte, aber eben auch grob unrealistische) Detail im Tagesablauf weist auf die grundsätzliche Herausforderung bei der Bewältigung der Klimakrise hin: Den Faktor Zeit. Der beschriebene Lösungspfad wird hervorragend vermittelt; und wir bewegen uns ja auch in die richtige Richtung. Die entscheidende Frage ist, ob die Transformation rechtzeitig gelingt. Was heißt rechtzeitig? – Na, bevor wir einige kritische Kipp-Punkte erreicht haben (z.B. den Ausfall der Atlantischen Meridionalen Umwälzzirkulation).
Jan Hegenberg spricht davon, die Weltwirtschaft bis 2050 zu de-karbonisieren (um das 1,5 Grad Ziel zu erreichen). Im Kapitel „Ein Tag im Jahr 2040“ geht Hegenberg gar einen Schritt weiter, er schreibt: “Die Welt im Jahr 2040 ist nicht nur klimaneutral, sondern auch grüner, nachhaltiger und gerechter als heute.“. – mit einem realistischen Blick auf die Entwicklung muss man kein ausgewachsener Pessimist sein für die Schlussfolgerung, dass das so nicht eintreten wird. Ich erlaube mir den Hinweis, dass sich etwa China nur verpflichtet hat, bis zum Jahr 2060 klimaneutral zu werden; und in dem sehr empfehlenswerten, sehr sachlichen Buch „How the world really works“ (meine Buchrezension: HIER) analysiert der Wissenschaftler und Publizist Vaclav Smil sehr gut nachvollziehbar den Rohstoff-, Ressourcen- und Energieverbrauch unserer Zivilisation. Sein ernüchterndes Fazit: “Complete decarbonization of the global economy by 2050 is now conceivable only at the cost of unthinkable global economic retreat, or as a result of extraordinarily rapid transformation relying on near-miraculous technical advances.” – Das klingt ganz anders als der Untertitel des Buches von Hegenberg: Warum die Wende der Klimakrise viel einfacher ist, als die meisten denken und was jetzt zu tun ist.
Das Buch „Weltuntergang fällt aus“ ist ein Mutmacher Buch, es ist ein Buch mit „Yes, we can“-MindSet. Es rückt den Lösungspfad in den Mittelpunkt der Überlegungen. Das kann jedoch nur der Anfang einer Auseinandersetzung mit der Klimakrise sein – tatsächlich ist das ja auch das Verständnis von Hegenberg selbst, er schreibt: “Mit diesem Buch könnt ihr also erst mal Überblick über diesen monströsen Themenkomplex gewinnen. Solltet ihr es letztlich doch genauer wissen wollen, so steht am Ende dieses Buches eine umfangreiche Quellensammlung (…).“ (S. 18). – Die optimistische Grundausrichtung des Buches finde ich gut; Jan Hegenberg schießt aber etwas übers Ziel hinaus mit dem vermittelten Optimismus; klar ist aber auch, der Titel bleibt richtig: Die Welt geht nicht unter – auch dann nicht, wenn die Weltwirtschaft 2050 noch nicht klimaneutral ist; aber das wird mit Kosten verbunden sein und im schlimmsten Fall mit dem Überschreiten von Kipppunkten im Ökosystem.
Insgesamt definitiv ein lesenswertes Buch. Ein Mutmacher-Buch. Es schafft einen sehr guten Gesamtüberblick und ist darum ein guter Einstieg in die Thematik. Und wenn Sie Star Wars, Star Trek Fan sind, dann macht das Buch wahrscheinlich auch richtig Spaß.